OGH 2Ob257/77

OGH2Ob257/7715.12.1977

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fedra, Dr. Reithofer und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Josef B*****, vertreten durch Dr. Robert Gasser, Rechtsanwalt in Lienz, wider die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, Wien 3., Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr. Jakob Oberhofer, Rechtsanwalt in Lienz, wegen S 9.242,84 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 29. September 1977, GZ 3 R 458/77-39, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Matrei in Osttirol vom 25. Mai 1977, GZ C 77/75 -33, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit S 1.464,38 (darin S 99,58 Umsatzsteuer und S 120 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 25. 12. 1974 ereignete sich auf der D*****-Landesstraße in der Fraktion Dölach im Bereich einer Fahrbahnenge ein Unfall, an dem der vom Kläger gelenkte und gehaltene PKW Ford Excort, Kennzeichen *****, und der von Werner R***** gelenkte und gehaltene PKW BMW, Kennzeichen ***** (D), für den die beklagte Partei als Haftpflichtversicherung einzutreten hat, beteiligt waren. Bei dem Unfall wurden beide Fahrzeuge beschädigt. Die Reparaturkosten für den PKW des Klägers betrugen S 7.742,84. Die Klagsforderung war spätestens mit 12. 4. 1975 fällig.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei den Ersatz des Reparaturschadens sowie für Wertminderung einen weiteren Betrag von S 3.000 und brachte dazu vor, dass Werner R***** das Alleinverschulden an dem Unfall treffe, weil er auf der vereisten Straße mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und gegen das stehende Fahrzeug des Klägers geprallt sei.

Die beklagte Partei bestritt, beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, dass das alleinige oder zumindest überwiegende Mitverschulden am Unfall den Kläger selbst treffe, weil dieser plötzlich und für R***** unvorhersehbar mit seinem Fahrzeug aus einer Ausweiche herausgefahren und gegen das Fahrzeug des R***** geprallt sei.

Weiters brachte die beklage Partei vor, dass Werner R***** seinen Schaden in Höhe von DM 2.490,11 und von S 840 an sie abgetreten habe, und wendete diese Beträge kompensando gegen die Klagsforderung ein. Das Erstgericht stellte folgenden für die Entscheidung wesentlichen Sachverhalt fest:

Im Unfallsbereich verläuft die Straße von Westen nach Osten in einer Linkskurve, mündet dann in eine Brücke, die nur einspurig befahrbar und ca 15 m lang ist und verläuft sodann in einer Rechtskurve mit einer 8 - 10 %igen Steigung in Richtung Osten weiter. Auf beiden Seiten der Brücke befindet sich jeweils am rechten Fahrbahnrand eine Ausweiche. Verkehrszeichen, die eine Geschwindigkeitsbeschränkung oder die Regelung des Vorranges im Brückenbereich anzeigen, sind nicht vorhanden.

Zur Unfallzeit war es bereits dunkel. Auf der Fahrbahn herrschte Schneeglätte. Die Brücke selbst war zum Teil eisig und rutschig. Der Kläger fuhr mit Abblendlicht und einer Geschwindigkeit von ca 50 - 60 km/h in Richtung Osten. Cirka 80 m vor der Brücke nahm er das Fahrzeug des Werner R***** war, das zu diesem Zeitpunkt noch ca 100 m von der Brücke entfernt war. Während der Kläger das entgegenkommende Auto im Auge behielt, fuhr er mit unverminderter Geschwindigkeit auf die Brücke zu und begann erst ca 30 m vor der Brücke zu bremsen, weil er bemerkte, dass das entgegenkommende Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten würde. Ohne sein Fahrzeug in die vorhandene Ausweiche zu lenken, fuhr der Kläger weiter auf die Brücke zu und kam schließlich mit dem Vorderteil seines Fahrzeuges am Beginn der Brücke zum Stillstand.

Werner R***** erreichte mit seinem PKW die Brücke als der PKW des Klägers bereits mit dem Vorderteil auf dieser zum Stillstand gekommen war. Er konnte wegen der eisigen und rutschigen Fahrbahn auf der Brücke nicht mehr rechtzeitig anhalten und prallte frontal gegen die linke Frontpartie des PKWs des Klägers. Die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges beim Befahren der Brücke betrug ca 20 - 30 km/h, nachdem er mit einem Bremsmanöver erst auf der Brücke begonnen hatte. Nach dem Unfall erklärte R*****, dass er der Meinung gewesen sei, er werde am Fahrzeug des Klägers noch vorbeifahren können.

