OGH 10Os70/79

OGH10Os70/7919.9.1979

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. September 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Harbich und der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Walenta und Dr. Hörburger als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Simetzberger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Anton A wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Schöffengericht vom 6. März 1979, GZ 19 Vr 2680/78-49, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Sigmund, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird Folge gegeben, die Strafe auf 4 (vier) Monate herabgesetzt und gemäß § 43 Abs 1 StPO unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 6. Juni 1948 geborene Hilfsarbeiter Anton A des durch fahrlässige Notwehrüberschreitung (§ 3 Abs 2 StGB) begangenen Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt, weil er am 8. Oktober 1978 in Zell am See bei der Abwehr des unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffs des Rajko B auf sein Leben 'bzw. (seine) körperliche Unversehrtheit' dem Genannten unter Verwendung eines Stiletts einen Herzstich zufügte, der den Tod des Rajko B zur Folge hatte.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Schöffengerichts kam es am 8. Oktober 1978 im Gasthaus des Herbert C in Zell am See zwischen dem Angeklagten und B, beide jugoslawische Staatsbürger, wegen eines Kartenspiels, an dem auch andere jugoslawische Gastarbeiter teilnahmen, zu einer wörtlichen Auseinandersetzung. Der Gastwirt verbot hierauf das Spiel, um einen weiteren Streit zu unterbinden. In der Folge beschimpfte aber B den Angeklagten und beleidigte ihn mit Flüchen. Als der Angeklagte hierauf B aufforderte, die Flüche zurückzunehmen, sprang dieser von seinem Sessel auf und versetzte dem Angeklagten einen Faustschlag gegen das linke Auge. Unmittelbar darauf ergriff B einen Sessel und holte damit zu einem Schlag gegen den Angeklagten aus.

Dieser stand zu diesem Zeitpunkt zwischen Tisch und Gasthauswand dem B gegenüber, hatte keine Fluchtmöglichkeit mehr und hielt die rechte Hand über seinen Kopf, um den Schlag mit dem Sessel abzuwehren. Gleichzeitig zog er jedoch mit der linken Hand das in der Innenseite seines Sakkos in einem Lederfutteral befindliche Stilett (mit 10,4 cm langer Klinge;

siehe ON. 39 in Verbindung mit S. 273 d.A.), tat einen Schritt in Richtung des B und stieß es diesem mit großer Wucht linksseitig in die Brust. In der Zwischenzeit war auch der Gastwirt herbeigelaufen und hatte seinerseits den von B erhobenen Sessel festgehalten, sodaß dieser nicht mehr dazukam, den Schlag mit dem Sessel auch tatsächlich auszuführen. Rajko B erlitt einen Herzstich und starb kurz nach der Tat an den Folgen der Verletzung.

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4, 5 und 9 lit. b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Unter Anrufung des erstbezeichneten Nichtigkeitsgrundes rügt der Beschwerdeführer die Abweisung des von ihm in der Hauptverhandlung gestellten Antrages auf Ausforschung und (neuerliche) Vernehmung der Zeugen Milan D, Tomo E, Zedomir F und Emil G sowie auf Durchführung eines Lokalaugenscheines (jeweils) zur Dartuung, daß für den Beschwerdeführer 'eine Notwehrsituation bestand' (siehe S. 272 i. V.m. ON. 54), ferner auf Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Fach der Neurologie und Psychiatrie zum Beweise dafür, daß für den Angeklagten wegen seiner Sichtbehinderung (Blutergüsse an beiden Augen) und seiner (hochgradigen) Alkoholisierung (2,54 %o Blutalkoholgehalt) 'subjektiv eine unabweisliche Notwehrsituation' gegeben war.

