OGH 13Os39/77

OGH13Os39/776.6.1977

Der Oberste Gerichtshof hat in einem verstärkten Senat unter dem Vorsitz des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pallin und in Gegenwart des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Breycha und der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Obauer, Dr. Mößlang, Dr. Racek, Dr. Harbich, Dr. Dienst, Dr. Piska, Dr. Müller, Dr. Kießwetter und Dr. Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Bosina als Schriftführer in der Strafsache gegen Hans S* wegen des Vergehens nach dem § 1 Abs 1 lit a und c PornG mit Zustimmung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Nichtigkeitbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Jugendgerichtshofs Wien als Schöffengericht vom 14. Dezember 1976, GZ 1 b Vr 577/76‑21, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0130OS00039.77.0606.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Verstärkter Senat

 

Spruch:

 

Der Nichtigkeitbeschwerde des Angeklagten wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im freisprechenden Teil unberührt bleibt, im übrigen (Punkt A des Urteils) aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung im Umfange der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Kaufmann Hans S* des Vergehens nach dem § 1 Abs 1 lit a und c des Bundesgesetzes vom 31. März 1950, BGBl 97, über die Bekämpfung unzüchtiger Veröffentlichungen und den Schutz der Jugend gegen sittliche Gefährdung (PornG) in der geltenden Fassung schuldig erkannt, weil er im März 1976 in W* in gewinnsüchtiger Absicht unzüchtige Druckwerke (Bücher, Magazine, Taschenbücher verschiedener Serien sowie Tonbandkassetten und Schallplatten) in seinen beiden (als sogenannte „Sex‑Shops“ geführten) Geschäftslokalen in W* zum Zweck der Verbreitung vorrätig gehalten und anderen angeboten hat. Es handelte sich dabei um zwei Bücher mit den Titeln „Pornospiele in Schweden“ und „Heiße Pornospiele“, um 36 verschiedene Taschenbuchtitel aus verschiedenen Verlagen, um 19 verschiedene Magazine, um 14 verschiedene Tonbandkassettentitel und 8 verschiedene Schallplattentitel, die alle im Urteil einzeln angeführt sind. Von der weiteren Anklage, auch noch zahlreiche Taschenbuchtitel aus den Serien „Orgas“ und „Sexer“ sowie die Schallplatte „Freigegeben ab 21 Jahre“ unter Verstoß gegen das Pornographiegesetz zum Zweck der Verbreitung vorrätig gehalten und anderen angeboten zu haben und auch hiedurch das Vergehen nach § 1 Abs 1 lit a und c PornG begangen zu haben, wurde Hans S* rechtskräftig freigesprochen.

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 9 lit a und 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitbeschwerde des Hans S*.

Unter Berufung auf den Nichtigkeitsgrund nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO bekämpft der Beschwerdeführer die Annahme des Erstgerichts, die inkriminierten Druckwerke seien unzüchtig; damit macht er dem Erstgericht einen Feststellungsmangel zum Vorwurf, der eine verlässliche Unterstellung des vom Erstgericht als erwiesen angenommenen Sachverhalts unter den Rechtsbegriff der Unzüchtigkeit (im Sinne des Pornographiegesetzes) verhindert.

Da der zur Entscheidung zuständige (einfache) Senat des Obersten Gerichtshofs zur wesentlichen Vorfrage nach der Rechtsnatur des § 1 PornG mit der teilweise relativen Auslegung des Begriffs der Unzüchtigkeit eine Auffassung vertrat, die, wenn auch nur zum Teil, ein Abgehen von der in letzter Zeit ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedeutet hätte, fasste er am 4. Mai 1977 den Beschluss, die Strafsache gemäß dem § 8 Abs 1 Z 1 OGHG zur Entscheidung durch einen verstärkten Senat zu bringen.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Senat gelangte zu folgender Auffassung:

Die Auslegung des vom Gesetze nicht näher beschriebenen normativen Begriffs der Unzüchtigkeit im Sinne des § 1 PornG war im Wandel der Zeiten und der gesellschaftlichen Anschauung mancherlei Änderungen unterworfen. Eine Verabsolutierung dessen, was nach dieser Gesetzesstelle toleriert und was nicht toleriert ist, war ‑ zum Nachteil der Rechtssicherheit ‑ nicht möglich (vgl Leukauf‑Steininger, Nebengesetze S 410). In jüngeren Entscheidungen (zB 10 Os 148/73, 11 Os 61/75, 9 Os 100/75, 13 Os 175/76) wird zur Umschreibung des Begriffs der unzüchtigen Schrift, Darstellungen und dergleichen auf ihre Eignung hingewiesen, auf den mit ihr (ungewollt) konfrontierten Durchschnittsmenschen schockierend und abstoßend zu wirken. Damit wird eine Gesetzesauslegung eingeleitet, die am allgemeinen Grundsatz orientiert ist, dass das Strafrecht erst einzugreifen hat, wenn ein Verhalten vorliegt, das das Zusammenleben grob stört.

