European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1975:0070OB00055.75.0410.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Untergerichte werden auf gehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf getragen.
Begründung:
Die Antragstellerin ist seit dem Jahre 1959 Pächterin der im Eigentum der Antragsgegnerin stehenden Liegenschaft EZ. 159 KG. A*, bestehend aus den Grundstücken Nr. 1116/1 Garten im Ausmaß von 11.801 m2 und 1116/2 Haus (Baufläche) im Ausmaß von 1.258 m2. Darüber hinaus hat die Antragstellerin noch die im Eigentum der H* stehende Liegenschaft EZ. 340 KG. A* mit dem Gartengrundstück Nr. 1117/1 im Ausmaß von 18.713 m2 und der Baufläche Nr. 1117/3 im Ausmaß von 647 m2 gepachtet. Mit Ausnahme der Baufläche und einer ca. 300 m2 großen Grundfläche benützt die Antragstellerin die zur EZ. 159 KG. A* gehörigen Grundstücke zum Betrieb eines Erwerbsgartenbaues. Die Pachtverträge wurden mündlich auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und in dem zur GZ. 11 Psch 7/66 des Erstgerichtes am 5. 5. 1966 abgeschlossenen Vergleich bis 10. 11. 1972 verlängert. Am 1. 7. 1969 hat das Pachtverhältnis bezüglich der EZ. 159 KG. A* bereits mindestens 10 Jahre gedauert.
Mit ihrem Antrag begehrte die Antragstellerin, den Pachtvertrag (hinsichtlich der EZ. 159 KG. A*) bis 10. 11. 1980 zu verlängern, weil von der Aufrechterhaltung des Pachtverhältnisses ihre wirtschaftliche Existenz abhänge. Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Begehrens, soweit die Verlängerung des Pachtverhältnisses über den 31. 12. 1973 hinaus beantragt wird, weil sie die Pachtliegenschaften dringend zur Errichtung eines Großkrankenhauses benötige. Außerdem würden die Pachtgrundstücke nicht überwiegend im Erwerbsgartenbau, sondern landwirtschaftlich genutzt. Bezüglich der noch gepachteten Liegenschaft EZ. 340 KG. A* habe sich die Antragstellerin zur Räumung bis 10. 11. 1975 verpflichtet und damit zu erkennen gegeben, daß sie auch an der Aufrechterhaltung des gegenständlichen Pachtverhältnisses über diesen Zeitpunkt hinaus nicht mehr interessiert sei. Eine Verlängerung des Pachtvertrages nach § 16 LPG (BG vom 26. 11. 1969, BGBl Nr. 451) würde daher den guten Sitten widersprechen.
Das Erstgericht verlängerte den Pachtvertrag antragsgemäß bis 10. 11. 1980 und traf noch folgende Feststellungen:
Die Antragstellerin führt auf den gepachteten Grundstücken einen landwirtschaftlichen Gartenbaubetrieb und bebaut die gesamte Betriebsfläche mit Gemüse, das sie an die Landwirtschaftliche Gemüse- und Obstverwertungs-Genossenschaft Wien‑Umgebung, Sammelstelle Kagran, liefert. Die Anlieferung erfolgt mit einem betriebseigenen VW‑Pritschenwagen. Zur Bodenbearbeitung wird eine 10 PS‑Bodenfräse und ein 2,5 PS‑Hackgerät verwendet. Das Wohngebäude in * dient der Antragstellerin zu Wohnzwecken. Die Geräte und das Werkzeug sind in einem regendichten Schuppen, der VW in einer geräumigen Garage untergebracht. Wesentliche Betriebseinrichtungen, wie Wohn- und Wirtschaftsgebäude, wurden mitverpachtet. Der Gemüsebaubetrieb wird ordentlich geführt. Von der Aufrechterhaltung des Pachtvertrages hängt die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin ab. Im Jahre 1969 erzielte sie aus der Land- und Forstwirtschaft ein zu versteuerndes Einkommen von S 19.195,‑‑. An Erträgnissen aus ihrer gesamten Pachttätigkeit steht ihr monatlich ein Ertrag zwischen S 2.000,‑‑ und S 2.500,‑‑ zur Verfügung. Im Falle der Beschränkung des Betriebes der Antragstellerin auf die zur EZ. 340 KG. A* gehörigen Pachtgrundstücke, wäre deren wirtschaftliche Existenz im Hinblick auf das bereits jetzt erzielte geringe jährliche Einkommen von nur ca. S 20.000,‑‑ nicht mehr gewährleistet. Die Wartezeit für die Gewährung einer Alterspension erfüllt die Antragstellerin erst mit Stichtag 1. 10. 1979. Mit Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom 23. 4. 