Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.031,60 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 132,40 und die Barauslagen von S 240,-) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 13. September 1976 gegen 19.15 Uhr kam es auf der Timmeljochstraße im Bereich des Almweidegebietes der Agrargemeinschaft Untergurgl-Angereralm zwischen dem vom Kläger von Italien in Richtung Gurgl gelenkten PKW und einem ihm auf der Straße entgegenkommenden Pferd zu einem Unfall. Der Beklagte war Eigentümer und Halter des Pferdes.
Der Kläger begehrt Ersatz der Reparaturkosten von S 11.584,-. Er macht geltend, der Beklagte habe als Tierhalter die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Pferdes unterlassen. Dieser habe wissen müssen, dass entlang der Timmeljochstraße weder von ihm noch von einer anderen Seite Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden seien, um die Verkehrssicherheit auf der inzwischen stark frequentierten Alpenstraße zu gewährleisten. Die grundsätzliche Haftung des Tierhalters könne auch nicht durch eine Verordnung der Behörde, mit der die Pflicht zur Beaufsichtigung des Weideviehes in Alpgebieten aufgehoben werde, ausgeschlossen werden.
Der Beklagte macht geltend, er habe die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht des Pferdes nicht unterlassen. Der Vorfall habe sich im Bereich einer Freilandweide in Alpgebieten ereignet, für die mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst die Pflicht zur Beaufsichtigung des Viehs im Sinne des § 81 Abs 3 StVO aufgehoben worden sei. Wegen der großen Ausdehnung des Weidegebietes wäre eine Beaufsichtigung des tags- und nachtsüber auf der Weide befindlichen Viehs auch gar nicht möglich.
Das Erstgericht gab der Klage statt.
Das Berufungsgericht änderte das Urteil des Erstgerichtes (hinsichtlich des Begehrens des Klägers) im Sinne der Abweisung der Klage ab.
Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrunde des § 503 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes abzuändern.
Der Beklagte stellt den Antrag, der Revision nicht Folge zu geben. Die Untergerichte gingen im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Der Beklagte übernahm in Erbgang von seinem Vater einen Hof in Untergurgl und ist seither auch Mitglied der Agrargemeinschaft Untergurgl-Angereralm. Diese Agrargemeinschaft hat ihre Weidegebiete schon seit alters her im Gebiet der Timmeljochstraße. Nach altem Brauch handelt es sich um eine Freilandweide, auf der sich das Weidevieh (Kühe, Galtvieh und Pferde) den ganzen Sommer tags- und nachtsüber ohne Aufsicht aufhält. Der Beklagte betreibt seit der Hofübernahme im Jahre 1958 die Zucht von Haflingerpferden. Im Sommer ließ er die Pferde auf dem Weidegebiet der Agrargemeinschaft ohne Beaufsichtigung weiden. Auch seit der Eröffnung der Timmeljochstraße im Jahre 1960 änderte sich weder an der Zahl der vom Beklagten gehaltenen Pferde noch an der Art und Weise des Weideganges etwas. Der Beklagte ist in Untergurgl der einzige Pferdehalter. Bei den Verhandlungen über die Timmeljochstraße wurden die Weiderechte nicht weiter erörtert. Mit Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 13. Juli 1965 wurde neben anderen Straßen im Bezirk Imst auch die Timmelsjoch-Hochalpenstraße, die weder eine Autobahn noch eine Vorrangstraße ist, gemäß § 81 Abs 3 StVO von den Bestimmungen des § 81 Abs 1 und 2 StVO ausgenommen, da diese Straße durch Gebiete führt, in denen der unbeaufsichtigte Weidegang von Vieh nach altem Herkommen üblich ist. Die Straßenerhalter, darunter die Timmelsjoch-Hochalpenstraße AG, wurden angewiesen, die in der Verordnung genannten Straßen mit dem Gefahrenzeichen "Achtung Tiere" gemäß § 50 Z 13a StVO zu versehen und diese Zeichen zu erhalten. Die Weidegebiete entlang der Timmelsjochstraße sind gegenüber der Straße nicht abgezäunt. Die bergseitigen Böschungen der Straße gehören ebenfalls zum Weidegebiet der Agrargemeinschaft. Der Beklagte hatte vor dem gegenständlichen Schadensfall einen weiteren Schadensfall, bei dem eines seiner Pferde so schwer verletzt wurde, dass es notgeschlachtet werden musste. Einmal wurden Schadenersatzansprüche an den Beklagten herangetragen, weil ein Pferd ein mit laufendem Motor abgestelltes Fahrzeug, bei dem keine Handbremse eingelegt war, weggeschoben habe, sodass es über die Böschung stürzte. Auch sonst wurden verschiedentlich Schadenersatzansprüche wegen der Pferde an den Beklagten herangetragen. Die Versicherung des Beklagten hat jedoch bisher nichts bezahlt. Der Kläger fuhr bei vollkommener Dunkelheit und Schneetreiben vom Pa? kommend in Richtung Gurgl. Er