OGH 6Ob126/63

OGH6Ob126/6329.5.1963

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Meyer-Jodas als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Lachout, Dr. Machek, Dr. Hammer und Dr. Rothe als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Ing. Wolfgang D*****, 2.) Lilly D*****, ebendort, beide vertreten durch Dr. Günther Rustler, Dr. Helfried Rustler, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Maria M*****, vertreten durch die Nachlaßkuratorin Henriette P*****, ***** diese vertreten durch Dr. Walter Bucher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 5. März 1963, GZ 43 R 99/63-66, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 24. Dezember 1962, GZ 6 C 772/61-58, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei die mit S 464,79 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Erstrichter hob die gegen die Verlassenschaft nach der am 8. 8. 1961 verstorbenen Maria M***** gerichtete, auf § 19 Abs 2 Z 11 MietG gestützte Aufkündigung auf, das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil und ließ gemäß § 500 Abs 3 ZPO die Revision zu.

Nach den untergerichtlichen Feststellungen war Henriette P*****, die zum Kuratur der beklagten Verlassenschaft bestellte Schwester der Erblasserin Maria M*****, am 11. 4. 1953 in die aufgekündigte Wohnung zu Maria M***** gezogen. Adalbert P*****, der Gatte der Kuratorin, ist in dieser Wohnung als Untermieter gemeldet. Die Kuratorin ist auf diesem Untermietmeldezettel mitgemeldet. Maria M***** war schwer krank. Sie stand in Bezug einer Rente. Die Ehegatten P***** wirtschafteten mit Maria M***** gemeinsam. Henriette P***** besorgte die Haushaltsgeschäfte. Die drei genannten Personen wohnten und wirtschafteten in der kalten Jahreszeit in der streitgegenständlichen Wohnung, die schöne Jahreszeit verbrachten sie im Hause in *****. Diese Liegenschaft am Wolfersberg war bereits im Jahre 1949 erworben worden. Mit dem Hausbau wurde im Jahre 1950 begonnen. Die Liegenschaft steht zu 2/3 im Eigentum der Henriette P***** und zu 1/3 im Eigentum ihres Gatten A*****. Das Haus hat einen Neubauwert von S 320.000,-- ohne Grundstückswert. Die Liegenschaft ist unbelastet. Für das Haus wurde eine Benützungsbewilligung noch nicht erteilt. Zur Erlangung einer Teilbenützungsbewilligung für eine ganzjährige Bewohnung wären im Zeitpunkt des Todes der Maria M***** erforderlich gewesen:

  1. 1.) die Aufbringung der Dachbodenbeschüttung;
  2. 2.) die Herstellung eines Betonbestriches auf der Beschüttung;
  3. 3.) das Ausmauern der Dachsparren;
  4. 4.) die feuerhemmende Verkleidung der Kellertüren und der Einschubstiege (Dachboden);
  5. 5.) das Herstellen eines Betonfußbodens im Badezimmer;
  6. 6.) die Herstellung des Wandverputzes im Badezimmer;
  7. 7.) die Herstellung eines Schiffbodens im ersten Stock des im Baugenehmigungsplan benannten Vorraumes;

    8.) die Herstellung eines Dunstrohres des WC des Vorraumes einschließlich einer das Einfrieren ausschließenden Wärmeisolierung der Wasserleitung.

    Die Durchführung dieser Arbeiten würde im Zeitpunkt des Todes der Maria M***** rund S 8.000,-- erfordert haben. Um die Erlangung einer Benützungsbewilligung wurde am 7. 5. 1962 angesucht. Dieses Ansuchen wurde aus feuer-, sanitäts- und sicherheitspolizeilichen Gründen abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Teilbenützungsbewilligung waren weder im Zeitpunkt des Todes der Maria M***** noch im gegenwärtigen Zeitpunkt erfüllt. Henriette P***** hat kein eigenes Einkommen. Ihr Gatte, der infolge eines Unfalles nicht arbeitsfähig ist, bezieht derzeit zwei Renten im Gesamtbetrage von S 2.600,-- pro Monat.

    Aufgrund dieses Sachverhaltes bejahten beide Vorinstanzen die Tatbestandsmerkmale des gemeinsamen Haushaltes und auch des dringenden Wohnungsbedürfnisses hinsichtlich Henriette P*****, der Schwester der Verstorbenen und Kuratorin der beklagten Verlassenschaft. Sie kamen deshalb zur Aufhebung der auf § 19 Abs 2 Z 11 MietG gestützten Kündigung.

