OGH 13Os4/79

OGH13Os4/7919.4.1979

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. April 1979 unter dem Vorsitz des Hofrates des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller, Dr. Friedrich, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag. Santa als Schriftführerin in der Strafsache gegen Franz A wegen des Verbrechens des Mißbrauches der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengerichtes vom 20. November 1978, GZ 70 Vr 5.244/78-13, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwaltes Dr. Karollus, und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Draxler, zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1979:0130OS00004.79.0419.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Franz A des Verbrechens des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach dem § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er am 2. Juni 1978 in Klosterneuburg als Gesamtzusteller des Postamtes Klosterneuburg, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, den Absender Dr. Hugo B an seinem mit der Gebührenentrichtung bei der Postaufgabe existent gewordenen Recht auf ordnungsgemäße postalische Behandlung seiner Briefsendung, vor allem durch Weiterbeförderung und Rücksendung im Fall der Unzustellbarkeit, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch wissentlich mißbraucht hat, daß er den betreffenden Brief vernichtete.

Von der weiteren Anklage, unter Ausnützung der ihm durch seine Amtstätigkeit gebotenen Gelegenheit, durch Abgabe eines Zustellungsnachweises mit der von ihm nachgemachten Unterschrift des Adressaten der im Schuldspruch angeführten Briefsendung (Günther C) in seiner Dienststelle eine falsche Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der ordentlichen Zustellung der Sendung, gebraucht und hiedurch das Vergehen der Urkundenfälschung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach den §§ 223 Abs 2, 313 StGB begangen zu haben, wurde Franz A gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Laut Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte die Absicht, den in Rede stehenden Eil-Einschreibebrief am 2. Juni 1978 vor Antritt seines üblichen Zustellganges dem in K wohnhaften Adressaten Günther C zuzustellen. Er vergaß dies aber und fuhr erst nach Beendigung des Zustellganges etwa zwischen 14 Uhr 30 und 15 Uhr an die genannte Adresse, wo er niemand antraf. Darauf beschloß er, keinen weiteren Zustellversuch mehr zu unternehmen und fuhr zum Postamt zurück. Dort machte er auf der Zustellnachweisung für Telegramme und Eilbriefsendungen die Unterschrift des Günther C nach, gab den Zustellnachweis auf dem Postamt ab und nahm den Brief mit nach Hause, wo er ihn verbrannte.

Der Freispruch von der Anklage wegen Vergehens der Urkundenfälschung unter Ausnützung einer Amtsstellung nach den §§ 223 Abs 2, 313 StGB wurde vom Erstgericht damit begründet, daß durch die 'Verfälschung' der Zustellnachweisung kein weiteres Recht des Absenders als jenes auf ordnungsgemäße postalische Behandlung des rekommandierten Eilbriefs verletzt worden sei. Eingeschrieben werde ein Brief üblicherweise deshalb aufgegeben, um für den Fall, daß der Empfänger den Erhalt der Sendung abstreite, einen Nachweis für die Aufgabe und die Beförderung zu haben; bei einem Eilbrief habe der Zustellnachweis für den Absender eigentlich keine weitere Funktion. Die 'Verfälschung' des Zustellnachweises richte sich daher gegen dasselbe Rechtsgut wie der Amtsmißbrauch und sei bereits durch die Verurteilung nach dem § 302 Abs 1 StGB abgegolten. Zudem könne die Funktion des Zustellnachweises dem Dienstgeber des Angeklagten gegenüber nur darin gelegen sein, daß der Zusteller damit die Erfüllung seiner Dienstpflichten nachweise. Die Überwachung der Einhaltung der Dienstvorschriften und Dienstpflichten stelle jedoch nur ein abstraktes Aufsichtsrecht allgemeiner Natur dar, in Ansehung dessen keine Verwendung einer Urkunde 'im Rechtsverkehr' vorliege. Schließlich habe die 'Falschbeurkundung' nur dazu gedient, um die Entdeckung des durch die Nichtzustellung bereits begangenen Amtsmißbrauches zu verhindern, ohne ihrerseits einen weiteren Schaden zu bewirken. Die Nachmachung der Unterschrift des (angeblichen) Empfängers auf dem Zustellnachweis sei somit auch als Deckungshandlung des Angeklagten zu beurteilen, ohne die der Amtsmißbrauch sofort offenkundig geworden wäre.

Diesen Teilfreispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der die Anklagebehörde sinngemäß ausführt, daß durch die Fälschung der Unterschrift des Adressaten auf der Zustellnachweisung neben den Rechten des Absenders aus der Gebührenentrichtung auch ein allgemeines Recht des Adressaten darauf, nicht mit der Beweislast für das Unterbleiben der Zustellung an ihn beschwert zu werden, verletzt werde, weil ihm im Fall der Nichtzustellung die Beweispflicht obliege, daß er die betreffende Postsendung nicht erhalten habe und daß die auf der Zustellurkunde aufscheinende Unterschrift nicht von ihm stamme. Die durch die Verfälschung der Zustellnachweisung bewirkte Rechtsgutverletzung gehe somit über jene durch den Amtsmißbrauch hinaus, weshalb durch die Bestrafung des Angeklagten wegen des Mißbrauchs der Amtsgewalt der Unrechtsgehalt der Nachtat nicht zur Gänze erfaßt sei. Weiters wird von der Staatsanwaltschaft geltend gemacht, daß unter Gebrauch einer Urkunde im Rechtsverkehr jede mit Rücksicht auf den Inhalt rechtserhebliche Verwendung zu verstehen sei, durch welche der Getäuschte zu einem rechtlich erheblichen Verhalten bestimmt oder eine rechtlich erhebliche Maßnahme vereitelt werden solle, was auf den Angeklagten zutreffe, der die ordnungsgemäße Zustellung der Postsendung vorgetäuscht habe, um sich einer aufsichtsbehördlichen Maßnahme seiner Vorgesetzten zu entziehen; zudem habe der verfälschte Zustellnachweis nicht nur im internen Dienstbereich, sondern auch einem Außenstehenden gegenüber Verwendung gefunden, weil er dem angeblichen Empfänger zur Identifizierung der Unterschrift vorgelegt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Nichtigkeitsbeschwerde ist - im Ergebnis - nicht begründet:

Entgegen der Meinung des Erstgerichts dienen zwar Zustellnachweisungen der gegenständlichen Art keineswegs nur der Überwachung der Einhaltung der Dienstvorschriften und Dienstpflichten durch die Bediensteten der Post, sondern vor allem auch dem Beweis der ordnungsgemäßen Beförderung und Zustellung der betreffenden Sendung dem Absender und dem Empfänger gegenüber. Auch ist als Gebrauch einer Urkunde im Rechtsverkehr im Sinn des § 223 StGB jede wegen ihres Inhalts vorgenommene, rechtserhebliche Verwendung der betreffenden Schrift zu verstehen (EvBl 1978/176, ÖJZ-LSK 1978/386 uam), also auch ihr bloß behördeninterner Gebrauch zum Nachweis rechtlich relevanter Tatsachen, wie im vorliegenden Fall die Abgabe des (falschen) Zustellnachweises durch den Angeklagten an seine Dienststelle zum Nachweis einer (vorgeblichen) Zustellung des Eil-Einschreibbriefes, wobei weder Wortlaut noch Sinn dieser Strafbestimmung die vom Erstgericht vertretene Auffassung zu stützen vermögen, daß das allgemeine (abstrakte) Aufsichtsrecht des Staates im Rahmen des § 223 StGB nicht als Kriterium der Rechtserheblichkeit in Betracht käme. Denn anders als § 302 StGB, der das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Korrektheit der Amtsführung in Ansehung konkreter Rechte schützt und bei dem das allgemeine Recht des Staates gegenüber dem Beamten auf pflichtgemäße Amtsausübung, dessen vorsätzliche Schädigung schon Voraussetzung eines jeden tatbestandsmäßigen Befugnismißbrauchs ist, als Schutzobjekt nicht in Betracht kommt (RZ 1978/63 ua), zielt § 223 StGB auf einen Schutz der Allgemeininteressen an der Zuverlässigkeit von Urkunden im Rechtsverkehr schlechthin (ÖJZ-LSK 1979/71, EvBl 1978/200 uam), ohne daß zur Tatbestandsverwirklichung die (tatsächliche oder auch nur geplante) Schädigung konkreter Rechte erforderlich wäre (EvBl 1976/163, 9 Os 127/78 ua).

Dennoch erweist sich die vom Erstgericht gefundene Lösung der Rechtsfrage als im Ergebnis berechtigt:

Denn bei der Prüfung des Verhältnisses zwischen einem echten Sonderdelikt (wie es das Verbrechen des Mißbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 StGB darstellt) und einem allgemeinen Delikt ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Sonderdelikt das allgemeine, dessen Merkmale bei Begehung des Sonderdelikts in concreto (mit-)verwirklicht werden, und mithin § 302 StGB insoweit (nicht nur das allgemein strafbare Vermögensdelikt - etwa § 127, § 133 oder § 146 StGB -, sondern auch) Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB dann verdrängt (vgl ÖJZ-LSK 1978/238 = EvBl 1978/136 = RZ 1978/63; RZ 1977/44; OGH 21. 12. 1978, 13 Os 170/78; ÖJZ-LSK 1976/318), wenn alle Merkmale des allgemeinen Delikts im konkreten Fall im Rahmen des Sonderdelikts (hier: des Mißbrauchs der Amtsgewalt) zumindest in einer seiner Phasen, gesetzt wurden und das allgemeine Delikt in seiner Gesamtauswirkung nicht strenger strafbedroht ist (hier: als der Amtsmißbrauch nach § 302 StGB; vgl ÖJZ-LSK 1978/238). Da diese Voraussetzungen im gegenständlichen Fall gegeben sind, weil es sich bei der inkriminierten Vorgangsweise des Angeklagten um einen auf einem einheitlichen Willensentschluß beruhenden Tatkomplex handelt, in dessen Rahmen auch die nach dem Sinngehalt der Entscheidungsgründe geradezu eine Voraussetzung für die Begehung des vom Angeklagten beschlossenen Amtsmißbrauchs bildende Fälschung der Unterschrift des angeblichen Empfängers auf der Zustellnachweisung fällt, die sich daher als Teilphase des letztlich auf die Vernichtung des Briefs abzielenden, als Mißbrauch der Amtsgewalt zu qualifizierenden Gesamtverhaltens des Angeklagten darstellt, mußte mithin der letztlich unbegründeten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ein Erfolg versagt bleiben.

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