OGH 2Ob30/60

OGH2Ob30/6012.2.1960

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Elsigan als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Köhler, Dr. Berger, Dr. Pichler und Dr. Höltzel als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paula L*****, vertreten durch Dr. Hans Paternioner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1) Hubert R*****; 2) Ernst E*****; 3) Max M*****; 4) Franz H*****, alle vertreten durch Dr. Gustav Horny und Dr. G. Hammerschlag, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen restl. 15.000 S s. A. bzw 31.540 S 90 g s. A. und Leistung einer Rente infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16. Oktober 1959, GZ 4 R 132/59-40, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 20. Mai 1959, GZ 4 Cg 45/58-33, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Es wird keiner der beiden Revisionen Folge gegeben. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 299 S 32 g binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat am 6. 9. 1957 als Fußgängerin auf der Völkermarkter-Straße in Klagenfurt einen Verkehrsunfall erlitten, für dessen Folgen ihr aus Verschulden bzw. nach Art IV EinfVzKraftVerkG die Beklagten zur ungeteilten Hand schadenersatzpflichtig sind. Das Erstgericht hat die Beklagten zur ungeteilten Hand verurteilt, der Klägerin den Betrag von 48.035 S 50 g s.A. sowie vom 1. 9. 1958 bis 31. 3. 31959 eine monatliche Rente von 900 S 50 g und vom 1. 4. 1959 bis auf weiteres, längstens aber bis 1. 8. 1960, eine monatliche Rente von 1.126 S 20 g zu bezahlen, und das Mehrbegehren - im Spruche nicht ziffernmäßig bezeichnet - abgewiesen. Zugleich hat das Erstgericht antragsgemäß festgestellt, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand der Klägerin für alle aus dem Unfall vom 6. 9. 1957 künftig noch entstehenden Schäden haften. Im Betrage von 48.035 S 50 g ist ein Schmerzengeld von 35.000,-- S enthalten (die Klägerin hatte aus diesem Titel restliche 60.000,-- S begehrt, nachdem ihr vom Strafgerichte an Schmerzengeld 500,-- S zuerkannt worden waren), des weiteren die Beträge von 4.931 S 40 g und 6.609 S 50 g, zusammen also 11.540 S 90 g, an Ersatz des Verdienstentgangs.

Gegen das Ersturteil haben beide Teile Berufung erhoben. Die Klägerin suchte damit die Zuerkennung eines Betrages von 60.000,-- S an Schmerzengeld zu erreichen, bekämpfte also die Abweisung des Mehrbegehren pcto. 25.000,-- S. Die Beklagten konzedierten an Schmerzengeld 25.000,-- S, bekämpften also die Verurteilung zur Zahlung des Betrages von 10.000,-- S, und fochten auch die Verurteilung zur Zahlung des Betrages von 11.540 S 90 g hinsichtlich Verdienstentgangsersatzes sowie zur Leistung der obbezeichneten Rente an.

Das Berufungsgericht hat nach teilweiser Beweiswiederholung (ON 39) der Berufung der Beklagten nicht Folge gegeben, der Berufung der Klägerin aber teilweise und das Ersturteil, das im Übrigen unberührt blieb, dahin abgeändert, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung eines weiteren Betrages von 10.000,-- S s.A. an die Klägerin verurteilt wurden. Im Gegensatze zum Erstgerichte fand das Berufungsgericht ein Schmerzengeld von 45.000,-- S für angemessen. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richten sich die Revisionen beider Teile: die Klägerin ficht aus dem Revisionsgrunde des § 503 Z 4 ZPO die Abweisung des Mehrbegehrens von 15.000,-- S Schmerzengeld an und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, dass ihr weitere 15.000,-- S s.A. zuerkannt werden; die Beklagten machen die Revisionsgründe des § 503 Z 3 und 4 ZPO geltend und fechten daraus das Urteil der zweiten Instanz insoweit an, als ihrer Berufung gegen das Ersturteil nicht Folge, der Berufung der Gegnerin aber Folge gegeben worden sei; beantragt wird die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Rückverweisung der Sache an die Vorinstanz oder - sinngemäß - die Abänderung des Urteils der zweiten Instanz dahin, dass das Klagebegehren im Umfange der Anfechtung des Urteils des Berufungsgerichtes abgewiesen werde.

