Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben; die Beschlüsse der Untergerichte werden, soweit damit die Unterbringung der mj. Gertrude W***** in einem Fürsorgeheim angeordnet und die Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf, Jugendamt, angewiesen wird, die Minderjährige der Mutter Margarethe B***** sofort abzunehmen und in ein Fürsorgeerziehungsheim zu überstellen, aufgehoben. Soweit sich der Revisionsrekurs gegen die Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung richtet, wird ihm keine Folge gegeben.
Text
Begründung
Das Erstgericht faßte auf den Antrag der Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf, Jugendamt, als Amtsvormundes, gemäß § 29 JWG über die mj. Gertrude W***** die Fürsorgeerziehung anzuordnen, den Beschluß:
Gertrude W***** werde gemäß § 31 Abs 1 JWG der vorläufigen Fürsorgeerziehung durch Unterbringung in einem Fürsorgeerziehungsheim überwiesen; die Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf, Jugendamt, werde angewiesen, die Minderjährige der Mutter Margarethe B***** sofort abzunehmen und in ein Fürsorgeerziehungsheim zu überstellen. Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung.
Die Untergerichte gingen von den folgenden tatsächlichen Feststellungen aus:
Die am 12. 2. 1951 geborene mj. Gertrude W***** sei die uneheliche Tochter der Margarethe B*****. Letztere sei mit Julius B***** verheiratet. Dieser sei nicht gut beleumundet; er sei mehrfach vorbestraft und äußerst jähzornig. Er habe die Minderjährige und deren im Jahre 1947 geborenen Bruder mj. Rudolf W***** aus geringfügigen Anlässen häufig mit Riemen und Besenstiel derart geschlagen, daß sie Verletzungen aufwiesen. Die Kinder seien aus Angst vor ihrem Stiefvater schon mehrere Male entlaufen. Die Unterbringung der Kinder auf einem Pflegeplatz im Jahre 1960 habe damit geendet, daß die Kinder nach Einwirkung durch die Mutter und den Stiefvater zur Mutter zurückgekehrt seien. Zuletzt sei die mj. Gertrude W***** einmal im Juli 1962 und einmal im September 1962 dem Elternhaus entlaufen, das letzte Mal deshalb, weil ihr Stiefvater sie aus nichtigem Anlaß mit einem Strick habe züchtigen wollen. Sie sei mehrere Tage unterwegs gewesen, habe in einem Heuschober und auf einem Dachboden genächtigt und sich von Feldfrüchten genährt. Sie habe in der Hauptschule versagt und besuche nun wieder die Volksschule. Dort sei sie folgsam und brav, mache aber stets den Eindruck eines freudlosen, ängstlichen und von Furcht erfüllten Lebens. Als Hauptschuld hiefür werde ihr Stiefvater angesehen, nach dessen Schlägen das Kind verschwollen umhergelaufen sei. Das Kind habe in der Schule nur den Wunsch und die Bitte geäußert, von daheim wegzukommen. Der Stiefvater Julius B***** sei mit Urteil des Bezirksgerichtes Jennersdorf vom 8. 5. 1962, U 217/61, wegen Mißhandlung des unehelichen Sohnes seiner Frau mj. Rudolf W***** nach § 411 StG rechtskräftig verurteilt worden. In diesem Strafverfahren hätten die Kinder im Gegensatz zu ihren früheren Angaben vor dem Jugendamt ausgesagt, daß sie von ihrem Stiefvater nicht mißhandelt würden; das Gericht habe diesen Aussagen jedoch keinen Glauben geschenkt und darauf hingewiesen, daß die Minderjährige ganz unter dem Einfluß des Stiefvaters stünden, der seine aufbrausende und unbeherrschte Art selbst vor Gericht nicht habe unterdrücken können. Die Mutter der Minderjährigen stehe vollkommen unter dem Einfluß ihres Mannes und sei offenbar nicht in der Lage und nicht willens, die Kinder vor Mißhandlungen ihres Stiefvaters zu schützen. Die Untergerichte erachteten aufgrund dieser Feststellungen die Voraussetzungen der Fürsorgeerziehung gemäß § 29 Abs 1 JWG (die Notwendigkeit der Anordnung der Fürsorgeerziehung zur Beseitigung geistiger, seelischer und sittlicher Verwahrlosung und das Erfordernis der Entfernung der Minderjährigen aus der bisherigen Umgebung wegen verfehlter Erziehung) als glaubhaft gemacht. Sie gingen von einer für die Minderjährigen bestehenden Gefahr im Verzug aus (§ 31 Abs 1 JWG). Die Maßnahme sei notwendig, nachdem sich die Erziehungshilfe und auch die Unterbringung der Minderjährigen bei Pflegeeltern als nicht zum Erfolg führend erwiesen habe. Der Beschluß des Rekursgerichtes wurde der Mutter der Minderjährigen am 13. 12. 1962 zugestellt. Sie brachte dagegen eine als Revisionsrekurs zu behandelnde Beschwerde direkt an den Obersten Gerichtshof ein, die nach Weiterleitung an das Erstgericht daselbst am 10. 1. 1963 einlangte. Sie hält sich durch alle Punkte der untergerichtlichen Beschlüsse für beschwert, behauptet, daß die tatsächlichen Feststellungen der Untergerichte nicht richtig seien und macht eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens wegen Nichtvernehmung eines Facharztes zur Frage der seelischen Verwahrlosung des Kindes sowie allgemein Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses geltend.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist teilweise begründet.
