OGH 11Os141/78

OGH11Os141/7824.10.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Oktober 1978

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Seidl als Schriftführer in der Strafsache gegen Grozda A wegen des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls nach den § 127 Abs. 1, 131 und 15 StGB über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. Juni 1978, GZ. 3 d Vr 3122/78-22, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. Paunovic, und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Beurteilung zu Punkt 1.) und 2.) des Urteilssatzes sowie im Schuldspruch zu Punkt 3.) des Urteilssatzes und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfange dieser Aufhebung zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 1.3.1947

geborene, zuletzt den Beruf eines Stubenmädchens ausübende Grozda A der Vergehen des teils vollendeten und teils versuchten Diebstahls nach den § 127 Abs. 1 und 15 StGB sowie der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Nach den wesentlichen Feststellungen des Erstgerichtes nahm die Angeklagte am 17.4.1978 in der Filiale der Firma B in Wien 4., Johann Strauß-Gasse 24, in Diebstahlsabsicht verschiedene Waren aus den Regalen, von denen sie zwei Garnituren Bettwäsche im Wert von S 478,-- und ein Herrenhemd im Wert von S 119,-- in einen Papiersack, zwei Packungen Rohkaffee im Wert von S 229,80 und zwei Packungen öpfel im Wert von S 39,45

hingegen in ein Nylonsäckchen verpackte. Bei der Kasse, wo sie nur eine weitere Packung öpfel und eine Flasche 'Lift' vorzeigte, wurde der Papiersack von der Kassierin Eva C entdeckt und einbehalten. Da die Angeklagte wahrheitswidrig behauptete, ihr außerhalb des Lokales wartender Ehemann besitze die Rechnung über die Textilien, begleitete die Zeugin C die Angeklagte aus dem Geschäft, welche dabei - von C unbemerkt -

im Nylonsäckchen unter den vorgewiesenen Waren auch die gestohlenen Eßwaren mit sich trug. Nachdem die Angeklagte verschiedene Mutmaßungen über den angeblichen Verbleib ihres Mannes angestellt hatte und die Kassierin ihr jeweils weiter gefolgt war, rutschte der ersteren die Limonadeflasche aus dem Säckchen und zerbrach auf dem Boden.

Diesen Augenblick nützte die Angeklagte, um das Säckchen mit dem restlichen Inhalt auf den Gehsteig zu stellen und zu flüchten. Sie wurde von C aber eingeholt und am Mantelkragen erfaßt, worauf die Angeklagte, die sich loszureißen versuchte, der genannten Zeugin mehrere Faustschläge auf den Kopf versetzte und sie in die rechte Hand biß. C, welche die Angeklagte trotzdem festhalten und einen Polizeibeamten übergeben konnte, wurde hiedurch leicht verletzt. Ausgehend von diesen Feststellungen erkannte das Erstgericht die Angeklagte - abweichend von der auf das Verbrechen des teils vollendeten (räuberischen), teils versuchten Diebstahls nach den § 127 Abs. 1, 131

und 15 StGB gerichteten Anklage - nur im eingangs erwähnten Sinne für schuldig, wobei es hinsichtlich der von der Angeklagten gegen die Zeugin Eva C ausgeübten Gewalttätigkeiten die Nichtannahme der Verwirklichung des Tatbestandes des Vergehens der versuchten Nötigung nach den § 15, 105 Abs. 1 StGB damit begründete, daß es eine Absicht der Angeklagten, durch dieses Verhalten eine Möglichkeit zur (Fortsetzung der) Flucht zu erzwingen, nicht als erwiesen erachte.

Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit. a (richtig 10) des § 281 Abs. 1 StPO gestüzten Nichtigkeitsbeschwerde.

Mit ihrer Mängelrüge wirft die Staatsanwaltschaft dem Schöffengericht vor, daß seine Feststellungen, wonach die Angeklagte das Nylonsäckchen noch vor ihrer Flucht auf dem Gehsteig abgestellt habe, zufolge der übergehung wesentlicher, in die gegenteilige Richtung weisender Verfahrensergebnisse unzureichend begründet und sein Ausspruch über die Frage, ob die Angeklagte die Zeugin C in der Absicht attackierte, sich damit eine Gelegenheit zur Flucht zu verschaffen, mit sich selbst im Widerspruch stehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Rüge ist berechtigt.