Die Wertminderung am Fahrzeug des Klägers beträgt S 1.500. Der Schaden am Fahrzeug des Werner R***** betrug DM 2.490,11. Außerdem hatte R***** Abschleppkosten in der Höhe von S 840 zu bezahlen, sodass sich ein Gesamtschadensbetrag von S 18.768,79 ergibt. Die Kosten für die Erstellung eines Gutachtens zur Ermittlung des Schadens am PKW des Werner R***** belaufen sich auf DM 157,40, das sind S 1.133,28. Werner R***** hat seine Schadenersatzansprüche gegen den Kläger der beklagten Partei abgetreten.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass beiden Fahrzeuglenkern ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalls anzulasten sei. Der Kläger sei mit einer für die gegebenen Straßen- und Sichtverhältnissen zu hohen Fahrgeschwindigkeit gefahren und habe dem Gebot des Fahrens auf Sicht im Sinne des § 20 StVO zuwidergehandelt. Eine Geschwindigkeit von 50 - 60 km/h bei Abblendlicht und Schneefahrbahn vor einer Kurve, die in eine einspurig zu befahrende Brücke einmündet, sei überhöht, zumal der Kläger das entgegenkommende Fahrzeug ja bereits 80 m vor der Brücke erstmals bemerkt habe. Im Übrigen sei dem Kläger vorzuwerfen, dass er nicht die vor der Brücke zur Verfügung stehende Ausweiche benützt habe. Werner R***** hingegen habe auf eine unklare Verkehrssituation zu spät reagiert und insbesondere viel zu spät, nämlich erst auf der Brücke, gebremst. Außerdem sei die Geschwindigkeit von 20 - 30 km/h in Anbetracht der rutschigen Fahrbahnverhältnisse auf der Brücke für das Befahren der Brücke an sich zu schnell gewesen. In Abwägung des beiderseitigen Verschuldens gelangte das Erstgericht zu einer Schadensteilung von 1:1. Demnach stellte es fest, dass die Klagsforderung mit dem Betrag von S 4.621,42 und die Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung zu Recht bestehen, und wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil auf der Grundlage des Alleinverschuldens des Werner R***** dahin ab, dass es die Klagsforderung mit S 9.242,84 sA als zu Recht, die Gegenforderung nicht als zu Recht bestehend und die Beklagte daher schuldig erkannte, dem Kläger S 9.242,84 samt 4 % Zinsen seit 12. 4. 1975 sowie die Prozesskosten zu bezahlen. Das Mehrbegehren (für Wertminderung) in der Höhe von S 1.500 sA wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen als unbedenklich, gelangte aber in rechtlicher Hinsicht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger weder ein Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht noch das Einhalten einer zu hohen Geschwindigkeit vorgeworfen werden könne, weil er sein Fahrzeug innerhalb seiner Sichtstrecke und am Beginn der Engstelle zum Stillstand gebracht habe. Im Besonderen führte das Berufungsgericht aus:

Wenn sich zwei Fahrzeuge einer Engstelle nähern, habe in sinngemäßer Anwendung der §§ 10 und 20 StVO grundsätzlich jenes Fahrzeug den Vorrang (das Vortrittsrecht), das als erstes den Beginn der Engstelle erreicht hat und in diese eingefahren ist. Sei eine gefahrlose Begegnung beider Fahrzeuge nicht möglich, oder liege zumindest eine unklare Situation vor, habe jeder Fahrer so zu fahren, dass er sein Fahrzeug noch vor der Entstelle anhalten kann. Im gegenständlichen Fall seien beide Lenker auf die Engstelle zugefahren, wobei der Kläger bei der ersten gegenseitigen Sicht 80 m und Werner R***** noch 100 m von ihr entfernt gewesen seien. Der Kläger sei schneller gefahren, sodass er für sich und R***** erkennbar die Engstelle früher als dieser erreichen musste. Tatsächlich sei er auch am Beginn der Engstelle zum Stillstand gekommen, bevor R***** diese überhaupt erreicht hatte. Dem Kläger sei also beim Passieren der Engstelle grundsätzlich der Vorrang zugekommen. Er habe sich diesen Vorrang aber nicht erzwungen, sondern habe sein Fahrzeug offenbar wegen des Verhaltens des Werner R***** unmittelbar am Beginn der Brücke zum Stillstand gebracht. Damit habe der Kläger alles ihm Zumutbare unternommen, um den Unfall zu verhindern. Er habe jenen Grad der Vorsicht angewendet, der in dieser Situation von Kraftfahrern verlangt werden könne. Hätte sich R***** auch nur annähernd gleich verhalten, wäre der Unfall vermieden worden. Dem Kläger könne auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass er die an seinem Brückenende befindliche Ausweiche nicht benützt habe. Eine derartige Verpflichtung habe für den Kläger bei der festgestellten Situation weder nach § 10 StVO noch auf Grund einer anderen Bestimmung bestanden.

