European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0030OB00222.75.1209.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Den Revisionen wird Folge gegeben; die Urteile der ersten und zweiten Instanz werden auf gehoben, die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Begründung:
Die Klägerin ließ sich im Jahre 1969 vom Beklagten auf ihrer Liegenschaft in E* (EZ.*, Kat. Gem. E* ein Wohnhaus zum Preise von S 170.000,‑‑ errichten. Vereinbarungsgemäß leistete sie hierauf eine Anzahlung von S 90.000‑‑; für den Restbetrag von S 80.000,‑‑, der in monatlichen Raten von S 1.000,‑‑ zu bezahlen war, sollte sie „eine Sicherstellung beim Notar durchführen lassen“. Die restliche Werklohnforderung der Beklagten wurde zugunsten der Firma A* zur Hereinbringung einer Forderung von S 16.371,92 gepfändet und im übrigen teilweise an eine andere Person abgetreten. In der beim Vertreter des Beklagten am 20. 2. 1970 errichteten Schuld- und Pfandbestellungsurkunde anerkannte die Klägerin diese Restschuld von S 80.000,‑‑ und verpflichtet sich zur Abzahlung dieser Schuld, für die auch eine Wertsicherung vereinbart worden war, in Raten. Gleichzeitig räumte die Klägerin dem Beklagten ein Pfandrecht für diese Schuld mit einer Nebengebührensicherstellung von S 16.000,‑‑ an der genannten Liegenschaft ein. Der Beklagte verpflichtet sich hingegen, noch gewisse Arbeiten zur Fertigstellung des Hauses durchzuführen. Das Pfandrecht (samt Nebengebührensicherstellung) wurde in der Folge verbüchert.
Mit der vorliegenden, am 5. August 1970 eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, daß die Forderung des Beklagten aus dem Schuldschein vom 20. 2. 1970 durch Zahlungen im Gesamtbetrage von S 7.500,‑‑ und durch Gegenforderungen (Ersatzansprüche aus dem Titel der „vertraglichen Vereinbarung wegen nicht ordnungsgemäß durch-geführter Leistungen“ und der Gewährleistung) in der Höhe von S 62.615,20 teilweise erloschen sei; weiters die Verurteilung des Beklagten, in die Löschung des Pfandrechtes von S 80.000,‑‑ und der Nebengebührensicherstellung von S 16.000,‑‑ hinsichtlich eines Teilbetrages von S 70.115,20 und eines „Nebengebührenteilbetrages“ von S 14.000,‑‑ einzuwilligen.
Der Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete unter anderem ein, die Klägerin habe auf die in der Schuld- und Pfandbestellungsurkunde vom 20. 2. 1970 nicht erwähnten Gewährleistungsansprüche verzichtet.
Bei der Tagsatzung am 28. 12. 1971 brachte der Vertreter der Klägerin nach deren Vernehmung als Partei vor, die Klägerin verfüge über einen derart geringen Intelligenzgrad, daß dieser einer Geistesschwäche gleichzusetzen sei. Derselbe Zustand habe auch am 20. 2. 1970 bestanden; es ergebe sich daraus, daß sich die Klägerin nicht darüber im klaren gewesen sei, daß sie damals angeblich einen Verzicht auf die Geltendmachung weiterer Mängelansprüche abgegeben habe (AS. 188).
Auf Antrag der Klägerin holte das Gericht am 10. 1. 1972 ein Gutachten eines Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie darüber ein, „ob die Klägerin am 20. 2. 1970 in der Lage war, die rechtliche Tragweite des damals abgeschlossenen Vertrages, der Schuld- und Pfandbestellungsurkunde, zu erkennen und zu billigen, insbesondere ob sie voll handlungs- und geschäftsfähig war oder den Gebrauch der Vernunft nicht hatte bzw. handlungsfähig war, einem Kind unter sieben Jahren gleichzusetzen war oder nur beschränkt handlungsunfähig gewesen ist, eine Geistesschwäche minderen Grades aufgewiesen hat und die Tragweite des konkreten Geschäftes nicht zu beurteilen vermochte oder eine zu geringe Intelligenz aufwies, um die rechtliche Tragweite eines Vertrages erfassen zu können“ (AS. 201). In der Folge wurde noch ein Gutachten eines zweiten Sachverständigen zu diesem Beweisthema eingeholt.
Am 19 Juli 1974 wurde die Klägerin wegen Geistesschwäche beschränkt entmündigt (BG. Arnfels, GZ. L 44/73‑7). Mit Beschluß vom 5. 11. 1974 genehmigte das Pflegschaftsgericht (BG. Arnfels, P 89/74) die Führung des gegenständlichen Prozesses.
