OGH 2Ob364/64

OGH2Ob364/6418.3.1965

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Pichler, Dr. Höltzel und Dr. Bauer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna M*****, vertreten durch Dr. Karl Günther, Rechtsanwalt in Mattighofen, wider die beklagte Partei Felix F*****, vertreten durch Dr. Othmar Steinkogler, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen S 106.768,33 samt Anhang, einer monatlichen Rente von S 1.000,- und Feststellung (Streitwert S 10.000,-) infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 25. September 1964, GZ 3 R 129/64-46, womit das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 2. Juni 1964, GZ 1 Cg 266/63-35, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben. Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Nach dem bisher festgestellten Sachverhalt betreibt die Klägerin mit ihrem Gatten gemeinsam eine Landwirtschaft. Am 8. August 1959 waren sie mit der Einbringung der Haferernte beschäftigt. Dabei ist ein zu breit beladener Erntewagen, der mit zwei Pferden bespannt war, im Scheunentor steckengeblieben. Da der Wagen mit der Kraft der Pferde allein nicht freigemacht werden konnte, haben die Klägerin und ihr Gatte den Beklagten, der mit seinem Traktor vorbeigefahren ist, ersucht, beim Freimachen des Erntewagens zu helfen. Der Beklagte und die Klägerin sind übereingekommen, dass der Beklagte von hinten mit dem Traktor an die Haferfuhre anschieben, während der Gatte der Klägerin gleichzeitig die Pferde antreiben solle. Zur Ausführung dieses Vorhabens hat der Beklagte ein 1,70 m langes Kantholz benützt, dass er zwischen dem Wagen und dem Traktor einklemmen wollte. Da dieser Balken zwar am Wagen, aber nicht am Traktor befestigt werden konnte, hat sich die Klägerin erbötig gemacht, den Balken zu halten, damit er nicht abgleite. Der Beklagte war damit einverstanden. Während des Anschiebens hat sich der Balken verschoben und der Traktor ist so nahe an den Erntewagen herangefahren, dass die Klägerin zwischen den beiden Fahrzeugen eingeklemmt wurde. Sie ist schwer verletzt worden. Der Beklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.

Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin Schadenersatz in der oben angeführten Höhe begehrt. Das ursprünglich mit S 25.000,- begehrte Schmerzengeld hat sie mit ihrem Schriftsatz vom 21. Mai 1964 auf S 40.000,- erhöht. Sie hat das alleinige Verschulden des Beklagten behauptet. Der Beklagte hat eingewendet, dass die Klägerin in seinem Betrieb als Helferin tätig geworden sei. Er hätte ihr gegenüber die Stellung eines Dienstgebers gehabt und seine Haftung sei gemäß § 333 ASVG ausgeschlossen. Außerdem hat er ein Mitverschulden der Klägerin zu 50 % behauptet. Gegen die Ausdehnung des Schmerzengeldes hat er Verjährung eingewendet.

Das Erstgericht hat das Klagebegehren aus folgenden Gründen abgewiesen. Es war der Meinung, dass der Schmerzengeldanspruch der Klägerin von S 15.000,-, um den sie ihr Klagebegehren am 21. Mai 1964 ausgedehnt hat, mit Rücksicht darauf, dass sich der Unfall am 8. August 1959 ereignet hat, verjährt sei. Das Verschulden des Beklagten sei gegenüber dem eigenen Verschulden der Klägerin so gering, dass es als bedeutungslos anzusehen sei. Im Verhalten der Klägerin sei auch ein stillschweigender Haftungsverzicht und ein Handeln auf eigene Gefahr gelegen. Dieser Haftungsverzicht umfasse selbst die Haftung für grobe Fahrlässigkeit. Schließlich sei die Haftung des Beklagten auch gemäß § 333 ASVG ausgeschlossen. Der eigentliche Betriebsführer sei der Gatte der Klägerin gewesen. Die Klägerin habe sich bei Ausführungen des Unternehmens den Weisungen des Beklagten unterworfen. Der Beklagte sei als Aufseher im Betrieb des Gatten der Klägerin tätig geworden.

Das Berufungsgericht hat der Berufung der Klägerin stattgegeben, das erstgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache unter Beifügung eines Rechtskraftvorbehaltes an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Es war der Meinung, dass der Schmerzengeldanspruch von S 15.000,- der Klägerin schon mit Rücksicht auf das von ihr gestellte Feststellungsbegehren nicht verjährt sei. Ein Haftungsausschluss nach § 333 ASVG sei deshalb nicht anzunehmen, weil sich dieser nach dem Wortlaut des Gesetzes nur auf Dienstnehmer, nicht aber auf Unternehmer beziehe. Die Klägerin sei selbst Landwirtin und daher Unternehmer. Der Beklagte habe in der Landwirtschaft der Klägerin und ihres Gatten Nachbarschaftshilfe geleistet. Er sei als Versicherter im Sinne des § 8 Abs 1 Z 3 lit e ASVG anzusehen. Ein Haftungsausschluss bestehe aber immer nur gegenüber dem Dienstnehmer. Das Berufungsgericht hat aber eine weitere Klarstellung des Sachverhaltes für notwendig erachtet, um die Frage eines Haftungsverzichtes der Klägerin und des Handelns auf eigene Gefahr entscheiden zu können.

