OGH 10Os80/78

OGH10Os80/7814.6.1978

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Juni 1978 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Neutzler und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, Dr. Friedrich, Dr. Schneider und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Klumair als Schriftführer in der Strafsache gegen Walter A wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB über die von dem Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16.Dezember 1977, GZ. 1 a Vr 1097/77-32, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini, der Ausführungen des Verteidigers Dr. Winterstein und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Knob, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Schuldspruch (auch in der rechtlichen Beurteilung) unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Der Angeklagte wird für das ihm im unberührt gebliebenen Teil des Ersturteils angelastete Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB gemäß dem § 88 Abs. 4 StGB erster Anwendungsfall zu einer Geldstrafe in der Höhe von 240 Tagessätzen zu je 120 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit zu 120 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe und gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.

Gemäß § 38 StGB wird ihm die Vorhaft vom 18.Dezember 1976, 4,40 Uhr bis 15,15 Uhr desselben Tages auf die Strafe angerechnet. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 17.Oktober 1954 geborene Gerüster Walter A des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs. 1 und 4 StGB (in Verbindung mit dem § 3 Abs. 2 StGB), schuldig erkannt und gemäß § 88 Abs. 4 StGB unter Anwendung des § 37 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 120 S, im Nichteinbringungsfall zu 4 Monaten Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt.

Nach den - kurz zusammengefaßt wiedergegebenen - wesentlichen Urteilsfeststellungen kam es am 17.Dezember 1976 gegen Mitternacht zwischen dem Angeklagten und Gerold B in der Wohnung der Andrea C - die früher mit B intim befreundet gewesen war, später (während sich B in Strafhaft befand) aber den Angeklagten in ihre Wohnung aufgenommen hatte - zu einer zunächst wörtlichen Auseinandersetzung, in deren Verlauf Gerold B den Angeklagten mehrmals aufforderte, die Wohnung, an deren Mitfinanzierung er teilgehabt hatte, zu verlassen. Als Gerold B wiederholt versuchte, auf den Angeklagten drohend einzuwirken, lief dieser in die Küche und nahm dort ein Messer an sich, um sich gegen B wirksam verteidigen zu können. In weiterer Folge verlangte B, der Angeklagte solle das Messer weglegen, ging dabei auf diesen zu, drängte ihn in eine Ecke der Wohnung und wollte ihn entwaffnen und ohrfeigen. Als sich B - der unbewaffnet war - und der Angeklagte auf eine Distanz von 30 cm gegenüberstanden, stieß der Angeklagte aus Angst das in seiner Hand befindliche Messer (Länge ca. 26 cm, Klingenlänge 15 cm) B in den Bauch, wodurch dieser einen vierfachen Dünndarmdurchstich erlitt. Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte im Schuldspruch mit einer auf den Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 9

lit. a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde; in Ansehung des Strafausspruchs macht er - im Rahmen der Berufungsausführungen - der Sache nach den Nichtigkeitsgrund der Z 11

derselben Gesetzesstelle geltend.

Rechtliche Beurteilung

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt, soweit damit der Schuldspruch angefochten wird, keine Berechtigung zu.

In Ausführung des zunächst geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StPO wendet sich die Beschwerde (der Sache nach) nicht dagegen, daß das Erstgericht das dem Angeklagten angelastete Tatverhalten (bei an sich gegebener Notwehrsituation) in objektiver Beziehung als (aus Furcht erfolgte) überschreitung des Maßes gerechtfertigter Verteidigung beurteilte, sondern nur gegen die Annahme, diese Notwehrüberschreitung müsse dem Angeklagten auch in subjektiver Beziehung als Fahrlässigkeit zugerechnet werden. Seiner Auffassung nach habe das Erstgericht die Frage der Zumutbarkeit unrichtig gelöst, weil ihm nach Lage des Falles im Hinblick auf seinen Angstzustand sowie mit Rücksicht darauf, daß sich der Angreifer bis auf 30 cm genähert und ihn in eine Ecke gedrängt hatte, keine Zeit für Erwägungen geblieben sei, wie er dem Angriff allenfalls auf (für den Angreifer) weniger gefährliche Weise begegnen konnte. Möglicherweise - so meint (ohne konkret aufzeigen zu können, welche Feststellungen noch getroffen werden sollten) der Beschwerdeführer - mangle es auch an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen, um beurteilen zu können, ob eine auf Fahrlässigkeit beruhende Notwehrüberschreitung vorliege.

Diesen Ausführungen ist zunächst zu erwidern, daß das Urteil ohnedies alle wesentlichen Tatsachenfeststellungen enthält, die für die rechtliche Beurteilung des dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Verhaltens notwendig sind.

Darüber hinaus hat aber das Gericht aus diesen Feststellungen auch die richtigen rechtlichen Schlüsse gezogen.

Im grundsätzlichen ist festzuhalten, daß sich das Maß der Abwehr regelmäßig nach der Art, der Wucht und der Intensität des (zur Notwehr berechtigenden) Angriffs, nach der Gefährlichkeit des Angreifers und nach den zur Abwehr zur Verfügung stehenden Mitteln bestimmt. Standen dem Angegriffenen - objektiv gesehen - zu einer wirksamen Abwehr des Angriffs auch weniger gefährliche Maßnahmen zur Verfügung, konnte der Angegriffene des weiteren - ungeachtet seiner bedrängten Lage und des ihn beherrschenden asthenischen Affekts (Furcht) - auch subjektiv erkennen, daß er in der Wahl der Abwehrhandlungen zu weit ging, und war ihm diese Einsicht auch zumutbar, dann trifft ihn (soweit die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist) der Vorwurf einer auf Fahrlässigkeit beruhenden (strafbaren) Notwehrüberschreitung im Sinne des § 3 Abs. 2 StGB (vgl. SSt. 24/17, EvBl. 1971/81, Leukauf-Steininger, Kommentar zum StGB, S 59 ff.; Foregger-Serini, StGB2, S 22).