Der Verfahrensrüge kommt schon deswegen keine Berechtigung zu, weil das Schöffengericht ohnehin davon ausgegangen ist, daß für den Angeklagten alle Voraussetzungen in tatsachenmäßiger Hinsicht gegeben waren, die ihn zu einer Notwehrhandlung gegen Rajko B berechtigten. Durch die Abweisung der beantragten Beweisaufnahmen konnten sohin Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt werden. Soweit der Beschwerdeführer jedoch vermeint, die beantragten Beweise hätten ergeben, daß für ihn nur die Möglichkeit bestand, B mit dem Messer 'kampfunfähig zu machen', und daß ein unbewaffneter Kampf mit dem 'stuhlbewehrten' B aussichtslos und ihm nicht zumutbar war, geht sein Vorbringen über den für die Prüfung des Zwischenerkenntnisses allein maßgebenden Inhalt des - nur die Annahme einer Notwehrsituation an sich anstrebenden - Beweisantrages hinaus und ist im Rahmen der Erledigung der Verfahrensrüge daher bereits aus prozessualen Gründen ohne RelevanZ

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsgrund der Z 4 des § 281 Abs 1 StPO

liegt somit nicht vor.

Es ist aber auch die Mängelrüge nicht zielführend.

Soweit der Beschwerdeführer unter dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit die Feststellung des Ersturteils bekämpft, der Gastwirt habe mit der Hand den Sessel erfaßt, weshalb es B nicht mehr gelang, den Schlag mit dem Sessel auch tatsächlich auszuführen, und der Angeklagte hätte bemerken können, daß der Gastwirt sich bereits in die Auseinandersetzung einmengte und ihm behilflich war, den Angriff abzuwehren, unternimmt er - ohne formale Begründungsmängel aufzeigen zu können, wie sie zur Herstellung des Nichtigkeitsgrundes der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO erforderlich wären - im wesentlichen nur den im schöffengerichtlichen Verfahren unzulässigen und daher unbeachtlichen Versuch, die gemäß § 258 Abs 2 StPO auf Grund einer Gesamtwürdigung der Verfahrensergebnisse erfolgte und nach § 270 Abs 2 Z 5 StPO auch hinreichend begründete freie Beweiswürdigung des erkennenden Gerichtes zu bekämpfen.

Die Behauptung des Beschwerdeführers, der Gastwirt (Zeuge Herbert C) habe ausgesagt, daß er lediglich 'den Versuch machte', den Sessel zu erfassen, ist im Hinblick auf die diesbezügliche ausdrückliche, wiederholte Angabe dieses Zeugen, wonach er den Sessel bereits 'gehalten' bzw. 'festgehalten' habe, unrichtig und steht ihrerseits im Widerspruch zur Aktenlage (siehe S. 261 und 262). Dem Urteil haftet aber auch insoweit keine 'Aktenwidrigkeit' (gemeint: offenbar unzureichende Begründung) an, als es ausführt, der Beschwerdeführer hätte sehen können, daß ihm der Gastwirt schon zu Hilfe geeilt war. Diese Feststellung stellt nämlich eine denkmögliche, durch die Beweisergebnisse hinreichend gedeckte Schlußfolgerung im Rahmen der erstgerichtlichen Beweiswürdigung dar, die nicht erfolgreich angefochten werden kann.

Es ist daher insofern der Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO ebenfalls nicht gegeben.

