OGH 2Ob414/60

OGH2Ob414/6025.11.1960

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Sabaditsch, Dr. Köhler, Dr. Pichler und Dr. Höltzl als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Margarethe E*****, Private, 2) Sofia E*****, Studentin, 3) Arie E*****, Schüler, sämtliche W*****, B*****, vertreten durch Dr. Albert Weinberger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Dr. Helmut R*****, Angestellter, W*****, L*****, 2) Symcha Benno S*****, Kaufmann, W*****, B*****, beide, vertreten durch Dr. Leopold Busch, Dr. Hilde Busch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Zahlung von Monatsrenten von S 2.000,-, S 800,- und S 800,- sowie eines Betrages von S 27.000,- s.A., infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 29. Juli 1960, GZ 3 R 213/60-82, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Teilurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 31. März 1960, GZ 40 Cg 125/57-70, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen bei Exekution die mit S 2.947,49 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen und zwar die Erstklägerin S 1.355,85, die Zweitklägerin S 1.061,10 und der Drittkläger S 530,54.

Text

Entscheidungsgründe:

Markus E***** verunglückte am 19. 8. 1955 als Mitfahrer in einem vom Erstbeklagten gelenkten Personenkraftwagen auf der Rückfahrt von Grimmenstein in Traiskirchen tödlich. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles des Vergehens nach § 335 StG schuldig erkannt. Nach den Klagebehauptungen war Markus E***** der Ehemann der Erstklägerin und Vater der Zweitklägerin und des Drittklägers. Die Kläger begehren vom Erstbeklagten unter Hinweis auf seine rechtskräftige Verurteilung, vom Zweitbeklagten, weil er der Halter des Unfallfahrzeuges gewesen sei, die Zahlung von Renten, die Zweitklägerin auch den Ersatz von Studienkosten. Die Kläger behaupten insbesondere, der Unfall habe sich während einer im Interesse des Zweitbeklagten unternommenen Geschäftsfahrt wegen eines Holzgeschäftes ereignet, bei dem Markus E***** Mitbeteiligter und verantwortlicher Leiter gewesen sei.

Die Beklagten bestritten die Ansprüche nach Grund und Höhe. Neben dem Einwand, die Klägerin sei nicht die Gattin, die Zweitklägerin und der Drittkläger seien nicht Kinder Markus E*****s, wurde insbesondere die Haltereigenschaft des Zweibeklagten bestritten und Haftungsausschluss unter Hinweis auf die Bestimmungen der §§ 898, 899 RVO behauptet. Das Erstgericht wies mit Teilurteil die Klage, soweit sie sich gegen den Zweitbeklagten richtet, ab. Das Urteil beruht im Wesentlichen auf folgenden Feststellungen und Erwägungen:

Die völlige Klärung der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Klägern und dem Getöteten könne auf sich beruhen. Die Erstklägerin selbst habe im Zusammenhang mit einem bei der Angestelltenversicherungsanstalt gestellten Antrag auf Zuerkennung einer Hinterbliebenenrente erklärt, Markus E***** sei vom 1. 7. bis 19. 8. 1955 Angestellter der Firma A***** GesmbH gewesen. Nach einer Auskunft der Wiener Gebietskrankenkasse habe Markus E***** bei dieser Firma S 1.200,- Monatslohn bezogen. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt habe mit rechtskräftigem Bescheid vom 25. 2. 1959 den Tod Markus E*****s als Folge seines Arbeitsunfalles beim Betrieb des Firma A***** anerkannt. Die Frage, ob ein entschädigungspflichtiger Arbeitsunfall vorliege, habe - anders als nach § 901 RVO - gemäß § 356 ASVG das Gericht zu entscheiden. Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des ASVG seien anzuwenden, obwohl sich der Unfall vor dem 1. 1. 1956 ereignet habe. Auch der Umstand, dass Markus E***** an Holzgeschäften gewinnbeteiligt gewesen sei, stehe der Annahme, er sei Angestellter der Firma A***** gewesen, nicht entgegen. Die Behauptung, Markus E***** habe bei der A***** eine Einlage von S 40.000,- gemacht, sei nicht bewiesen, die Hinzunahme Markus E***** zur A***** GesmbH hätten auch einen Notariatsakt erfordert. Ein schriftlicher Vertrag, der nach den Behauptungen der Kläger über die Beteiligung Markus E*****s errichtet worden sei, habe nicht vorgelegt werden können. Die A***** GesmbH sei laut Vertrag vom 14. 2. 1955 von den beiden Beklagten gegründet worden. Dabei habe es sich jedoch um eine Scheingründung gehandelt, weil in Wahrheit der Erstbeklagte überhaupt nicht Gesellschafter gewesen sei. Daraus folge, dass nicht die Firma A***** GesmbH sondern der Zweitbeklagte der wahre Dienstgeber Markus E*****s gewesen sei und dass als Unternehmer nicht eine juristische Person, sondern der Zweitbeklagte in Frage komme, weil der ihm allein gehörige Betrieb auf seine Rechnung gegangen sei. Das Unfallsfahrzeug habe für Geschäftszwecke der A***** GesmbH gedient, nach dem Zulassungsschein sei der Zweitbeklagte als Fahrzeughalter geführt worden. Zwar sei durch Urkunden dargetan, dass die Verfügungsberechtigung der A***** GesmbH zugestanden sei, die auch die Kosten für das Fahrzeug getragen habe. Die A***** sei aber nur der vorgeschobene Strohmann für den wahren Unternehmer, nämlich den Zweitbeklagten, gewesen. Was für die Beurteilung des Zweitbeklagten als Unternehmer gelte, gelte auch für die Frage der Haltereigenschaft. Als Unternehmer sei der Zweitbeklagte den Klägern mangels Feststellung, dass er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe, nach § 898 RVO nicht haftbar. Da sich der Unfall aber im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der versicherungspflichtigen Tätigkeit Markus E*****s ereignet habe, sei der Zweitbeklagte auch von der Haftung im Sinne des Art IV EVzKfVerkG befreit.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es übernahm wie alle übrigen Feststellungen auch jene auf welche das Erstgericht seine Annahme gründete, dass Markus E***** Angestellter der Firma A***** gewesen sei und in dieser Eigenschaft die Unfallsfahrt unternommen habe. Auf Grund des Bescheides der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 25. 2. 1959 stehe mit für das Zivilgericht bindender Wirkung fest, dass dem Markus E***** gegenüber die Firma A***** GesmbH Unternehmer gewesen sei. Für die Erwägungen des Erstgerichtes, es habe sich um eine Scheingründung gehandelt, habe kein Raum bestanden. Mangels Unternehmereigenschaft des Zweitbeklagten wäre er haftungsfrei nur dann, wenn er Bevollmächtigter, Repräsentant, Betriebs- oder Arbeitsaufseher der Firma A***** gewesen wäre. Dies sei nicht festgestellt. Die Voraussetzungen für die Haftungsbefreiung des Beklagten nach §§ 898 f RVO seien daher nicht gegeben. Für die Kläger sei damit aber nichts gewonnen. Die Haftung des Zweitbeklagten für das Verschulden des Erstbeklagten nach Art IV EVzKraftfVerkG oder § 7 KfzVerkG setze seine Haltereigenschaft voraus. Das Fahrzeug sei für Geschäftszwecke der Firma A***** verwendet worden, der auch die Verfügungsberechtigung über den Wagen zugestanden sei und die auch die Kosten und Auslagen getragen habe. Daher sei sie und nicht der Zweitbeklagte Fahrzeughalter.

Dieses Urteil bekämpfen die Kläger mit Revision wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuweisen, oder es dahin abzuändern, dass der Klage gegenüber dem Zweitbeklagten dem Grunde nach Folge gegeben werde.

Der Zweitbeklagte beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens erblickt sie im Wesentlichen darin, dass das Berufungsgericht in der Frage, ob Markus E***** Kompagnon des Zweitbeklagten und ob dieser der Fahrzeughalter gewesen sei, keine Beweise aufgenommen und vorliegende Beweisergebnisse nicht verwertet habe.

Da das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich übernommen hat - das Vorliegen von Verfahrensmängeln in erster Instanz haben die Kläger in ihrer Berufung nicht behauptet -, ist die Entscheidung darüber, ob eine Beweiswiederholung oder -ergänzung erforderlich ist, ein Akt der im Revisionsverfahren nicht mehr anfechtbaren Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes. Auch der Vorwurf, das Berufungsgericht habe den Vorakt 30 Cg 68/56 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien, in dem Erst- und Berufungsgericht die Haltereigenschaft des Beklagten angenommen haben, nicht gewürdigt, ist ebenso wie die sonstige Wiederholung der für die Haltereigenschaft des Zweitbeklagten sprechenden Umstände ein Angriff auf die Beweiswürdigung. Wenn die Revision wiederholt geltend macht, dass die Unglücksfahrt im Rahmen des Holzgeschäftes lag und dass der Verunglückte hinsichtlich dieser Geschäftssparte Kompagnon des Zweitbeklagten war, dann ist ihr zu erwidern, dass sich das Erstgericht mit dem Ausdruck "Kompanieverhältnis", den der Zweitbeklagte als Zeuge im Vorprozess verwendete, ausführlich auseinander gesetzt hat, mit dem Ergebnis, dass Markus E***** an den Holzgeschäften lediglich gewinnbeteiligt war. Was schließlich die Ausführungen zur Mängelrüge in Bezug auf die vom Erstgericht bejahte, vom Berufungsgericht verneinte Haltereigenschaft des Zweitbeklagten anlangt, so greifen die Revisionsausführungen zur Mängelrüge auch in diesem Belang lediglich die Beweiswürdigung an.

