OGH 11Os136/78

OGH11Os136/7817.10.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Oktober 1978

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Goldmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Edeltraut A wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 6.April 1978, GZ. 6 a Vr 5104/77-27, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schneider, der verlesenen Rechtsmittel und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Karollus, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und über die Angeklagte unter Ausschaltung des § 37 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 10 (zehn) Monaten verhängt.

Gemäß dem § 43 StGB wird die Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.

Mit ihrer Berufung wird die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 26.April 1936 geborene Vertragsbedienstete Edeltraut A A) des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach dem § 87 Abs. 1 StGB;

B) des Vergehens der (leichten) Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt, weil sie am 19.April 1977 in Wien zu A) Karl B durch Versetzen eines Stichs mit einem Messer (mit 9 cm langer, fester Klinge) in die linke Brustvorderwand eine zur Eröffnung der Brusthöhle mit Laesion der linken Lunge führende, im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB (an sich) schwere Verletzung absichtlich zufügte;

zu B) - vor der zu A) bezeichneten Tat - Augustine C durch Versetzen von Schlägen, wodurch die Genannte eine Beule mit Platzwunde und Blutverkrustung der linken hinteren Scheitelbeinregion und Kratzeffekte am rechten Unterarm erlitt, vorsätzlich am Körper (leicht) verletzte.

Dieses Urteil ficht die Angeklagte im Schuldspruch mit einer ziffernmäßig auf die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs. 1 Z 5 und '9' (inhaltlich Z 9 lit. b und 10) StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Den Strafausspruch fechten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Angeklagte mit Berufung an.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt Berechtigung nicht zu. Die Urteilsfeststellung, wonach die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der gegen Karl B und Augustine C gesetzten Aggressionen zwar infolge einer heftigen Gemütsbewegung (Affektstauungen) in ihren Brems-, Hemm- und Kontrollmechanismen außerordentlich reduziert, letztlich aber doch imstande war, das Unrechtmäßige ihres Tuns zu erkennen und dieser Einsicht gemäß zu handeln, und demgemäß zur Tatzeit zurechnungsfähig war, ist durch das ausführliche - vom Erstgericht als wesentliche Urteilsgrundlage herangezogene - schlüssige Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prim.Dr. D (ON 17 in Verbindung mit S 166 oben d. A), und zwar auch ohne Widerspruch zu anderen einschlägigen Verfahrensergebnissen, gedeckt. Mit den damaligen Geistes- und Gemütszustand der Angeklagten betreffenden Details ihres Verhaltens und ihrer Verfassung vor, bei und nach den mit der schweren Stichverletzung B (und der in Selbstmordabsicht erfolgten eigenen Verletzung der Angeklagten durch vier Messerstiche) endenden Vorfällen in den Abendstunden des 19.April 1977, z.B. den von ihr behaupteten 'Lachkrampf' im Auto des Karl B oder mit der Beurteilung ihres Zustandes durch B ('Hysterie') oder mit der sie betreffenden Einlieferungsdiagnose (: 'Verdacht auf beginnendes paranoides Syndrom', S 53 d. A), mußte sich das Erstgericht, das sich auf das alle diese Fakten und die besondere Ausnahmesituation der Angeklagten berücksichtigende psychiatrische Sachverständigengutachten ON 17 als Feststellungsgrundlage für die betreffende Urteilsannahme ausdrücklich bezieht - der Meinung der Beschwerdeführerin zuwider - nicht besonders befassen, zumal es die Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen hatte (§ 270 Abs. 2 Z 5 StPO).

Soweit das Schöffengericht der eine Erinnerungslücke (nur) für das (eigentliche) Tatgeschehen laut Punkt A) des Schuldspruchs behauptenden Verantwortung der Angeklagten in der Hauptverhandlung den Glauben versagte und sie als 'Schutzbehauptung' wertete, werden die Erwägungen für diese in den Bereich - unanfechtbarer - freier Beweiswürdigung des Gerichtes fallende Beurteilung (§ 258 Abs. 2 StPO) im Urteil eingehend dargelegt (s. S. 176/177 d. A); ihr steht - der Auffassung der Beschwerdeführerin zuwider - das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen bezüglich der hier allein entscheidenden Frage ihrer Zurechnungsfähigkeit im Tatzeitpunkt nicht entgegen. Denn darin wird im gegebenen Zusammenhang zwar ausgeführt, es sei bei derartigen Affekthandlungen 'sehr oft' die Erinnerung getrübt und daher vom psychiatrischen Standpunkt 'durchaus glaubhaft', daß sich die Angeklagte an den Tathergang nur undeutlich oder überhaupt nicht erinnern könne, jedoch unter einem eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung zur Zeit der Tat negiert (S 34 in ON 17).

Als Ausfluß der dem erkennenden Gericht allein obliegenden - unanfechtbaren - Beweiswürdigung ist auch der Urteilsausspruch zu beurteilen, B habe A vor ihrer Tat laut Punkt A) des Urteilssatzes nicht, insbesondere nicht mit dem Messer bedroht (S 174 d. A), es sei 'eher wahrscheinlich', daß B das Messer vor dem Attentat der Angeklagten gegen in überhaupt nicht in der Hand hatte (S 176 d. A). Diese Urteilsannahmen sind durch die Tathergangsschilderungen B wie auch der Angeklagten selbst anläßlich ihrer (niederschriftlich festgehaltenen) ersten polizeilichen Befragung im Krankenhaus zureichend gedeckt (s. S. 14 unten d. A); das Gericht begründete im übrigen auch schlüssig, warum es die Richtigkeit der Bekundung des Taxilenkers Josef E lt. S 33 (s. dagegen S 9 unten und 101 d. A), die Angeklagte habe B das Messer aus der Hand genommen und dann auf ihn eingestochen, bezweifelt (S 176 d. A). Da sich zudem weder auf Grund dieser Angaben noch sonst im Verfahren oder nach der gesamten Ausgangslage konkrete Anhaltspunkte für eine (tatsächliche oder doch aus der Sicht der Edeltraut A vermeintliche) Notwehrsituation derselben dem Karl B gegenüber ergeben haben, konnte es das Erstgericht - ohne dadurch eine (in der Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Hinweis auf den Beweisgrundsatz 'in dubio pro reo' relevierte) Nichtigkeit der Urteilsbegründung im Sinne der Z 5 des § 281 Abs. 1 StPO 'zu bewirken - als unerheblich dahingestellt sein lassen', ob B unmittelbar vor dem Messerangriff der A das an sich ihm gehörige Messer (ein sogenannter 'Finnendolch') in der Hand hielt oder nicht.

Der Schwerpunkt der sich (primär) gegen den Schuldspruch laut Punkt

A) des Urteilssatzes richtenden (gemeinsam ausgeführten) Mängel- und Rechtsrüge liegt in der Bekämpfung der Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite, daß nämlich die Beschwerdeführerin beabsichtigte, Karl B zumindest schwer zu verletzen. Soweit die Beschwerdeführerin hiebei von angeblich zu Unrecht angenommenen 'Qualifikationen' nach dem § 84 Abs. 1

und Abs. 2 Z 1 StGB ausgeht, verkennt sie - zum Unterschied vom Erstgericht, das derartige 'Qualifikationen' auch gar nicht in Betracht zog - das Wesen des in Rede stehenden Verbrechenstatbestandes des § 87 Abs. 1 StGB, der - anders als die § 84 bis 86 StGB - keinen qualifizierten Fall des Grundtatbestandes der Körperverletzung nach dem § 83 StGB, sondern ein delictum sui generis darstellt.

Die Tathandlung besteht beim Verbrechen nach dem § 87 Abs. 1 StGB im absichtlichen (§ 5 Abs. 2 StGB) Zufügen einer schweren Körperverletzung im Sinne des § 84 Abs. 1 StGB.

Vorliegend gab das Erstgericht für die (bekämpfte) Urteilsfeststellung, daß die Beschwerdeführerin Karl B durch den diesem in die Brust versetzten Messerstich schwer verletzen wollte, mit den Hinweisen auf die Stichführung gegen die linke Brustseite B (von oben nach unten), die (vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Georg F bestätigte und der Angeklagten bewußt gewesene) Eignung des als Tatwaffe verwendeten (Finnen-) Dolches, bei (der erfolgten) Stichführung gegen die Brust eines Menschen lebensgefährliche Verletzungen herbeizuführen (vgl. ON 12 und S 159 ff d.A), weiters auf die Position der B annähernd gegenüberstehenden Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Stichführung, und schließlich auf die Schwere dem Genannten tatsächlich zugefügten Verletzung, die zu einer mehr als zweiwöchigen stationären Spitalsbehandlung des Verletzten, bei anfänglicher akuter Lebensgefahr sogar während sieben Tagen in einer Intensivstation (s. S 13, 37, 44, 49, 63 d. A und ON 12), führten, eine schlüssige und zureichende, mithin mängelfreie Begründung; es beschränkte sich nach dem Gesagten dabei auch keineswegs auf die bloße Feststellung der Verwendung eines an sich (abstrakt) lebensgefährlichen Mittels zur Tatbegehung (§ 84 Abs. 2 Z 1 StGB; vgl. hiezu EvBl. 1977/33).

Allerdings finden sich im Urteil im gegebenen Zusammenhang auch Passagen, welche sich mit der - ebenfalls offen gelassenen - Frage eines möglicherweise darüber hinausgehenden (bedingten - § 5 Abs. 1 StGB) Tötungsvorsatzes der Angeklagten im Sinne der § 15, 76 StGB befassen (s. S 177/178 d. A). Auch gegen die Stichhältigkeit und überzeugungskraft der hiefür ins Treffen geführten Urteilsargumente wendet sich die Beschwerdeführerin in ihrer Mängelrüge, doch ist auf das bezügliche Vorbringen nicht weiter einzugehen, weil das Schöffengericht einen solchen Tötungsvorsatz bei ihr eben letztlich nicht als erwiesen angenommen hat. Die Schlüssigkeit des dem gefällten Schuldspruch nach dem § 87 Abs. 1 StGB zugrunde liegenden Ausspruches, die Beschwerdeführerin habe B die Stichverletzung in die Brust zumindest in der Absicht zugefügt, ihn dadurch schwer zu verletzen, wird durch die - allerdings überflüssigen - Erörterungen über die Möglichkeiten eines noch weitergehenden (Tötungs-)Vorsatzes und einer Tatbeurteilung unter dem Gesichtspunkt eines versuchten Totschlages nach den § 15, 76 StGB nicht tangiert.