    Das Urteil des Berufungsgerichtes wird von den klagenden Parteien mit ihrer auf § 503 Z 4 ZPO gestützten Revision bekämpft. Beantragt wird Abänderung dahingehend, daß dem Kündigungsbegehren stattgegeben werde, allenfalls Aufhebung und Rückverweisung an eine der beiden Vorinstanzen zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

In ihr wird zunächst vorgebracht, es könne nicht von einer gemeinsamen Haushaltsführung der derzeitigen Nachlaßkuratorin mit der Erblasserin gesprochen werden, wenn sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichtes nur 4 Monate des Jahres gemeinsam in der aufgekündigten Wohnung gelebt haben.

Hiezu ist zu sagen, daß das Berufungsgericht (auf S 275) ausführt, daß die derzeitige Nachlaßkuratorin "jeweils rund 4 Monate" in der streitgegenständlichen Wohnung mit Maria M***** (der Verstorbenen) gelebt und dort einen gemeinsamen Haushalt geführt habe. Im Zusammenhange mit dem Inhalt der übrigen Urteilsbegründung (s insbesondere S 267, 273, 275) ergibt sich, daß das Berufungsgericht von der Annahme ausgeht, die derzeitige Nachlaßkuratorin habe mit ihrer später verstorbenen Schwester jeweils während der kalten Jahreszeit - und zwar seit vielen Jahren (S 275) - in der aufgekündigten Wohnung gelebt, wobei nicht nur gemeinsam gewohnt, sondern auch die Haushaltsgeschäfte gemeinsam geführt worden seien. Aufgrund dieses von den Unterinstanzen bindend festgestellten Sachverhaltes, von dem bei der Behandlung der Rechtsrüge auszugehen ist, hat das Berufungsgericht mit Recht einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des § 19 Abs 2 Z 11 MietG bejaht, und zwar trotz des Umstandes, daß die Nachlaßkuratorin mit ihrem Gatten und der Erblasserin den übrigen Teil des Jahres - das Berufungsgericht sagt (auf S 267): "Die schöne Jahreszeit" - im Hause am Wolfersberg verbrachten. Denn dadurch wird die Tatsache nicht beseitigt, daß die betreffenden Personen regelmäßig einen großen Teil des Jahres - die kalte Jahreszeit (S 267) - in der aufgekündigten Wohnung gemeinsam verbracht und dort gemeinsam die Haushaltsgeschäfte besorgt haben. Demgegenüber greift der Hinweis der Revision darauf, daß von einem gemeinsamen Haushalt dann nicht gesprochen werden könne, wenn der Angehörige einen außerhalb der Wohnung der Verstorbenen befindlichen selbständigen Schwerpunkt der Wirtschaftsführung habe (siehe 6 Ob 119/61 = MietSlg 9005 und 9008), nicht durch; denn aufgrund der Feststellungen der Vorinstanzen hatte diesfalls die derzeitige Nachlaßkuratorin außerhalb der aufgekündigten Wohnung keine von der gemeinsamen Wirtschaftsführung mit der Erblasserin getrennte Wirtschaftsführung, es wurde vielmehr "in der schönen Jahreszeit" gemeinsam am Wolfersberg gewirtschaftet.

Das Berufungsgericht hat auch ohne Rechtsirrtum das dringende Wohnungsbedürfnis der derzeitigen Nachlaßkuratorin an der aufgekündigten Wohnung im Sinn des § 19 Abs 2 Z 11 MietG bejaht. In den Revisionsausführungen wird diese Rechtsansicht des Berufungsgerichtes aus zwei Gründen bekämpft und zwar:

1.) weil es sich bei den noch fehlenden Voraussetzungen für die Erlangung einer Benützungsbewilligung um solche rein formeller Natur handle, und

