OGH 2Ob227/75

OGH2Ob227/7520.11.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Thoma und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stadt Wien, vertreten durch Dr. Heinz Gerö, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*, Versicherungsaktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Richard Steinpach, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 5.000) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Juni 1975, GZ. 10 R 108/75‑24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 11. März 1975, GZ. 32 Cg 811/73‑19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00227.75.1120.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 1.125,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 69,12 Umsatzsteuer und S 192 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 8. Juli 1971 ereignete sich in W* an der ungeregelten und gleichrangigen Einmündung der L*gasse in die W*straße ein Verkehrsunfall, an dem der bei der Klägerin beschäftigte * K* als Lenker eines Motorrollers und * Ka* als Lenker eines bei der Beklagten haftpflichtversicherten Personenkraftwagens beteiligt waren. Bei diesem Unfall wurde K*, der sich auf dem Heimweg von seiner Dienststelle befand, schwer verletzt. Ka* wurde deswegen der Übertretung nach § 335 StG schuldig gesprochen. Das Strafgericht legte ihm unvorsichtiges Losfahren nach Stehenbleiben und somit nach Abgabe eines Vorrangverzichtes zur Last.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 21. Juni 1972 wurde der Unfall gemäß § 7 Abs. 5 des Unfallfürsorgegesetzes 1967, LGBl für Wien 8/1969, als Dienstunfall festgestellt und es wurde K* nach § 6 dieses Gesetzes eine monatliche Versehrtenrente von S 622,69 ab 1. Oktober 1971 und von S 664,01 ab 1. Juli 1972 zuerkannt. K* versieht seinen Dienst bei der Klägerin wie vor dem Unfall.

Die Klägerin verlangte von der Beklagten als Haftpflichtversicherer des Ka* Zahlung von monatlich S 664,01 ab 1. Juni 1973 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle Zahlungen, die die Klägerin als Dienstgeber des K* diesem auf Grund des Verkehrsunfalles vom 8. Juli 1971 gemäß dem Unfallfürsorgegesetz 1967 zu leisten hat, soweit diese in den Ansprüchen des K* gegen Ka* und in der Haftpflichtversicherungssumme Deckung finden. Die Klägerin behauptet, K* sei zufolge der Unfallsverletzungen im Erwerbsleben benachteiligt und hätte daher Anspruch auf eine sogenannte abstrakte Rente, deren Ausmaß die von der Klägerin zu zahlende Versehrtenrente übersteige. Der Ersatzanspruch sei gemäß § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 auf die Klägerin übergegangen. Das Feststellungsbegehren sei gerechtfertigt, weil die Möglichkeit, daß die Klägerin an K* im Zusammenhang mit dem Unfall vom 8. Juli 1971 noch weitere Leistungen werde erbringen müssen, nicht ausgeschlossen werden könne.

Die Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete unter anderem ein, K* habe den Unfall selbst in einem Ausmaß von 3/4 Anteilen mitverschuldet; die Klägerin sei nicht aktiv legitimiert, weil die Bestimmung des § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 verfassungswidrig sei. Das Leistungsbegehren sei auch deswegen nicht gerechtfertigt, weil die Voraussetzungen eines Anspruches des K* auf eine abstrakte Rente nicht gegeben seien; das Feststellungsbegehren wäre schon wegen des Fehlens eines Dauerschadens abzuweisen.

Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens. Zu den Fragen des Unfallsherganges und der unfallsbedingten Dauerfolgen traf es im wesentlichen folgende Feststellungen:

Die 7,30 m breite L*gasse ist in Richtung zur W*straße Einbahnstraße. Von der Einmündung nach links gesehen war die W*straße am südlichen Fahrbahnrand verparkt. Ka* fuhr mit seinem Personenkraftwagen durch die L*gasse und wollte in die W*straße nach links einbiegen. Er hielt vorerst so an, daß die Spitze seines Fahrzeuges die linke Flankenlinie der in der W*straße geparkten Fahrzeuge um etwa 0,30 m überragte. Da er nach links gegen die tiefer stehende Sonne zu blicken hatte und als erstes Fahrzeug an der Ecke ein Volkswagenbus abgestellt war, hatte er keine Sicht auf den in der W*straße von links kommenden, von K gelenkten Motorroller. K* fuhr bei leichtem Gefälle mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h in einem Seitenabstand von 0,50 bis 0,75 m zu den geparkten Fahrzeugen. Es bestand Gegenverkehr. K* sah auf eine Entfernung von 30 bis 40 m, daß der von rechts aus der L*gasse kommende Wagen des Ka* anhielt. Als er sich diesem auf etwa 11 m genähert hatte, bog der Wagen des Ka* mit normaler Beschleunigung ziemlich eng nach links ein. K* bremste sofort voll und noch auf etwa 4 m wirksam, lenkte unbewußt etwas nach rechts und stieß mit der Vorderseite seines Motorrollers gegen die linke Flanke des Fahrzeuges des Ka*, und zwar zwischen den Türen. Die Unfallstelle liegt in der Verlängerung des westlichen Gehsteiges der L*gasse auf der Fahrbahn der W*straße innerhalb der Verlängerungslinie der linken Flanken der in der W*straße am südlichen Fahrbahnrand geparkten Fahrzeuge. Ka* sah den Motorroller des K* erst im allerletzten Augenblick vor dem Anstoß.

K* trug als Dauerfolge des Unfalles die Entfernung der Kniescheibe und eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Kniegelenkes davon, was eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit um 20 % bedeutet. Es ist nicht auszuschließen, daß später als weitere Dauerfolge eine posttraumatische Arthrose auftreten wird.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß Ka* auf den ihm zukommenden Rechtsvorrang durch Anhalten verzichtet habe, sodaß K* der Vorwurf eines unrichtigen Verhaltens nicht gemacht werden könne. K* habe vielmehr jede nach den Umständen gebotene Vorsicht beobachtet. Seine Fahrgeschwindigkeit sei angesichts des aus der Querstraße gekommenen und zum Stillstand gebrachten Fahrzeuges nicht überhöht gewesen; er habe auch sofort durch eine Vollbremsung reagiert. Eine Vorrangverletzung falle Ka* zur Last, dem somit das Alleinverschulden treffe. Die Verfassungsmäßigkeit des § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1969 als eines gehörig kundgemachten Landesgesetzes zu überprüfen, sei dem Erstgericht verwehrt. Da nach den Feststellungen unfallsbedingte Wiedererkrankungen K*s nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können, sei das Feststellungsinteresse zu bejahen. Auch der Anspruch auf eine abstrakte Rente bestehe zu Recht, weil K* in seiner Erwerbsfähigkeit dauernd gemindert sei, wenn auch sein Verdienst sich zunächst nicht verringert habe. Er sei im Konkurrenzkampf durch die Verletzungsfolgen benachteiligt und es bestehe auch die Gefahr, daß seine Arbeitskraft schneller verbraucht werde.

Die Berufung der Beklagten hatte insoferne Erfolg, als das Berufungsgericht das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Leistungsbegehrens abänderte. Den Feststellungsausspruch bestätigte es, wobei es dem Spruch eine deutlichere Fassung gab. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und es folgte diesem auch in der Beurteilung des Mitverschuldens des K*s und der Berechtigung des Feststellungsbegehrens. Es führte dazu aus, die Wirkung eines Vorrangverzichtes im Sinne des § 19 Abs. 8 StVO 1960 sei nicht davon abhängig, ob der auf den Vorrang verzichtende Verkehrsteilnehmer den sich zunächst im Nachrang befindlichen wahrgenommen habe. Für die Beurteilung der Rechtslage seien ausschließlich objektive Kriterien heranzuziehen. Mit dem Anhalten habe Ka* allgemein auf seinen Rechtsvorrang verzichtet und er habe sich daher auch gegenüber allen von links kommenden Fahrzeugen im Nachrang befunden. Den nunmehr gegebenen Vorrang dieser Fahrzeuge habe er, soweit diese wahrnehmbar gewesen seien, zu beachten gehabt. Maßgebend sei die bei Einhaltung der nötigen Sorgfalt und Fahrweise objektiv mögliche Sicht nach links gewesen. Nicht was Ka* gesehen habe, sondern was er hätte sehen können, sei entscheidend. Er hätte also seine Anhaltestellung so wählen müssen, daß er die nötige Sicht nach links gehabt hätte, oder er hätte nur mit entsprechender Vorsicht und nicht ohne Rücksicht, wie er es getan habe, weiterfahren dürfen. Anderseits habe K* auf die Einhaltung des ihm überlassenen Vorranges vertrauen dürfen. Auch wenn erkennbar gewesen wäre, daß der Lenker des anderen Fahrzeuges noch keine Sicht auf ihn gehabt habe, habe er damit rechnen können, daß dieser Lenker nur mit der seinem Nachrang entsprechenden Vorsicht weiterfahren werde. Zu einer gegenteiligen Annahme habe kein Anlaß bestanden, sodaß K* nicht verpflichtet gewesen sei, zu bremsen oder Zeichen zu geben. Ihm sei somit kein unrichtiges Verhalten vorzuwerfen. Das Erstgericht sei somit zu Recht von einem Alleinverschulden des Ka* ausgegangen.

Einen Anspruch des K* auf eine sogenannte abstrakte Rente verneinte das Berufungsgericht aus rechtlichen Gründen. Es gelangt damit zur Abweisung des Leistungsbegehrens.

Die Abweisung des Leistungsbegehrens wurde nicht weiter angefochten.

Gegen den Feststellungsausspruch richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Feststellungsbegehrens, allenfalls aber auch dahin abzuändern, daß es nur insoweit als zu Recht bestehend erklärt werde, als es in einem Viertel der Ersatzansprüche des K* gegen Ka* Deckung finde.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte versucht zunächst darzutun, daß gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 30 des Unfallfürsorgegesetzes Bedenken bestehen. Sie führte dazu im wesentlichen aus:

Diese Bestimmung stehe im Widerspruch zum Bundesrecht, denn sie sehe den Ersatz eines mittelbaren Schadens vor. Der Bundesgesetzgeber habe lediglich zu Gunsten der Sozialversicherungsträger im ASVG eine Sonderregelung geschaffen. Mit § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 werde aber von der Stadt Wien der Versuch unternommen, die nur den Sozialversicherungsträgern vorbehaltenen Begünstigungen durch eine Quasi-Analogie zum ASVG auch für sich in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin sei aber Dienstgeber und nicht Sozialversicherungsträger und könne nicht Grundsätze des im ABGB verankerten Schadenersatzrechtes durch Landesgesetze umgehen. Landesrecht dürfe aber mit dem Bundesrecht nicht in Widerspruch stehen. § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 widerspreche aber der Verfassung auch insoferne, als die Voraussetzungen des § 3 des Verfassungs-Überleitungsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des BGBl Nr 368 vom 26. September 1925 nicht vorliegen. Weiters sei auch die im Art. 15 Z. 9 BVG enthaltene Generalkompetenz der Länder zur Erlassung zivil‑ oder strafrechtlicher Normen auf unerläßliche Bestimmungen beschränkt, die mit der Hauptmaterie in derart enger Verbindung stehen, daß ohne sie das Land die ihm eingeräumte Zuständigkeit nicht erfüllen könnte. Das treffe auf den Inhalt des § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 nicht zu. Schließlich werde mit dieser Bestimmung auch insoweit über das Ziel geschossen, als sie sich ohne Einschränkung auf die „Leistungen, die die Stadt Wien zu erbringen habe“ beziehe. Da die Verfassungsmäßigkeit dieser Bestimmung eine Voraussetzung des behaupteten Anspruchsüberganges sei, werde angeregt, der Oberste Gerichtshof möge eine diesbezügliche Prüfung im Sinne des Art. 140 BVG durch den Verfassungsgerichtshof beantragen.

Dazu sieht sich der Oberste Gerichtshof jedoch aus folgenden Gründen nicht veranlaßt:

Richtig ist, daß nach Art. 12 Abs. 1 Z. 8 BVG (in der bis 31. Dezember 1974 geltenden Fassung) in Angelegenheiten des Dienstrechtes der Angestellten der Länder, die behördliche Aufgaben zu besorgen haben, die Grundsatzgesetzgebung dem Bund zusteht und die Erlassung von Ausführungsgesetzen und die Vollziehung Landessache sind. Es trifft auch zu, daß eine Grundsatzregelung des Bundes in den in Art. 12 Abs. 1 Z. 8 BVG genannten Angelegenheiten bisher nicht erfolgt ist. In Ermangelung einer ausdrücklichen Grundsatzregelung durch den Bund fußte die Gesetzgebung des Landes in bezug auf das Dienstrecht seiner Beamten auf § 3 des Verfassungs-Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der hier in Betracht kommenden (inzwischen durch BGBl Nr 444/1974 geänderten) Fassung BGBl Nr 368/1925, bzw. BGBl Nr 393/1929 dessen Absatz 1 lautete: „Die Landesgesetze, die im Art. 12 des BVG aufgezählte Angelegenheiten regeln, bleiben weiterhin Landesgesetze. Solange nicht durch Bundesgesetze in diesen Angelegenheiten Grundsätze festgesetzt werden, kann die Landesgesetzgebung solche Landesgesetze abändern, doch darf ein solches Landesgesetz nur mit Zustimmung der Bundesregierung kundgemacht werden.“ Der Beklagten ist daher auch noch darin zu folgen, daß für die Behandlung der Rechtsmaterie „Dienstrecht der Landesbeamten“ durch das Land zwei Voraussetzungen gegeben sein mußten, nämlich das Bestehen einer landesgesetzlichen Regelung zum 1. Oktober 1920 sowie die Zustimmung der Bundesregierung zur Kundmachung einer davon abweichenden landesgesetzlichen Regelung. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von der Beklagten jedoch zu Unrecht bestritten.

Zu dieser Problematik hat der Oberste Gerichtshof schon in seiner Entscheidung vom 5. Jänner 1961, 2 Ob 513, 514/60, kurz Stellung genommen, die sich auf die mit § 30 Unfallfürsorgegesetz 1967 inhaltlich im wesentlichen übereinstimmende Bestimmung des § 53 des Gesetzes vom 24. März 1955, LGBl für Niederösterreich Nr 51/1955, wiederverlautbart mit Kundmachung vom 24. September 1957, LGBl für Niederösterreich Nr 92/1957, (Dienstpragmatik der niederösterreichischen Landesbeamten), bezog. Es wurde darauf hingewiesen, daß gesetzliche Bestimmungen, die das Dienstrecht der Angestellten des Landes Niederösterreich regelten, schon früher bestanden. Wie in einer späteren, die Bestimmung des § 54 der Dienstpragmatik der niederösterreichischen Landesbeamten, LGBl für Niederösterreich Nr 200/166, betreffenden Entscheidung (2 Ob 124/74) ausgeführt wurde, handelt es sich dabei um den Landtagsbeschluß vom 1. März 1912, betreffend die Dienstpragmatik für die Landesbeamten und übrigen Landesangestellten im Erzherzogtum Österreich unter der Enns sowie das Pensionsnormale für die Landesbeamten und Diener im Erzherzogtum Österreich unter der Enns, abgedruckt im Anschluß an das Gesetz vom 24. März 1955, LGBl für Niederösterreich Nr 51/1955, S. 211 ff. Dieser Landtagsbeschluß, der auch für die damals einen Bestandteil des Erzherzogtums Österreich unter der Enns bildende Reichshaupt- und Residenzstadt Wien galt, enthielt allerdings noch keine dem nunmehrigen § 30 Unfallfürsorgegesetz 1967 entsprechende Vorschrift. Nach dem dem Revisionsgericht vorliegenden Schreiben des Magistrates der Stadt Wien vom 6. November 1975, MA 1‑1081/75, wurde der Gesetzesbeschluß des Wiener Landtages vom 24. Jänner 1969 über die Unfallfürsorge für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihre Hinterbliebenen und Angehörigen (Unfallfürsorgegesetz 1967) dem Bundeskanzleramt mit Schreiben des Landeshauptmannes von Wien vom 27. Jänner 1969 gemäß Art. 98 Abs. 1 BVG bekanntgegeben. Gleichzeitig wurde gebeten, gemäß § 3 Abs. 1 des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des BGBl 393/1929 die Zustimmung der Bundesregierung zur Kundmachung dieses Landesgesetzes einzuholen. Die Bundesregierung hat in ihrer Sitzung am 11. März 1969 beschlossen, der Kundmachung des Gesetzesbeschlusses des Wiener Landtages vom 24. Jänner 1969 über die Unfallfürsorge für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien, ihre Hinterbliebenen und Angehörigen (Unfallfürorgegesetz 1967) gemäß § 3 des Übergangsgesetzes vom 1. Oktober 1920 in der Fassung des BGBl Nr 368/1925 zuzustimmen. Dieser Beschluß der Bundesregierung wurde dem Landeshauptmann von Wien mit Schreiben des Bundeskanzleramtes vom 13. März 1969, Zl 51.320‑2c/69, mitgeteilt. Die oben erwähnten Voraussetzungen sind somit erfüllt.

Soweit die Beklagte gegen die in Rede stehende Bestimmung Bedenken in der Richtung erhebt, daß der Landesgesetzgeber damit die ihm durch Art. 15 Abs. 9 BVG gezogenen Grenzen überschritten habe, weil er nur berechtigt sei, die zur Regelung des Gegenstandes erforderlichen Bestimmungen auf dem Gebiet des Straf-und Zivilrechtes zu treffen und im vorliegenden Fall von einer zur Regelung der Materie unerläßlichen Bestimmung nicht die Rede sein könne, ist darauf zu verweisen, daß der Oberste Gerichtshof diese Ansicht ständig abgelehnt hat (vgl. dazu 2 Ob 40/73, 8 Ob 84/74, 2 Ob 43/75, siehe auch RZ 1973/145). Er hat wiederholt ausgesprochen, daß der Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 9 BVG nicht auf solche Bestimmungen straf- oder zivilrechtlichen Inhaltes beschränkt werden kann, ohne die die Regelung des Hauptgegenstandes des betreffenden Landesgesetzes undenkbar oder wenigstens praktisch völlig unmöglich wäre. Er muß auch auf solche Bestimmungen erstreckt werden, die mit der geregelten Materie in einem solchen engen inhaltlichen Zusammenhang stehen, daß ohne sie die landesgesetzliche Regelung notwendigerweise unbefriedigend ausfallen oder gar in einen vom Gesetzgeber nicht gewollten Widerspruch zu Grundsätzen der österreichischen Rechtsordnung geraten müßte. Durch die in Rede stehende Bestimmung wird vermieden, daß der Schädiger von der ihn treffenden Verpflichtung, für von ihm verschuldeten Schaden Ersatz zu leisten, befreit wird. Dazu käme es aber ohne die Bestimmung des § 30 des Unfallfürsorgegesetzes 1967 wegen des in der Rechtsprechung entwickelten Grundsatzes, daß der Geschädigte insoweit, als sein Schaden durch die unter dem Gesichtspunkt der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigenden Leistungen Dritter gedeckt ist, keine Ersatzansprüche stellen kann. Die Anordnung des Überganges von Schadenersatzansprüchen gegen den Schädiger auf denjenigen, der dem Geschädigten – sei es auf Grund Gesetzes oder Vertrages – zu Leistungen aus Anlaß dieses Schadensfalles verpflichtet ist, stellt sich daher als notwendige Ergänzung der Bestimmungen über die Gewährung von solchen Leistungen dar. In diesem Zusammenhang sei auf die inhaltlich gleichen Regelungen in § 332 ASVG, § 109 GSPVG, § 125 BKUVG, § 80 BKVG, § 108 GSKVG, § 67 VersVG und § 9 HVersG verwiesen. Die Rechtsähnlichkeit liegt darin, daß im vorliegenden Fall die Stadt Wien gegenüber ihren pragmatisierten Bediensteten nicht nur die Funktion eines Dienstgebers, sondern zugleich auch die eines (Sozial-) Versicherungsträgers erfüllt. Diese Erwägungen zeigen auch, daß in der Regelung des § 30 Unfallfürsorgegesetz 1967 ein Widerspruch mit den Rechtsgrundsätzen des Schadenersatzrechtes und insbesondere mit jenen, die hinsichtlich der als Drittschäden oder mittelbare Schäden bezeichneten Schadenszufügungen entwickelt wurden, nicht erblickt werden kann. Daß sich § 30 Unfallfürsorgegesetz 1967 schrankenlos auf alle Leistungen beziehe, die die Stadt Wien zu erbringen habe, ist unzutreffend, denn aus dem im Zusammenhang gelesenen Inhalt dieser Bestimmung ergibt sich eindeutig, daß sich der Übergang von Ersatzansprüchen nur hinsichtlich solcher Leistungen vollziehen soll, die die Stadt Wien auf Grund des Unfallfürsorgegesetzes 1967 zu erbringen hat.