Unter Zugrundelegung der mithin mängelfrei begründeten Urteilskonstatierungen über den Tathergang zum Faktum A) und die (zumindest) auf schwere Körperverletzung des Karl B gerichtete Absicht der Angeklagten bei der Zufügung der mehrfach bezeichneten schweren Verletzung erweist sich demnach ihr Schuldspruch wegen des Verbrechens nach dem § 87 Abs. 1 StGB auch in rechtlicher Hinsicht als zutreffend. Für die in der - diesbezüglich von urteilsfremden Sachverhaltsannahmen ausgehenden - Nichtigkeitsbeschwerde (sachlich aus dem Grunde der Z 9 lit. b bzw. Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO) ventilierte Beurteilung der Tat als straflose (Putativ-) Notwehraktion der Angeklagten oder aber doch nur als bloß fahrlässige Körperverletzung des Karl B (§ 88 Abs. 1 und 4 StGB) allenfalls in Form eines im Sinne des § 3 Abs. 2 StGB vorwerfbaren (asthenischen) Notwehrexzesses, bleibt daher kein Raum.

Die zur Gänze unberechtigte Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagte nach dem § 87 Abs. 1 StGB unter Anwendung der § 28, 41

und 37 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe in der Höhe von 360 Tagessätzen zu je 100 S; für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe wurde eine Ersatzfreiheitsstrafe von 180 Tagen festgesetzt. Bei der Strafzumessung erachtete das Erstgericht als erschwerend: das Zusammentreffen zweier Straftaten, hingegen als mildernd: das Teilgeständnis, die Umstände, daß die Angeklagte im übrigen durch ihre Aussage zur Wahrheitsfindung beitrug, daß sie bisher einen ordentlichen Lebenswandel führte und die Tat mit ihrem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht, daß die Tat schon vor längerer Zeit begangen wurde und die Angeklagte sich seither wohlverhielt, daß ihre Brems-, Hemm- und Kontrollmechanismen zum Tatzeitpunkt weitgehend herabgesetzt waren und sie sich in einer allgemein begreiflichen, auf Enttäuschung zurückzuführenden Gemütsbewegung befand.

Während die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe 'allenfalls unter Gewährung der bedingten Strafnachsicht' abzielt, strebt die Angeklagte mit ihrer Berufung die bedingte Nachsicht der über sie verhängten Geldstrafe an. Der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Mit Recht rügt die Anklagebehörde die Annahme des Milderungsgrundes nach dem § 34 Z 18 StGB, kann doch das Verstreichen eines Zeitraumes von rund einem Jahr zwischen Tat und Urteilsfällung nicht als 'längere Zeit' im Sinne der eben zitierten Gesetzesstelle angesehen werden. Im übrigen stellte aber das Schöffengericht die Strafzumessungsgründe richtig fest, insbesondere kommt der Angeklagten - entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft - auch der im § 34 Z 17 StGB vorgesehene Milderungsgrund zugute, weil sie nicht nur die Tätlichkeiten gegen Augustine C (vgl. S 14, 67 und 128), sondern - anläßlich ihrer polizeilichen Vernehmung am 20.April 1978 (vgl. S 13/14) - auch jene gegen Karl B zugab und damit einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung leistete (Verlesung dieser Polizeiangaben in der Hauptverhandlung laut S 166). Auf der Basis der vom Erstgericht festgestellten, nach den vorstehenden Ausführungen (nur) in einem Punkt korrigierten Strafzumessungsgründe hält der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der Schwere des von der Angeklagten zu verantwortenden Angriffes gegen Karl B und des dadurch indizierten nicht unbeträchtlichen Unrechtsgehaltes der Tat eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten für angemessen. Schon auf Grund des Ausmaßes dieser (sechs Monate übersteigenden) Freiheitsstrafe war die Anwendung des § 37 StGB aus dem erstgerichtlichen Strafausspruch auszuschalten. Mit Rücksicht auf die Person der - bisher unbescholtenen - Angeklagten und den vom Erstgericht festgestellten, bereits wiedergegebenen seelischen Zustand der Genannten im Zeitpunkte der Taten sind jedoch die im § 43 Abs. 1 StGB normierten Voraussetzungen zur Gewährung der bedingten Strafnachsicht gegeben. In diesem Sinne war der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge zu geben.

Die Angeklagte war mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruche angeführte Gesetzesstelle.

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