European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1977:0070OB00565.77.0512.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Untergerichte werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Begründung:
Der Antragsteller lebt mit der Antragsgegnerin in aufrechter Ehe. Im August 1976 verließ er die eheliche Wohnung in * und befindet sich derzeit in seiner Eigentumswohnung in *.
Mit seinem beim Erstgericht am 20. August 1976 eingebrachten Antrag begehrt der Antragsteller, ihm den abgesonderten Wohnsitz zumindest für die Zeit von sechs Monaten in der Weise zu bewilligen, daß es ihm gestattet werde, die eheliche Wohnung zu verlassen und seinen vorläufigen Wohnsitz in seiner Eigentumswohnung zu begründen. Die Antragsgegnerin versuche ihn durch ständige eheliche Zwistigkeiten zu einer Ehescheidung zu bewegen. Durch die von ihr veranlaßten ehelichen Auseinandersetzungen sei er in einen psychisch derart angegriffenen Gesundheitszustand versetzt worden, daß er einen Kreislaufkollaps erlitten habe. Im Falle eines weiteren Zusammenlebens mit der Antragsgegnerin wäre er daher in seiner physischen und psychischen Verfassung aufs ärgste gefährdet. Er habe deshalb in seiner Eigentumswohnung Aufenthalt genommen. Die Antragsgegnerin spricht sich gegen den Antrag ihres Gatten aus, der die Bewilligung des abgesonderten Wohnortes nur erwirken wolle, damit er mit anderen Frauen ungestört beisammen sein könne.
Seine Behauptungen seien völlig wahrheitswidrig und frei erfunden. Schon vor der Eheschließung habe der Antragsteller an psychischen Depressionszuständen gelitten, die er mit Alkohol und Medikamenten verdrängen wolle. Sie habe aber immer versucht, für seine Gemütszustände Verständnis aufzubringen und sei ihm auch behilflich gewesen, über seine Anfälle hinwegzukommen.
Das Erstgericht bewilligte dem Antragsteller gemäß § 92 ABGB (nF) den abgesonderten Wohnsitz. Es stellte aus dem vorgelegten ärztlichen Attest vom 10. August 1976 (S 7) fest, daß der Antragsteller seit Mai 1970 wegen einer larvierten rezidivierenden Depression in Behandlung des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie DDr. F* stehe. Nach einer vorübergehenden Besserung verschlechterte sich in den letzten Wochen der Zustand des Antragstellers wieder deutlich, wofür als wesentliches mitverursachendes Moment exogene Belastungssituationen vorwiegend im Bereiche des Familienlebens betrachtet werden müssen. Da nur durch Ausschaltung der exogenen Noxen ein befriedigendes therapeutisches Ergebnis erreicht werden könne, müsse ärztlicherseits die Wiederherstellung eines ruhigen belastungsfreien Milieus, eventuell auch eine vorübergehende Trennung der Lebenspartner gefordert werden. Auch die Untersuchung des Antragstellers durch den gerichtsärztlichen Sachverständigen DDr. W* habe ergeben, daß sich nach Schilderung der Vorgeschichte die von DDr. F* bestätigte larvierte Depression ärztlich begründen läßt. Wenn daher der Antragsteller seine jetzige Ehe tatsächlich als solche Last empfindet, daß darunter sein Wohlbefinden leidet, würde derzeit seine Rückkehr in den ehelichen Haushalt nur eine Verschlechterung seines Leidenszustandes herbeiführen. Das Erstgericht war der Ansicht, daß dem Antragsteller ein weiteres Zusammenleben im ehelichen Haushalt im Hinblick auf die damit verbundene Gefahr einer weiteren Schädigung seiner Gesundheit nicht zugemutet werden könne.
Das Rekursgericht wies das Begehren des Antragstellers ab. Es meint, daß seit der Änderung der Bestimmungen der §§ 92, 93 ABGB und § 582 Z 8 EO durch das (am 1. Jänner 1976) in Kraft getretene Gesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe vom 1. Juli 1975 (BGBl Nr 412/1975) der Anspruch eines Ehegatten auf Bewilligung des abgesonderten Wohnortes nicht mehr geltend gemacht werden könne. Der Ehegatte könne nur nach § 92 Abs 2 ABGB vorübergehend gesondert Wohnung nehmen, solange ihm ein Zusammenleben mit dem anderen Ehegatten unzumutbar oder dies aus wichtigen persönlichen Gründen gerechtfertigt ist. Der Außerstreitrichter habe über Antrag des Ehegatten nach § 92 Abs 3 ABGB festzustellen, ob die gesonderte Wohnungsnahme rechtmäßig war oder ist. Entscheidungen anderen Inhaltes könnten vom Außerstreitrichter nicht mehr getroffen werden. Der Antragsteller begehre jedoch über eine gesetzliche Mindestdauer hinaus eine in die Zukunft wirkende unbefristete gerichtliche Zustimmung zum Verlassen der ehelichen Wohnung und zur Begründung eines anderen vorläufigen Wohnsitzes. Damit strebe er jedoch etwas anderes an, als ihm bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 92 Abs 2 ABGB gewährt werden könnte. Die Trennung der Ehegatten auf Grund der vorgenannten Bestimmung dürfe nämlich immer nur eine vorübergehende sein. Falle der Grund für die Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft weg, so müsse der Ehegatte wieder in die eheliche Wohnung zurückkehren. Schon aus diesem Grunde erweise sich das Begehren des Antragstellers als nicht berechtigt.
