OGH 9Os145/79

OGH9Os145/7911.12.1979

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger, Dr. Horak und Dr. Friedrich als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Zehetmayr als Schriftführer in der Strafsache gegen Anton A wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB.

über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 19. April 1979, GZ. 22 Vr 1419/76-66, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Stöger, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Mörth, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 26. Dezember 1956 geborene Uhrmachergeselle Anton A, gegen den die Staatsanwaltschaft eine Anklage wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB. erhoben hatte, in der (auch) der Antrag auf Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt gemäß § 21 Abs. 2 StGB. gestellt worden war, gemäß § 21 Abs. 1 StGB. in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Nach den Urteilsannahmen hatte A in Schauerschlag, Gemeinde Oberneukirchen, am 5. Mai 1976 in einem Waldgrundstück und am 7. Mai 1976 sowie am 1. Oktober 1976 im landwirtschaftlichen Anwesen seiner Eltern unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB.), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruht, eine Feuersbrunst verursacht, wodurch ein Schaden von insgesamt etwa 900.000 S entstand. Darüber hinaus wurden in den Entscheidungsgründen noch drei weitere (erfolglose) Brandstiftungsversuche des Anton A festgestellt, hinsichtlich deren die Staatsanwaltschaft jedoch die Verfolgung des Angeklagten nicht beantragt hatte.

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft in ihrer auf die Z. 5 und 9 lit. b des § 281 Abs. 1 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie den Vorwurf der Undeutlichkeit sowie der unzureichenden, aktenwidrigen und unvollständigen Begründung der dem Urteil zugrunde liegende Annahme erhebt (§ 281 Abs. 1 Z. 5 StPO.), Anton A sei zur Tatzeit wegen einer Geisteskrankheit, nämlich wegen paranoider Schizophrenie, oder einer anderen schweren seelischen Störung -

die das Gericht ersichtlich in der von den Sachverständigen Prof. Dr. Jarosch und Doz. Dr. Kaiser attestierten schweren Neurose erblickt (Band I S. 397, 398, Band II S. 107 sowie S. 30 der Beil/A zu ON. 65; Band II S. 124, 130) - unfähig gewesen, nach seiner Einsicht in das Unrecht seiner Straftaten zu handeln, und - ausgehend von dem im Verfahren eingeholten Fakultätsgutachten, dem das Gericht allerdings nicht gefolgt war - zur Annahme einer unrichtigen Lösung der Rechtsfrage nach der Zurechnungsfähigkeit des Anton A zur Tatzeit durch das Schöffengericht gelangt.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Zu Unrecht wirft die Beschwerde dem Urteil allerdings Undeutlichkeit vor; es hat das Gericht in den Entscheidungsgründen unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß Anton A zur Tatzeit entweder an einer Geisteskrankheit (an paranoider Schizophrenie) oder an einer schweren seelischen Störung (einer schweren Neurose) litt (Band II S. 120), die nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. Kaiser den Stellenwert einer Geisteskrankheit hat (Band II S. 124) und (deswegen) vom Gericht (rechtlich) als eine andere schwere, einer Geisteskrankheit, einem Schwachsinn oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung gleichwertige seelische Störung (§ 11 StGB.) gewertet worden ist (Band II S. 130, 131). Eine derart klare Wahlfeststellung, wie sie das Erstgericht damit traf, ist weder undeutlich, noch unzulässig; es normiert nämlich das Gesetz keinen Feststellungszwang in dem Sinn, daß sich das Gericht für eine bestimmte Variante des nicht eindeutig klärbaren Tatgeschehens entscheiden muß; es gestattet vielmehr auch wahldeutige Feststellungen, wenn jede der wahlweisen Annahmen zu den gleichen rechtlichen Schlüssen führt (KH 2687, SSt.27/78, 33/58, EvBl. 1963, 221 uva). Das trifft nun - im Hinblick auf die Bestimmung des § 11 StGB. - hinsichtlich der bekämpften Annahmen zu, weshalb die behauptete Undeutlichkeit nicht gegeben ist.

Unzutreffend ist aber auch der weitere Beschwerdeeinwand, das Gericht habe die Aussage des Zeugen Raimund A im Urteil insoweit aktenwidrig wiedergegeben, als der Genannte den bezüglichen Urteilsannahmen zuwider (Band II S. 132, 133) keineswegs angegeben habe, der Angeklagte habe 'allenfalls schon vor den Brandstiftungen erwähnt, er höre Stimmen und werde von jemandem verfolgt'. Tatsächlich hat nämlich der Zeuge Raimund A in seiner Aussage (Band II S. 101 f.) die vom Erstgericht mit dem Wort 'allenfalls' zum Ausdruck gebrachte Möglichkeit offengelassen, daß ihm sein Sohn Anton (nicht erst nach den Bränden, sondern) schon vor den Brandstiftungen über derartige Halluziationen berichtete. Von einer Aktenwidrigkeit kann bei dieser denkrichtigen Schlußfolgerung aus der zwei Alternativen des Tatverhaltens anbietenden Aussage keine Rede sein.

