Spruch:
Dem Rekurse des Zweitklägers wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss (ON 77, Punkt I) aufgehoben und dem Berufungsgerichte aufgetragen, die Berufung des Zweitklägers meritorisch zu erledigen. Die Rekurskosten sind als weitere Kosten des Berufungsverfahrens zu behandeln;
II) als Revisionsgericht zu Recht erkannt:
Text
Entscheidungsgründe:
Die Erstklägerin fuhr am 25. 1. 1955 gegen 21 Uhr als Lenkerin ihres Personenkraftwagens, in dem sich noch ihr Sohn, der Zweitkläger, befand, auf der Heiligenstädterstraße stadtauswärts. Nach den Klagsbehauptungen geriet die Erstklägerin bei Kilometer 5,3 der Franz Josefs-Bahn auf eine nicht bestreute vereiste Fahrbahnstrecke, kam dort selbst trotz geringer Geschwindigkeit ins Schleudern und prallte mit dem Wagen gegen einen Lichtmast. Dadurch wurden beide Kläger verletzt und der Kraftwagen beschädigt. Wegen dieses Verkehrsunfalls haben beide Kläger die Gemeinde Wien auf Schadenersatz in Anspruch genommen, weil die Instandhaltung der Straße von ihren Organen in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt worden sei. Die Erstklägerin begehrt die Zahlung von 22.601 S 04 g s. A. und der Zweitkläger von 3.250 S s. A. Die beklagte Partei hat den Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Hinsichtlich des näheren Sachverhalts und des bisherigen Ganges des Verfahrens wird zunächst auf den hg. Beschluss vom 31. 5. 1960, 2 Ob 81/60 (ON 55 der Prozessakten) verwiesen. In der Folge hat das Erstgericht das Verfahren ergänzt und mit Urteil ON 72 das Klagebegehren beider Kläger abgewiesen. Ein grobes Verschulden der Organe der beklagten Partei am Unfalle der Kläger sei nicht nachzuweisen; daher müsse mit Klagsabweisung vorgegangen werden, ohne dass auf die Frage des etwaigen Mitverschuldens der Erstklägerin einzugehen sei.
Gegen dieses Ersturteil haben beide Kläger Berufung erhoben und darin das Ersturteil vollinhaltlich bekämpft.
Das Berufungsgericht hat (ON 77, Punkt I) aus Anlass der Berufung des Zweitklägers das diese Partei betreffende Urteil der ersten Instanz vom 30. 12. 1960 und das ihm vorangegangene Verfahren bis einschließlich der Klagszustellung als nichtig aufgehoben und (ON 77, Punkt II) der Berufung der Erstklägerin in der Hauptsache nicht Folge gegeben.
Gegen den Beschluss des Berufungsgerichtes (ON 77/I) richtet sich der Rekurs des Zweitklägers, worin beantragt wird, dem Berufungsgerichte nach Aufhebung des angefochtenen Beschlusses die Entscheidung in der Sache selbst aufzutragen.
Gegen das Berufungsurteil (ON 77/II) richtet sich die Revision der Erstklägerin. Diese macht den Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO geltend und beantragt sinngemäß die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Die beklagte Partei hat die Revision der Erstklägerin bekämpft und beantragt, ihr keine Folge zu geben.
A) Zum Rekurse des Zweitklägers:
Dieser Rekurs ist gemäß § 519 Z 2 ZPO zulässig; denn wenn auch die Vorinstanz im Spruche ON 77/I bloß die Aufhebung des Ersturteils vom 30. 12. 1960 und des ihm vorangegangenen Verfahrens bis einschließlich der Klagszustellung als nichtig ausgesprochen hat, ergibt sich doch aus der Begründung dieser Entscheidung eindeutig als Konsequenz die Zurückweisung der beim Gerichtshof eingebrachten Klage des Zweitklägers.
Der Rekurs ist auch begründet.