1965 wurde der Grundsatzbeschluß zur Errichtung eines sozial-medizinischen Zentrums Ost gefaßt. Der Magistrat der Stadt Wien wurde ermächtigt, die zur Durchführung dieses Projektes erforderlichen Schritte umgehend einzuleiten. Derzeit ist das Raumbauprogramm bereits genehmigt und der Architekt mit der Durchführung der Pläne beauftragt. Auf der Pachtliegenschaft (EZ. 159 KG. A* soll ein Teil des Pflegeheimes errichtet werden. Mit der Errichtung des Wohnbereiches sollte bereits 1973 begonnen werden, mit den übrigen Anlagen nach Fertigstellung der Pläne und Genehmigung der finanziellen Mittel. Mit dem Bau des übrigen Zentrums sollte frühestens 1974 begonnen werden. Das gesamte Projekt bildet eine Einheit, mit welcher auch der Wohnteil untrennbar verbunden ist, weil dort Schwestern und sonstiges Personal untergebracht werden sollen. Durch das angrenzende Spital soll im Pflegeheim auch die medizinische Betreuung der Alten gewährleistet sein. Das Pflegeheim ist ein integrierender Bestandteil des Zentrums, nicht jedoch des Spitals. Umplanungen, Sistierungen oder Verschiebungen des Projektes sind nicht wahrscheinlich; seine Finanzierung ist gesichert. Mit Vergleich des Bezirksgerichtes Floridsdorf vom 17. 3. 1972, 5 Psch 1/72‑4, verpflichtete sich die Antragstellerin gegenüber H* die Liegenschaft EZ. 340 KG. A* unter Verzicht auf jeglichen Räumungsaufschub und einer Antragstellung nach dem Landpachtgesetz (LPG) bei sonstiger Exekution bis spätestens 10. 11. 1975 zu räumen.
Das Erstgericht war der Ansicht, daß die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Pachtvertrages um weitere 8 Jahre im Sinne des § 16 Abs. 1 LPG gegeben seien, weil von der Aufrechterhaltung des Pachtverhältnisses die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin abhänge. Aus der von der Antragstellerin bezüglich der gepachteten Liegenschaft EZ. 340 KG. A* eingegangenen Räumungsverpflichtung könne nicht geschlossen werden, daß sie auch an einer Aufrechterhaltung des gegenständlichen Pachtverhältnisses über den 10. 11. 1975 hinaus nicht mehr interessiert sei. Im Hinblick auf die Bestimmungen des § 2 LPG könne nämlich die Antragstellerin ungeachtet des Vergleichsabschlusses die abermalige Verlängerung dieses Pachtvertrages begehren.
Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß es den Pachtvertrag nur bis 1. 10. 1979 verlängerte. Es erachtete in Übereinstimmung mit dem Erstgericht die Voraussetzungen für die Verlängerung des Pachtvertrages im Sinne des § 16 Abs. 1 LPG für gegeben, war jedoch der Ansicht, daß die mögliche Verlängerung um 8 Jahre nicht voll auszuschöpfen sei. Die Antragstellerin erfülle nämlich mit 1. 10. 1979 die Wartezeit für die Erlangung der Alterspension, sodaß ab diesem Zeitpunkte ihre Existenz durch deren Bezug gesichert sei. Der Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß die Antragstellerin ungeachtet des von ihr hinsichtlich der Pachtliegenschaft EZ. 340 KG. A* eingegangenen Räumungsvergleiches die Verlängerung des Pachtvertrages begehren könne, sei allerdings nicht beizupflichten. Ob durch die Bewirtschaftung der der Antragstellerin dann noch verbleibenden Pachtgrundstücke deren wirtschaftliche Existenz gesichert sei, könne dahingestellt bleiben. § 16 Abs. 1 LPG stelle nämlich nicht darauf ab, ob durch den zu verlängernden Pachtvertrag die wirtschaftliche Existenz des Pächters zur Gänze gesichert sei, sondern nur darauf, ob dessen Existenz davon abhänge. Es genüge daher, wenn die Einkünfte aus dem Pachtverhältnis eine vielleicht auch nicht die einzige Existenzgrundlage bilden.
Die Antragsgegnerin bekämpft den Beschluß des Rekursgerichtes mit Revisionsrekurs mit dem Antrag, das Begehren auf Verlängerung des Pachtvertrages zur Gänze abzuweisen oder die Beschlüsse der Unterinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist berechtigt.
Die Rekurswerberin gibt zunächst die Verpflichtungserklärung ab, der Antragstellerin vom Zeitpunkte der Beendigung des Pachtverhältnisses bis 30. 9. 1979 den ihr durch die Einstellung des Erwerbsgartenbaubetriebes verursachten Einkommensentfall zu ersetzen. Sie ist der Ansicht, daß durch diese Verpflichtungserklärung selbst im Falle der sofortigen Auflösung des Pachtverhältnisses die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gesichert sei. Die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Pachtvertrages nach § 16 Abs. 1 LPG seien daher nicht mehr gegeben.