Mit Recht rügt hingegen die Staatsanwaltschaft in ihren weiteren Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund der Z. 5 des § 281 Abs. 1 StPO. (dem Sinne nach auch) das Fehlen einer den Erfordernissen des § 270 Abs. 2 Z. 5 StPO. genügenden Begründung dafür, warum das Gericht dem zur Annahme der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit des Anton A gelangenden Gutachten der Medizinischen Fakultät der Universität Wien (ON. 50 d.A.) nicht folgte, sondern im Widerspruch dazu die Zurechnungsunfähigkeit des Angeklagten im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlungen feststellte. Diesbezüglich kann zwar der (auch in der Rechtsrüge zum Ausdruck kommenden) Ansicht der Beschwerdeführerin nicht gefolgt werden, daß das Fakultätsgutachten 'als höchste und in Wahrheit einzige medizinische Grundlage' an sich schon nicht mit den Methoden der Beweiswürdigung 'entkräftet' werden könne (Band II S. 132), im besondern aber nicht durch jenes Gutachten, das durch das Fakultätsgutachten 'außer Kraft gesetzt worden sei', da dieses gar nicht als Beweismittel berücksichtigt werden dürfe (Band II S. 148 a und 148 a verso).

Es ist nämlich auch ein Fakultätsgutachten nur ein Beweismittel, das ebenso wie die sonstigen im Verfahren vorgetragenen Beweise - unter anderem die Vorgutachten - der freien Beweiswürdigung des Gerichtes unterliegt (§ 258 StPO.). Gewiß ist ein solches Gutachten nach § 126 Abs. 2 StPO. einer Überprüfung durch einen weiteren (Singular-) Sachverständigen entrückt; wohl aber ist es - ebenso wie die Vorgutachten - vom Gericht in der Hauptverhandlung mit den Parteien zu erörtern und sodann im Sinne des § 258 Abs. 2 StPO. (in seiner Glaubwürdigkeit und Beweiskraft an sich und in Verbindung mit anderen Beweismitteln) zu prüfen (KH 84 u.v.a.). Dabei gestattet zwar das Prinzip der freien Beweiswürdigung dem Richter, Umstände festzustellen, die mit dem Fakultätsgutachten im Widerspruch stehen; er darf hiebei allerdings nicht willkürlich vorgehen, sondern muß sich in eine sachliche Widerlegung der Meinung der Experten einlassen, die er (bei einander widersprechenden Vorgutachten) wegen seines unzulänglichen eigenen Fachwissens im Sinne des § 126 StPO. beigezogen hat, und gemäß § 270 Abs. 2 Z. 5 StPO. im Urteil die Gründe dafür angeben, aus denen er das Gutachten der medizinischen Fakultät für unrichtig hält (KH 84, 1910, 2881, SSt. 27/43 u.a.). Dieser Verpflichtung ist das Erstgericht, wie die Beschwerde dem Sinne nach zutreffend bemängelt, nur unvollständig nachgekommen. Hat es doch keine Erwägungen dafür angeführt, warum es der im Fakultätsgutachten eingehend erörterten Tatsache, daß Anton A den Untersuchern des Pavillon XXIII des Psychiatrischen Krankenhauses und den Mitgliedern der Fakultät gegenüber erklärte, seine früheren Angaben über das Hören imperativer Stimmen erfunden zu haben (Band I S. 499 bis 505), keinerlei Beweiswert beimaß, obwohl A in der Hauptverhandlung bei dieser Aussage blieb (Band II S. 96) und die Fakultätsgutachter in ihrer Expertise zum Ausdruck brachten, daß bei den von ihnen durchgeführten Explorationen diesbezüglich eine Dissimulation nicht objektiviert werden konnte (Band I S. 503). Der Widerruf der betreffenden Angaben durch Anton A wurde im Urteil zwar ausdrücklich erwähnt, aber ohne weitere Begründung als nicht dazu geeignet bezeichnet, die Zweifel des Gerichtes an der Dispositionsfähigkeit des Genannten im Tatzeitpunkt auszuschalten (Band II S. 132). Der Angabe solcher Gründe hätte es aber insbesondere deshalb bedurft,weil der Sachverständige Prof.Dr.Jarosch in seinen Gutachten vom 10. August 1976, vom 8. März 1977 und vom 16. Mai 1977 (ON. 4, 33 und 39), denen sich das Gericht letztlich anschloß, von der Richtigkeit der (bis dahin aufrechterhaltenen) Angaben des Anton A über akustische Halluziationen (und Wahnideen) ausgehend zur Diagnose einer paranoiden Schizophrenie oder einer schweren seelischen Störung und somit zur Annahme einer Zurechnungsunfähigkeit gelangte (Band I S. 45, 47, 358, 359), während der Sachverständige Prof.Dr.Hofmann - der in seinem Gutachten (ON. 37) übrigens als Ergebnis einer Fremdanamnese (durch Raimund A) einen Widerspruch mit den später widerrufenen Angaben des Untersuchten aufzeigte (Band I S. 381) - aus ihnen auf einen die Zurechnungsfähigkeit nicht aufhebenden neurotischen Symptomenkomplex im Rahmen einer Pseudologie schloß (Band I S. 385).

Wegen dieses die Annahme der Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat betreffenden Begründungsmangels, der einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst entgegensteht, war der begründeten Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden, ohne daß es eines Eingehens auf das weitere Beschwerdevorbringen bedurfte.

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