OGH 9Os96/78

OGH9Os96/7817.10.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.Oktober 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Obauer und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek sowie der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth, Dr. Steininger und Dr. Horak als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sailer als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann A wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB (§ 11; 15, 204 Abs. 1 StGB) über die vom Betroffenen Johann A gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 19.April 1978, GZ. 22 Vr 1095/77-17, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Senatspräsident des Obersten Gerichtshofes Dr. Racek, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Krall und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Tschulik, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 8.November 1952 geborene Hilfsarbeiter Johann A gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er am 19.Februar 1977 in Niederndorf (Tirol) unter dem Einfluß eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen Abartigkeit von höherem Grad beruhte, (außer den Fällen der § 201 bis 203 StGB) Eleonore B mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zur Unzucht - Duldung des Angreifens ihrer Brüste - zu nötigen suchte, indem er ihr von hinten mit einem Arm gegen den Hals drückte, ihr mit einer Hand Mund und Nase zuhielt, sie von der Fahrbahnmitte zum Fahrbahnrand zerrte und ihr drohte, sie zu schlagen, wenn sie nicht zu schreien aufhöre, sohin eine Tat - Vergehen der versuchten Nötigung zur Unzucht nach § 15, 204 Abs. 1 StGB - verübte, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist.

Dieses Urteil bekämpft der Betroffene mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 5 und 11 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Aus dem letztgenannten Nichtigkeitsgrund macht der Beschwerdeführer geltend, es seien bei ihm die Voraussetzungen des § 21 Abs. 1 StGB deshalb nicht gegeben, weil der seine Zurechnungsfähigkeit ausschließende Zustand nicht auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades, sondern auf einem Zusammenwirken seines Schwachsinns mit einer beträchtlichen Alkoholisierung zur Tatzeit beruhe.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerdeeinwand versagt.

Den Grund für die Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 StGB bildet, wie sich insbesondere aus Absatz 1 (nach welchem diese vorbeugende Maßnahme in Bezug auf einen unbestraft bleibenden zurechnungsunfähigen Täter als alleinige Sanktion Platz greifen kann) und Absatz 2 (welcher ihre Anordnung in Ansehung zurechnungsfähiger Täter zugleich mit dem Ausspruch über die Strafe und damit als zum Strafübel hinzutretende zusätzliche Sanktion vorsieht) im Zusammenhalt und der daraus unmißverständlich hervorgehenden Zielsetzung der in Rede stehenden Vorschrift ergibt, eine geistige (oder seelische) Abartigkeit, soferne sie nur höheren Grades ist, also außerhalb der Variationsbreite des noch Normalen liegt und kraft ihrer starken Ausprägung die Willensbildung wesentlich zu beeinflussen vermag (EBRV S 105; ÖJZ-LSK 1977/226), ohne daß dadurch (siehe eben den Absatz 2) bereits eine Zurechnungsunfähigkeit bewirkt werden muß. Es ist daher auch bei einer Einweisung (eines Zurechnungsunfähigen) nach § 21 Abs. 1 StGB, für die das Gesetz verlangt, daß der die Zurechnungsfähigkeit ausschließende Zustand, unter dessen Einfluß die (zwar mit Strafe bedrohte, jedoch - wegen des Fehlens des biologischen Schuldelements der Zurechnungsfähigkeit -) konkret nicht strafbare Tat begangen wurde, auf einer geistigen (oder seelischen) Abartigkeit von höherem Grad beruht, insoferne bloß erforderlich, daß die Zurechnungsunfähigkeit hierin ihre Wurzel hat, nicht aber daß deren alleinige Ursache die betreffende Abartigkeit war. Im Bestehen dieser höhergradigen Abartigkeit als solcher liegt jedenfalls die entscheidende Komponente für die Anordnung der Unterbringung; die ausschließliche Ursache einer beim Täter etwa vorliegendencZurechnungsunfähigkeit oder auch nur das ausschlaggebende Element hiefür muß sie demnach keinesfalls sein. Für ein Vorgehen nach § 21 Abs.1