Der Umstand, daß der Revisionsrekurs erst nach dem Ablauf der 14tägigen Rechtsmittelfrist eingebracht wurde, steht seiner Behandlung nicht im Wege. Für das Verfahren in Fürsorgeerziehungssachen gelten gemäß § 34 Abs 5 JWG die Vorschriften des Verfahrens außer Streitsachen, daher auch die Bestimmung des § 11 Abs 2 AußStrG. Nach dieser Gesetzesstelle bleibt es dem Ermessen des Gerichtes überlassen, auch nach verstrichener Frist auf Beschwerden in denjenigen Fällen Rücksicht zu nehmen, in denen sich die Verfügung noch ohne Nachteil eines Dritten abändern läßt. Unter Dritten sind nur private Rechtssubjekte, nicht auch die Fürsorgeerziehungsbehörde oder andere öffentliche Dienststellen, zu verstehen (1 Ob 576/57, 1 Ob 32/60, 5 Ob 286/60).
Da mit dem Rechtsmittel eine bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes angefochten wird, ist die Bestimmung des § 16 AußStrG anzuwenden. Darnach ist ein Revisionsrekurs gegen eine solche Entscheidung nur wegen offenbarer Gesetz- oder Aktenwidrigkeit oder wegen Nichtigkeit zulässig. Bei der Erledigung dieses Rechtsmittels muß zwischen den einzelnen Verfügungen des erstgerichtlichen Beschlusses, die vom Rekursgericht bestätigt wurden, unterschieden werden.
Soweit die Untergerichte die vorläufige Fürsorgeerziehung anordneten, liegt ein Beschwerdegrund nach § 16 AußStrG nicht vor. Die Bekämpfung der untergerichtlichen Tatsachenfeststellungen durch die Rechtsmittelwerberin ist unzulässig. Auch die wegen Nichtvernehmung eines Facharztes behauptete Mangelhaftigkeit kann mit einem außerordentlichen Revisionsrekurs nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Eine offenbare Gesetz- oder Aktenwidrigkeit und eine Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind in Ansehung der Entscheidung über die vorläufige Fürsorgeerziehung nicht feststellbar. Die Untergerichte haben ihre Entscheidungen rechtlich nach den in Frage kommenden Rechtsvorschriften und hinsichtlich der Anordnung der vorläufigen Fürsorgeerziehung auch im Rahmen derselben begründet. Dem Revisionsrekurs war daher in diesem Punkte ein Erfolg zu versagen.
Hingegen war dem Revisionsrekurs Folge zu geben, soweit durch die untergerichtlichen Beschlüsse die Unterbringung der Mj. in einem Fürsorgeerziehungsheim angeordnet und weiter die Bezirkshauptmannschaft Jennersdorf angewiesen wurde, die Minderjährige der Mutter Margarethe B***** sofort abzunehmen und in ein Fürsorgeheim zu überstellen. Dem Gericht obliegt gemäß den §§ 29 ff JWG lediglich die Anordnung der Fürsorgeerziehung und der vorläufigen Fürsorgeerziehung. Zur Durchführung der Fürsorgeerziehung einschließlich der vorläufigen Fürsorgeerziehung ist die Landesregierung berufen, die auch die Art der Fürsorgeerziehung bestimmt (§ 11 Abs 1 JWG). Es handelt sich hiebei um eine Angelegenheit der Jugendfürsorge, also des öffentlichen Rechts (Erl Bem zur Regierungsvorlage des Jugendwohlfahrtsgesetzes: 140 der Beilagen zu den sten Protokollen des Nationalrates VII. GP). Das auf den vorliegenden Rechtsfall anzuwendende burgenländische Jugendwohlfahrtsgesetz vom 16. 11. 1957, LGBl Nr 2/1958 enthält in den §§ 2 Abs 2 und 28 Abs 1 die entsprechenden Bestimmungen. Die Anordnung von Vollzugsmaßnahmen zur Fürsorgeerziehung oder vorläufigen Fürsorgeerziehung durch das Gericht ist daher unzulässig. Erfolgt sie dennoch, dann liegt eine Nichtigkeit vor. Der Oberste Gerichtshof hatte gemäß § 16 AußStrG die allgemeinen Ausführungen der Rechtsmittelwerberin zu der von ihr behaupteten Gesetzwidrigkeit des angefochtenen Beschlusses, die sich auch gegen die Unterbringung der Minderjährigen in einem Fürsorgeerziehungsheim wenden, im Hinblick auf diese Nichtigkeit zu berücksichtigen.
Dem Revisionsrekurs war daher in Ansehung der angeordneten Vollzugsmaßnahmen teilweise Folge zu geben.
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