OGH 11Os26/79

OGH11Os26/7927.3.1979

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 1979

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter, sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schifter als Schriftführer, in der Strafsache gegen Franz A wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die von Franz A gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Kreisgericht Wr. Neustadt vom 8. November 1978, GZ 10 b Vr 779/78- 34, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt Dr. Krenn, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß dem § 290 Abs 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch über die rechtliche Beurteilung der zu Punkt II des Urteilssatzes bezeichneten Tat als das Verbrechen des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB sowie demgemäß auch im Strafausspruch und im Ausspruch gemäß dem § 21 Abs 2 StGB aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Franz A hat durch die zu Punkt II des Urteilssatzes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB begangen und wird hiefür, sowie für die ihm nach dem aufrecht bleibenden Teil des Urteils weiterhin zur Last fallenden strafbaren Handlungen, nämlich für das Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB (Punkt I des Urteilssatzes) und die Vergehen nach dem § 36 Abs 1

lit. a WaffenG und nach dem § 40 Abs 5 lit. a WaffenG (Punkt III/1 und 2 des Urteilssatzes) nach dem § 75 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 (zwanzig) Jahren verurteilt.

Gemäß dem § 21 Abs 2 StGB wird die Unterbringung des Angeklagten in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19. Dezember 1948 geborene Hilfsarbeiter Franz A auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB (Punkt I des Urteilssatzes), des Verbrechens des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1 zweiter Fall StGB (Punkt II des Urteilssatzes), sowie der Vergehen nach dem § 36 Abs 1 lit.

a WaffenG und nach dem § 40

Abs 5 lit. a WaffenG (Punkte III 1 und 2 des Urteilssatzes)

schuldig erkannt, weil er zu I: am 2. Juli 1978 in Bad Fischau-

Brunn dadurch versuchte, die Gendarmeriebeamten Wolfgang B und Ignaz

D zu töten, daß er aus einem Trommelrevolver S & W Russian, Kal. 44,

insgesamt fünf gezielte Schüsse auf sie abgab;

zu II: durch die unter I angeführten Handlungen versuchte, die

genannten Gendarmeriebeamten mit Gewalt an einer Amtshandlung,

nämlich an seiner Perlustrierung, zu hindern;

zu III: vom Jahre 1977 bis 2. Juli 1978 in Wien, Wiener

Neustadt und Bad-Fischau-Brunn unbefugt 1. Faustfeuerwaffen; nämlich den unter I angeführten Revolver sowie eine abgesägte Schrotflinte von weniger als 60 cm Länge, besaß und führte;

2. eine militärische Waffe, nämlich einen Karabiner 98 K, erwarb und führte.

Der Angeklagte wurde nach dem § 75 StGB unter Anwendung des § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwanzig Jahren verurteilt. Gemäß dem § 21 Abs 2

StGB wurde überdies seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Die Geschwornen hatten die drei im Sinne der Anklage gestellten Hauptfragen (die Hauptfrage I mit 7 : 1 Stimmen, die beiden anderen Hauptfragen jeweils stimmeneinhellig) bejaht; Eventual- oder Zusatzfragen wurden nicht gestellt. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde in den Schuldspruchfakten I und II unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe des § 345 Abs 1 Z 5 und 6 StPO

Zum erstbezeichneten Nichtigkeitsgrund rügt der Beschwerdeführer die Abweisung seines in der Hauptverhandlung gestellten Antrages, einen Ortsaugenschein zur Nachtzeit zum Beweis dafür durchzuführen, daß er auf Grund der schlechten Sichtverhältnisse habe annehmen können, der Beamte (Gend.Insp. B) habe bereits die Waffe gezogen, infolgedessen in Panik geraten sei und sich aus einer Angstreaktion heraus zum Abdrücken der Waffe entschlossen habe (vgl. S. 230 d. A).

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge ist unberechtigt.

Der Umstand, ob der Angeklagte der Meinung sein konnte, einer der Gendarmeriebeamten, die aus dem Funkpatrouillenwagen ausgestiegen waren und ihn perlustrieren wollten, würde im Falle seiner Flucht - auf Grund des sicherheitsbehördlichen Waffengebrauchsrechtes - gegen ihn von einer Schußwaffe Gebrauch machen, konnte naturgemäß durch einen Augenschein nicht geklärt werden.