Bei der Tagsatzung am 17. 12. 1974 brachte die Klägerin vor, sie sei nicht in der Lage gewesen, die rechtliche Tragweite des am 20. 2. 1970 abgeschlossenen Schuld- und Pfandbestellungsvertrages zu erkennen und zu erfassen. Zum Beweis dieses Vorbringens berief sie sich auf die beiden Sachverständigengutachten. Dementsprechend änderte die Klägerin das Klagebegehren wie folgt: „Der zwischen der Klägerin und dem Beklagten am 20. 2. 1970 abgeschlossene Schuld- und Pfandbestellungsvertrag wird als unwirksam auf gehoben. Der Beklagte ist schuldig, in EZ. *, Kat. Gem. E* die Löschung des auf Grund der Schuld- und Pfandbestellungsurkunde vom 20. 2. 1970 zu Gunsten des Beklagten einverleibten Pfandrechtes für die Forderung von S 80.000,‑‑ und einer Nebengebührenkaution von S 16.000,‑‑ einzuwilligen und die Prozeßkosten zu Handen des Klagsvertreters zu ersetzen, dies alles binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution“.
Das Erstgericht ließ diese Klagsänderung zu und gab dem geänderten Klagebegehren statt. Es ging hierbei zusammenfassend davon aus, daß die Klägerin eine Geistesschwäche minderen Grades aufweise; ihre Intelligenz sei zu gering, um die rechtliche Tragweite der Schuld- und Pfandbestellungsurkunde „in der Situation des 20. 2. 1970“ zu erfassen.
Die gegen den Beschluß über die Zulassung der Klagsänderung und das Urteil erhobenen Rechtsmittel des Beklagten und des auf seiner Seite auf getretenen Nebenintervenienten blieben erfolglos. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellung des Erstgerichtes als Ergebnis eines mangelfreien Verfahrens und billigte im wesentlichen auch dessen rechtliche Beurteilung.
Gegen das Berufungsurteil richten sich die vorliegenden Revisionen. Beide Revisionswerber machen den Revisionsgrund des § 503 Z. 4 ZPO geltend, der Beklagte auch Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens. Beide Rechtsmittelwerber beantragen, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.
Die Klägerin hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die beiden Revisionen sind gerechtfertigt.
Zunächst ist zu bemerken, daß der Oberste Gerichtshof eine pflegschaftsbehördliche Genehmigung der in der Tagsatzung vom 17. 12. 1974 vorgenommenen Klagsänderung für notwendig erachtete. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hiezu auf den Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 14.10.1975, 3 Ob 222,223/75 verwiesen. Mit Beschluß vom 10. 11. 1975, GZ. P 89/74‑9, genehmigte das Pflegschaftsgericht (BG. Arnfels) diese Klagsänderung. Damit wurde der Mangel der besonderen Ermächtigung zur Vornahme dieses wichtigen Prozeßschrittes (§ 4 Abs. 2 ZPO) nachträglich beseitigt.
Als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens rügt der Beklagte den Umstand, daß das Berufungsgericht die Ergänzung der beiden Sachverständigengutachten im Sinne des in erster Instanz gestellten Beweisantrages und die Einholung eines Fakultätsgutachtens unterlassen habe. Die Fragen, ob ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt werden soll, ob die eingeholten Sachverständigengutachten, die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen rechtfertigen, gehören in das Gebiet der Beweiswürdigung, ebenso jene, ob die eingeholten Sachverständigengutachten erschöpfend sind oder ob noch weitere Fragen an die Sachverständigen zu stellen gewesen wären (EvBl 1958/54, 4 Ob 52/63, 5 Ob 140/73 u.a.). Die Mängelrüge des Beklagten wendet sich somit in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen.
In Ausführung der Rechtsrüge vertreten die Revisionswerber im wesentlichen übereinstimmend die Ansicht, der als Geistesschwäche minderen Grades bezeichnete Zustand der Klägerin sei mangels Vorliegens einer Geisteskrankheit oder einer geistigen Störung lediglich als Intelligenzdefekt zu qualifizieren, der keinesfalls Handlungsunfähigkeit im Sinne des § 865 ABGB begründe.