Jeder Teil hat die Revision seines Prozessgegners bekämpft und beantragt, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionen sind nach der dargestellten Aktenlage zulässig (vgl JB.Nr. 56 neu), sie sind jedoch nicht begründet.

Zu dem von den beklagten Parteien geltend gemachten Revisionsgrunde des § 503 Z 3 ZPO:

Als aktenwidrig oder doch zumindest ohne Grundlage im Verfahren wird die Feststellung gerügt, dass die Klägerin ohne den Unfall die ihr unter dem Gesichtspunkte des Ersatzes des Verdienstentganges zuerkannten Beträge verdient hätte oder verdienen hätte können. Diese Rüge bedeutet aber nichts anderes als eine in dritter Instanz nach der Regelung des § 503 ZPO unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung des Berufungsgerichtes. Denn das Berufungsgericht als letzte Tatsacheninstanz hat die Feststellungen der ersten Instanz in diesem Punkte übernommen und diese Feststellungen auf Grund der in der Berufungsverhandlung vorgenommenen Beweiswiederholung dahin ergänzt, dass die Klägerin bereits seinerzeit als Schankkassierin im Bahnhofrestaurant des Felix B***** in Graz beschäftigt gewesen sei und während der Verbringung eines kurzen Arbeitsurlaubes schon vor dem Verkehrsunfalle vom 6. 9. 1957 den Entschluss gefasst habe, auf den Dienstposten bei Felix B***** in Graz zurückzukehren, falls sie keine leichtere Arbeit mit dem gleichen Lohn (wie früher bei dem Genannten) finde; zugleich haben die Untergerichte festgestellt, dass die Klägerin ohne die Folgen dieses Verkehrsunfalles jederzeit wieder die Möglichkeit gehabt hätte, bei B***** als Schankkassierin unterzukommen, und zwar zu den nämlichen Bedingungen, unter denen sie bis vor ihrem am 7. 5. 1957 beginnenden Krankenstand bei diesem Dienstgeber gearbeitet hatte. Der Revisionsgrund des § 503 Z 3 ZPO liegt demnach nicht vor.

Zu dem von beiden Streitteilen geltend gemachten Revisionsgrunde des § 503 Z 4 ZPO:

Nach den Ausführungen der Rechtsrügen stehen auf der Grundlage der vorinstanzlichen Tatsachenfeststellungen, die in dritter Instanz maßgeblich geblieben sind, zwei Fragen zur Erörterung, nämlich 1) jene nach der Berechtigung des Zuspruches an Ersatz des Verdienstentganges (in dieser Hinsicht liegt eine Rüge der Beklagten vor) und 2) die Frage nach der Bemessung des Schmerzengeldes (zu diesem Punkte ist die vorinstanzliche Entscheidung in dem oben bezeichneten Umfange von beiden Parteien bekämpft). zu 1):

Die Beklagten bekämpfen die Zuerkennung einer "abstrakten Rente" und führen aus, dass der Verdienstentgangsersatzanspruch der Klägerin zur Voraussetzung gehabt hätte, dass diese zur Zeit der Verletzung in einem Erwerb gestanden wäre; in diesem Zusammenhange wird auf den Versorgungsanspruch der Klägerin nach ihrem verstorbenen Gatten verwiesen und schließlich vorgebracht, dass die Beurteilung der Untergerichte zumindest hinsichtlich des Umfanges der der Klägerin unter diesem Titel zuerkannten Beträge unrichtig sei, weil - zu Unrecht - angenommen worden sei, dass die Klägerin - ohne Unfallsfolgen - einen mit ihrer früheren Tätigkeit gleichartigen Erwerb "mit einem gleichartigen Einkommen" wieder erhalten hätte. Diese Rüge bedeutet in ihrer Gesamtheit keineswegs die gesetzmäßige Ausführung des Revisionsgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO), weil darin nicht die maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen des Berufungsgerichtes berücksichtigt worden sind. Denn es ist festgestellt, dass die Klägerin nur aus Erholungsrücksichten eine Arbeitspause eingeschaltet hatte und - ohne Unfall - bereits in nächster Zeit wieder eine Arbeit angenommen hätte, da ihr Renteneinkommen für ihren Lebensbedarf nicht ausgereicht hätte; des weiteren ist festgestellt, dass sie - mangels einer für sie günstigeren Arbeitsgelegenheit - ohne weiteres bei ihrem früheren Dienstgeber B***** als Schankkassierin zu jenen Bedingungen unterkommen hätte können, zu denen sie bereits bis vor ihrem Krankenstand (beginnend mit 7. 5. 1957) gearbeitet hatte. Bei diesem Sachverhalte kann der dargelegten Rechtsrüge der Revisionswerber, die gegen die ziffernmäßigen Ansätze der Untergerichte pcto. Verdienstentgangersatz überhaupt nichts vorbringen, kein Erfolg beschieden sein.

