OGH 2Ob124/75

OGH2Ob124/7528.8.1975

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Wittmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Piegler, Dr. Fedra, Dr. Benisch und Dr. Scheiderbauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W* P*, Lokomotivführer, *, vertreten durch Dr. Guntram Lins, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagten Parteien 1.) H* F*, Schweiz, 2.) Verband der Versicherungsunternehmungen Österreichs, 1030 Wien, Schwarzenbergplatz 7, beide vertreten durch Dr. Ekkehard Strickner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen restlicher S 2.000 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. 3. 1975, GZ. 2 R 115/75‑24, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Landeck vom 23. 12. 1974, GZ. C 254/74‑19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0020OB00124.75.0828.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einbeziehung des unangefochten gebliebenen und des bestätigten Teiles zu lauten hat:

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger S 1.600 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Der Kläger ist schuldig, den Beklagten S 6.014,74 an Prozeßkosten erster Instanz (davon S 418,39 Umsatzsteuer und S 366,13 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger an Kosten des Berufungsverfahrens S 630,60 (davon S 46,– Umsatzsteuer und S 9,60 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Der Kläger hat die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 9. 7. 1972 kam es auf der Arlberg Bundesstraße zwischen St. Christoph und St. Anton zu einem Zusammenstoß zwischen einem vom Kläger gelenkten und einem vom Erstbeklagten gelenkten Personenkraftwagen, bei dem das Fahrzeug des Klägers beschädigt wurde.

Der Kläger behauptet, der Erstbeklagte habe den Unfall allein verschuldet, indem er während eines vom Kläger eingeleiteten Überholmanövers nicht die rechte Fahrbahnseite eingehalten habe. Der am Fahrzeug des Klägers entstandene Schaden betrage S 28.000. Hievon werde aber aus Gründen des Prozeßkostenrisikos nur ein Teilbetrag von S 14.000 eingeklagt. Die Beklagten seien ihm zur ungeteilten Hand auf Grund der Bestimmungen des ABGB., des EKHG. und des KFG. zum Schadenersatz verpflichtet.

Die Beklagten beantragten Abweisung des Klagebegehrens. Sie bestritten, daß den Erstbeklagten ein Verschulden treffe. Dieser sei ordnungsgemäß auf seiner rechten Fahrbahnseite gefahren. Der Kläger sei offenbar wegen überhöhter Geschwindigkeit bei dem Überholversuch ins Schleudern geraten.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 2.000 und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von S 12.000 ab. Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:

Die Unfallstelle befindet sich auf der Arlberg-Bundesstraße westlich des Straßenkilometers 549. Am Unfallstag befuhren H* B*, hinter ihm der Erstbeklagte und dahinter der Kläger die Straße in östlicher Richtung. Nach einer scharfen Linkskurve öffnet sich die Sicht für die talwärts fahrenden Fahrzeuge sämtlicher Beteiligter auf eine östlich der Unfallskurve liegende Rechtskurve (150 m Luftlinie, wobei die Sicht durch einige Bäume neben der Straße beeinträchtigt wird). Zwischen dieser Kurve und der Unfallskurve befindet sich ein kurzes, gerades Straßenstück, das an die Unfallskurve, gleichfalls eine Rechtskurve, anschließt. Diese Kurve beschreibt einen Bogen von 90 Grad und ist etwa 80 m lang. Das Gefälle beträgt an der Unfallstelle etwa 12 %, die Breite 6,50 m, und zwar sowohl unmittelbar westlich als auch östlich der Unfallstelle. Rechts – in Fahrtrichtung der Beteiligten gesehen – verläuft eine Leitplanke durchgehend auch noch über die Unfallskurve hinaus. Links wird die Straße durch einen 15 cm hohen Bordstein begrenzt, von dem auch dann das Gelände nach Norden hin in eine waldige und mit Steinen bedeckte Böschung ansteigt. Die festgestellte Straßenbreite bezieht sich auf die Entfernung Leitplanke-Bordstein.

Am Unfallstag war die Fahrbahn trocken. Es herrschte schönes Wetter und Sonnenschein. Der vorhandene Straßenbelag war durch die Ketten der Fahrzeuge abgenützt und in schlechtem Zustand.

Nachdem der Kläger durch einige Zeit hinter dem mit 40 km/h fahrenden Fahrzeug des Erstbeklagten gefahren war, entschloß er sich in der oben beschriebenen ersten Rechtskurve zu einem Überholmanöver, wobei die technisch vertretbare Höchstgeschwindigkeit in dieser Kurve 50 km/h betragen hätte. Der Kläger beschleunigte sein Fahrzeug. Gegen Ausgang der Kurve kam es zu einer Kollision der vom Kläger und Erstbeklagten gelenkten Fahrzeuge. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger infolge überhöhter Geschwindigkeit ins Schleudern kam oder ob der Erstbeklagte mit seinem Fahrzeug über die Fahrbahnmitte fuhr. Vom technischen Standpunkt wäre beides möglich.