Gegen den Beschluss des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Beklagten. Dieser beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Klägerin unter Abstandnahme von dem gebrauchten Weisungsgrund an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist mit Rücksicht auf den vom Berufungsgericht seinem Aufhebungsbeschluss beigefügten Rechtskraftvorbehalt zulässig, aber nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte wendet sich gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass der Schmerzengeldanspruch von S 15.000,-, um den die Klägerin ihr Begehren ausgedehnt hat, nicht verjährt sei. Seine Ausführungen hiezu sind nicht stichhältig. Das Berufungsgericht hat mit Recht schon aus dem Grund eine Verjährung dieses Anspruches nicht angenommen, weil die Klägerin bereits in der Klage und somit innerhalb der dreijährigen Verjährungszeit einen Antrag auf Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden gestellt hat. Die Ausdehnung des Schmerzengeldbegehrens war daher auch noch Ablauf der Verjährungszeit zulässig (ZVR 1962, Nr 196=1 Ob 477/478/61 ua).

Die Ansicht des Berufungsgerichtes, dass ein Haftungsauschluss nach § 333 ASVG nicht anzunehmen ist, lässt der Beklagte unangefochten, so dass darauf nicht weiter einzugehen ist.

Im Übrigen ist den Ausführungen des Beklagten insofern beizupflichten, dass das erstgerichtliche Urteil in der vom Berufungsgericht ausgeführten Hinsicht nicht mangelhaft geblieben ist. Der Oberste Gerichtshof ist vielmehr der Meinung, dass die Frage eines Haftungsverzichtes oder eines Handelns der Klägerin auf eigene Gefahr schon auf Grund der unbestritten gebliebenen Feststellungen der Untergerichte entschieden werden kann. Allerdings vermag sich der Oberste Gerichtshof der Auffassung des Beklagten nicht anzuschließen, dass ein solcher Haftungsverzicht der Klägerin oder einer Handlung auf eigen Gefahr anzunehmen ist. Es steht fest, dass sich die Klägerin zum Halten des Kantholzes zwischen Wagen und Traktor erbötig gemacht hat. Sie hat auf den Hinweis des Beklagten, dass dies gefährlich sei, erklärt, sie kenne sich dabei aus und verstehe sich darauf, weil sie dergleichen schon öfter gemacht habe. Diese Erklärung der Klägerin zeigt aber gerade, wie das Berufungsgericht bereits richtig angenommen hat, dass sich die Klägerin der Gefahr, die mit dem Halten der Verbindung zwischen dem Wagen und dem Traktor verbunden war, gar nicht bewusst war. Sie war vielmehr der Meinung, dass sie die Sache zufolge ihrer Übung so erledigen könne, dass die vom Beklagten aufgezeigte Gefahr nicht gegeben sei. Anders kann die Erklärung der Klägerin nicht aufgefasst werden. Eine Ergänzung des Verfahrens in der vom Berufungsgericht angeführten Richtung ist umso weniger erforderlich, als das Berufungsgericht nicht dargetan hat, auf welche Weise, nämlich durch welche weiteren Beweiserhebungen, das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt ergänzen soll. Wie das Berufungsgericht bereits richtig ausgeführt hat, wäre ein Haftungsverzicht der Klägerin nur dann anzunehmen, wenn sie sich der besonderen mit dem Unternehmen über die normale Gefahr hinausgehende Gefahr bewusst gewesen wäre und diese bewusst auf sich genommen hätte (ZVR 1959, Nr 98, 2 Ob 298/58, ua). Gerade die festgestellte Äußerung der Klägerin aber lässt erkennen, dass sie sich einer solchen besonderen Gefahr nicht bewusst war und eine solche auch nicht in Kauf genommen hat. Sie hat daher weder auf eigene Gefahr gehandelt noch einen Haftungsverzicht erklärt. Diese Beurteilung ist durch den Obersten Gerichtshof möglich, weil es sich bei der Frage, ob ein solches Vorgehen der Klägerin gegeben ist oder nicht, um eine Rechtsfrage handelt, die im Rekursverfahren gelöst werden kann. Nach dem vom Erstgericht unangefochten festgestellten Sachverhalt ist aber davon auszugehen, dass nicht nur der Beklagte, der vom Strafgericht rechtskräftig und für das Zivilgericht bindend wegen seines schuldhaften Handelns verurteilt worden war, sondern auch die Klägerin fahrlässig gehandelt hat. Sie ist selbst Landwirtin und hätte daher bei einem derartigen Unternehmen vorsichtiger sein müssen. Nach Ansicht des Obersten Gerichshofes ist eine Verschuldensteilung im Verhältnis 1:1 zwischen den Parteien anzunehmen und dem weiteren Verfahren zugrundezulegen. Da das Erstgericht zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche noch keine Feststellungen getroffen hat, muss es bei der Aufhebung des erstgerichtlichen Urteiles und bei der Zurückverweisung der Sache an das Erstgericht bleiben, wie es das Berufungsgericht beschlossen hat. Aus diesem Grund muss dem Rekurs der Erfolg versagt bleiben. Bei der neuerlichen Entscheidung wird das Erstgericht die oben angeführten Rechtsansichten des Obersten Gerichtshofes zugrundezulegen und über die Höhe der geltend gemachten Ansprüche der Klägerin zu entscheiden haben, nachdem es die hiefür erforderlichen Feststellungen getroffen hat.

Da der Beklagte mit seinem Rechtsmittel keinen Erfolg hatte, ist auszusprechen, dass er die Kosten des Rekursverfahrens selbst zu tragen habe (§§ 40, 50 ZPO).

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