Eine solche Störung wird im Sinne der Einheit der Rechtsordnung allerdings überall dort anzunehmen sein, wo es sich um ‑ auf sich selbst reduzierte und von Zusammenhängen mit anderen Lebensäußerungen gelöste, anreißerisch verzerrte (vgl die Hanack‘sche Definition der Pornographie, GA zum 47. DJT 1968, S 236) Darstellungen von Unzuchtsakten handelt, die als solche ihrer Art nach verboten und strafbar sind. Darunter fallen sexuelle Gewalttätigkeiten, insbesondere sadistischer oder masochistischer Natur, und Unzuchtsakte mit Unmündigen. Aber auch Unzuchtsakte mit Personen des gleichen Geschlechts oder mit Tieren dürfen ‑ wenn auch als Handlungen nicht oder nur beschränkt strafbar ‑ nicht propagiert werden (§ 220 StGB); pornographische Darstellungen solcher Art müssen daher im Sinne der heterosexuellen Orientierung der rechtlich geordneten Gesellschaft und ihres Schutzes generell als unzüchtig angesehen werden.

Von diesen Fällen einer ‑ von der Rechtsordnung absolut perhorreszierten ‑ „harten“ Pornographie abgesehen wird die Frage, ob ein Werk (im Sinne des PornG) unzüchtig ist, nicht allein von seinem Inhalte her beantwortet werden können. Es ist davon auszugehen, dass die Schutzzwecke des Pornographiegesetzes primär auf eine ungestört sexuelle Entwicklung der Jugend, ferner auf das Interesse des einzelnen gerichtet sind, nicht ungewollt mit Pornographie konfrontiert zu werden (vgl Schönke‑Schröder S 1171). Ob ein Werk unzüchtig im Sinne dieses Gesetzes ist, kann daher, abgesehen von seinem Inhalt, soweit es an einer auch nur mittelbaren gesetzlichen Aussage wie bei der sogenannten „harten“ Pornographie fehlt, nur im Zusammenhang mit dem im konkreten Fall durch das Werk anzusprechenden Personenkreis beurteilt werden. Dies entspricht durchaus den bei der Auslegung normativer Begriffe heranzuziehenden Wertvorstellungen der Gesellschaft, für die es gleichgültig ist, was an Pornographie im privaten oder geschlossenen Kreis gezeigt oder gelesen wird; genug daran, dass die Allgemeinheit hiemit nicht behelligt und die Jugend davor bewahrt wird. Diese Relativierung des Begriffs der (strafbaren) Unzüchtigkeit auf den jeweiligen Leserkreis, die schon von Binding (I/216), in älteren Entscheidungen des deutschen Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs und vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung vom 3. März 1956, SSt 27/13, vertreten wurde, kommt auch in den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage 1971 zum Strafgesetzbuch S 366 zum Ausdruck.

Denn darnach kann auch einer an sich (als solcher) nicht unzüchtigen Handlung, wie etwa einem Geschlechtsverkehr unter Ehegatten (vgl auch die Meinung des Justizausschusses über die Relativität des Unzuchtsbegriffs, Dokumentation S 191), im Sinne der ‑ mit 1. Jänner 1975 in Kraft getretenen und den Begriff der Unzüchtigkeit (bei gebotener einheitlicher Betrachtung der Rechtsordnung) auch für das schon zuvor in Geltung gestandene Pornographiegesetz modifizierenden - Bestimmung des § 218 StGB über die Strafbarkeit „öffentlicher unzüchtiger Handlungen“ der Charakter der Unzüchtigkeit erst dann beigemessen werden, wenn die in jener Vorschrift vorgesehenen Tatbildmerkmale der Öffentlichkeit und der Eignung, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, dazukommen. Eben dies muss umso mehr für (bloße) ‑ wenn auch von ihrem Inhalt her pornographische ‑ Darstellungen und Beschreibungen sexueller Handlungen gelten, wobei nur an Stelle der genannten mit dem „Wandel‑“Begriff der Unzüchtigkeit verbundenen tatbildlichen Voraussetzungen des § 218 StGB die besonderen den Rechtsgrund des § 1 PornG bildenden Voraussetzungen treten. Fehlen diese Voraussetzungen, nämlich die Gefahr der Kenntnisnahme durch Jugendliche oder die ungewollter Konfrontation, so ist für die Fälle nicht harter Pornographie das nur in seiner besonderen Sozialrelevanz zu begreifende Merkmal der Unzüchtigkeit nicht gegeben. Denn ‑ von der oben umschriebenen „harten“ Pornographie abgesehen ‑ machen weder das Thema noch das Sujet für sich allein sondern nur die Art seiner (dem Wortsinn nach den Bezug zur Mitwelt indizierenden) Darstellung ein Druckwerk zu einem unzüchtigen.