Die Vorinstanzen sind zutreffend von der Bestimmung des § 865 ABGB ausgegangen, wonach derjenige, der „den Gebrauch der Vernunft nicht hat“, unfähig ist, Verträge abzuschließen. Diese Handlungsunfähigkeit liegt grundsätzlich nur bei einem Geisteszustand vor, der dem eines Kindes unter sieben Jahren gleichkommt (SZ 24/140, SZ 31/48, JB1 1960, 558 u.a.). Solange jemand nicht entmündigt ist, kann die Anfechtung eines Vertrages gemäß § 865 ABGB nur bei Vorliegen der beschriebenen Handlungsunfähigkeit erfolgreich sein, hingegen grundsätzlich nicht bei Bestehen einer nur die beschränkte Entmündigung rechtfertigenden beschränkten Handlungsfähigkeit (Gschnitzer in Klang 2, IV, 88, Anm. 3, SZ 24/140 u.a.). Demzufolge kann eine Person, deren Geisteszustand nur eine beschränkte und keine volle Entmündigung rechtfertigen würde, vor Ausspruch der Entmündigung grundsätzlich nicht als handlungsunfähig angesehen werden. Damit ist aber allerdings nicht gesagt, daß in einem solchen Fall die Bestimmung des § 865 ABGB ausnahmslos unanwendbar wäre (i.d.S. Gschnitzer a.a.O., NotZ 1931, 151 JB1 1934, 322 u.a.), vielmehr kann auch eine im allgemeinen beschränkt handlungsfähige Person in Ansehung eines bestimmten Vertrages handlungsunfähig sein. Es ist hierbei im Einzelfall zu prüfen und rechtlich zu beurteilen, ob die Person die Tragweite (Folgen) des konkreten, von ihr abgeschlossenen Rechtsgeschäftes zu beurteilen vermochte. Ist dies nicht der Fall, so ist die betreffende Person in Ansehung dieses konkreten Rechtsgeschäftes als (relativ) handlungsunfähig zu betrachten (Ehrenzweig², I/1, 180, SZ 24/140, JB1 1960, 558, MietSlg. 22.068 u.v.a.). Falls daher der Geisteszustand der Klägerin am 20. 2. 1970 nur zu einer beschränkten Entmündigung geführt hätte, so wäre die Klägerin nach vorstehenden Überlegungen damals im allgemeinen beschränkt handlungsfähig, aber nicht schlechthin handlungsunfähig gewesen. Es müßte daher in der Natur des am 20. 2. 1970 geschlossenen Vertrages oder sonstigen besonderen Umständen gelegen sein, um sie in Ansehung dieses Vertrages rechtlich als handlungsunfähig behandeln zu können.
Von diesen rechtlichen Erwägungen ausgehend erweisen sich die tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichtes als mangelhaft. Um die für das Begehren gemäß § 865 ABGB entscheidende Frage der Handlungsfähigkeit der Klägerin verläßlich beurteilen zu können – insoweit ist die Klägerin beweispflichtig (vgl. ArbSlg 7.750 u.a.) – bedarf es Feststellungen über die Sachlage im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Die erstgerichtlichen Feststellungen haben aber (abweichend vom Beweisbeschluß ON. 21) durchwegs nur die Sachlage im Zeitpunkt des Prozesses (bzw. der Beweisaufnahme) zum Gegenstand. Es muß also zunächst geklärt werden, ob bei der Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (20. 2. 1970) eine die beschränkte Entmündigung rechtfertigende Geistesschwäche (im Sinne einer krankhaften geistig-seelischen Anomalie bzw. Störung) vorlag oder bloß eine intellektuelle Unbegabtheit und ob die Klägerin deshalb nicht die Fähigkeit besaß, die Tragweite ihrer Rechtshandlungen am 20. 2. 1970 zu erfassen. Sollte damals ein bloßer Mangel des Intellektes bei der Klägerin vor gelegen sein, nicht aber eine Geistesschwäche, so könnte dies die Handlungsunfähigkeit im Sinne des § 865 ABGB. überhaupt nicht begründen (SZ 31/48 = ÖRZ 1958, 105 u.a., zuletzt 6 Ob 124/71). Bei der Beurteilung der Frage, ob die Klägerin die Tragweite des Pfandbestellungsvertrages überblicken konnte, wird zu berücksichtigen sein, daß sich die Klägerin nach den bisherigen Verfahrensergebnissen zwar auf Grund einer diesbezüglichen Vereinbarung im Werkvertrag zur Bestellung einer Sicherheit für den restlichen Werklohn von S 80.000,‑‑ verpflichtet hat, daß bei der Erfüllung dieser Vertragspflicht aber auch von der Klägerin zu beurteilen war, ob und inwieweit diese Forderung im Zeitpunkt der Pfandbestellung überhaupt noch bestanden hat. In den noch zu treffenden Sachverhaltsfeststellungen müßte demnach auch deutlich zum Ausdruck kommen, welche Vertragspunkte, bzw. welche Vertragsfolgen die Klägerin zu beurteilen unfähig war.
Aus diesen Erwägungen war daher wie im Spruch zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.
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