OGH 2Ob152/70

OGH2Ob152/7018.6.1970

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Köhler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Pichler, Dr. Hager, Dr. Piegler und Dr. Wurzinger als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* G*, vertreten durch Dr. Armin Paulitsch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Land Niederösterreich, vertreten durch Dr. Adolf Kaindl, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.235,15 S sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 1970, GZ 42 R 25/70‑9, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 12. November 1969, GZ 32 C 2241/69‑5, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1970:0020OB00152.70.1806.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

 

Begründung:

Der Kläger nimmt das geklagte Bundesland als Halter eines LKW mit dem pol. Kennzeichen * wegen Ersatzes der Schäden in Anspruch, die ihm dadurch entstanden seien, dass sein PKW durch Verschulden des LKW‑Lenkers beschädigt worden sei.

Die beklagte Partei bestritt nach Grund und Höhe und wendete insbesondere Mangel der passiven Klagslegitimation ein. Hiezu brachte sie vor, dass Eigentümer und Halter des LKW die Republik Österreich, das Fahrzeug bei der Bundesstraßenverwaltung St. Pölten eingesetzt und die niederösterreichische Landesverwaltung – zur Unfallszeit – nur in mittelbarer Bundesverwaltung tätig gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es traf folgende Feststellungen:

Der unfallsbeteiligte LKW, der beiderseits eine Inventartafel mit der Aufschrift „Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung, Inv.Nr. 4/3201 NÖ.“ trage, sei mit Genehmigung des Bundesministeriums für Bauten und Technik aus Kreditmitteln des Bundes angeschafft worden. Die Versicherungsprämien bezahle der Bund. Bei landeseigenen Fahrzeugen komme in der Inventarnummer ein L vor. Am 30. 10. 1967, dem Unfallstag, sei der LKW von St. Pölten nach Wien zu einem großen Service und nachher nachher nach St. Pölten zurückgefahren. Der LKW werde aus Bundesmitteln erhalten. Er sei bei der Straßenmeisterei St. Pölten – Süd‑West eingesetzt. Er stehe hauptsächlich für Bundeszwecke, teilweise auch für Landeszwecke im Einsatz. Zwischen Bund und Land bestehe eine wechselseitige Verrechnung nach gewissen Zeitabschnitten, wenn ein Bundesfahrzeug für Landeszwecke oder umgekehrt ein Landesfahrzeug für Bundeszwecke eingesetzt werde. Über den Einsatz verfüge der Straßenmeister nach Bedarf. Die Straßenmeisterei entspreche etwa einem Gerichtsbezirk. Dem Straßenmeister unterstehe ein eigener Fuhrpark, in dem sich Landes‑ und Bundesfahrzeuge befinden könnten. Im Allgemeinen würden Bundesfahrzeuge auf Bundesstraßen, Landesfahrzeuge auf Landesstraßen eingesetzt. Der LKW sei im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung eingesetzt gewesen und zur Unfallszeit von einem Landesbediensteten gelenkt worden. In der mittelbaren Bundesverwaltung gebe es nur Landesbedienstete. Der Bund refundiere die Bezüge der im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung tätigen Beamten. In den Akten 5 U 1533/67 des Bezirksgerichts St. Pölten scheine als Kraftfahrzeugbesitzer das „Amt der NÖ. Landesregierung“ auf.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesen Feststellungen, dass Fahrzeughalter nicht die beklagte Partei, sondern die Republik Österreich sei.

Hingegen war das Berufungsgericht der Ansicht, dass sowohl das beklagte Land als auch der Bund als Halter des LKW anzusprechen seien. Entgegen der Annahme des Erstgerichts trage angesichts der wechselseitigen Verrechnung nicht der Bund die gesamten Kosten. Die Verfügungsgewalt übe aus, wer während der Dauer des Gebrauchs über die Verwendung nach Ort und Zeit verfüge. Diese tatsächliche Verfügungsgewalt übe auf Landesstraßen der Straßenmeister als Landesbeamter aus, der auch auf Bundesstraßen in der mittelbaren Bundesverwaltung tätig sei. Auch dass sich der Unfall auf einer Bundesstraße ereignet habe, sei nicht entscheidend, weil sich der für Landes‑ und Bundeszwecke verwendete LKW auf der Rückfahrt vom Service befunden, dieses aber gleichermaßen dem Bund wie dem Land gedient habe. Da gemäß § 5 Abs 2 EKHG mehrere Kraftfahrzeughalter zur ungeteilten Hand hafteten, sei im Sinn des § 891 ABGB die Passivlegitimation der beklagten Partei gegeben. Das Berufungsgericht hob daher das Ersturteil zu Feststellungen über die weiteren Einwendungen der beklagten Partei mit Rechtskraftvorbehalt auf.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Rekurs der beklagten Partei, worin geltend gemacht wird, dass die Sache im Sinne der Bestätigung der abweisenden Entscheidung der ersten Instanz spruchreif sei.

Der Rekurs ist gemäß § 519 Z 3 ZPO zulässig; er ist aber nicht begründet.

