OGH 11Os29/78

OGH11Os29/7827.6.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 27.Juni 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, Dr. Kießwetter, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Holeschofsky als Schriftführer in der Strafsache gegen Klaus A und Alfred B wegen des Vergehens nach dem § 105 Abs. 1 StGB. und einer anderen strafbaren Handlung über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten als Jugendschöffengericht vom 6.Dezember 1977, GZ. 14 Vr 1259/77-16, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Dienst, der Ausführungen der Verteidiger Dr. Schafranek für den Angeklagten Klaus A sowie Dr. Ackerl für den Angeklagten Alfred B und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Nurscher, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß dem § 288 Abs. 2 Z. 3 StPO. in der Sache selbst erkannt:

Klaus A und Alfred B sind schuldig, 1.) Ende Juni 1977 auf einem Güterweg bei Mitterburg-Göttsbach dadurch versucht zu haben, die am 14.März 1964 geborene Elisabeth C mit Gewalt zur Unzucht zu nötigen, daß sie sie zu Boden warfen, festhielten und auszuziehen versuchten, und 2.) am 3. September 1977 im Freizeitzentrum Neumarkt an der Ybbs die am 14. März 1964 geborene Elisabeth C dadurch mit Gewalt zur Unzucht genötigt zu haben, daß sie sie zu Boden warfen, ihr die Hose auszogen und sie an der Brust und am Geschlechtsteil betasteten; Sie haben hiedurch das Vergehen der teils versuchten, teils vollendeten Nötigung zur Unzucht nach den § 204 Abs. 1 und 15 StGB. begangen und werden hiefür unter Anwendung des § 11 Abs. 1 JGG. nach dem § 204 Abs. 1 StGB.

zu einer Freiheitsstrafe von je 2 (zwei) Monaten sowie gemäß den § 389, 390 a StPO. zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB. wird die Strafe bei beiden Angeklagten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 (drei) Jahren bedingt nachgesehen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 26.Jänner 1963 geborene Handelsschüler Klaus A und der am 12.Dezember 1962 geborene Schüler Alfred B von der wider sie erhobenen Anklage, die am 14.März 1964 geborene Elisabeth C Ende Juni 1977 und am 3.September 1977 durch das im Spruch beschriebene Verhalten zur Duldung unzüchtiger Handlungen genötigt und hiedurch das Vergehen der Nötigung nach dem § 105 Abs. 1 StGB.

begangen, sowie dabei am 3.September 1977 der Genannten Kratzwunden an den Händen, den Füßen und am Rücken zugefügt, sie sohin (leicht) verletzt und hiedurch auch das Vergehen nach dem § 83 Abs. 1 StGB. begangen zu haben, gemäß dem § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen. Das Jugendschöffengericht begründete diesen Freispruch damit, daß Elisabeth C durch die beiden Angeklagten zu unzüchtigen Handlungen gezwungen wurde, bzw. gezwungen werden sollte, welches Verhalten, da Elisabeth C zur Tatzeit noch unmündig war, an sich dem § 207 Abs. 1 StGB. zu unterstellen gewesen wäre. Da aber der Altersunterschied zwischen den beiden jugendlichen Tätern und ihrem unmündigen Opfer weniger als zwei Jahre betrage, komme die Bestimmung des § 207 Abs. 3 StGB. zum Tragen, die eine Bestrafung nach Abs. 1 des § 207 StGB. ausschließe.

§ 207 StGB. sei als lex specialis gegenüber dem § 204 StGB. (Nötigung zur Unzucht) anzusehen und schließe als solche die mittelgenerelle Norm des § 204 StGB. aus; es müsse daher auch davon ausgegangen werden, daß die generelle Vorschrift des § 105 StGB. ausgeschlossen werde. Im Hinblick auf den § 207 Abs. 2 StGB., der eine strengere Strafdrohung bei schwerer Verletzung oder Tod des Opfers vorsehe, sei auch die Beurteilung der der Elisabeth C bei der Nötigung zur Unzucht zugefügten leichten Verletzungen (Kratzwunden) nach dem § 83 Abs. 1 StGB. ausgeschlossen.