Schließlich sei auch noch darauf hingewiesen, daß die oben dargelegte Auslegung des Art. 15 Abs. 9 BVG auch mit der neueren Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Einklang steht, der bei der Beurteilung der Frage, ob eine in einem Landesgesetz enthaltene zivilrechtliche Regelung durch die zitierte Verfassungsbestimmung gedeckt ist, ebenfalls auf den engen inneren Zusammenhang abstellt und diesen z.B. in dem Erkenntnis Slg 4605 (1963) zwischen einer Bestimmung über einen Schaden erzeugende Maßnahme und der über den Ersatz dieses Schadens als gegeben| ansieht, sodaß Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der landesgesetzlichen Bestimmung über den Schadenersatz verneint wurden.

Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher auch im vorliegenden Fall nicht veranlaßt, von der dargelegten Rechtsansicht abzugehen.

Der Revision kann auch insoweit nicht beigepflichtet werden, als sie die Verneinung eines Mitverschuldens des verletzten K* durch die Vorinstanzen bekämpft. Die in der Revision neuerlich vorgetragene Ansicht, ein Verzicht auf den Vorrang im Sinne des § 19 Abs. 8 StVO 1960 setze voraus, daß der auf den Vorrang Verzichtende denjenigen, zu dessen Gunsten dieser Verzicht wirken sollte, wahrgenommen habe, läßt sich weder aus dem Wortlaut noch dem Zweck der genannten Vorschrift ableiten. Der Wartepflichtige darf zwar grundsätzlich nicht annehmen, daß der Vorrangberechtigte auf seinen Vorrang verzichten werde. Er darf es aber dann, wenn der Vorrangverzicht zweifelsfrei erkennbar ist. Nun sollte aber durch die Neufassung des § 19 Abs. 8 StVO 1960 durch die 3. StV‑Novelle Klarheit darüber geschaffen werden, daß das Zum-Stillstand-Bringen eines Fahrzeuges – abgesehen vom Halten eines Schienenfahrzeuges in einer Haltestelle – immer als Verzicht auf den Vorrang zu werten ist, gleichgültig aus welchem Grunde immer das Fahrzeug zum Stillstand gebracht wurde. Wer also sein Fahrzeug an einer Kreuzung zum Stillstand bringt, muß sein weiteres Fahrverhalten darauf einstellen, daß andere Verkehrsteilnehmer dies als Vorrangverzicht auffassen. Er kann sich nicht darauf berufen, daß er von seinem Standort aus das Herannahen von Verkehrsteilnehmern, die das Zum-Stillstand-Bringen seines Fahrzeuges wahrnehmen konnten, nicht oder nicht rechtzeitig habe wahrnehmen können. Wurde ein Vorrangverzicht durch Zum-Stillstand-Bringen des Fahrzeuges erklärt, dann ist es Sache des auf den Vorrang Verzichtenden, sich – allenfalls durch langsames Vortasten – die erforderliche Sicht zu verschaffen, bevor er das beabsichtigte Fahrmanöver ausführt. Er kann daher auch nicht etwa verlangen, daß ein Verkehrsteilnehmer, der das Zum-Stillstand-Bringen des Fahrzeuges als Vorrangverzicht auffassen durfte, erst darüber Erwägungen anstellt, ob er von dem auf seinen Vorrang Verzichtenden auch tatsächlich wahrgenommen wurde. Den Vorinstanzen ist daher darin beizustimmen, daß K* nach abgegebenem Vorrangverzicht des Ka* darauf vertrauen dürfte, daß sich dieser nicht in einer Weise wieder in Bewegung setzt, durch die K* in seiner Geradeausfahrt behindert wird. Es kann K* daher nicht vorgeworfen werden, daß er seine Fahrt trotz Vorliegens einer unklaren Verkehrslage fortgesetzt habe.

Damit fehlt es an der Grundlage für ein Mitverschulden K*, womit sich auch die Revision, die gegen die Berechtigung des Feststellungsbegehrens an sich nichts mehr vorbringt, als nicht gerechtfertigt erweist.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.

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