zu 2):

Nach den vorinstanzlichen Feststellungen hat die zur Zeit des Verkehrsunfalles (6. 9. 1957) im 48. Lebensjahre stehende Klägerin durch den Unfall folgende Verletzungen erlitten: einen zersplitterten Beckenbruch rechts mit einem mächtigen Hämatom, eine Prellung am linken Arm, einen Schienbeinbruch rechts, Rißquetschwunden am rechten Sprunggelenk und Hautabschürfungen. Die Klägerin stand wegen dieser Verletzungen zunächst vom 6. 9. 1957 bis 19. 12. 1957 und hierauf wiederum vom 19. 2. 1958 bis 29. 5. 1958 in stationärer Krankenhausbehandlung. In der Zwischenzeit, nämlich vom 3. 1. bis 19. 2. 1958, stand sie bei dem Grazer Arzt Dr. Egon P***** in Behandlung, der Kurzwellen- und Röntgenbestrahlungen durchführte und die Klägerin mit Heißluft behandelte, um die Schmerzen zu lindern, jedoch ohne Erfolg, so dass die Klägerin neuerlich in Spitalsbehandlung treten musste. Während der Behandlung durch Dr. P***** trat bei der Klägerin vorübergehend eine - durch die starken Schmerzen ausgelöste - Blaseninkontinenz auf. Während des erwähnten zweiten Spitalsaufenthaltes wurden der Klägerin in zeitlichen Abständen acht sehr schmerzhafte Infiltrationen gegeben, um die Schmerzen im Hüftgelenk zu vermindern und die Verschlechterung dieses Krankheitsbildes zu verhüten. Nach der Begutachtung das ärztlichen Sachverständigen, der die Vorinstanzen gefolgt sind, ist durch den Verkehrsunfall der Klägerin der Oberschenkelkopf im Hüftgelenk ins Zentrum des Pfannendaches gepresst und dieses dadurch zertrümmert und in breitem Ausmaß gegen das kleine Becken verschoben worden. Infolgedessen liegt der Oberschenkelkopf wesentlich tiefer im Hüftgelenk als normal. Während die übrigen Verletzungen inzwischen abgeheilt sind, ist das durchgebrochene Pfannendach an seiner nicht in Normalstellung befindlichen Lage knorpelig mit dem übrigen Pfannendach verwachsen. Bei dieser Verknöcherung der Hüfte ist durch das dauernde Reiben des Schenkelkopfes an den Unregelmäßigkeiten der Gelenkspfanne eine arthritische Veränderung und Brandbildung eingetreten, welche der Klägerin empfindliche Schmerzen verursacht. Der Zustand der rechten Hüfte ist als Dauerschaden zu werten, die Verkürzung des Beines unter einem Zentimeter ist nicht wesentlich, da der Körper bei einer derartigen Verkürzung den Ausgleich selbst schafft. Es besteht die Möglichkeit, die beim Unfall beschädigte Hüfte durch eine Arthrodese schmerzfrei zu machen; vom fachärztlichen Standpunkte aus ist eine Arthrodese als große, mit besonders großen Schmerzen verbundene Operation anzusehen und mit Rücksicht auf die Schwere des Eingriffes der Klägerin gegen ihren Willen nicht zumutbar. Für den Fall der Vornahme der Arthrodese träte eine bleibende Versteifung des Hüftgelenkes ein, die mit einer Erwerbsminderung der Klägerin am allgemeinen Arbeitsmarkt von 30 % verbunden wäre. Auch ohne Vornahme einer solchen Operation ist im Verlaufe der Zeit mit einer Arthrose und infolgedessen mit einer bleibenden Versteifung des rechten Hüftgelenkes zu rechnen. Zusammengefasst sind bei der Klägerin sehr starke Schmerzen durch 2 bis 3 Tage, starke Schmerzen durch 8 bis 10 Tage, mittlere Schmerzen durch rund 2 Wochen, leichte Schmerzen durch 12 bis 14 Wochen und dann noch zeitweise leichte Schmerzen, insbesondere bei Witterungswechsel und Anstrengung, anzunehmen.