Es muss dahin gestellt bleiben, ob die beiden Kläger bloß als formelle Streitgenossen nach § 11 Z 2 ZPO anzusehen sind. Das Berufungsgericht hat nämlich nicht berücksichtigt, dass von ihm selbst auch im Verfahren bezüglich des Zweitklägers zweimal ein Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschluss ergangen ist (ON 24 sowie ON 51; der letzterwähnte Beschluss wurde in dritter Instanz bestätigt:
ON 55), wobei auch hinsichtlich des Zweitklägers die Zuständigkeit des in erster Instanz erkennenden Gerichtshofes im Ergebnis angenommen worden ist. Der nunmehrigen Entscheidung des Berufungsgerichtes hinsichtlich des Zweitklägers steht die bindende Wirkung des Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschlusses (§ 499 Abs 2 ZPO) entgegen, die nicht nur in erster Instanz maßgeblich ist, sondern auch im Berufungsverfahren selbst und auch in dritter Instanz ist diese Bindung zufolge des hg. Beschlusses vom 31. 5. 1960 (ON 55) gegeben. Es widerspräche jeder Prozessökonomie, wenn in diesem Stadium des Verfahrens eine Rechtsmittelinstanz in Widerspruch zu ihrer im vorangegangenen Verfahren inhaltlich der Erledigung zum Ausdruck gebrachten Auffassung die Nichtigkeit des vorangegangenen Verfahrens im Sinne des nunmehr angefochtenen Beschlusses der Vorinstanz aussprechen könnte. Dieser Erledigung des Berufungsgerichtes steht entgegen, dass seine beiden erwähnten Aufhebungs- und Rückverweisungsbeschlüsse zumindest als Verfügung über den weiteren Prozessfortgang anzusehen sind (vgl Novak, Der Spruch Nr 37 neu, JBl 1954, S 350, sowie Novaks Besprechung von 4 Ob 42/61 vom 30. 5. 1961, JBl 1961, S 485 ff).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgerichte aufzutragen, die Berufung des Zweitklägers meritorisch zu erledigen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
B) Zur Revision der Erstklägerin:
Die Revision ist nach der dargestellten Aktenlage zulässig; sie ist jedoch nicht begründet.
Bei der Beurteilung der allein geltend gemachten Rechtsrüge (§ 503 Z 4 ZPO) ist davon auszugehen (vgl den Hinweis auf die ständige Praxis des Revisionsgerichtes im hg. Beschluss vom 31. 5. 1960, 2 Ob 81/60, ON 55 der Prozessakten), dass die beklagte Gemeinde zum Schadenersatz dann verpflichtet ist, wenn ihre Organe die Instandhaltung der Straße grob fahrlässig vernachlässigt haben; dabei ist die Verpflichtung der beklagten Partei zu Schutzvorkehrungen einerseits durch das Verkehrsbedürfnis und andererseits durch die Zumutbarkeit zu begrenzen (vgl zB 2 Ob 112/59 vom 24. 6. 1959, JBl 1959 S 497 f). Unter diesen Gesichtspunkten haben aber beide Vorinstanzen zufolge der nunmehr endgültigen Feststellungen über die Straßenverhältnisse am 25. 1. 1955 die Haftung der in Anspruch genommenen Gebietskörperschaft zutreffend abgelehnt. Die breiten Revisionsausführungen sind nicht geeignet, einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichtes bei der Beurteilung der streitentscheidenden Frage, ob den Organen der beklagten Partei grobe Fahrlässigkeit zur Last falle, darzutun. Die Revisionswerberin lässt den entscheidenden Umstand außer Betracht, dass dem Zustand der Straße, auf der sich der Unfall ereignete, besondere Aufmerksamkeit seitens des Personals des Streudienstes der beklagten Partei und der mit der Warnung dieser Organe bei Glatteisgefahr betrauten Sicherheitswachebeamten geschenkt worden ist. Die Fahrbahn der Heiligenstädterstraße war am 25. 1. 1955 im Wesentlichen vom Schnee gereinigt und trocken. Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf verwiesen, dass die vorhandenen Schneematschflächen in den Tagen vor dem Unfalle keine verkehrsgefährdende Glatteisbildung bewirkt hatten. Die Revisionsausführungen gehen an dem Umstande vorbei, dass die Eisbildung an der Unfallsstelle erst kurz vor 21 Uhr eingetreten ist. Bei diesem Sachverhalte muss mit den Vorinstanzen die Annahme eines groben Verschuldens der Organe der beklagten Partei abgelehnt werden. Somit war der Revision der Erfolg zu versagen.
Der Kostenausspruch zu II) des Spruchs gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision der Erstklägerin wird nicht Folge gegeben. Die Erstklägerin ist schuldig, der beklagten Partei die mit 735 S 08 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
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