European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00222.75.1204.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit S 1.465,52 (davon S 90,70 Umsatzsteuer und S 240,‑‑ Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Kläger sind gemeinsam Eigentümer eines PKW Ford Taunus, der am 17. 8. 1973 bei einem Verkehrsunfall im Bereich der nicht geregelten Kreuzung S*gasse-R*straße in Salzburg durch Kollision mit dem vom Erstbeklagten gelenkten, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Opel Kadett, *, beschädigt wurde.
Die Kläger fordern von den beklagten Parteien den Ersatz ihres Schadens, der im Rechtsmittelverfahren in der Höhe von S 18.485,72 außer Streit steht, mit der Begründung, daß der aus der nachrangigen R*straße nach rechts in die S*gasse einbiegende Erstbeklagte den Vorrang des auf der S*gasse fahrenden, von der Zweitklägerin gelenkten PKW der Kläger verletzt habe.
Daß dem Erstbeklagten ein Verschulden an diesem Unfall trifft, ist nicht mehr strittig. Die Beklagten behaupten jedoch ein mit einem Drittel anzunehmendes Mitverschulden der Zweitklägerin, die durch ein Überholmanöver auf einer ungeregelten Kreuzung auf die linke Fahrbahnhälfte geraten sei. Die Beklagten leisteten den Klägern während des Verfahrens erster Instanz eine Schadenersatzzahlung von S 10.000,‑‑ und wendeten gegen die restliche Klagsforderung von S 9.285,72 bis zu deren Höhe Kompensation durch die Gegenforderung des Erstbeklagten ein, der an seinem Fahrzeug einen Schaden in der unbestrittenen Höhe von S 22.206,‑‑ erlitten hat.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Die Zweitklägerin fuhr von der Ru*straße kommend durch die S*gasse in Richtung G*gasse. Vor ihr fuhr ein PKW. mit einer Geschwindigkeit von ca. 15 km/h. Ungefähr 50 m vor der Einmündung der R*straße in die S*gasse setzte die Zweitklägerin mit einer Geschwindigkeit von ca. 45 km/h zum Überholen an und geriet dabei ungefähr mit der Hälfte ihres Fahrzeuges über die Mitte der 7,90 m breiten Fahrbahn der S*gasse. Ca. 15 m vor der Einmündung der nachrangigen R*straße begann sie, ihren PKW wieder nach rechts zu ziehen. Da bemerkte sie, daß zu ihrer Linken der Erstbeklagte ohne anzuhalten im Schritttempo aus der R*straße in die S*gasse einfuhr. Der Erstbeklagte sah nicht nach rechts und nahm erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß den PKW. der Kläger wahr. Der Zweitklägerin stand zwischen der Wahrnehmung der Vorrangverletzung durch den Erstbeklagten – als dieser schon etwa 1m weit in die S*gasse eingefahren war – und dem Zusammenstoß eine Zeit von ca. 1,5 Sekunden für eine Abwehrhandlung zur Verfügung. Diese kurze Zeitspanne reichte zu einem Anhalten nicht aus, für welches die Zweitklägerin bei Vollbremsung auf trockener Fahrbahn drei Sekunden benötigt hätte. Die Zweitklägerin leitete aber noch ein Bremsmanöver vor dem Zusammenstoß ein, während der Erstbeklagte nicht mehr reagierte.
Der Zusammenstoß erfolgte ungefähr in der Mitte der Fahrbahn der S*gasse, wobei sich der PKW der Kläger noch in leichter Schrägstellung nach rechts befand, während der PKW des Erstbeklagten einen Winkel von ca. 45° zur S*gasse einnahm. Die Zweitklägerin hatte im Zeitpunkt des Zusammenstoßes ihr Überholmanöver noch nicht zur Gänze abgeschlossen. Um mit ihrem Fahrzeug in eine Position parallel zur Fahrbahn der S*gasse zu gelangen, hätte die Zweitklägerin noch eine Wegstrecke von einer Wagenlänge zurücklegen müssen.
Das Erstgericht lastete dem Erstbeklagten ein überwiegendes Verschulden im Verhältnis 3 : 1 mit der Begründung an, daß er den Vorrang der Zweitklägerin missachtet und den Querverkehr nicht beachtet habe. Ein Mitverschulden der Zweitklägerin im Ausmaße von 1/4 erblickte das Erstgericht darin, daß die Zweitklägerin gegen die Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit. c StVO, verstoßen habe. Auf Grund dieser Verschuldensteilung stellte das Erstgericht in seinem Urteil (rechnerisch unrichtig) die eingeschränkte Klagsforderung mit dem Betrage von S 4.372,18 und die eingewendete Gegenforderung bis zu dieser Höhe als zu Recht bestehend fest. Dadurch gelangte es zu einer Abweisung des eingeschränkten Klagebegehrens.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger, dahin Folge, daß es den mit der Klage geltend gemachten Anspruch mit dem restlichen Betrage von S 8.485,72 samt Zinsen als zu Recht, mit einem weiteren Betrage von S 800,‑‑ samt Zinsen als nicht zu Recht und die vom Erstbeklagten eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe des restlichen Klagsanspruches als nicht zu Recht bestehend feststellte, den Klägern daher den Betrag von S 8.485,72 samt 4 % Zinsen aus S 18.485,72 vom 19. 11. 1973 bis 17. 12. 1973 und aus S 8.485,72 seit 18. 12. 1973 zusprach, das Mehrbegehren von S 800,‑‑ samt 4 % Zinsen seit 19. 11. 1973 jedoch abwies.