Nach § 12 Z. 2 LPG richtet sich das Verfahren in Landpachtsachen nach den Bestimmungen über das Verfahren außer Streitsachen, jedoch sind die Bestimmungen der ZPO über das Rechtsmittel des Rekurses anzuwenden. Demnach dürfen aber neue Tatsachen und Beweismittel im Rechtsmittelverfahren nicht vorgebracht werden (EvBl 1968/425, 1969/344 u.a.m.). Der Oberste Gerichtshof kann daher auch im gegenständlichen Falle auf die von der Rekurswerberin erst in ihrem Revisionsrekurs abgegebene Verpflichtungserklärung nicht Bedacht nehmen.
Dessenungeachtet hat aber der Oberste Gerichtshof die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichtes nach allen Richtungen zu überprüfen (SZ 22/101, 37/116 u.a.m.). Hiebei ist den Ausführungen des Rekursgerichtes, daß der von der Antragstellerin hinsichtlich der zur EZ. 340 KG. A* gehörigen Grundstücke eingegangene Räumungsvergleich eine weitere Verlängerung des diese Liegenschaft betreffenden Pachtvertrages ausschließe, beizupflichten. Richtig ist allerdings, daß der Pächter auf die im Landpachtgesetz eingeräumten Rechte nicht wirksam verzichten kann (§ 2 LPG). Dieses Verbot bezieht sich aber nur auf einen im voraus erklärten Verzicht des Pächters auf die ihm nach dem Landpachtgesetz zustehenden Rechte. Der Pächter kann sich daher ungeachtet der Bestimmung des § 2 LPG in einem gerichtlichen Vergleich gültig verpflichten, die Pachtliegenschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt zu räumen und dem Verpächter geräumt zu übergeben. Durch einen solchen Vergleich wird das Pachtverhältnis mit dem vereinbarten Zeitpunkt aufgelöst. Die vom Erstgericht vertretene Rechtsansicht würde die exekutive Durchsetzung von gerichtlichen Vergleichen über die Räumung von Pachtobjekten, die den Bestimmungen des Landpachtgesetzes unterliegen, praktisch unmöglich machen. Es ist daher davon auszugehen, daß der die EZ. 340 KG. A* betreffende Pachtvertrag der Antragstellerin mit Wirkung vom 10. 11. 1975 aufgelöst wurde. Die Voraussetzungen für die Verlängerung eines Landpachtvertrages nach § 16 Abs. 1 LPG, (sofern nicht die Ausschließungsgründe nach Z. 1 und 2 dieser Gesetzesstelle vorliegen) sind dann gegeben, wenn von dessen Aufrechterhaltung die wirtschaftliche Existenz des Pächters abhängt. Es müssen daher, wie das Rekursgericht zutreffend hervorhebt, die Einkünfte des Pächters aus der Bewirtschaftung der Pachtgrundstücke nicht für sich allein zur Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz ausreichen, sofern sein fehlender Lebensunterhalt durch sonstige Einkünfte gedeckt ist. Ob dies der Fall ist, kann erst dann beurteilt werden, wenn feststeht, über welche Einkünfte der Pächter außer den Erträgnissen aus der Bewirtschaftung der Pachtliegenschaft verfügt. Hier steht fest, daß der nach Räumung der EZ. 340 KG. A* auf die gegenständlichen Pachtgrundstücke beschränkte Gärtnereibetrieb der Antragstellerin nicht mehr lebensfähig sein wird (S. 97). Trotzdem haben sich die Untergerichte mit der im Hinblick auf die vorangehenden Ausführungen entscheidenden Frage, ob die Antragstellerin über zusätzliche Einkünfte verfügt, durch die auch nach dem 10. 11. 1975 (Auflösung des vorgenannten Bestandverhältnisses) ihr fehlender Lebensunterhalt gesichert erscheint, nicht befaßt und daher in dieser Richtung keine Feststellungen getroffen. Solange aber nicht feststeht, ob auch nach der Räumung der zur EZ. 340 KG. A* gehörigen Pachtgrundstücke die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin von der Aufrechterhaltung des gegenständlichen Pachtverhältnisses abhängen wird, kann nicht abschließend beurteilt werden, ob im Hinblick auf die Bestimmungen des § 16 Abs. 2 (7 Abs. 2 Z. 2) LPG die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Pachtvertrages über den 10. 11. 1975 hinaus gegeben sind.
Die Beschlüsse der Untergerichte mußten demnach der Aufhebung verfallen. Das Erstgericht wird daher im vorgenannten Umfange ergänzende Feststellungen zu treffen und dann neuerlich über den Antrag auf Verlängerung des Pachtvertrages zu entscheiden haben.
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