Der Wagen des Erstbeklagten wurde links vorne vom Fahrzeug des Klägers angefahren und beschädigt. Er fuhr infolge einer Bremsung oder eines Ausweichmanövers gegen die Leitplanke und wies dadurch auch rechts hinten Beschädigungen auf. Der Wagen des Klägers wurde rechts vorne am Kotflügel und am Frontblech leicht beschädigt. Der Kläger fuhr auf den linken Bordstein auf. Die Behebung der Schäden am Wagen des Klägers kostete insgesamt S 4.000.

Das Erstgericht kam zu dem Ergebnis, daß ein Verschulden eines der beiden Fahrzeuglenker nicht erweislich sei. Es kämen daher die Bestimmungen des § 11 EKHG. über den Ausgleichsanspruch hinsichtlich der gegenseitigen Ersatzpflicht der Halter zur Anwendung. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr sei nicht hervorgekommen; die gewöhnliche Betriebsgefahr der beiden Fahrzeuge sei jedoch gleich groß. Die Beklagten seien daher nur zum Ersatz der Hälfte des Schadens des Klägers verpflichtet.

Die Abweisung des Mehrbegehrens blieb unangefochten.

Die gegen den stattgebenden Teil erhobene Berufung der Beklagten hatte bezüglich des Erstbeklagten einen vollen und hinsichtlich der Zweitbeklagten einen teilweisen Erfolg. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es die Zweitbeklagte zur Zahlung von S 1.600 verurteilte und das darüber hinausgehende Mehrbegehren abwies. Es führte dazu im Wesentlichen aus:

Beim Erstbeklagten komme eine Verschuldenshaftung nach §§ 1295 ff ABGB nach den vorliegenden Feststellungen nicht in Betracht. Auch die Halterhaftung nach dem EKHG. könne ihm gegenüber nicht zum Tragen kommen, weil seine Haltereigenschaft nicht behauptet worden sei. Demzufolge sei das Klagebegehren, soweit es gegen den Erstbeklagten gerichtet sei, abzuweisen.

Die Zweitbeklagte hafte nach § 62 KFG. auf Grund des EKHG. für Schäden aus dem gegenständlichen Unfall. Bei der Ausmessung des zu ersetzenden Schadensanteiles nach § 11 EKHG. sei jedoch zu berücksichtigen, daß der Kläger dadurch eine Erhöhung der Betriebsgefahr herbeigeführt habe, daß er in der Kurve mit einer Geschwindigkeit gefahren sei, die sich an der Grenze des technisch noch Vertretbaren bewegt habe. Dies rechtfertige eine Schadensteilung im Verhältnis 2 : 3 zu Lasten des Klägers, sodaß ihm nur 2/5 seines Schadens, demnach S 1.600 zuzusprechen seien.

Dagegen richtet sich die aus den Revisionsgründen nach § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO. erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteiles abzuändern, in eventu es aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Beklagten beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise gerechtfertigt.

Der Kläger wendet sich zunächst sowohl unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als auch der Aktenwidrigkeit und schließlich auch dem der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gegen die Annahme des Berufungsgerichtes, daß den Erstbeklagten nicht die Halterhaftung nach dem EKHG. treffe. Soweit als Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gerügt wird, das Berufungsgericht sei entweder von einer erstgerichtlichen Feststellung der Haltereigenschaft des Erstbeklagten abgegangen oder es habe an Stelle des Erstgerichtes die Nicht-Haltereigenschaft festgestellt, ist dem Kläger zu erwidern, daß das Erstgericht tatsächlich eine ausdrückliche Feststellung über die Haltereigenschaft des Erstbeklagten nicht getroffen hat und daß auch das Berufungsgericht nicht etwa festgestellt hat, daß der Erstbeklagte nicht Halter des von ihm gelenkten Fahrzeuges war, sondern im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt hat, es fehle an einer Behauptung des Klägers, daß der Erstbeklagte Halter des von ihm gelenkten Kraftfahrzeuges sei. Der behauptete Verfahrensmangel liegt somit nicht vor. Da eine derartige Behauptung – zumindest in eindeutiger Form – tatsächlich nicht aufgestellt wurde, können die diesbezüglichen Ausführungen des Berufungsgerichtes – entgegen der Ansicht des Klägers – auch nicht aktenwidrig sein.