Mit dem Vorwurf einer Unvollständigkeit der Urteilsbegründung wendet sich der Beschwerdeführer noch unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO - ebenso wie in den ausdrücklich auf die Z 9 lit. b dieser Gesetzesstelle gestützten Ausführungen - aus einem materiellen Nichtigkeitsgrund dagegen, daß ihm das Erstgericht zwar eine Notwehrsituation zubilligt, ihm jedoch anlastet, bei Abwehr des Angriffs seines Widersachers das gerechtfertigte Maß der Verteidigung fahrlässig überschritten zu haben, ohne Feststellungen über die beiderseitigen Kräfteverhältnisse zu treffen. Seiner Auffassung nach hat für ihn bei der gegebenen Situation und gerade im Hinblick auf die körperliche Überlegenheit des weitaus kräftigeren Angreifers (objektiv) keine andere Möglichkeit bestanden, als jenen durch einen Stich mit dem Messer in die Brust kampfunfähig zu machen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit. b StPO). Schließlich sei ihm auch (subjektiv) nicht zumutbar gewesen, Abwägungen über die Erfolgsaussichten anderer (gelinderer) Abwehrmaßnahmen anzustellen, zumal sich der Vorfall in Sekundenschnelle abgespielt habe und er infolge der Blutergüsse an den Augen und der erheblichen Alkoholisierung körperlich beeinträchtigt gewesen sei (§ 281 Abs 1 Z 9 lit. a StPO, da der Sache nach gegen die Annahme des Tatbestandsmerkmals der Fahrlässigkeit des § 80 StGB gerichtet).

Diese Rechtsrügen versagen jedoch.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß sich das Maß der Abwehr regelmäßig nach der Art, der Wucht und der Intensität des (zur Notwehr berechtigenden) Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln bestimmt. Standen dem Angegriffenen - objektiv gesehen - zu einer wirksamen Abwehr des Angriffs auch weniger gefährliche Maßnahmen zur Verfügung, konnte der Angegriffene des weiteren - trotz seiner bedrängten Lage und des ihn beherrschenden asthenischen Affekts (Bestürzung, Furcht oder Schrecken) - auch subjektiv erkennen, daß er in der Wahl der Abwehrhandlungen zu weit gehe, und war ihm diese Einsicht auch zumutbar, dann trifft ihn - soweit die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist - der Vorwurf einer auf Fahrlässigkeit beruhenden (strafbaren) Notwehrüberschreitung (vgl. EvBl. 1979/16).

Ausgehend von diesen Rechtsgrundsätzen und den im angefochtenen Urteil getroffenen Tatsachenfeststellungen hat das Erstgericht richtig erkannt, daß sich der Angeklagte zwar in einer Notwehrsituation befand, die ihn generell zu Abwehrhandlungen berechtigte, daß jedoch nach Lage des konkreten Falles der von ihm gegen die linke Brustseite des Rajko B mit großer Wucht geführte Stich mit einem Stilett (Klingenlänge 10,4 cm) nicht (mehr) als ein zur Abwehr notwendiger und maßhaltender Akt der Verteidigung beurteilt werden kann, sondern vielmehr eine Überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung darstellt.

In diesem Zusammenhang ist die vom Beschwerdeführer im Urteil vermißte Feststellung über die Kräfteverhältnisse des Angeklagten und des Angreifers nicht entscheidungswesentlich, weil sie zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung des Tatverhaltens des Angeklagten führen kann. Denn auch, wenn berücksichtigt wird, daß der Beschwerdeführer dem Rajko B körperlich tatsächlich unterlegen war (siehe S. 94 i. V.m. S. 19), darf nicht übersehen werden, daß Letzterer gerade wegen der Beengtheit der Raumverhältnisse und des geringen Abstandes zum Beschwerdeführer mit dem Sessel einen relativ unhandlichen und nur bedingt gefährlichen Gegenstand als 'Waffe' benutzte, sodaß - wie das Erstgericht zutreffend ausführt - der Beschwerdeführer den Angriff (zunächst) auch durch Einsatz seiner Hände hätte abwehren können. Denn ein kräftiger Stoß mit den Händen gegen die Brust oder ein Umklammern des Körpers bzw. Festhalten der Arme des Angreifers hätten einen Schlag gegen den Kopf des Beschwerdeführers von vornherein vereitelt. Damit erweist sich jedoch auch der Beschwerdevorwurf, das Erstgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, welche Erfolgsaussichten eine solche (unbewaffnete) Abwehrhandlung haben konnte, als unbegründet. Selbst wenn man dem Beschwerdeführer aber zubilligt, daß er zur Abwehr des vorliegenden Angriffes auch eine Stichwaffe verwenden durfte, so hätte bei der gegebenen Situation, insbesondere im Hinblick darauf, daß er die rechte Hand zur Abwehr des Schlages erhoben und der Gastwirt bereits den Sessel erfaßt hatte, auch eine nach Intensität und Zielrichtung weniger gefährliche Stichführung (etwa gegen die Arme oder Schulter) genügt, um den Angreifer abzuwehren.

