OGH 8Os189/61

OGH8Os189/6126.6.1961

Der Oberste Gerichtshof hat unter dem Vorsitz des Rates des Obersten Gerichtshofs Dr. Prinz und in Gegenwart der Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Altmann, Dr. Mayer, Dr. Bröll und Dr. Möller als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Sprung als Schriftführer in der Strafsache gegen Karl D***** wegen des Verbrechens nach den §§ 8, 155a, 523 StG nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung über die Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 28. April 1961, GZ 9 Vr 1447/60-46, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Akten werden an das Oberlandesgericht Graz zur Entscheidung über die vom Angeklagten erhobene Berufung geleitet.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die vom Verteidiger des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts am Sitze des Landesgerichts Klagenfurt vom 8. 3. 1961, GZ 9 Vr 1447/60-37, angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen, da der Angeklagte nach den eindeutigen Feststellungen des Hauptverhandlungsprotokolls auf ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil verzichtet habe und der Verteidiger nicht gegen den Willen des Angeklagten ein Rechtsmittel ergreifen könne.

Rechtliche Beurteilung

In der rechtzeitig gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde führt der Angeklagte aus, dass sowohl er als auch sein Verteidiger berechtigt seien, Erklärungen hinsichtlich der Bekämpfung des Urteils abzugeben. Da aber, so fährt die Beschwerde fort, in diesem Strafverfahren Verteidigerzwang bestanden habe, sei in erster Linie die Erklärung des Verteidigers maßgebend. Dieser aber habe nach Verkündung des Urteils in der Hauptverhandlung Bedenkzeit verlangt und sodann innerhalb der dreitägigen Frist das Rechtsmittel angemeldet. Dabei könne nicht davon gesprochen werden, dass dieses Rechtsmittel gegen den Willen des Angeklagten erhoben worden sei, da dieser schon in der Hauptverhandlung vernommen habe, dass sich sein Verteidiger Bedenkzeit vorbehalten habe; auch habe der Angeklagte nachträglich das Rechtsmittel verlangt, weil er bei der Urteilsverkündung, die um Mitternacht stattgefunden habe, gar nicht mehr in der Lage gewesen sei, mit den Ausführungen des Urteils „mitzukommen“ und eine überlegte Rechtsmittelerklärung abzugeben; knapp vor der Urteilsverkündung sei er nämlich wegen Übermüdung eingeschlafen, er musste zwecks Urteilsverkündung geweckt werden und sei bei dieser so benommen gewesen, dass er das Urteil nicht mehr verstanden habe.

Die Beschwerde erweist sich als unbegründet.

Gewiss ist davon auszugehen, dass eine Rechtsmittelerklärung, soll sie wirksam sein, von einer Person abgegeben werden muss, die zur Zeit der Abgabe dieser Erklärung Herr ihrer Sinne, dh mit anderen Worten fähig war, dem Gange des Verfahrens zu folgen, die erforderlichen Erklärungen abzugeben und die Wirkung und Tragweite dieser Erklärungen zu erkennen. Eine Rechtsmittelerklärung im Zustand der Schlaftrunkenheit konnte unter Umständen diesen Erfordernissen nicht entsprechen.

Aus den vom Obersten Gerichtshof aus Anlass dieser Beschwerde verfügten Erhebungen in der Richtung, ob der Angeklagte in der Lage war, nach Urteilsverkündung eine entsprechende Rechtsmittelerklärung wohlüberlegt abzugeben, ergibt sich eindeutig, dass er das Urteil und sodann die ihm erteilte Rechtsmittelbelehrung durchaus erfasst und insbesondere keine besonderen Ermüdungserscheinungen gezeigt hat, so dass kein Zweifel darüber bestehen kann, dass der Angeklagte wohl wusste, welche Erklärungen er abgab und welche Wirkungen diese Erklärungen haben werden. Hier sei insbesondere auf die Angaben der Mitglieder des Schwurgerichtshofs verwiesen, dass der Angeklagte nach der Urteilsverkündung eingehend über die einzelnen Rechtsmittel, die ihm gegen das Urteil zustehen, belehrt wurde und sodann fragte, wann er aus der Haft entlassen werden würde.

Unter diesen Umständen können weder der Angeklagte noch sein Verteidiger den vom Angeklagten abgegebenen Rechtsmittelverzicht rückgängig machen; die vom Verteidiger eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde, mag dieser auch in der Hauptverhandlung erklärt haben, dass er sich Bedenkzeit vorbehalten wolle, ist daher wirkungslos.

Die Beschwerde verweist auch darauf, dass dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger bestellt worden sei, dessen Aufgabe doch im Wesentlichen darin bestehe, den Verteidigten vor Rechtsnachteilen zu schützen, sodass es klar sei, dass der Erklärung des Verteidigers die ausschlaggebende Bedeutung zukomme.

Auch in diesem Punkt kann den Beschwerdeausführungen nicht gefolgt werden, wie sich aus folgenden Erwägungen ergibt:

Der Verteidiger ist nicht Stellvertreter des Beschuldigten oder Angeklagten, sondern nur dessen Beistand bei der Wahrnehmung seiner Rechte (vgl Roeder, S 118). Der Verteidiger ist kraft des im § 44 StPO festgesetzten gesetzlichen Umfangs seiner Vollmacht berechtigt, ohne, aber nicht gegen den ausgesprochenen Willen des Angeklagten Rechtsmittel einzubringen, dh solange der Angeklagte nicht widerspricht, sind die vom Verteidiger vorgenommenen Prozesshandlungen für den Angeklagten wirksam. Im Fall der notwendigen Verteidigung wird der Verteidiger in der Hauptverhandlung unter Umständen auch Beweisanträge ohne Rücksicht darauf stellen können, ob der Angeklagte einverstanden ist oder nicht (vgl SSt XVII/58).

Doch kann auch bei der notwendigen Verteidigung nicht übersehen werden, dass mit dem ergehenden Urteil die notwendige Verteidigung abgeschlossen ist und der Wille des Angeklagten, soweit es sich um die Abgabe der Rechtsmittelerklärung handelt, wieder zur selbständigen Geltung zu kommen hat. Die notwendige Verteidigung beschränkt sich in diesem Stadium des Verfahrens auf die Ausführung allfälliger angemeldeter Rechtsmittel (vgl hiezu die Ausführungen von S. Mayer zu § 44 StPO).

Es kann daher nicht davon gesprochen werden, dass im Fall einer notwendigen Verteidigung nur der Rechtsmittelerklärung des Verteidigers Bedeutung zukomme und dieser insbesondere trotz Abgabe eines Rechtsmittelverzichts seitens des Angeklagten wirksam Rechtsmittel anmelden und ausführen könne.

Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen. Gemäß dem § 285b Abs 6 StPO waren die Akten nach Abweisung der Beschwerde an das Oberlandesgericht Graz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten weiterzuleiten.

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