Mit der auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z. 9 lit. a StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft die Staatsanwaltschaft die dargelegte Rechtsauffassung des Schöffengerichts und begehrt die Verurteilung der Angeklagten im Sinne der Anklage. Ihr kommt, soweit sie einen Schuldspruch der Angelagten anstrebt, Berechtigung zu, doch ist entgegen ihrer Meinung das Verhalten der Angeklagten dem Tatbestand der § 204 Abs. 1 und 15

StGB. und nicht denen der § 105 Abs. 1 und 83 Abs. 1 StGB. zu unterstellen.

Rechtliche Beurteilung

Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 7.April 1978, 13 Os 167/77 (RiZ. 1978/62), ist die Nötigung einer unmündigen Person zur Unzucht im allgemeinen (nur) nach der Bestimmung des § 207 Abs. 1 StGB. zu beurteilen, welche Unzuchtshandlungen mit Unmündigen schlechthin - also ohne Unterschied ob freiwillig oder abgenötigt -

mit strengerer Strafe bedroht als die Vorschrift des § 204 Abs. 1 StGB. für die Nötigung einer (nicht unmündigen oder jugendlichen) Person zur Unzucht in Aussicht nimmt. § 207 Abs. 1 StGB. nimmt in einem solchen Fall gegenüber der Bestimmung des § 204 Abs. 1 StGB. die Stellung einer lex specialis ein (vgl. auch 13 Os 144/76), weshalb die angewendete Gewalt oder gefährliche Drohung gegenüber einem Unmündigen lediglich bei der Strafbemessung als Erschwerungsumstand zu werten ist.

Liegen aber bei einer an sich dem § 207 Abs. 1 StGB. zu unterstellenden Tat die Voraussetzungen des Abs. 3 vor, d.h. übersteigt das Alter des Täters jenes der unmündigen Person nicht um mehr als zwei Jahre und trat keine der in Abs. 2 leg. cit. genannten Folgen ein, dann ist der Täter 'nach Abs. 1 nicht zu bestrafen'. Dies gilt nach der angeführten Entscheidung auch für jene Fälle, in denen die Unzuchtshandlungen der unmündigen Person abgenötigt wurden, weil Abs. 3 nicht auf das Begehungsmittel der Tat, sondern nur auf die (Tat-)Folgen in Verbindung mit der vorausgesetzten Altersrelation zwischen Täter und Opfer abstellt. In einem solchen - hier zutreffenden - Fall kommt aber zufolge des Zurücktretens der lex specialis des § 207 Abs. 1 StPO. wieder die (geringere Strafe androhende) lex generalis des § 204 Abs. 1 StGB.

- und nicht etwa die Vorschrift des § 105 Abs. 1 StGB. - zum Zuge, deren sämtliche objektiven und subjektiven Tatbildmerkmale an sich verwirklicht sind. Denn § 207 Abs. 3

StGB. bestimmt lediglich, daß bei Vorliegen der dort genannten Voraussetzungen die Tat nach dem Abs. 1 des § 207

StGB. straflos sei, nicht aber daß sie unter allen Umständen straflos sein müsse. Denn in einem solchen Fall läßt der Gesetzgeber das Tatgeschehen nur in bezug auf die Art des Tatobjekts straffrei, ohne damit auch die Art der Tatbegehung zu berücksichtigten. So gesehen kommt daher bei einer mit Gewalt oder gefährlicher Drohung begangenen Unzucht mit Unmündigen wieder die gegenüber dem § 207 Abs. 1 StGB. generellere Norm des § 204 Abs. 1 StGB. zum Tragen, es sei denn, daß die Folgen der Tat schwer sind, ein Umstand, der die Strafbarkeit des Täters nach dem § 207 Abs. 2 StGB. ermöglichte. Bei dieser Argumentation soll nicht verkannt werden, daß auch eine andere bereits von Foregger-Serini2 Anm. III zu § 203 StGB. (Anm. I zu § 204 StGB.) aufgezeigte, für den Täter jedoch in keiner Weise günstigere Lösung denkbar wäre. Der Gesetzgeber stellt nämlich einerseits im § 204 StGB. einen in Bezug auf Unzuchtshandlungen denkbaren Spezialnötigungstatbestand, im § 207 StGB. jedoch einen Unzuchtstatbestand dar, der das Begehungsmittel nicht erwähnt, sondern lediglich auf das Alter des Opfers abstellt. Damit dürfte er zu erkennen geben, daß sowohl das eine als auch das andere Tatgeschehen gesondert strafbar sein soll, d.h., daß bei Anwendung von Gewalt oder gefährlicher Drohung gegenüber einem Unmündigen zwecks Vornahme von Unzuchtshandlungen an diesem der Täter in Idealkonkurrenz sowohl nach dem § 204 StGB. als auch nach dem § 207 StGB. zu bestrafen wäre. Dem steht nicht entgegen, daß § 207 Abs. 2 StGB. schwere Tatfolgen unter eine erhöhte Strafsanktion stellt, denn solche sind, insbesondere etwa bei Kleinkindern, auch dann denkbar, wenn keine Gewalt im Sinne des § 204 StGB. angewendet wurde.