Die beiden vorerwähnten Feststellungen sind deshalb von entscheidungswesentlicher Bedeutung (§ 281 Abs. 1 Z 5 StPO), weil im Falle eines Vorsatzes der Angeklagten, sich durch ihr gewalttätiges Verhalten gegenüber Eva C die Fortsetzung ihrer Flucht zu erzwingen, der sich aus dem Schuldspruch ergebende Sachverhalt rechtlich jedenfalls anders zu beurteilen wäre, als dies das Erstgericht getan hat. Sollte sich nämlich in diesem Falle weiters herausstellen, daß die Angeklagte zum Zeitpunkt ihrer tätlichen Auseinandersetzung mit C das Nylonsäckchen mit den gestohlenen Eßwaren noch bei sich trug und bei ihrer Anhaltung durch C deshalb Gewalt gegen diese anwendete, um sich - beim Diebstahl auf frischer Tat betreten - die weggenommenen Sachen zu erhalten, dann wären die in den Punkten 1) und 3) des Urteilsspruches näher bezeichneten Tathandlungen - unter Konsumtion des durch die vorsätzliche Zufügung leichter Verletzungen an sich verwirklichten Vergehens der Körperverletzung nach dem § 83 StGB (vgl. SSt. 46/55) - als räuberischer Diebstahl und sohin zusammen mit dem versuchten Diebstahl der Textilien (Punkt 2 des Urteilsspruches) anklagekonform als Verbrechen des teils vollendeten (räuberischen) und teils versuchten Diebstahls nach den § 127 Abs. 1, 131 und 15 StGB zu beurteilen. Sollte die Angeklagte aber tatsächlich das Nylonsäckchen schon abgestellt gehabt haben, als es zu den Handgreiflichkeiten gegenüber C kam, dann läge ihr unter der obgenannten weiteren Voraussetzung das Vergehen der versuchten Nötigung nach den § 15, 105 Abs. 1 StGB in Idealkonkurrenz mit dem Vergehen der Körperverletzung nach dem § 83 StGB (vgl. SSt. 46/79) und in Realkonkurrenz mit dem Vergehen des teils vollendeten, teils versuchten Diebstahls nach den § 127 Abs. 1 und 15 StGB zur Last. In diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, daß bei Annahme eines Handelns des Täters mit bloßem Mißhandlungs- (und nicht Verletzungs-) vorsatz - wie vorliegend vom Erstgericht festgestellt - das Tatbild des Vergehens der Körperverletzung nicht in der Begehungsform des Abs. 1, sondern in jener des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle verwirklicht erscheint.

Wie in der Beschwerde zutreffend vorgebracht wird, hat nun das Schöffengericht in den Gründen seines Urteiles einerseits die Feststellung getroffen, daß sich die Angeklagte im Verlauf des Handgemenges von Eva C - die sie auf der Flucht am Mantelkragen erfaßte und festhielt - losreißen wollte, wobei es dieser aber trotzdem gelungen sei, sie festzuhalten (S. 98) - was im Zusammenhalt mit den weiteren vom Erstgericht festgestellten Tatumständen zwanglos nur so verstanden werden kann, daß die Angeklagte eben weiterflüchten und sich durch ihre Gegenwehr die Möglichkeit dazu verschaffen wollte -

andererseits aber in offensichtlichem Widerspruch hiezu an anderer Stelle der Urteilsgründe (S. 101) ausführt, daß die Verantwortung der Angeklagten, sie habe nicht die Absicht gehabt, durch ihr Verhalten gegenüber Eva C die Möglichkeit zur Flucht zu erzwingen, nicht als widerlegt angesehen werden könne.

Es trifft weiters aber auch zu, daß das Schöffengericht seine Feststellungen über den Zeitpunkt, zu dem sich die Angeklagte von dem Säckchen mit den gestohlenen Eßwaren trennte, unzureichend begründet hat. Es setzte sich diesbezüglich zwar mit der Aussage der Zeugin C in der Hauptverhandlung (S. 85, 86, 87; 58) auseinander, wonach die Angeklagte das Säckchen bei ihrem gewaltsamen Verhalten immer noch bei sich hatte und der Inhalt des Behältnisses sodann auch im Polizeiwachzimmer überprüft wurde. Hiebei vermeinte es, dieser Aussage allein deshalb nicht folgen zu können, weil auch der (von vornherein im B-Geschäft verbliebene) Papiersack mit den Textilien im Wachzimmer aufgetaucht sei, weshalb die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden könne, daß in gleicher Weise das Nylonsäckchen samt Inhalt erst nachträglich dorthin gebracht wurde und sich nicht schon 'bei der Festnahme bei der Angeklagten' befand. Die bloße Möglichkeit aber, daß nicht aus anderen Verfahrensergebnissen das (erst) nachträgliche Einlangen des Nylonsäckchens im Wachzimmer (ebenfalls) ausgeschlossen werden kann, läßt nach den Gesetzen der Logik keinen Rückschluß auf die Glaubwürdigkeit der diesbezüglichen Angaben der Zeugin C zu. Darüber hinaus überging das Erstgericht, daß die Zeugin Eva C nicht nur in der Hauptverhandlung, sondern auch schon vor der Polizei und dem Untersuchungsrichter gleichbleibend bestätigt hatte, daß die Angeklagte das Nylonsäckchen auch noch zum Zeitpunkt ihrer Widersetzlichkeit bei sich trug (S. 14 und 58; Bezugnahme, bzw. Verlesung in der Hauptverhandlung s. S. 85 und 88) und schließlich insbesondere die Angeklagte selbst bei der Polizei - im Gegensatz zu ihrer späteren (fortgesetzten) Verantwortung vor dem Untersuchungsrichter, S. 40, und in der Hauptverhandlung, S. 81 - eingestanden hatte, daß sie die gestohlenen Eßwaren bei ihrer Flucht bei sich hatte (S. 22). Das Erstgericht wäre sohin verpflichtet gewesen, bei seiner Beweiswürdigung auch diese - seinen schließlich getroffenen Feststellungen entgegenstehenden - Beweisergebnisse zu verwerten und auszusprechen, weshalb es sie für weniger glaubwürdig befand.

Im Hinblick auf das Vorliegen dieser Begründungsmängel war gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 1 StPO wie im Spruch zu entscheiden, wobei auf das weitere Vorbringen in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht mehr eingegangen zu werden braucht.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte