OGH 9Os83/75 (9Os84/75, 9Os85/75)

OGH9Os83/75 (9Os84/75, 9Os85/75)17.9.1975

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 1975

unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harlfinger, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich, Dr. Dienst, Dr. Piska und Dr. Kießwetter als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Januschke als Schriftführers in der Strafsache gegen Horst A und andere wegen des Vergehens nach § 102 Abs 1 Z 2 KartG über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 17. Februar 1975, GZ 24 d Vr 1398/75-3, und vom 12. März 1975, GZ 24 d Vr 1398/75-4, sowie den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien vom 9. April 1975, AZ 16 Bs 144/75, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrags des Berichterstatters, Hofrats des Obersten Gerichtshofs Dr. Dienst sowie der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalts Dr. Karollus, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Auf Grund zweier schriftlichen Hinweise des Österreichischen Arbeiterkammertags, denen zufolge in den Monaten November und Dezember 1974 in Werbespots des österreichischen Fernsehprogramms verschiedene Produkte der Firma B & C Werkzeuge-Vertriebsgesellschaft m.b.H.

angekündigt worden sein sollen, ohne daß die angegebenen Preise ausdrücklich in unmißverständlicher Weise als unverbindlich bezeichnet wurden, sind von der Wirtschaftspolizei Horst A, Friedrich D, Leopold E, Dkfm. Hans F und Christoph G als Verdächtige ausgeforscht worden.

Die Staatsanwaltschaft Wien stellte zunächst am 11. Februar 1975 beim Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag auf verantwortliche Abhörung dieser fünf Personen als Verdächtige gemäß § 38 Abs 3 StPO in der Richtung des § 102 Abs 1 Z 2 (§ 1 Abs 1 Z 5) KartG 1972

sowie auf Beischaffung von Strafregisterauskünften und Leumundsnoten der Genannten. Die Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien verneinte mit Beschluß vom 17. Februar 1975, GZ 24 d Vr 1398/75-3, die sachliche Zuständigkeit dieses Gerichtshofs und verfügte die Abtretung der Strafsache an das Strafbezirksgericht Wien.

Daraufhin beantragte die Staatsanwaltschaft am 7. März 1975 beim Untersuchungsrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien die Einleitung der Voruntersuchung gegen Horst A, Friedrich D, Leopold E, Dkfm. Hans F und Christoph G wegen Vergehens nach § 102 Abs 1 Z 2 (§ 1 Abs 1 Z 5) KartG 1972 (unter einem zog sie die Vorerhebungsanträge zurück). Diesen Antrag wies die Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit Beschluß vom 12. März 1975, GZ 24 d Vr 1398/75-4, zurück; gleichzeitig stellte sie abermals die sachliche und örtliche Zuständigkeit des Strafbezirksgerichtes Wien fest. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Beschwerde (§ 114 Abs 1 Z 2 StPO), welcher das Oberlandesgericht Wien am 9. April 1975 (AZ 16 Bs 144/75) nicht Folge gab.

Die Generalprokuratur hat eine Beschwerde gemäß § 33 Abs 2 StPO erhoben, die Feststellung beantragt, daß die drei angeführten untergerichtlichen Beschlüsse die Bestimmung des § 112 Abs 1 und 2 KartG 1972 verletzen und unter anderm ausgeführt:

§ 112 Abs 1 KartG 1972 konzentrierte das Strafverfahren wegen der in diesem Bundesgesetz als Vergehen mit Strafe bedrohten Taten beim Gerichtshof erster Instanz am Sitz des Oberlandesgerichts, das Strafverfahren wegen der in diesem Bundesgesetz als Übertretung mit Strafe bedrohten Taten bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel das Amtsgebäude dieses Gerichtshofs erster Instanz gelegen ist. Die Frage, ob die Regelung des § 112 KartG 1972 im Hinblick auf die neue Deliktseinteilung des Strafgesetzbuchs und mit Rücksicht auf das Strafrechtsanpassungsgesetz BGBl. Nr. 422/1974, dessen Artikel VIII Abs 5 Hinweise auf die bisherigen Deliktsgattungsbezeichnungen (nicht: Deliktstypenbezeichnungen) umstellt, zu einer Änderung der Zuständigkeit in bezug auf einzelne Tatbestände des Kartellgesetzes führt, sei nach der im Erlaß vom 19. Dezember 1974, (JABl. Stück 1 Nr. 6/1975), dargestellten Meinung des Bundesministeriums für Justiz aus nachstehenden Gründen zu verneinen:

Der Gesetzgeber habe mit dieser besonderen Zuständigkeitsregelung offenkundig bestimmte Delikte des VIII. Abschnitts des Kartellgesetzes dem oben bezeichneten Gerichtshof, andere dem erwähnten Bezirksgericht zuweisen wollen.

Die Begriffe 'Vergehen' und 'Übertretung' würden in diesem Zusammenhang nicht als (allgemeine) Hinweise auf bestimmte Kategorien gerichtlich strafbarer Handlungen verwendet (die nach Art. VIII Abs 5 Z 5 und 6 StRAnpG umzustellen wären), sondern als konkrete Bezugnahmen auf die in den vorangehenden Paragraphen umschriebenen Tatbestände. Da die bisherigen Deliktsgattungsbezeichnungen 'Vergehen' und 'Übertretung' in diesen Tatbeständen zufolge Art. II StRAnpG aufgehoben würden, werde § 112 Abs 1 KartG 1972 in Hinkunft so zu lesen sein, daß an die Stelle der Worte 'als Vergehen' der Hinweis auf die §§ 101, 102 Abs 1, 103 Abs 1

und 105 KartG 1972 (die Anführung des § 106 KartG erfolgte offenbar irrtümlich, da diese Bestimmung durch Art. XI Abs 2 Z 36 StRAnpG aufgehoben wurde) und an die Stelle der Worte 'als Übertretung' der Hinweis auf die §§ 102 Abs 2, 103 Abs 2 und 104 KartG 1972 trete. Der Umstand, daß die in den §§ 102 Abs 1, 103 Abs 1 und 105 KartG 1972

mit Strafe bedrohten, bisher als Vergehen bezeichneten Handlungen nur mit Geldstrafen bedroht sind, könne demnach an der Zuständigkeit des im § 112 Abs 1 KartG 1972 bezeichneten Gerichtshofs nichts ändern, weil die besondere Zuständigkeitsregelung des Kartellgesetzes die allgemeine des § 9 Abs 1 Z 1 StPO (i.d.F.d.StPAnpG) verdränge. Diese Auffassung werde durch die Überlegung bestätigt, daß der Tatbestand des § 101 KartG 1972 bei anderer Ansicht (nämlich bei Umstellung des Begriffs 'Vergehen' im § 112 KartG 1972

nach Art. VIII Abs 5 Z 5 StRAnpG) von der besonderen Zuständigkeitsregelung, vor allem von der Konzentration bei einem Gericht am Sitz des Oberlandesgerichts, aber auch von der Zuständigkeit des Schöffengerichts (weil § 112 Abs 2 KartG 1972 ebenfalls auf 'Vergehen' verweist) überhaupt nicht erfaßt wäre. Das könne aber bei diesem mit der höchsten Strafdrohung versehenen Tatbestand des Kartellgesetzes nicht unterstellt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Richtigkeit dieser - für die Gerichte nicht verbindlichen - Auffassung ergebe sich, so vermeint die Generalprokuratur, daraus, daß das Strafrechtsanpassungsgesetz, wie sich schon aus seiner Bezeichnung ergebe, nach dem Willen des Gesetzgebers die strafrechtlichen Nebengesetze an die neue Rechtslage anpassen, nicht aber weitreichende Verschiebungen der sachlichen Zuständigkeit bewirken sollte.

Im Falle des Kartellgesetzes würde jedoch durch die Bestimmungen des Strafrechtsänderungsgesetzes (gemeint wohl: Strafrechtsanpassungsgesetzes) in Verbindung mit dem § 9 Abs 1 StPO (i.d.F.d.StPAnpG) das gesamte sachliche Zustädigkeitsgefüge des Kartellgesetzes zerstört. Die Mehrzahl der bisher dem Schöffengericht zur Aburteilung zugewiesenen Tatbestände (§§ 102 Abs 1 Z 1 bis 9, 103 Abs 1, 105 Z 1 und 2 KartG 1972) würde nunmehr in die sachliche Zuständigkeit eines Einzelrichters (beim Bezirksgericht) fallen, was gerade wegen der Schwierigkeit dieser Tatbestände durch § 112 Abs 2 KartG 1972 ausgeschlossen werden sollte. Dieser offensichtliche Widersinn könne dem Gesetzgeber zumal in Beziehung auf eine erst vor wenigen Jahren (BGBl. Nr. 460/1972) getroffene Regelung nicht als gewollt unterstellt werden. - Da die positive Regelung des Art. VIII Abs 5 StRAnpG auch deshalb unanwendbar sei, weil sie den Tatbestand des § 101 KartG 1972 überhaupt nicht erfassen würde, könnte eine sinnvolle und dem Willen des Gesetzgebers Rechnung tragende Anpassung der in Rede stehenden Normen des Kartellgesetzes nur auf die im Erlaß des Bundesministeriums für Justiz vom 19. Dezember 1974 (JABl. Stück 1 Nr. 6/1975), zum Ausdruck gebrachte Weise erfolgen. Der von der Administrative entwickelten Ansicht vermag der Oberste Gerichtshof nicht beizutreten. Eingangs muß festgestellt werden, daß jedwede Bezugnahme auf und Argumentation aus Art. VIII Abs 5 Z 5 StRAnpG versagt, weil diese Vorschrift, welche die Zitate ('Hinweise') in anderen Bundesgesetzen umstellen soll, bei versuchter Anwendung auf den Konnex der §§ 102 Abs 1 (wie übrigens auch §§ 103