Rechtlich unbedenklich ist ferner die Annahme des Erstgerichtes, daß der Beschwerdeführer trotz seiner Affektlage, des unmittelbar vor dem Angriff erhaltenen Faustschlages und seiner Alkoholisierung sowie der bedrängten Lage, in der er sich befand, bei Aufwendung der in bezug auf die Achtung von Leib und Leben allgemein gebotenen Sorgfalt erkennen hätte können, daß auch weniger gefährliche Abwehrhandlungen ausgereicht hätten, um den Angriff abzuwehren, und er durch die besonders gefährliche (wuchtige) Stichführung gegen den Herzbereich des Angreifers zu weit ging, sowie daß ihm diese Einsicht auch zuzumuten war; und dies umso mehr, wenn berücksichtigt wird, daß dem Angriff des Rajko B ein Streit von gewisser Dauer vorausgegangen ist und sich der gegenständliche Angriff aus diesem Wortstreit entwickelte. Unter diesen Umständen kann im vorliegenden Fall jedenfalls von einer plötzlich entstandenen Gefahrensituation im Sinne eines massiven, unvermuteten und lebensbedrohenden Angriffs, der eine genauere Überlegung ausschloß, nicht gesprochen werden. Hiezu kommt, daß sich der Angeklagte in einem Gathaus in Gesellschaft mehrerer Personen befand, die ihm nicht feindlich gesinnt waren, und der Gastwirt bereits einmal schlichtend in die Auseinandersetzung eingegriffen hatte, sodaß der Angeklagte mit einer Hilfeleistung - wie dies tatsächlich auch geschehen ist - rechnen konnte. Die Annahme, daß ihm zunächst die Wahl einer weniger gefährlichen Verteidigungsart auch zuzumuten war, ist daher frei von Rechtsirrtum.

Was letztlich den ebenfalls auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit. b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Einwand einer Putativnotwehr im Sinne des § 8 StGB anlangt, so verkennt der Beschwerdeführer, daß bei Vorliegen der Grundvoraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der Notwehr die irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes nach § 8 StGB

schon begrifflich nicht in Betracht kommt.

Das Erstgericht hat somit den Beschwerdeführer zutreffend aus dem Grunde fahrlässiger (den Tod des Angreifers verursachender) Notwehrüberschreitung des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB schuldig erkannt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Erstgericht verhängte über den Angeklagten nach § 80 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 6 Monaten. Bei der Strafbemessung wertete es keinen Umstand als erschwerend; hingegen nahm es das Geständnis des Angeklagten, seine bisherige Unbescholtenheit sowie ein erhebliches Mitverschulden des Getöteten durch die Provokation der Auseinandersetzung als mildernd an. Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe und deren bedingte Nachsicht an.

Die Berufung ist berechtigt.

Zieht man insbesonders in Betracht, daß der bisher unbescholtene Angeklagte den Angriff des B in keiner Weise herausgefordert hat und im Zuge der Auseinandersetzung zunächst noch bemüht war, den ihn beschimpfenden Angreifer zu beschwichtigen, dann sind unter weiterer Bedachtnahme auf den relativ geringen Verschuldensgrad nicht nur die Voraussetzungen für eine Ermäßigung der Strafe auf 4 Monate, sondern auch jene für die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB gegeben. Spezialpräventive Bedenken liegen entgegen der Meinung des Erstgerichtes unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Angeklagten nicht vor und generalpräventive Aspekte fallen nicht entscheidend ins Gewicht.

Es war daher spruchgemäß zu erkennen.

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