Geht man von dieser Warte aus, dann würde zwar im konkreten Fall mit Rücksicht auf die Anwendbarkeit des § 207 Abs. 3 StGB. die Strafbarkeit der Angeklagten nach dem § 207 Abs. 1 StGB., nicht aber jene nach dem § 204 Abs. 1

StGB. entfallen. Diese Ansicht läßt sich auch dem Justizausschußbericht (31) entnehmen, weil sich darnach Jugendliche nicht ganz selten in geschlechtlicher Neugier oder in der Unsicherheit ihres erwachenden Triebs in Unzuchtshandlungen mit Unmündigen einlassen, derartige Vorfälle in aller Regel pädagogisch erledigt werden und solche Jugendtaten nicht auf einen zukünftigen Sittlichkeitsverbrecher schließen lassen, sondern lediglich einen Ausfluß der Unreife darstellen, diese Privilegierung jedoch nicht in jenen Fällen in Frage kommt, in denen der Täter gegen sein unmündiges Opfer mit hinreichender Gewaltanwendung oder gefährlicher Drohung vorgeht, weil sich darin eine Gesinnung manifestiert, die nicht mehr mit Neugier oder mit der Unsicherheit erwachender Triebe allein erklärbar ist.

Das Erstgericht hätte daher bei richtiger rechtlicher Beurteilung die Angeklagten des teils vollendeten Vergehens nach dem § 204 Abs. 1 StGB., teils versuchten Vergehens nach dem § 204 Abs. 1 StGB. in Verbindung mit § 15 StGB. schuldig erkennen müssen. Sie sind hingegen entgegen dem Beschwerdebegehren für die am 3.September 1977 der Elisabeth C zugefügten (leichten) Verletzungen nicht auch wegen des Vergehens nach dem § 83 Abs. 1 (oder Abs. 2) StGB. schuldig zu erkennen, denn, wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach dargetan hat, ist in allen jenen Fällen, in denen eine schwere Körperverletzung nur zur Anwendung eines höheren Strafsatzes führt (z.B. § 204 Abs. 2 und 207 Abs. 2 StGB.) die leichte Körperverletzung nicht gesondert, sondern nur im Rahmen der Strafzumessung dem Täter zuzurechnen (ÖJZ-LSK. 1976/59). Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Bei der Strafbemessung wertete der Oberste Gerichtshof bei beiden Angeklagten als mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel, das Geständnis der Angeklagten und den Umstand, daß eine der Taten nur beim Versuch geblieben ist, als erschwerend hingegen die Tatwiederholung. Das Verschulden der Täter und ihre Persönlichkeit lassen eine zweimonatige Freiheitsstrafe als ausreichend erscheinen. In Anbetracht des noch sehr jugendlichen Alters und ihrer sozialen Eingliederung in Familie und Beruf sowie ihres Vorlebens ist eine günstige Prognose gerechtfertigt, weshalb die bloße Androhung der verhängten Freiheitsstrafen erwarten läßt, daß die Täter nicht mehr strafbar werden (§ 43 Abs. 1 StGB.). Hingegen war ein vorläufiges Absehen von einem Strafausspruch im Sinne des § 13 JGG. mit Rücksicht auf die Tatwiederholung nicht möglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.

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