Damit ist aber – entgegen der Ansicht der Beklagten – noch nicht die Frage beantwortet, ob das Berufungsgericht angesichts der Verfahrensergebnisse seine gegenüber dem Erstbeklagten abweisende Entscheidung darauf stützen durfte, daß der Kläger die Haltereigenschaft des Erstbeklagten nicht ausdrücklich behauptet hat. Es ist ständige Rechtsprechung, daß die Halterhaftung gegenüber der Haftung wegen Verschuldens ein Minus darstellt und auch dann zu erörtern ist, wenn ausdrücklich nur Verschuldenshaftung geltend gemacht wird (ZVR 1973/14, ZVR 1974/81 u.a.m.). Im Allgemeinen bedarf es nicht einer ausdrücklichen Geltendmachung einer Halterhaftung neben der Verschuldenshaftung, vom Fall des § 3 Z 2 EKHG. abgesehen (2 Ob 56/66 = ZVR 1966/306 = SZ 39/43). Im vorliegenden Fall ist zu beachten, daß der Kläger schon in der Klage erklärt, die Beklagten seien ihm auf Grund des ABGB., des EKHG. sowie des KFG. zum Schadenersatz verpflichtet. Wenn auch zunächst unklar blieb, ob der Hinweis auf die EKHG-Haftung sich auch auf den Erstbeklagten beziehen sollte, so konnte doch diesbezüglich kein Zweifel mehr bestehen, nachdem im ganzen Verfahren erster Instanz beide Teile davon ausgehen, daß das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug „sein Wagen“ war, das Erstgericht sein Urteil auf die vom Verschulden unabhängige „gegenseitige Ersatzpflicht der Halter“ gestützt und schließlich die Beklagten in ihrer Berufung die Haltereigenschaft des Erstbeklagten zugrundegelegt haben, indem sie eine höhere Betriebsgefahr des Klägers behaupteten. Bei dieser Sachlage durfte das Berufungsgericht aber nicht davon ausgehen, daß die Haltereigenschaft des Erstbeklagten mangels einer ausdrücklichen Klagsbehauptung nicht angenommen werden dürfe. Auf Grund der dargelegten Verfahrensergebnisse war vielmehr auch von der Haltereigenschaft des Erstbeklagten auszugehen, die übrigens nicht einmal in der Revisionsbeantwortung verneint wird, und damit auch von seiner Haftung nach § 5 Abs. 1 EKHG. Insoweit erweist sich die Revision des Klägers als berechtigt.

Soweit sich der Kläger jedoch gegen den vom Berufungsgericht vorgenommenen Schadensausgleich im Sinne des § 11 EKHG. wendet, kann ihm nicht gefolgt werden. Die zitierte Bestimmung stellt eine Hangordnung der bei der Beurteilung der gegenseitigen Ersatzansprüche maßgebenden Umstände auf. Ein in erster Linie in Betracht zu ziehendes Verschulden der Beteiligten scheidet hier aus, weil der Beweis eines solchen Verschuldens nicht erbracht wurde. Für eine in nächster Stufe zu berücksichtigende außergewöhnliche Betriebsgefahr fehlt es an einer entsprechenden Sachgrundlage. Es ist daher die in letzter Rangstufe stehende überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr als Beurteilungsmaßstab heranzuziehen. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, daß eine leichte Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges des Klägers deswegen angenommen werden muß, weil der Kläger einen Überholversuch mit einer Geschwindigkeit unternahm, die schon an der Grenze des technisch noch Vertretbaren lag. Der vom Berufungsgericht bezogene Fall der Entscheidung ZVR 1974/143 (8 Ob 264/73) war, was die wesentlichen Umstände anlangt, durchaus ähnlich gelagert. Dort wurde übrigens auch ausgesprochen, daß zwischen der Betriebsgefahr eines Personenkraftwagens und der eines Mopeds grundsätzlich kein Unterschied besteht. Das Kriterium der überwiegenden gewöhnlichen Betriebsgefahr ist vielmehr in der beim Überholen notwendigen höheren Geschwindigkeit und der damit verbundenen Linksbewegung zu erblicken (vgl. dazu Geigel, der Haftpflichtprozeß15, S 63, und die in Veit, EKHG3 S. 165 unter Nr. 7 und 8 abgedruckten Entscheidungen). Soweit der Kläger davon ausgehen will, daß sein Fahrzeug eine besondere Kurvenstabilität aufweise, führt er die Revision nicht gesetzmäßig aus, weil er damit von den Feststellungen abweicht, die nichts darüber besagen, daß die vom Sachverständigen mit 50 km/h angenommene Grenzgeschwindigkeit zwar im allgemeinen, nicht aber für das Fahrzeug des Klägers gelte. Gegen die Schadensaufteilung 2/5 : 3/5 zum Nachteil des Klägers bestehen daher keine Bedenken.

Demzufolge war der Revision des Klägers teilweise Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz gründet sich auf § 43 Abs. 1 ZPO. Da der Kläger nur zu 4/35 durchgedrungen und damit zu 31/35 unterlegen ist, waren den Beklagten 27/35 ihrer Kosten zuzusprechen.

Im Berufungsverfahren sind die Beklagten nur zu 1/5 durchgedrungen und somit zu 4/5 unterlegen. Es waren daher dem Kläger 3/5 der Kosten des Berufungsverfahren zuzuerkennen (§§ 43 Abs. 1, 46 und 50 ZPO).

Im Revisionsverfahren ist der Kläger gegenüber dem Erstbeklagten zwar zu 4/5 durchgedrungen, gegenüber der Zweitbeklagten jedoch unterlegen, sodaß er insgesamt nicht als überwiegend obsiegend anzusehen ist.

Er hatte daher die Kosten seiner Revision selbst zu tragen.

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