Spruch:
Die Strafverfügung des Strafbezirksgerichtes Wien vom 21. Februar 1978, GZ 6 U 371/78-2, mit der Hedwig A des Vergehens der versuchten Entwendung nach den §§ 15, 141 Abs 1
StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde, verletzt das Gesetz in den Bestimmungen des § 141 Abs 2 StGB und des § 2 Abs 5 StPO
Diese Strafverfügung sowie alle darauf beruhenden Beschlüsse und Verfügungen werden aufgehoben und es wird gemäß §§ 288 Abs 2 Z 3, 292 StPO in der Sache selbst erkannt:
Hedwig A wird von der wider sie erhobenen Anklage, sie habe am 14. Dezember 1977 in Wien aus Unbesonnenheit versucht, diverse Lebensmittel im Gesamtwert von 121,30 S, mithin Sachen geringen Wertes, einem anderen, nämlich der B Warenhandels Ges.m.b.H., zu entziehen, gemäß § 259 Z 3 StPO
freigesprochen.
Text
Gründe:
Mit Strafverfügung vom 21. Februar 1978, GZ 6 U 371/78-2, verhängte das Strafbezirksgericht Wien über die Hilfsarbeiterin Hedwig A wegen des Vergehens der versuchten Entwendung nach §§ 15, 141 Abs 1 StGB eine Geldstrafe von vierzehn Tagessätzen zu je 80 S mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von sieben Tagen, weil sie am 14. Dezember 1977 in Wien im Kaufhaus 'B' aus Unbesonnenheit versucht habe, Sachen geringen Wertes, nämlich diverse Lebensmittel im Gesamtwert von 121,30 S, einem anderen zu entziehen.
Rechtliche Beurteilung
Diese gemäß dem Bestrafungsantrag des öffentlichen Anklägers vom 14. Februar 1978 (S. 18) ergangene und mangels Einspruchs (seit 24. März 1978) in Rechtskraft erwachsene Strafverfügung steht mit dem Gesetz nicht in Einklang.
Das Vergehen der Entwendung ist nach § 141 Abs 2 StGB nur mit Ermächtigung des Verletzten zu verfolgen. Eine solche Ermächtigung kann dem zur Verfolgung berufenen öffentlichen Ankläger entweder ausdrücklich oder durch die Erklärung, sich dem Verfahren als Privatbeteiligter anzuschließen, erteilt werden; sie ist dem Gericht bis zum Beginn der Hauptverhandlung nachzuweisen (§ 2 Abs 5 StPO).
Eine Ermächtigung dieser Art lag hier jedoch nicht vor. Daß der Filialleiter der Firma B Warenhandel Ges.m.b.H. die intervenierenden Sicherheitswachebeamten aufforderte, gegen Hedwig A wegen des gegenständlichen Vorfalls einzuschreiten (S. 7), und in einem ihnen übergebenen Schriftsatz sinngemäß zum Ausdruck brachte, daß er gegen die Genannte die Anzeige erstatte (S. 9), kommt der Ermächtigung des öffentlichen Anklägers zur Verfolgung nicht gleich (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/1 Nr. 169, 170 zu § 2 StPO).
Das Strafbezirksgericht Wien hätte nun, da - wie schon angeführt - der Nachweis der Ermächtigung bis zum Beginn der Hauptverhandlung hätte erbracht werden können, eine solche anordnen und im Falle des weiterhin bestehenden Mangels einer Ermächtigung wegen des sohin gegebenen materiellrechtlichen Verfolgungshindernisses mit einem Freispruch gemäß dem § 259 Z 3 StPO vorgehen müssen. Dabei wäre es - unbeschadet einer (hier nicht in Betracht gekommenen) Anhörungspflicht bei geändertem rechtlichem Gesichtspunkt (analog) nach § 262 (§ 447 Abs 1) StPO (vgl. RZ 1977/46) - grundsätzlich nicht Aufgabe des Gerichtes gewesen, auf den öffentlichen Anklägers einzuwirken, daß er im Sinne des § 2 Abs 5 StPO beim Verletzten anfrage, ob die Ermächtigung erteilt werde, oder an Stelle des öffentlichen Anklägers diese Anfrage an den Veletzten zu richten (SSt. 29/47). Die ungeachtet des bestandenen (materiellrechtlichen) Verfolgungshindernisses gegen Hedwig A erlassene Strafverfügung verstieß sohin zu deren Nachteil gegen das GesetZ
Aus diesen Gründen waren die Strafverfügung und alle darauf beruhenden Beschlüsse aufzuheben und - da inzwischen Verjährung eingetreten ist, sodaß einem Auftrag, das ordentliche Verfahren einzuleiten, der Boden entzogen ist - mit einem Freispruch gemäß dem § 259 Z 3 StPO vorzugehen (vgl. dazu u.a. 9 0s 113/75 = ÖJZ-LSK 1976/134; 10 0s 50/78).
Zur Frage der Verjährung ist - ausgehend von der hier geltenden einjährigen Frist des § 57 Abs 3, letzter Fall, StGB - anzuführen, daß seit Rechtskraft der Strafverfügung, also seit 24. März 1979, Gerichtsanhängigkeit nicht mehr gegeben ist. Dieser - mehr als ein Jahr betragende - Zeitraum ist daher in die (wie festgehalten, einjährige) Verjährungszeit nicht einzurechnen (§ 58 Abs 3 Z 2 StGB). Ein im § 58 StGB
vorgesehener, die Verlängerung der Probezeit bewirkender Umstand ist den Akten nicht zu entnehmen.
Abschließend ist zu bemerken, daß der Anregung der Generalprokuratur, den Bestrafungsantrag des öffentlichen Anklägers abzuweisen und das Verfahren einzustellen, nicht gefolgt werden konnte. Denn auch das Erstgericht hätte - entgegen dem Vorbringen der Generalprokuratur in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes - nicht mit einer Abweisung des vom öffentlichen Ankläger gestellten Bestrafungsantrages und einer Einstellung des Verfahrens vorgehen dürfen, weil es gemäß dem § 2 Abs 5 StPO bis zum Beginn der Hauptverhandlung wegen (allfälliger) Vorlage der Verfolgungsermächtigung hätte zuwarten müssen. Im Verfahren nach dem § 292 StPO ist nur dann mit einer Abweisung des Bestrafungsantrages und einer Einstellung des Verfahrens vorzugehen, wenn ein gesetzwidriger Strafantrag vorgelegen wäre (siehe dazu 11 Os 73/78, etwa wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der materiellen Rechtskraft (13 Os 104/74), mangels schweren Verschuldens beim Vergehen der fahrlässigen Körpverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB in den im Abs 2 leg. cit. angeführten Fällen (12 Os 2/76, wegen einer (bloßen) Verwaltungsübertretung (12 Os 137/76), wegen einer nichtdiebstahlsfähigen Sache (9 Os 3/77). Das Vorliegen eines gesetzwidrigen Bestrafungsantrages behauptet aber die Generalprokuratur selbst nicht. Hätte der Oberste Gerichtshof gemäß dem § 292 StPO noch innerhalb der Verjährungszeit entschieden, wäre mit einer Aufhebung der erstgerichtlichen Entscheidung und dem Auftrag zur Einleitung des ordentlichen Verfahrens vorzugehen gewesen.
Aus den dargelegten Gründen war über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde spruchgemäß zu entscheiden.
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