2.) weil das Wohnungsbedürfnis selbst verschuldet sei. Hiezu hat die zweite Instanz ausgeführt, daß es bei der Frage des dringenden Wohnungsbedarfes im Sinne des § 19 Abs 2 Z 11 MietG nicht auf Erfordernisse rein formaler Natur ankommen könne, sondern nur darauf, ob die der eintrittsberechtigten Person noch zur Verfügung stehende Wohnung tatsächlich benützbar sei; wenn aber wie im vorliegenden Fall noch gewisse unbedingt notwendige Fertigstellungsarbeiten durchzuführen seien, die einen entsprechenden Kostenaufwand verursachen, und der Zustand des Hauses einer vollen oder Teilbenützungsbewilligung aus feuer-, sanitäts- und sicherheitspolizeilichen Gründen entgegenstehe, könne nicht gesagt werden, daß es sich hier nur um Erfordernisse rein formaler Natur handle und es könne daher für die Beurteilung nach § 19 Abs 2 Z 11 MietG von einer vollen Bewohnbarkeit eines Wohnraumes nicht gesprochen werden. Das Vorliegen eines dringenden Wohnungsbedürfnisses sei aber nur dann zu verneinen, wenn eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe (MietSlg 5916, 6610, 8992 ua).

Diese Ansicht des Berufungsgerichts entspricht der ständigen Rechtsprechung. Das Berufungsgericht hat aber in Übereinstimmung mit dem Prozeßgericht auch ohne Rechtsirrtum angenommen, daß im vorliegenden Falle das dringende Wohnungsbedürfnis der Henriette P***** auch nicht deshalb verneint werden könne, weil sie nach Durchführung der erforderlichen Arbeiten sogleich eine Teilbenützungsbewilligung erlangen könnte. Denn es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, daß der Henriette P***** - die kein eigenes Einkommen hat und deren infolge eines Unfalles arbeitsunfähiger Gatte nur zwei Renten im monatlichen Gesamtbetrag von S 2.600,-- bezieht - die sofortige Durchführung der zur Erlangung einer Teilbenützungsbewilligung erforderlichen Arbeiten nicht zumutbar war, selbst wenn diese Arbeiten tatsächlich nur S 8.000,-- kosten sollten. Ihr dringendes Wohnungsbedürfnis kann daher entgegen der in der Revision vorgetragenen Ansicht unter den gegebenen Umständen nicht als selbstverschuldet bezeichnet werden. Wenn in der Revision jedoch darauf verwiesen wird, dafür, daß die nach den Feststellungen der Untergerichte noch notwendigen Arbeiten die Bewohnbarkeit des Hauses am Wolfersberg nicht hindern, sei "der schlagendste Beweis durch die Nachlaßkuratorin und ihren Gatten selbst geliefert, welche nach den Feststellungen der Untergerichte das Haus jährlich durch ca 8 Monate bewohnt haben" (S 286), so schlägt auch dies nicht durch. Denn das dringende Wohnungsbedürfnis könnte nur dann verneint werden, wenn das Haus am Wolfersberg nicht nur in der schönen Jahreszeit, sondern auch in den Wintermonaten - in denen die Nachlaßkuratorin und ihr Gatte nach den Feststellungen der Vorinstanzen in der aufgekündigten Wohnung lebten - sogleich bewohnbar gewesen wäre. Daß dies aber in dem allein maßgebenden Zeitpunkt des Todes der Maria M***** (MietSlg 8990, 8991, 8992 ua) in den Wintermonaten mit Rücksicht auf die noch durchzuführenden Arbeiten nicht möglich war, haben die Vorinstanzen aufgrund des festgestellten Sachverhaltes mit Recht verneint.

Schließlich hat das Berufungsgericht gleichfalls frei von Rechtsirrtum angenommen, daß die Frage, "ob Henriette P***** den Schwebezustand hinsichtlich der am 8. 8. 1961 und auch später nicht gegebenen Benützbarkeit der Wohnräume im Hause am Wolfersberg als Jahreswohnung auf lange Sicht ohne Beeinträchtigung ihres Anspruches auf die streitgegenständliche Wohnung werde aufrecht erhalten können", für die Entscheidung des gegenständlichen Streites ohne Bedeutung sei; denn bei der Aufkündigung gemäß § 19 Abs 2 Z 11 MietG sind - wie bereits gesagt wurde - der Beurteilung des dringenden Wohnungsbedürfnisses nur die Verhältnisse im Zeitpunkte des Todes des bisherigen Mieters zugrunde zu legen. Die Aufkündigung wurde aber nur auf § 19 Abs 2 Z 11 MietG gestützt, der Versuch der klagenden Parteien, im Rechtsmittelverfahren auch die Bestimmungen des § 19 Abs 2 Z 13 MietG zugunsten ihres Standpunktes heranzuziehen, mußte mit Rücksicht auf § 21 Abs 1 MietG scheitern.

Somit war der Revision der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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