Der Antragsteller bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs und beantragt, ihn aufzuheben und die Rechtssache an das Rekursgericht, allenfalls auch unter Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses, an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen, oder den angefochtenen Beschluß dahin abzuändern, daß die von ihm vorgenommene gesonderte Wohnsitznahme in seiner Eigentumswohnung in Graz als rechtmäßig festgestellt werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt.
Dem Rekursgericht ist darin beizupflichten, daß ein Ehegatte auch bei Vorliegen der im § 92 Abs 2 ABGB normierten Voraussetzungen (Unzumutbarkeit des Zusammenlebens mit dem anderen Ehegatten, Vorhandensein sonstiger wichtiger persönlicher Gründe) nach dem klaren Gesetzeswortlaut nur berechtigt ist, die Wohnungsgemeinschaft mit dem Ehepartner vorübergehend aufzuheben. Sind daher die von einem Ehegatten für die abgesonderte Wohnungsnahme ins Treffen geführten Gründe dauernder Natur, so kann eine Entscheidung des Außerstreitrichters im Sinne des § 92 Abs 3 ABGB nicht erfolgen. Unzutreffend ist jedoch die Ansicht des Rekursgerichtes, daß der Rekurswerber mit seiner Antragstellung die unbefristete in die Zukunft wirkende gerichtliche Zustimmung zum Verlassen der ehelichen Wohnung und zur Begründung eines anderweitigen vorläufigen Wohnsitzes anstrebt. Schon aus seinem Antrag „ihm den abgesonderten Wohnsitz zumindest für die Zeit von sechs Monaten zu bewilligen“ ergibt sich, daß der Rekurswerber keine dauernde, sondern nur eine zeitlich befristete Verfügung des Erstgerichtes erwirken will. Dies erhellt überdies eindeutig aus seinem Vorbringen in dem Schriftsatz ON 3, in dem der Rekurswerber ausdrücklich hervorhebt, er habe den eingangs erwähnten Antrag nur deswegen gestellt, damit er sich von den geschilderten Vorfällen physisch und psychisch wieder erholen könne, um nach Ablauf der sechs Monate der Antragsgegnerin und ihm noch einmal die Chance zu geben, die eheliche Gemeinschaft fortzusetzen.
Richtig ist, daß seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Neuordnung der persönlichen Wirkungen der Ehe am 1. Jänner 1976 von einem Ehegatten die Bewilligung des abgesonderten Wohnsitzes nicht mehr begehrt werden kann. Dieser kann vielmehr nur mehr die Feststellung des Außerstreitrichters beantragen, daß seine gesonderte Wohnungsnahme rechtmäßig war bzw ist. Aus dem Antrag des Rekurswerbers, der ausdrücklich als solcher auf gesonderte Wohnungsnahme nach § 92 ABGB bezeichnet wird, ergibt sich aber, daß dieser tatsächlich eine Feststellung des Außerstreitrichters im Sinne des Absatzes 3 der vorgenannten Gesetzesstelle anstrebt. Daran ändert auch das verfehlte Begehren nichts, das ebenfalls im Sinne des Vorbringens des Rekurswerbers nur als Antragstellung nach § 92 Abs 3 ABGB verstanden werden kann. Sache des Erstgerichtes wäre es daher gewesen, dem Spruche seiner Entscheidung einer der Regelung des § 93 Abs 3 ABGB entsprechende Fassung zu geben (Fasching III S 61, SZ 42/181, 43/160, zuletzt 1 Ob 94/73). Die Rechtsansicht des Rekursgerichtes, daß sich die mangelnde Berechtigung des Antrages des Rekurswerbers schon aus dem Inhalt seines Begehrens ergebe, ist demnach unzutreffend.
Zur Beurteilung der Frage, ob die gesonderte Wohnungsnahme des Rekurswerbers rechtmäßig war, reichen jedoch die Feststellungen der Untergerichte nicht aus. Diesen kann nämlich nicht entnommen werden, ob der psychisch angegriffene Zustand des Rekurswerbers auf das Verhalten der Antragsgegnerin zurückzuführen ist, die dies entschieden bestritten und behauptet hat, der Rekurswerber wolle mit seiner Antragstellung nur erreichen, daß er ungestört mit anderen Frauen beisammen sein könne. Derartige Feststellungen wären aber von entscheidender Bedeutung gewesen, weil der Rekurswerber seinen Antrag damit begründete, daß ihm im Hinblick auf das Verhalten der Antragsgegnerin ein weiteres gemeinsames Wohnen mit ihr unzumutbar sei. Außerdem hat der Außerstreitrichter bei seiner Entscheidung, ob die gesonderte Wohnungsnahme eines Ehegatten rechtmäßig war, auf die gesamten Umstände der Familie, besonders auf das Wohl der Kinder Bedacht zu nehmen (§ 93 Abs 3 letzter Satz ABGB). Hinsichtlich eines vom Antragsteller als unangenehm empfundenen Zustandes kommt es auch nicht auf seine subjektive Meinung an, sondern auf den objektiven Sachverhalt und dessen Gewicht (6 Ob 731/76). Außerdem wird noch zu prüfen sein, ob der psychische Zustand des Rekurswerbers eine nur vorübergehende oder eine dauernde gesonderte Wohnungsnahme erfordert. Denn nur im ersten Falle könnte eine Entscheidung des Außerstreitrichters im Sinne des § 92 Abs 3 ABGB getroffen werden.
Die Rechtssache erweist sich somit als nicht spruchreif. Die Beschlüsse der Untergerichte waren daher aufzuheben. Das Erstgericht wird sein Verfahren im Sinne der vorangehenden Ausführungen zu ergänzen und dann neuerlich zu entscheiden haben.
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