Bei diesem Sachverhalte hat das Erstgericht das Schmerzengeld mit 35.000,-- S bemessen, das Berufungsgericht aber mit 45.000,-- S, wobei darauf hingewiesen wurde, dass die von der Klägerin erlittene Hüftgelenksverletzung außerhalb der Norm und unbehebbar sei, dass die Klägerin gehbehindert sei und sich dies alles auf das Gemütsleben und das Nervensystem der Klägerin nachteilig auswirke; das Berufungsgericht hat insbesondere noch das Auftreten von zeitweisen und unregelmäßigen leichten Schmerzen bis zum Lebensende der Klägerin berücksichtigt.

Keines der von den beiden Revisionen gegen die Ausmittlung des Schmerzengeldes mit - restlich - 45.000,-- S seitens des Berufungsgerichtes vorgetragenen Argumente (die Klägerin sucht ein Schmerzengeld von 60.000,-- S zu erreichen, während die Beklagten unter diesem Titel bloß 25.000,-- S konzedieren) greift durch. Denn es kommt immer auf die besonderen Verhältnisse des einzelnen Falles an und es ist auch nicht richtig, dass die Bemessung der zweiten Instanz im vorliegenden Falle von der Ausmittlung des Schmerzengeldes in ähnlichen Fällen wesentlich abweicht. Wenn die Beklagten darauf verweisen, dass die Vornahme der oben erwähnten Arthrodese den Zustand der Klägerin günstiger gestalten könnte, dann ist aus dem von den Vorinstanzen festgestellten Sachverhalte zu berücksichtigen, dass diese Operation die Klägerin zwar schmerzfrei machen könnte (abgesehen von den mit der Operation verbundenen Schmerzen und den schmerzhaften Nachwirkungen dieser Operation), dass aber die Operation eine bleibende Versteifung des Hüftgelenkes, gleichbedeutend mit einer 30%igen Erwerbsminderung, unmittelbar zur Folge hätte. Nicht jede Operation ist einem Geschädigten unzumutbar, wenn aber die Vorinstanzen auf der Grundlage des ärztlichen Sachverständigengutachtens die Unzumutbarkeit der Vornahme der erwähnten Operation angenommen haben, dann bedeutet die zu diesem Punkte erhobene Rechtsrüge der Beklagten nichts anderes als eine im Revisionsverfahren unzulässige Bekämpfung des Sachverständigengutachtens, dem die Untergerichte als Tatsacheninstanzen ohne Verletzung der Denkgesetze und ohne Außerachtlassung wesentlicher Verfahrensergebnisse gefolgt sind (vgl. zB SZ XXII 126). Es kann aber auch der Rechsrüge der Klägerin kein Erfolg beschieden sein, weil das Berufungsgericht durch die Erhöhung des Schmerzengeldbetrages um 10.000,-- S gegenüber der Entscheidung der ersten Instanz alle Umstände berücksichtigt hat, die die Klägerin vorgebracht hatte. In der Festsetzung des Schmerzengeldes mit 45.000,-- S seitens der Vorinstanz ist also die von beiden Teilen gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache nicht zu erkennen.

Somit war keiner der beiden Revisionen Folge zu geben. Der Ausspruch über die Revisionsverfahrenskosten gründet sich auf die §§ 50, 43 ZPO; der Klägerin waren im Hinblick auf den verschiedenen Umfang der Anfechtung der vorinstanzlichen Entscheidung durch die Streitteile die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung abzüglich jener der Revisionsbeantwortung ihrer Gegner gegenüber den Beklagten zuzuerkennen.

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