ff) und 112 Abs 1 KartG 1972 keinen Sinn ergibt: Nach der Anpassungsvorschrift soll es statt bisher 'Vergehen' künftig 'gerichtlich strafbare Handlungen, die mit mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedroht sind, mit Ausnahme jener strafbaren Handlungen, die nur vorsätzlich begangen werden können und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sind', heißen; Zuwiderhandlungen gegen § 102 Abs 1 KartG 1972 waren mit Geldstrafe bis zu 1,000.000 S zu ahnden. Die Unmöglichkeit, § 112 Abs 1 KartG 1972 mit Hilfe des Art. VIII Abs 5 Z 5 StRAnpG in Hinsicht auf § 102 Abs 1 KartG 1972 vernünftig umzustellen, liegt damit auf der Hand. Die im Ministerialerlaß vorgeschlagene und von der Beschwerdeführerin übernommene Lesart des § 112 Abs 1 KartG 1972 entbehrt einer gesetzlichen Grundlage. Das im Interesse aller Rechtsunterworfenen zu beachtende Gebot der Rechtssicherheit zieht jeglicher Auslegung die Schranke des Gesetzeswortlauts. Eine interpretatio praeter legem ist umso entschiedener abzulehnen, wenn hiedurch der Straftäter schlechter gestellt würde (etwa hier bei Verfolgung vor einem Gerichtshof statt vor einem Bezirksgericht); in diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof erst jüngst § 23 Abs 1 Z 2 StGB streng grammatikalisch ausgelegt (9 Os 93/75 vom 16. Juli 1975, n.v.) und übrigens schon früher ausgesprochen, daß ein Gesetz niemals extensiv zum Nachteil eines Beschuldigten (dort: Verurteilten) interpretiert werden darf (EvBl. 1970 Nr. 358). Dem überzeitlichen Postulat der Rechtssicherheit verpflichtet, hat es der Oberste Gerichtshof wiederholt von sich gewiesen, einen mangelhaften oder unbefriedigenden Gesetzestext zu korrigieren oder zu ergänzen, das heißt Aufgaben zu übernehmen, die verfassungsgemäß nicht der vollziehenden, sondern ausschließlich der gesetzgebenden Gewalt zukommen (SZ XL/154, EvBl.

1972 Nr. 159 = JBl. 1972 S. 538, EvBl. 1973 Nr. 20, RiZ 1973 Nr. 1 S. 15).

Angesichts der Unanwendbarkeit der Zuständigkeitssondernorm des § 112 Abs 1 KartG 1972 (die, wie gezeigt, der neuen materiellen Rechtslage im Bereich des § 102 Abs 1 KartG 1972 nicht angepaßt werden kann, wenn man den Boden des positiven Rechts nicht verlassen will) bleibt nur der Rückgriff auf die allgemeine Kompetenzregelung der Strafprozeßordnung. Die sachliche Zuständigkeit der Strafgerichte erster Instanz richtet sich gemäß §§ 8 bis 14 StPO nach den Strafsanktionen des materiellen Rechts, ausgenommen die Enumerationen der §§ 13 Abs 2 Z 2 und 14 Abs 1 Z 1 bis 10 StPO, in denen jedoch Tatbestände des Kartellgesetzes nicht vorkommen.

Wie bereits oben verwiesen, dient Art. VIII StRAnpG lediglich der Umstellung von Zitaten ('Hinweisen') in anderen Bundesgesetzen auf die neue materielle Strafrechtsordnung. Die Umstellung der nebengesetzlichen Straftatbestände und Strafandrohungen, also des materiellen Inhalts der strafrechtlichen Nebengesetze selbst besorgen die Art. II bis VII und XI Abs 1 StRAnpG. Der Tatbestand des § 102 Abs 1 KartG 1972 war als Vergehen kategorisiert und sah ausschließlich eine Geldstrafe bis zu 1,000.000 S vor. Die Denomination 'Vergehen' ist kraft Art. II StRAnpG aufgehoben. Gemäß Art. VI StRAnpG tritt an die Stelle der Geldstrafe bis zu 1,000.000 S eine solche von mindestens zwei Tagessätzen und höchstens dreihundertsechzig Tagessätzen.

Zufolge Art. I Abs 1 StRAnpG ist der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs auch im Nebenstrafrecht anzuwenden. Zum Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs gehört dessen § 19.

Nach § 19 Abs 3 StGB entspricht ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe zwei Tagessätzen, mithin dreihundertsechzig Tagessätzen eine Ersatzfreiheitsstrafe von einhundertachtzig Tagen, das ergibt sechs Monate.

§ 9 Abs 1 Z 1 StPO i.d.F.d. StPAnpG teilt das Strafverfahren wegen aller Vergehen, für die keine Freiheitsstrafe angedroht ist, deren Höchstmaß sechs Monate übersteigt und die nicht den Geschwornengerichten zugewiesen sind, den Bezirksgerichten zu. Daraus folgt, daß die Strafsachen nach § 102 Abs 1 KartG 1972 seit 1. Jänner 1975

(Art. XI Abs 1 StRAnpG, Art. IV Abs 1 StPAnpG) in die sachliche Zuständigkeit des Bezirksgerichts fallen.

Die unbegründete Beschwerde der Generalprokuratur war daher zu verwerfen.

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