Hingegen treffe Werner R***** der Vorwurf, dass er den Vorrang des Klägers in der Engstelle nicht beachtet habe und darüber hinaus entweder so unaufmerksam oder trotz erkennen der Situation so verkehrstechnisch unrichtig oder so schnell gefahren sei, dass er sein Fahrzeug nicht am Beginn der Brücke und nicht einmal am 15 m weiter befindlichen Ende der Brücke zum Stillstand bringen konnte, obwohl der Kläger dort bereits zum Stillstand gekommen war, bevor R***** die Brücke überhaupt erreicht hatte. R***** treffe daher das Alleinverschulden am Unfall.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die beklagte Partei Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, laut Anfechtungserklärung "seinem ganzen Inhalte nach", ausgenommen die Abweisung des Mehrbegehrens, laut Revisionsantrag jedoch mit dem Ziel einer Wiederherstellung des Ersturteils, hilfsweise der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Rückverweisung der Rechtssacshe an eine der Vorinstanzen.

Da eine über den Revisionsantrag hinausgehende Anfechtungserklärung unbeachtlich ist (vgl JBl 1954, 45; JBl 1957, 534; Fasching IV 59, 350), ist davon auszugehen, dass - woran (auch) nach dem Inhalt der Revision kein Zweifel bestehen kann - die beklagte Partei die Wiederherstellung des Ersturteiles anstrebt.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger, der eine Revisionsbeantwortung erstattete, beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die beklagte Partei will ein Mitverschulden des Klägers von "mindestens 50 %" daraus ableiten, dass dieser trotz Erkennen der Gefahr erst 30 m vor der Brücke das Bremsmanöver eingeleitet habe, wobei die Revisionswerberin die Annahme zugrundelegt, der Kläger habe erst gebremst, nachdem er schon geraume Zeit vorher die Gefahr erkannt habe.

Bei all diesen Ausführungen geht die beklagte Partei jedoch nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und bringt somit das Rechtsmittel nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Dass der Kläger nämlich schon früher, als er zu bremsen begann, erkannt hätte, oder erkennen hätte müssen, dass es zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge auf der einspurigen Brücke kommen müsse, wurde nicht festgestellt. Die bezügliche Feststellung ("... etwa 30 m vor der Brücke begann er zu bremsen, weil er bemerkte, dass das entgegenkommende Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig anhalten würde"), lässt sich - im Zusammenhang mit den Feststellungen und Beweisergebnissen hinsichtlich Geschwindigkeit, Bremsverzögerung und Bremsweg des Klägers richtig nur so verstehen, dass der Kläger ohne Verzug bremste, nachdem er wahrgenommen hatte, dass das andere Fahrzeug seinerseits nicht mehr vor der Brücke werde anhalten können.

Zutreffend hat das Berufungsgericht beim festgestellten Sachverhalt ein Mitverschulden des Klägers verneint, weil dieser seiner ihn nach § 10 Abs 2 StVO treffenden Verpflichtung anzuhalten, nachgekommen ist. Damit hat der Kläger der Situation vollauf Rechnung getragen, nicht hingegen Werner R*****, der zu eben demselben Verhalten verpflichtet war. Von einem Mitverschulden des Klägers kann daher nicht die Rede sein. Unter den gegebenen Umständen besteht auch kein Anlass, den Kläger zum Schadensausgleich nach den Bestimmungen des EKHG (in Betracht käme nicht, wie die Revision vermeint, § 7 EKHG, sondern § 11 Abs 1 Satz 2 EKHG) heranzuziehen.

Der Revision musste demnach ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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