Abgesehen davon, daß den Geschwornen zur Beurteilung der - zur Tatzeit (ca. 2 Uhr 50 nachts) ungünstigen - Sichtverhältnisse am Tatort ausreichende Entscheidungsgrundlagen vorlagen (s. insbes. Tatbestandsmappe ON 22 d. A), gab der Angeklagte selbst zu, die Gendarmeriebeamten als solche erkannt und auf eine Entfernung von höchstens 5 m in Richtung der Beamten Schüsse abgefeuert zu haben, weil er befürchtete, seine Perlustrierung würde infolge der Auffindung der von ihm mitgeführten Waffen zu seiner Festnahme und (in weiterer Folge) zu einem Widerruf der bedingten Entlassung, sowie zum Vollzug des bedingt nachgesehenen Strafrestes führen (vgl. S. 35 f, Angaben vor dem Untersuchungsrichter in ON 8 sowie S. 198 ff und S. 231

d. A). Ein Ortsaugenschein zur Feststellung der Sichtverhältnisse am Tatort zur Zeit der Tat konnte daher zur Beurteilung der entscheidenden Frage, ob der Angeklagte durch gezielte Schüsse die pflichtgemäß einschreitenden Gendarmeriebeamten töten und sie an der Amtshandlung seiner Perlustrierung hindern wollte, oder ob er die Schüsse abgefeuert hat, ohne daß sein (zumindest bedingter) Vorsatz auf einen solchen Erfolg gerichtet war, nichts Wesentliches beitragen. Im übrigen schließt ein Handeln in einem auf Angst beruhenden Affekt grundsätzlich weder Vorsatz im allgemeinen noch auch die Beurteilung einer vorsätzlichen Tötung als Mord (vgl. LSK 1976/361) aus.

Durch die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme wurden sohin Verteidigungsrechte des Angeklagten nicht beeinträchtigt. Eine Nichtigkeit im Sinne der Z 6 des § 345 Abs 1

StPO bewirkende Verletzung der in den §§ 312 bis 317 StPO enthaltenen Vorschriften erblickt der Beschwerdeführer im wesentlichen darin, daß den Geschwornen keine Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB gestellt worden ist.

Auch dieser Beschwerdeeinwand versagt.

Gemäß dem § 313 StPO ist eine Zusatzfrage dann zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht werden, die - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben. Ein Vorbringen von Tatsachen im Sinne dieser Gesetzesstelle ist nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (vgl. Gebert-Pallin-Pfeiffer III/2, Nr. 11 zu § 313 StPO und Nr. 12 zu § 314 StPO sowie LSK 1978/

139) dann anzunehmen, wenn im Beweisverfahren konkrete Umstände genannt wurden oder sonst hervorgekommen sind, die die Annahme von Tatsachen als zutreffend in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken, die in rechtlicher Hinsicht einen bestimmten Strafausschließungs- (Rechtfertigungs- oder Entschuldigungs-) oder Strafaufhebungsgrund begründen würden.

Diese Voraussetzungen treffen im vorliegenden Fall jedoch nicht zu. Denn weder berief sich der Beschwerdeführer (ausdrücklich oder sinngemäß) darauf, daß er zur Tatzeit wegen einer Geisteskrankheit, wegen Schwachsinns, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichwertigen seelischen Störung unfähig gewesen wäre, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, noch ergaben sich aus dem Gutachten des dem Verfahren beigezogenen gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Primarius Dr. Herbert F (vgl. S. 222 ff. d. A) oder aus sonstigen Verfahrensergebnissen irgendwelche in diese Richtung weisende konkrete Anhaltspunkte. Vielmehr ging die Verantwortung des Beschwerdeführers sinngemäß dahin, daß er infolge großer Angst nicht mit dem Vorsatz, einen Menschen zu töten, gehandelt, sondern nur eine Kurzschlußhandlung bzw. Fehlreaktion gesetzt habe (vgl. die Angaben vor dem Untersuchungsrichter in ON 8 sowie S. 201, 206 und 231 d. A). Über das Vorliegen oder Nichtvorliegen der zur Verwirklichung des betreffenden Tatbestandes erforderlichen inneren Tatseite hatten die Geschwornen nicht auf Grund einer Zusatzfrage, sondern durch Beantwortung der an sie gerichteten bezüglichen Hauptfrage zu entscheiden. Daß sich der Angeklagte aber zur Tatzeit etwa in einem so intensiven und ausgeprägten - nicht auf pathologischer Grundlage beruhenden - seelischen Ausnahmezustand hochgradiger Angst befunden haben könnte, der seinem Gewicht und seiner Bedeutung nach als einer Geisteskrankheit, einem Schwachsinn oder einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung vollkommen (und nicht bloß annähernd) gleichwertig anzusehen wäre und sohin Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB begründen würde (vgl. EvBl. 1976/72; SSt. 42/25, EvBl. 1975/

178, EvBl. 1976/115 u.a.), war durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens nicht indiziert.