Zur rechtlichen Beurteilung des von ihm übernommenen Sachverhaltes führte das Berufungsgericht aus: Der Schutzzweck der Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit. c StVO, gegen welche die Zweitklägerin wegen ihres vor dem Kreuzungsbereich noch nicht abgeschlossenen Überholmanövers verstoßen habe, beziehe sich auf den Vorrang der von rechts an eine ungeregelte Kreuzung herankommende Fahrzeuge. Das sei von Judikatur und Schrifttum mit überzeugenden Argumenten an Hand der erläuternden Bemerkungen aus dem Gesetz erschlossen worden. Da nach ständiger Rechtsprechung die Übertretung einer Schutznorm nur insofern für den durch die Übertretung verursachten Schaden haftbar mache, als durch die Schutznorm gerade dieser Schaden verhindert werden soll, mangle es in Bezug auf den für die Zweitklägerin von links gekommenen Erstbeklagten am erforderlichen Rechtswidrigkeitszusammenhang. Der Erstbeklagte könne sich also nicht auf die Übertretung eines Überholverbotes durch die Zweitklägerin berufen, welches nicht zum Schutz des von links kommenden nachrangigen Verkehrs erlassen wurde. Da der Erstbeklagte der Zweitklägerin den Vorrang auf der gesamten Breite der S*gasse einzuräumen hatte und gegen diese Regel verstoßen habe, hafte er und mit ihm zur ungeteilten Hand die zweitbeklagte Partei zur Gänze für den Unfallsschaden der Kläger, die auch nicht gemäß § 11 EKHG zum Schadensausgleich herangezogen werden könnten, stehe doch dem Verschulden des Erstbeklagten lediglich die Betriebsgefahr auf Seite der Kläger gegenüber.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes, soweit damit dem Klagebegehren kostenpflichtig stattgegeben wurde, erheben die beklagten Parteien Revision aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wieder herzustellen und den Klägern auch die Verfahrenskosten in zweiter und dritter Instanz aufzuerlegen.
Die Kläger, die eine Revisionsbeantwortung erstatteten, beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht gerechtfertigt.
Die Revisionswerber bekämpfen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, wonach die Zweitklägerin zwar der Bestimmung des § 16 Abs. 2 lit. c StVO zuwider gehandelt habe, aber ein Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem eingetretenen Unfall nicht vorliege. Die beklagten Parteien meinen, daß der Wortlaut des Gesetzes keine weitere Ausnahme vom Überholverbot als die in der Gesetzesbestimmung selbst angeführten Ausnahmen gestatte.
Mit ihren Ausführungen verkennen die Revisionswerber das Wesen des Rechtswidrigkeitszusammenhanges, das darin liegt, daß auf Grund eines rechtswidrigen Verhaltens nur für jene verursachten Schäden zu haften ist, die die übertretene Verhaltensnorm nach ihrem Schutzzweck gerade verhindern sollte (Koziol-Welser, I3, 296; Koziol, Haftpflichtrecht I, 115). Der Rechtswidrigkeitszusammenhang muß also gegeben sein, um eine Schadenersatzpflicht nach bürgerlichem Recht (ABGB wie EKHG) annehmen zu können. Die formale Übertretung einer Norm genügt hiezu nicht; es muß immer auch ihrem Schutzzweck zuwider gehandelt worden sein. Es trifft nun zu, daß die Zweitklägerin, weil sie ihr Überholmanöver noch nicht ganz beendet hatte und sich dieses somit in den Kreuzungsbereich hinein erstreckte, die Vorschrift des § 16 Abs. 2 lit. c StVO, verletzt hat. Deren Schutzzweck besteht aber ausschließlich, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, in der Sicherung von rechts kommender Verkehrsteilnehmer (ZVR 1970/105; ZVR 1972/64; ZVR 1975/109 uva, zuletzt etwa 2 Ob 127/75 und 2 Ob 181/75). Dieser Schutzzweck war im vorliegenden Falle, weil sich die R*straße jenseits ihrer Einmündung in die S*gasse nicht fortsetzt, nicht realisierbar. Da der Erstbeklagte für die Zweitklägerin ein von links kommender Verkehrsteilnehmer war, diente die verletzte Vorschrift nicht seinem Schutz.
Die von der Zweitklägerin eingehaltene Geschwindigkeit von 45 km/h war auch nicht überhöht; die Zweitklägerin hat somit nicht gegen § 20 StVO verstoßen. Eine – gesonderte – Übertretung des § 7 StVO anzunehmen, wie dies die Revisionswerber noch geltend machen, wäre ebenfalls verfehlt, weil Überholmanöver nach den speziellen Vorschriften der §§ 15, 16 StVO, nicht aber unter dem Gesichtspunkt der generellen Norm („allgemeine Fahrordnung“) des § 7 StVO zu beurteilen sind.
Der unbegründeten Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
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