In rechtlicher Beziehung kann der Ansicht des Berufungsgerichtes über die Bindung des Zivilgerichtes an den Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 25. 2. 1959 nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof hat schon in der Entscheidung vom 25. 6. 1958, SZ XXX 53, mit ausführlicher Begründung ausgesprochen, dass die Bestimmung des § 901 Abs 1 RVO auf nach dem Wirksamkeitsbeginn des ASVG am 1. 1. 1956 ergehende Entscheidungen von Sozialversicherungsbehörden nicht angewendet werden kann, weil diese Behörden gemäß § 535 ASVG auf Verfahren, die am 1. 1. 1956 anhängig waren, die Bestimmungen des ASVG anzuwenden haben, diese Entscheidungen daher nicht mehr in einem Verfahren nach der RVO im Sinne des § 901 Abs 1 RVO ergangen sein können. Es besteht kein Anlass, von dieser Auffassung, an der auch in jüngster Zeit festgehalten wurde (zB 2 Ob 258/60), im vorliegenden Fall abzugehen. Lediglich die materiellrechtlichen Bestimmungen der RVO kommen hier zur Anwendung, weil sich der Unfall vor dem 1. 1. 1956 zugetragen hat.

Ausgehend von den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen muss auch deren Ansicht, Markus E***** sei Angestellter gewesen, gebilligt werden. Es ergibt sich weiter, dass eine Haftung des Zweitbeklagten nach der Vorschrift des § 898 RVO nicht in Frage kommt. Durch die Gründung der in Wahrheit dem Zweitbeklagten allein gehörige Firma A***** GesmbH wurde an Stelle des Zweitbeklagten als des wirklichen Unternehmers ein Strohmann vorgeschoben. Die daraus folgende Nichtigkeit hat die Wirkung, dass der wirkliche Unternehmer und nicht der Strohmann als Unternehmer gilt (Geigel, Der Haftpflichtprozess9, S 523). War der Zweitbeklagte Unternehmer, dass wäre er in dieser Eigenschaft zum Ersatz des Unfallsschadens nur verpflichtet, wenn strafgerichtlich festgestellt worden wäre, dass er den Unfall vorsätzlich herbeigeführt habe. Dies ist jedoch nicht einmal behauptet worden. Wird aber die Unternehmereigenschaft des Zweitbeklagten bejaht, dann erübrigt sich eine weitere Prüfung unter dem Gesichtspunkt des § 899 RVO.

Was die Haltereigenschaft des Zweitbeklagten anbelangt, so hat das Erstgericht festgestellt, dass der Zweitbeklagte nach dem Zulassungsschein als Halter geführt wurde. Dass der Wagen sein Eigentum war, hat er - zumindest ausdrücklich - nie bestritten (vgl das Vorbringen im Schriftsatz ON 31 und in der Revisionsbeantwortung). Gewiss kommt es für die Feststellung der Haltereigenschaft nicht entscheidend auf Rechtsbegriffe und daher auch nicht darauf an, wer Eigentümer des Fahrzeuges ist. Ausschlaggebend sind vielmehr die tatsächlichen Merkmale, nämlich wer das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und die Verfügungsgewalt besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Treffen aber Eigentum, Zulassung und Haftpflichtversicherung in einer Person zusammen, dann muss deren Haltereigenschaft gefolgert werde, wenn nicht erhebliche Gründe entgegenstehen (Mueller, Straßenverkehrsrecht 21, S 228). Als solche kommen vorliegend die Tatsachen in Betracht, dass die Betriebskosten von der Firma A***** getragen wurden und dass das Fahrzeug nach der Aktenlage nicht vom Zweitbeklagten, sondern vom Erstbeklagten (und von Markus E*****) benützt wurde. War die Gründung der A***** GesmbH eine Scheinkonstruktion und war in Wahrheit der Zweitbeklagte der alleinige Unternehmer, dann hat auch er und nicht die Firma A***** die Betriebskosten getragen. Da der Wagen für die Zwecke der Firma A***** benützt wurde, hat angesichts der festgestellten Scheingründung jedenfalls der Zweitbeklagte, der an dem Betrieb des Fahrzeuges ein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte, Nutzen aus diesem Betrieb gezogen. Was aber die Verfügungsgewalt, dh die rein wirtschaftliche Herrschaft über das Fahrzeug (2 Ob 391/58) anlangt, so muss dies nicht immer auch dauernd praktisch betätigt werden. Keinesfalls geht die Verfügungsgewalt dadurch verloren, dass man den Gebrauch des Fahrzeuges einen Dritten überlässt (Geigel, aaO, S 297). Der Oberste Gerichtshof kommt daher abweichend vom Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass der Zweitbeklagte als Halter anzusehen ist. Für die Kläger ist aber auch damit nichts gewonnen. Denn die §§ 898 f RVO schließen die Haftung aus allen Haftungsgründen des bürgerlichen und öffentlichen Rechts aus, also auch die Haftung nach den Haftpflichtbestimmungen des Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen vom 5. 3. 1900, DRGBl S 437 (SZ XXIII 30; Geigel, aaO S 525; Müller, aaO S 290).

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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