StGB reicht daher durchaus hin, daß die Zurechnungsunfähigkeit des Täters auch auf der bezüglichen Abartigkeit beruht, deren Vorliegen (somit) eben das maßgebende Kriterium für die Einweisung des Zurechnungsfähigen (Abs. 2) wie des (ihretwegen und aus anderen - mit der Abartigkeit höheren Grades /-gleich in welchem Ausmaß immer/- zusammenwirkenden - Gründen) Zurechnungsunfähigen (Abs. 1) bildet.

Nach dem im Urteil als Feststellungsgrundlage bezogenen (schlüssigen) Gutachten des gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Univ. Prof. Dr. C (S 27 ff, 72 f d.A) besteht beim - beschränkt entmündigten - Betroffenen ein sehr erheblicher angeborener Schwachsinn; außerdem handelt es sich bei ihm um eine an Minderwertigkeitskomplexen leidende, äußerst primitive und über wenig Hemmungen verfügende Persönlichkeit, welche die Triebhaftigkeit nicht zu steuern vermag (vgl. S 37 ff, 72 f d.A). Ein solcher Zustand ausgeprägten Schwachsinns und stark verminderter Hemmfähigkeit, der sich in Sexualattentaten manifestiert, stellt aber, wie das Erstgericht (auch insoweit dem Sachverständigengutachten folgend) richtig erkannt hat, eine geistige Abartigkeit höheren Grades dar. Daß diese vorliegend, für sich allein betrachtet, nur eine beträchtliche Verminderung der Zurechnungsfähigkeit des Betroffenen zur Folge hatte und lediglich in Verbindung mit einer Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit bewirkte, schließt die Anwendung des § 21 Abs. 1 StGB nicht aus, weil dessen obangeführte Voraussetzungen entsprechend dem hiezu Gesagten nicht nur dann erfüllt sind, wenn sich die geistige Abnormität bis zu einer - die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden - Geisteskrankheit gesteigert hat, sondern vielmehr auch dort, wo sich zur (Zurechnungsunfähigkeit an sich nicht bedingenden) Abnormität ein Umstand gesellt, der diese bis zur Zurechnungsunfähigkeit verstärkt.

Soweit der Beschwerdeführer außerdem noch unter Anrufung der Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 11 des § 281 Abs. 1 StPO dem Urteil in Ansehung seines Ausspruchs, es sei zu befürchten, daß er unter dem Einfluß seiner geistigen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen - gemeint ersichtlich auf freiem Fuß in absehbarer Zeit - begehen werde, Begründungs- und Feststellungsmängel vorwirft und geltend macht, die angeordnete vorbeugende Maßnahme stünde in keinem Verhältnis zu dem zu verhindernden Risiko und zur Schwere der bisherigen sowie der noch zu erwartenden Straftaten, wendet er sich lediglich gegen die Gefährlichkeitsprognose, zu der auch die Beantwortung der - von der Beschwerde dabei angeschnittenen - Frage gehört, was (in rechtlicher Hinsicht) unter einer strafbedrohten Handlung 'mit schweren Folgen' zu verstehen ist (vgl. LSK 1976/276 - EvBl. 1977/8). Die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose selbst fällt jedoch nach ständiger Rechtsprechung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes und kann daher nur mit dem - vom Betroffenen ohnehin überdies ergriffenen - Rechtsmittel der Berufung bekämpft werden.

Nicht nur mit dem solcherart sachlich als Berufung zu wertenden Abschnitt des Beschwerdevorbringens, sondern auch mit den formell als solche deklarierten und ähnliche Einwendungen enthaltenden Ausführungen strebt Johann A eine Abstandnahme von der Anordnung der Unterbringung nach § 21 Abs. 1 StGB an.