Im vorliegenden Fall ist zunächst unbestritten davon auszugehen, daß sich der Beschwerdeführer einem - an sich zur Notwehr berechtigenden - zumindest unmittelbar drohenden Angriff des Gerold B auf seine körperliche Unversehrtheit gegenübersah, dem er allerdings - in objektiver Beziehung - nicht etwa nur mit der zur Abwehr notwendigen (maßhaltenden) Verteidigung, sondern vielmehr unter überschreitung des gerechtfertigten Maßes der Verteidigung begegnete. Denn auch wenn man berücksichtigt, daß Gerold B dem Angeklagten möglicherweise körperlich überlegen war (vgl. S 189), hätte - wie das Erstgericht zutreffend annimmt - eine nach Intensität und Zielrichtung weniger gefährliche Stichführung (insbesondere gegen die Arme oder Beine) genügt, um den unbewaffneten Angreifer abzuwehren.

Das Erstgericht hat aber entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung auch richtig erkannt, daß der Beschwerdeführer ungeachtet des Zustandes der Angst, in dem er sich befand, und ungeachtet seiner bedrängten Lage, in der er dem Angreifer auf 30 cm gegenüberstand, bei Aufwendung der in bezug auf die Achtung von Leib und Leben allgemein gebotenen Sorgfalt befähigt war, zu erkennen, daß er durch die besonders gefährliche Stichführung gegen den Bauch des Angreifers in überschreitung seiner Notwehrbefugnisse zu weit ging, und daß ihm diese Einsicht auch in concreto zuzumuten war. Sah sich doch der Angeklagte nicht etwa einer plötzlich entstandenen Gefahrensituation im Sinne eines massiven, unvermuteten und lebensbedrohenden Angriffs (der allerdings unter Umständen genauere überlegungen über den adäquaten Einsatz der nötigen Abwehrmaßnahmen ausschließen könnte) gegenüber, sondern einem Verhlaten, das sich nach den Urteilsfeststellungen allmählich aus einem Wortstreit lediglich dahin entwickelte, daß eine (unmittelbar bevorstehende) waffenlos körperliche Attacke zu befürchten war, die der Beschwerdeführer - wie seine vorangegangene Bewaffnung mit einem Messer zeigt -

überdies rechtzeitig vorhergesehen hatte. Die Annahme, daß ihm die Wahl einer weniger gefährlichen Verteidigungsart auch zuzumuten war, ist daher frei von Rechtsirrtum.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde mithin zu verwerfen. Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte eine Herabsetzung der Anzahl der Tagessätze an und wendet sich erkennbar auch gegen die Höhe der in Monaten ausgedrückten Ersatzfreiheitsstrafe. Der Sache nach will er damit das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO (wegen Verletzung der Bestimmung des § 19 Abs. 3 StGB) geltend machen, welchem Vorbringen Berechtigung nicht abgesprochen werden kann.

Nach § 19 Abs. 1 StGB ist die Geldstrafe in Tagessätzen zu bemessen. Abs. 3 des § 19 StGB ordnet für den Fall der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe die Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe an, wobei ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tagessätzen entspricht. Bereits aus diesem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich zweifelsfrei, daß die Ersatzfreiheitsstrafe stets in Tagen - und nicht in Wochen oder Monaten - auszusprechen ist. Eine Verletzung der Bestimmung des § 19 Abs. 3 StGB bei der Festsetzung einer Ersatzfreiheitsstrafe ist nach der durch das Strafprozeßanpassungsgesetz BGBl. 1974/423 P. 85 novellierten Bestimmung des § 281 Abs. 1 Z 11 StPO ausdrücklich mit Nichtigkeit bedroht.

Der Ausspruch des Ersturteils über die in Monaten ausgedrückten Ersatzfreiheitsstrafe ist somit nichtig im Sinne der Z 11 des § 281 Abs. 1 StPO; gemäß § 289 StPO wurde er zur Gänze aufgehoben. Bei der hiedurch notwendig gewordenen Neubemessung der Strafe, die nach § 88 Abs. 4 StGB, erster Anwendungsfall zu bemessen war, waren die Vorstrafen des Angeklagten erschwerend; er ist bisher insgesamt sechs Mal, darunter auch mehrmals wegen Gewalttätigkeitsdelikten verurteilt worden. Mildernd war lediglich, daß er durch das der Tat vorangegangene Verhalten seines Opfers provoziert wurde. Bei dieser Sachlage (und in Berücksichtigung des in § 290 Abs. 2 StPO normierten Verbotes einer reformatio in peius) ist eine Geldstrafe im Ausmaß von 240 Tagessätzen keineswegs als zu hoch anzusehen, weshalb bei der Neubemessung die Geldstrafe mit dieser Anzahl von Tagessätzen, demgemäß aber auch mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 120 Tagen auszumessen war. Der jeweilige Tagessatz war wieder mit S 120 S zu bestimmen, weil diese Höhe nach der Aktenlage den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten durchaus entspricht.

Das Erstgericht hat übersehen, daß sich der Angeklagte am 18. Dezember 1976 von 4 Uhr 40 bis 15 Uhr 15 in polizeilicher Verwahrungshaft befunden hat, welche Vorhaft ihm gemäß dem § 38 Abs. 1 StGB nunmehr auf die Strafe anzurechnen war.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die bezogenen Gesetzesstellen.

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