Der Schwurgerichtshof hat demnach den Geschwornen zu Recht keine Zusatzfrage in Richtung des § 11 StGB gestellt.

Soweit der Beschwerdeführer schließlich, wenn auch im Rahmen der Berufung, so doch der Sache nach aus dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 13 in Bekämpfung des Ausspruchs über seine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher geltend macht, das Erstgericht hätte nicht nach dem § 21 Abs 2 StGB, sondern 'im Sinne des § 21 Abs 1 StGB vorgehen müssen', so wurde die Beschwerde diesbezüglich nicht dem Gesetz gemäß ausgeführt, weil nicht dargetan wurde, aus welchen Gründen insofern dem angefochtenen Urteil ein Fehler anhafte.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war sohin zu verwerfen.

Aus Anlaß dieser Nichtigkeitsbeschwerde war jedoch gemäß dem § 290 Abs 1 StPO wahrzunehmen, daß dem angefochtenen Urteil eine vom Angeklagten nicht geltend gemachte, ihm jedoch zum Nachteil gereichende Nichtigkeit im Sinne des § 345 Abs 1 Z 12 StPO insofern anhaftet, als im Urteil die im Wahrspruch in Bejahung der Hauptfrage II festgestellte Abgabe fünf gezielter Schüsse aus einem Trommelrevolver auf die Gendarmeriebeamten Wolfgang B und Ignaz D mit dem Vorsatz, sie an einer Amtshandlung zu hindern, rechtlich als schwere Nötigung gewertet und demgemäß dem zweiten (mit strengerer Strafe bedrohten) Fall des § 269 Abs 1 StGB unterstellt wurde. Voraussetzung der - hier allein in Betracht kommenden - Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 1 StGB ist nämlich, daß jemand eine Nötigung begeht, indem er mit einem der in dieser Gesetzesstelle bezeichneten Übel droht.

Die Abgabe von Schüssen auf den Körper eines anderen stellt jedoch keine (bloße) Drohung im Sinne des § 74 Z 5 StGB, sondern bereits eine Gewaltanwendung im engeren Sinn dar.

Für eine Annahme der ausschließlich auf eine Tatbegehung durch gefährliche Drohung abgestellten Qualifikation des § 106 Abs 1 Z 1 StGB ist daher - entgegen der schon in der Rechtsbelehrung (vgl. S. 241 d. A) zum Ausdruck kommenden erstgerichtlichen Auffassung - nach Lage dieses Falles kein Raum, weswegen die bezüglichen Tathandlungen rechtsrichtig dem ersten Fall des § 269 Abs 1 StGB zu unterstellen sind.

Dieser zum Nachteil des Genannten unterlaufene Subsumtionsfehler war wie im Spruch ersichtlich zu beheben.

Bei der hiedurch erforderlich gewordenen, nach dem § 75 StGB, unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB vorzunehmenden Neubemessung der Strafe wurden das Zusammentreffen eines Verbrechens mit drei Vergehen, der rasche Rückfall, die einschlägigen Vorstrafen und der Umstand, daß vom Verbrechen nach den §§ 15, 75 StGB zwei Personen betroffen waren, als erschwerend gewertet.

Demgegenüber waren das Teilgeständnis bzw. der hiedurch geleistete Beitrag zur Wahrheitsfindung und der Umstand mildernd, daß es in Ansehung von zwei Fakten beim Versuch geblieben ist. Bei diesen Strafzumessungsgründen entspricht die - in derselben Höhe wie vom Erstgericht - verhängte 20-jährige Freiheitsstrafe der tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld des Angeklagten (§ 32 StGB). Da Franz A im Zeitpunkt seiner strafbaren Handlungen gegen Leib und Leben bzw. gegen die Staatsgewalt zwar zurechnungsfähig war, die - mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten - Delikte aber auf Grund einer hochgradigen abnormen Persönlichkeitsstruktur (vgl. das SV-Gutachten, S. 222 ff) begangen hat, welche in Verbindung mit seiner einschlägigen Vorstrafe befürchten läßt, daß er unter dem Einfluß seiner Abartigkeit neuerlich derart delinquieren wird, wurde gemäß dem § 21 Abs 2 StGB auch die Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet. Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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