Druckwerke mit sexuellen Darstellungen der besprochenen Kategorie also, welche bei Konfrontation mit der Allgemeinheit (angesichts berechtigter Schutzinteressen der Allgemeinheit in geschlechtlicher Beziehung) als unzüchtig zu qualifizieren sind, sind demnach nicht tatbildlich im Sinne des § 1 PornG, wenn sie nur einem bestimmt angesprochenen Interessentenkreis erwachsener Personen vorbehalten sind, von dem ‑ wie etwa vom Kundenkreis eines sogenannten „Sex‑Shop“ ‑, die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass er an derartigen Abbildungen und Beschreibungen sexueller Vorgänge nicht Anstoß nehmen wird (11 Os 160/75), und bei denen auf solche Weise durch die Art ihrer Präsentation auch die nur abstrakte Möglichkeit der Erregung eines öffentlichen Ärgernisses oder der Gefährdung Jugendlicher ausgeschlossen ist (vgl Schröder,Gefährdungsdelikte, ZStW 81 S 17 und 23).

Gerade die im Ersturteil als Beispiel für den „grundlegenden Unterschied“ zwischen einer nach Auffassung des Erstgerichts als unzüchtig und einer „noch nicht ‑ oder nicht mehr ‑ als unzüchtig im Sinne des § 1 PornG zu bewertenden Darstellung“ wörtlich zitierten Belegstellen (in denen einander ähnliche Geschlechtsszenen geschildert werden) führen ‑ da wohl mit Fug und Recht auch ein gegenteiliger Standpunkt vertreten werden könnte oder gar beide Textstellen gleichermaßen eben gerade doch noch nicht oder aber eben gerade doch bereits als unzüchtig angesehen werden könnten ‑ die bisherige Auslegung des Unzüchtigkeitsbegriffs im Sinne des § 1 PornG ad absurdum und zeigen, dass dieser Begriff, wenn er, sei es auch unter Berufung auf allgemeine ethische und ästhetische Auffassungen, im wesentlichen doch nur aus subjektiver Sicht beurteilt wird, zu unbestimmt und unbestimmbar bleibt, um noch als justiziabel gelten und eine weitgehend willkürliche Rechtsanwendung ausschließen zu können.

Demgegenüber ist der nach den obigen Darlegungen für „harte Pornographie“ aus einer Gesamtschau des Rechts abgeleitet absolute Unzüchtigkeitsbegriff durch seine inhaltliche Umschreibung hinreichend verlässlich bestimmbar. Das gleiche trifft auch für den, allerdings unter bestimmten Kautelen tolerierbaren Bereich der sonstigen Pornographie zu, zumal bei Konfrontation mit der Allgemeinheit unter der nunmehr klar herausgestellten rationalen Betrachtungsweise dem Schutzzweck (vor allem dem Jugendschutz) angepasste entsprechend strenge Anforderungen an den Inhalt des Druckwerks gestellt werden können und müssen.

Das Erstgericht hat es, von einer anderen Auslegung des Unzüchtigkeitsbegriffs ausgehend, im vorliegenden Fall unterlassen, nähere Feststellungen darüber zu treffen, ob die nach der Aktenlage in „Sex‑Shops“ beschlagnahmten Schriften und Tonträger für jedermann frei zugänglich waren, wovon etwa dann nicht gesprochen werden könnte, wenn eine Konfrontation des angesprochenen Kundenkreises mit den zur Verbreitung vorrätig gehaltenen Artikeln nur nach dem Betreten der Verkaufsräume der als „Sex‑Shop“ deutlich gekennzeichneten Geschäftslokale stattfinden konnte und außerdem verlässliche Vorsorge dafür getroffen worden war, dass die (besonders schutzbedürftige, weil der erforderlichen Kritikfähigkeit noch ermangelnde) Gruppe von jugendlichen Personen ferngehalten wurden (11 Os 160/75, 13 Os 175/76) und auch unbefangene Erwachsene nicht ungewollt mit solchen Erzeugnissen unversehens konfrontiert werden konnten. Bei Zutreffen dieser Voraussetzungen wäre die Beurteilung von nicht „harter“ Pornographie zuzurechnenden Druckwerken als unzüchtig im Sinne des Pornographiegesetzes aus den dargelegten Gründen verfehlt und hätte diesbezüglich ein Freispruch zu erfolgen. Insoweit sich allerdings einige der inkriminierten Objekte als „harte“ Pornographie im aufgezeigten Sinne erweisen, werden diese jedenfalls (ohne Rücksicht auf den angesprochenen Interessentenkreis) als (an sich) unzüchtig im Sinne des Pornographiegesetzes zu beurteilen sein.

Der angefochtene Schuldspruch ist sohin, wie sich zeigt, wegen der ihm zugrundeliegenden unzutreffenden Rechtsanschauung über das Merkmal der Unzüchtigkeit mit einer Nichtigkeit nach dem § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO behaftet, welche derzeit - wegen fehlender Feststellungen - eine abschließende Beurteilung der Strafsache noch nicht zulässt. Die Erneuerung des erstinstanzlichen Verfahrens ist damit unvermeidlich, weshalb der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten mit Zustimmung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung gemäß dem § 285e StPO Folge zu geben, das angefochtene Urteil in seinem schuldigsprechenden Teil ‑ wegen des gegebenen Zusammenhangs (§ 289 StPO) zur Gänze ‑ aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen war, ohne dass es bei dieser Sachlage eines Eingehens auf die weiteren, vom Angeklagten geltend gemachten Beschwerdepunkte bedurft hätte.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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