fuhr mit dem zweiten Gang und Abblendlicht. Bei Aufblendlicht hätte infolge des Schneetreibens noch schlechtere Sicht bestanden. Seine Geschwindigkeit betrug 30 bis 35 km/h, als er 60 m entfernt eine Gruppe von Pferden ihm entgegenkommen sah, die die gesamte Fahrbahnbreite einnahm. Der Kläger bremste sofort und verriss sein Fahrzeug nach rechts auf eine neben der Fahrbahn befindliche Ausweiche. Er brachte seinen PKW noch zum Stehen, bevor eines der Pferde vor dem Fahrzeug so aufstieg, dass es den PKW links vorne sowie unmittelbar vor der rechts von der Windschutzscheibe eingebauten Antenne beschädigte. Bei einer Geschwindigkeit von 30 bis 35 km/h hatte der Kläger unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde und einer Bremsverzögerung von 4 m/sec2 (nasse Asphaltfahrbahn bei 11 % Gefälle) einen Anhalteweg von 16 bis 20 m und eine Anhaltezeit von 2,9 bis 3 Sekunden. Das Erstgericht bejahte die Haftung des Beklagten als Tierhalter im Sinne des § 1320 ABGB. Dieser könne sich zu seiner Entlastung nicht auf die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Imst berufen, da auf Grund dieser Verordnung nur der Straßenerhalter von der ihm obliegenden Straßenerhaltungs- und Beaufsichtigungspflicht entbunden, nicht aber auch der Tierhalter von seiner Verwahrungs- und Beaufsichtungspflicht befreit werde. Der Beklagte sei sich dessen bewusst gewesen, dass die frei weidenden Pferde eine Gefährdung für den starken Verkehr auf der Hochalpenstraße darstellten. Es könne den Beklagten auch nicht entlasten, dass der unbeaufsichtigte Weidegang von Vieh nach altem Herkommen üblich sei. Seit der Begründung dieser Weiderechte hätten sich die Verhältnisse mit der Eröffnung der Timmelsjochstraße grundlegend geändert. Der Beklagte wäre daher verpflichtet gewesen, durch entsprechende Maßnahmen zu verhindern, dass die Pferde in den Bereich der Straße gelangen.
Das Berufungsgericht verneinte die Haftung des Beklagten. Die Verpflichtung nach § 81 Abs 1 und 2 StVO, Vieh auf nicht abgezäunten Grundstücken an Straßen durch geeignete Personen zu beaufsichtigen und von der Straße fern zuhalten, treffe nicht die Straßenerhalter, sondern die Halter von Tieren. Durch die im Sinne des § 81 Abs 3 ergangene Verordnung der Bezirkshauptmanschaft Imst seien daher die Tierhalter von ihrer im Sinne des § 81 Abs 1 und 2 StVO bestehenden Verpflichtung entbunden worden. Die sachliche Berechtigung dieser Ausnahme ergebe sich aus den Schwierigkeiten, in einem ausgedehnten hochalpinen Weidegebiet in gleichem Maße für eine Abzäunung von Grundstücken und für die Beaufsichtigung von Weidevieh zu sorgen, wie dies im Tale möglich sei. Gefährliche Eigenschaften der vom Beklagten gehaltenen Pferde seien vom Kläger nicht behauptet worden und hätten sich auch im Verfahren nicht ergeben. Der Umstand, dass schon einmal ein Pferd des Beklagten in einen Unfall verwickelt gewesen sei, lasse diesbezüglich keine Schlüsse zu. Es sei durchaus möglich, dass durch den freien, unbeaufsichtigten Weidegang eine Gefährdung des Verkehrs auf der Hochalpenstraße gegeben sei. Eine solche Gefährdung sei jedoch vom Gesetzgeber im Interesse der Landwirtschaft in Kauf genommen worden.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Der Kläger macht geltend, die im Sinne des § 81 Abs 3 StVO ergangene Verordnung stelle keinen Freibrief für den Tierhalter dar und könne diesen nicht jeglicher Verpflichtung zur Verwahrung und Beaufsichtigung von Tieren im Sinne des § 1320 ABGB entbinden. Wenn er auch nicht behauptet habe und auch nicht hervorgekommen sei, dass es sich bei dem am Unfall beteiligten Pferd um ein bösartiges Tier gehandelt habe, stehe jedoch fest, dass sich im Laufe der Jahre mehrere Vorfälle mit Pferden des Beklagten ereignet hätten. Daraus ergebe sich, dass die Pferde eine Gefährdung des Verkehrs auf der Timmelsjochstraße darstellten. Der Tierhalter habe seine Beaufsichtigungspflicht nicht nur der erkennbaren Eigenschaft des Tieres, sondern auch den sonstigen Umständen anzupassen. Mit Rücksicht auf die vorangegangenen Schadensfälle wäre der Beklagte zur Ergreifung entsprechenden Maßnahmen verpflichtet gewesen. Bei der Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB handelt es sich nach Lehre und Rechtsprechung um eine Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast. Der Tierhalter haftet also für den von seinen Tieren verursachten Schaden, wenn er nicht bewusst, dass er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt hat (vgl Koziol, Haftpflichtsrecht II, 329; ZVR 1975/62 uva). Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch den Tierhalter im Einzelfall erforderlich ist, hängt von den Umständen des Falles ab. Die Vorkehrungen müssen dem Tierhalter zumutbar sein (vgl Koziol aaO S 330; Wolf in Klang VI, 113; JBl 1964, 90). Die Anforderungen an die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters dürfen nicht in einem solchen Maße überspannt werden, dass dadurch einem Landwirt das Halten von an und für sich ungefährlichem Vieh unmöglich gemacht wird (vgl ZVR 1961/14; ZVR 1968/91; ZVR 1969/295 und ZVR 1974/18, 40, 65 und 140 ua). Auf diese Grundsätze ist daher auch besonders bei der Viehweide in Alpgebieten Bedacht zu nehmen. Eine Einzäunung der sehr ausgedehnten, im Gebirge oberhalb der Siedlungen gelegenen Weidegebiete und die ständige Beaufsichtigung des zumeist nicht nur tags- sonder auch nachtsüber im Freien gehaltenen Viehs wäre für die Landwirtschaft mit wirtschaftlich nicht vertretbaren Kosten verbunden. Wie der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung JBl 1964, 90 für die allgemeinen Verhältnisse ausgesprochen hat, besteht eine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht von auf Alpweiden gehaltenen Tieren nur dann, wenn dies mit Rücksicht auf die Eigenschaft des Tieres erforderlich ist. Die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters nach § 1320 ABGB hinsichtlich der an Straßen gelegenen Alpweiden ist in Verbindung mit den Bestimmungen der StVO zu beurteilen. Abweichend von der allgemeinen Regelung des § 81 Abs 1 und 2 StVO, wonach Vieh, das auf nicht abgezäunten Grundstücken an Autobahnen oder Vorrangstraße oder auch an anderen Straßen, die keine ausreichende Sicht auf diese Grundstücke gewähren, weidet von geeigneten Personen beaufsichtigt und von der Straße ferngehalten werden muss, der Gesetzgeber mit der vom Handelsausschuss vorgeschlagenen Abänderung der Regierungsvorlage der StVO (vgl AB über die Regierungsvorlage, 240 der Beilagen zu den sten.Prot. des NR IX GP zu § 81) im § 81 Abs 3 StVO vorgesehen, dass in Alpgebieten und in Gebieten, in denen der unbeaufsichtigte Weidegang nach altem Herkommen üblich ist, die Pflicht zur Beaufsichtigung des Weideviehs von der Behörde aufzuheben ist; und zwar für Gebiete an Autobahnen und Vorrangstraßen, wenn nicht erhebliche Bedenken aus Gründen der Verkehrssicherheit entgegenstehen, für alle anderen Gebiete ohne diese Voraussetzungen, also auch dann, wenn die Verkehrssicherheit durch Aufhebung der Beaufsichtigungspflicht des Landwirtes beeinträchtigt werden sollte. Hiebei hat der Gesetzgeber die Behörde nicht etwa nur ermächtigt, sondern ihr eine Pflicht auferlegt, unter den oben erwähnten Voraussetzungen die Beaufsichtigungspflicht aufzuheben (vgl Veit, Viehweiden an der Straße, KJ 1964 S 53). Zur Sicherung des Straßenverkehrs ist allerdings das Gefahrenzeichen "Achtung Tiere" (§ 50 Z 13a StVO) anzubringen, womit dem Straßenbenützer der Beginn eines Gebietes angezeigt wird, in dem mit unbegleiteten Weidetieren zu rechnen ist. Die Norm des § 1320 ABGB ist daher in Verbindung mit den Bestimmungen der StVO dahin auszulegen, dass der Landwirt als Tierhalter des Weideviehs den Beweis der erforderlichen Verwahrung und Beaufsichtigung im Schadensfall nicht zu erbringen hat, wenn er nach § 81 Abs 3 StVO zum unbeaufsichtigten Weidegang berechtigt war; allerdings nur mit der Einschränkung, dass ihm eine bösartige Eigenschaft seines Weideviehs weder bekannt war noch bei ordnungsgemäßer Sorgfaltspflicht bekannt sein musste (vgl Veit aaO). Dass letzteres hier nicht der gewesen ist, räumt der Revisionswerber selbst ein. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist für den Standpunkt des Klägers mit dessen Hinweis auf frühere, von den Pferden des Beklagten auf der Timmelsjoch-Hochalpenstraße verursachte Schadensfälle nichts gewonnen. Auch ein gutartiges Tier ist nicht in der Lage, sich auf der Straße so zu verhalten, dass keine Gefahren für die Verkehrssicherheit entstehen können. Es wurde bereits oben dargelegt, dass für die im § 81 Abs 3 StVO genannten Gebiete an Straßen, die keine Autobahnen und Vorrangstraßen sind - ein derartiger Fall liegt hier vor - die Pflicht zur Beaufsichtigung des Weideviehs von der Behörde auch dann aufzuheben ist, wenn die Verkehrssicherheit durch die Aufhebung der Beaufsichtigungspflicht des Landwirtes beeinträchtigt werden sollte. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er auf Grund der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung in diesen Fällen eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit durch den unbeaufsichtigten Weidegang in Kauf nimmt.
Der Revision war daher nicht Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)