OGH 2 Ob 647/56

OGH2 Ob 647/5620.2.1957

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Ullrich als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofs Dr. Lenk, Dr. Bistritschan und Dr. Köhler sowie den Rat des Oberlandesgerichts Dr. Hammer als Richter in der Rechtssache der Antragsteller A* und T*, vertreten durch Dr. Max Kristl, Rechtsanwalt in Radkersburg, wider die Antragsgegner K* und R*, vertreten durch Dr. Theodor Kern, Rechtsanwalt in Feldbach, wegen Einräumung eines Notwegs, infolge Revisionsrekurses der Antragsteller gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 22. September 1956, GZ 3 R 842/56‑14, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Radkersburg vom 10. August 1956, GZ Ns 44/56‑9, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1957:0020OB00647.56.0220.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragsteller sind schuldig, den Antragsgegnern die mit 12 S bestimmten Kosten der Äußerung über den Revisionsrekurs binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

 

Begründung:

Das Erstgericht ist von folgendem Sachverhalt ausgegangen: In der Katastralgemeinde D* liegen die den Antragstellern gehörigen Grundstücke 704, 705 und 706 und die den Antragsgegnern gehörigen Grundstücke 703 und 670 zwischen öffentlichen Wegen, nämlich zwischen dem Grundstück 1287, dem oberen Weg (im Süden) und dem Grundstück 1288, dem unteren Weg (im Norden). Die Grundstücke 703 (das westliche Grundstück), 704 und 705 (das östliche Grundstück) senken sich vom oberen Weg zu einer von einem Bach durchflossenen, teilweise sumpfigen Mulde. Sie sind in ihrem oberen Teil Äcker, in ihrem unteren Teil saure Wiesen. Das Grundstück 706 liegt am unteren Ende des Grundstücks 705 in der Mulde am Bachufer ohne gemeinsame Grenze mit einem öffentlichen Weg und ist zur Gänze eine saure Wiese, ebenso wie das Grundstück 670, das durch den Bach vom Grundstück 703 getrennt ist und sich vom Bach etwas nach aufwärts bis zum unteren Weg erstreckt. Der Wert des von den Antragstellern von ihren Wiesen in der erwähnten Mulde jährlich gewonnenen Hauses beträgt ca 230 bis 240 S. Der Ausfall, den die Antragsteller zB bei Maisbepflanzung ihrer Äcker in einem Jahr durch Aussparung eines 2 m breiten Zufahrtsstreifens vom oberen Weg durch ihre Ackerfläche zu ihren Wiesen erleiden würden, betrüge 280 bis 400 S. Durch das zweimalige Fahren jährlich von den Wiesen der Antragsteller zum unteren Weg über die Wiesen der Antragsgegner würden diese einen Schaden von 12 S im Jahr erleiden.

Das Erstgericht hat im Sinne des gestellten Antrags zum Zwecke der Verbindung des Grundstücks 706 sowie der dem oberen Weg abgekehrten Teile der Grundstücke 704 und 705 mit dem unteren Weg einen Notweg, bestehend aus der Dienstbarkeit des Fahrwegs, über die Grundstücke 670 und 703 eingeräumt. Über Rekurs der Antragsgegner hat das Rekursgericht in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung den Antrag auf Einräumung dieses Notwegs abgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragsteller ist nicht berechtigt.

In ihrem Antrag habe die Antragsteller vorgebracht, dass ihnen das verfahrensgegenständliche Wegerecht ohnehin als von ihnen ersessene Dienstbarkeit zustehe, dass sie auch die Klage auf Feststellung dieser Dienstbarkeit eingebracht und nur vorläufig von der Fortführung des Rechtsstreits Abstand genommen haben (S 2, 69). Schon dieses Vorbringen schließt die Einräumung eines Notwegs aus. Denn die Einräumung eines Notwegs setzt nach § 1 Abs 1 NotwegeG voraus, dass noch keine Wegverbindung – auch nicht aufgrund einer ersessenen Dienstbarkeit – besteht. Der Servitutsberechtigte kann der actio confessoria nicht durch Antrag auf Einräumung eines Notwegs ausweichen (7 Ob 242/55).

Wenn auch grundsätzlich daran festzuhalten ist, dass eine Wegverbindung, deren Benützung den ganzen Ertrag der Grundstücke, zu deren Nutzbarkeit sie dienen soll, aufzehrt oder gar übersteigt, aus dem Gesichtspunkt des § 2 Abs 2 NotwegeG nicht in Betracht kommen, geschweige als hinlänglich angesehen werden kann, da ohne den angestrebten Notweg notwendig die Grundstücke geradezu wirtschaftlich unbenützbar wären, ebenso, als bestünde überhaupt keine Wegverbindung zwischen den Grundstücken und dem allgemeinen Wegenetz, einem solchen Zustand aber durch das Notwegegesetz abgeholfen werden soll (GlUNF Nr 72), bedarf dies doch einer im vorliegenden Fall platzgreifenden Einschränkung. Die Einräumung eines Notwegs stellt einen einschneidenden Eingriff in das Eigentumsrecht dar und die Bestimmung des Notwegegesetzes, wie ua gerade die eben bezogene Vorschrift des § 2 Abs 2 dieses Gesetzes, lassen erkennen, dass die Einräumung eines Notwegs nur dort gerechtfertigt erscheint, wo sie der einzige Weg zur Wahrung wichtiger Interessen ist (vgl ähnlich 7 Ob 73/56). Wird erwogen, dass der festgestellte, verhältnismäßig geringfügige Jahresertrag an Heu von den Wiesen der Antragsteller ohne Weiteres nach Aberntung der Äcker der Antragsteller zur oberen Straße gebracht werden kann, wenn die Bebauung dieser Ackerflächen diese Verbringung schon nicht früher gestatten sollte, bis dahin aber das Heu (wie dies in Österreich in vielen Orten bis in den Winter geschieht) in zu diesem Zweck leicht zu schaffenden Vorrichtungen trocken aufbewahrt werden kann, verbietet sich die Annahme eines wichtigen Interesses, das nur durch die Einräumung des Notwegs gewahrt werden könnte. Ein Eigentümer, der eine größere Grundfläche landwirtschaftlich nutzen kann, muss schließlich in der Regel für Verbindungswege innerhalb dieser Fläche sorgen, auch wenn ihm dadurch landwirtschaftlich nutzbarer Boden verloren geht, und kann dieser Notwendigkeit nicht durch Anstrebung von Notwegen, die von außen an seinem Grundbesitz heranführen, ausweichen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Abs 1 NotwegeG. Vertretungskosten können nicht zuerkannt werden.

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