Die Rekurswerberin rügt zu Unrecht die Ansicht des Berufungsgerichts als unzutreffend, dass die Ausführung des Erstgerichts, wonach der LKW im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung eingesetzt war, keine Tatsachenfeststellung, sondern die Wiedergabe und Übernahme einer rechtlichen Schlussfolgerung des in erster Instanz vernommenen Zeugen H* sei, deren Richtigkeit zu überprüfen Sache der rechtlichen Beurteilung sei. Denn Aufgabe eines Zeugen ist es, seine Wahrnehmungen über konkrete Tatsachen zu bekunden, nicht aber, diese Tatsachen zu beurteilen oder aus ihnen Schlussfolgerungen abzuleiten (Fasching, Komm zu den ZP‑Gesetzen, III S 406 f). Die Bekundungen des Zeugen H* haben sich nicht nur bezüglich der Ansicht, der LKW sei bei der Rückfahrt vom Service im Rahmen der mittelbaren Bundesverwaltung eingesetzt gewesen, nicht in diesen Grenzen gehalten; wie die weitere Aussage „als Halter des Fahrzeugs ist die Republik Österreich, Bundesstraßenverwaltung, zu bezeichnen“ erkennen lässt. Als Tatsachenfeststellung ist daher diesfalls nur anzusehen, das Fahrzeug sei am Unfallstag von St. Pölten nach Wien zu einem großen Service gefahren und nach diesem auf der Autobahn nach St. Pölten zurückgefahren.

Der Rekurs macht weiter geltend, dass gemäß § 104 Abs 2 B‑VG im Bereich der Länder der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden gewisse zur Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes gehörige, ihnen vom zuständigen Bundesminister übertragene Geschäfte, insbesondere solche der Bundesstraßenverwaltung, ausüben. Daher vollziehe der im Landesdienst stehende Straßenmeister bei der Verwaltung der Bundesstraßen, zu der auch das Halten von Fahrzeugen gehöre, Privatwirtschaftsverwaltung des Bundes und sei als Organ des Bundes tätig. Setze er den LKW auf Landesstraßen ein, dann tue er dies als Organ des Bundes, der mit einem Bundesfahrzeug Arbeiten für eine andere Gebietskörperschaft durchführen lasse. Unzutreffend sei auch die Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass der LKW deshalb, weil er auch auf Landesstraßen eingesetzt werde, auch im Rahmen der Landesverwaltung verwendet werde. Richtigerweise stelle der Bund das Fahrzeug dem Land nicht zur Verfügung, sondern arbeite damit für das Land. Das Fahrzeug bleibe daher auch dann in der ausschließlichen Verfügungsgewalt des Bundes, wenn es auf Landesstraßen verwendet werde. Auch die Kosten trage der Bund allein und erhalte vom Land ein Entgelt für Arbeiten auf Landesstraßen.

Demgegenüber ist festzuhalten, dass die Haltereigenschaft auf den Gebrauch des Kraftfahrzeugs für eigene Rechnung und auf den Besitz der entsprechenden Verfügungsgewalt abzustellen ist. In der ersteren Richtung kommen in Betracht die Nutzung bei Tragung der Kosten der Unterbringung, Instandhaltung, Bedienung und der Betriebsmittel, in der zweiten Richtung die Bestimmung über die Verwendung des Kraftfahrzeugs nach Ort und Zeit während der Dauer des Gebrauchs. Kommen diesfalls mehrere Beteiligte in Betracht, dann ist bei jedem von ihnen zu prüfen, ob bei Würdigung seiner rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Betrieb des Fahrzeugs die Merkmale, die für die Haltereigenschaft wesentlich sind, bei ihm in so großer Zahl und so stark gegeben sind, dass seine Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle dem Wesen der gesetzlichen Haftpflicht des Halters entspricht (BGH vom 11. 7. 1958, VersR 1958 S 646 ff ua).

Unter Bedachtnahme auf diese grundsätzlichen Erwägungen ergibt sich im vorliegenden Fall:

Ein im Dienst des Landes stehender Straßenmeister verfügt über den jeweiligen Einsatz eines Fahrzeugs, das aus Bundesmitteln angeschafft wurde, für das Land zugelassen und auf Kosten des Bundes versichert ist und sich in Gewahrsame der Straßenmeisterei (Landesbehörde) befindet. Für Einsätze des Fahrzeugs für Landeszwecke leistet das Land in gewissen Zeitabständen im Verrechnungsweg Beträge. Der LKW wurde am Unfallstag im Auftrag des Straßenmeisters von einem Landesbediensteten gelenkt.

Diese Tatsachen lassen die Annahme einer Haltergemeinschaft zwischen dem Bund und der beklagten Partei gerechtfertigt erscheinen.

Wenn der Rekurs geltend macht, dass es an jeglicher gesetzlichen Norm für eine Haltergemeinschaft zweier oder mehrerer Gebietskörperschaften mangle, dann ist dem entgegenzuhalten, dass die Haltereigenschaft primär ein wirtschaftliches und tatsächliches Verhältnis und weniger ein rechtliches Verhältnis ist (ZVR 1957 Spruchbeilage Nr 237 ua).

Der Ausspruch über die Rekurskosten beruht auf den §§ 50, 40 ZPO.

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