Die Berufung erweist sich ebenfalls nicht als zielführend. Angesichts dessen, daß die Anlaßtat der dritte von durch den Berufungswerber innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne von rund zwei Jahren aus sexuellem Beweggrund gegen Frauenspersonen (vornehmlich im jugendlichen Alter) mit Gewalt unternommenen Angriffen war, die - nach den gutächtlichen öußerungen des psychiatrischen Sachverständigen - auf einer durch den beeinträchtigten Geisteszustand des - darum anstaltsbedürftigen - Betroffenen ausgelösten Hemmungslosigkeit und Triebhaftigkeit jeweils höheren Grades basierten, und der Sachverständige auf Grund seiner Sachkunde und wissenschaftlichen Erkenntnissen - sowie übrigens auch durchaus im Einklang mit der forensichen Erfahrung - bei dieser Sachlage seiner überzeugung dahin Ausdruck verlieh, daß die (alsbaldige) neuerliche Verübung von Sexualdelikten gesteigerter Intensität durch den triebgestörten schwachsinnigen Johann A naheliege, hat das Erstgericht, das sich auch in diesem Belange dem Sachverständigengutachten anschloß, die Gefährlichkeitsprognose zutreffend im bejahenden Sinn beantwortet; und dies umsomehr als bei hochgradig abartigen Triebtätern die Gefahr einer Eskalation der ausgeübten Gewalttätigkeit bis zu einem Ausmaß, das schwerste körperliche Schäden beim Opfer (ja unter Umständen sogar dessen Tod) herbeiführt, notorisch ist und sich daher die Frage nach den 'schweren Folgen' (künftiger Taten) als rechtlich einwandfrei bejaht erweist, zumal sie nicht nach dem tatbildlichen Erfolg (allein), sondern nach allen konkreten Tatauswirkungen, also nach Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für das einzelne Opfer als auch für die Gesellschaft im ganzen zu beurteilen ist, wobei das Gewicht dieser Nachteile durch die in der Sozietät insoweit bestehenden normativen Wertvorstellungen rechtsgetreuer Menschen bestimmt wird (ÖJZ-LSK 1977/72 = EvBl. 1977/180). Der vom Betroffenen erhobene Vorwurf, das Urteil und der Sachverständige brächten nicht zum Ausdruck, Tathandlungen welcher Art durch ihn weiterhin zu erwarten seien und für welchen Zeitpunkt, sie hielten eine Anstaltsunterbringung (verfehlterweise) auch für zulässig, wenn ein allfälliger Rückfall erst in zehn oder zwanzig Jahren befürchtet werden müßte, entbehrt sohin jeder Berechtigung. Die sonst noch in diesem Zusammenhang gegen die Depositionen des Sachverständigen erhobenen Einwände werfen bloß in unzulässiger Weise die Frage nach der Richtigkeit und Glaubwürdigkeit seines Gutachtens auf.

Was aber die Erwägungen anlangt, die Anstaltseinweisung könnte beim Angeklagten zu einer lebenslangen Anhaltung führen, welche in keinem Verhältnis zur Schwere der bisherigen Straftaten und dem hienach in der Rechtsmittelschrift als verhältnismäßig gering eingestuften Risiko künftiger Verfehlungen stünde, so sind sie einerseits weitgehend spekulativer Natur; andererseits verkennen sie aber außerdem das Wesen der vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs. 1 StPO, bei welcher namentlich in Bezug auf die Anlaßtat die Frage nach der Schuld des Täters - im Hinblick auf die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) -

überhaupt keine und der Unrechtsgehalt der Tat nur insoferne eine Rolle zu spielen vermag, als es sich um ein mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohtes Delikt handeln muß. Es war sohin über die gänzlich unbegründeten Rechtsmittel spruchgemäß zu erkennen.

Eine Kostenentscheidung hatte zu entfallen (RZ 1977/ 141).

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