OGH 2Ob626/55 (2Ob627/55)

OGH2Ob626/55 (2Ob627/55)23.11.1955

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Ulrich als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichshofes Dr. Bistritschan, Dr. Elsigan und Dr. Lenk sowie den Rat des Oberlandesgerichtes Dr. Köhler als Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Kurt T*****, vertreten durch Dr. Jos. H. Gromanek, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagten Parteien 1) Rudolf P*****, vertreten durch Dr. Alfons Müller, Rechtsanwalt in Salzburg,

2) Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien I., Rosenbursenstr. Nr. 1, wegen 280.000 S s.A. infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 22. Juni 1955, GZ 1 R 167/55 (1 R 177/55-62), womit infolge Berufung der klagenden und beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 10. Dezember 1954, GZ 2 Cg 1036/53-65 (2 Cg 290/54-65), teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

Der Revision der Republik Österreich gegen den Punkt 2.) des Urteiles des Oberlandesgerichtes Linz ONr. 62 wird nicht Folge gegeben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens wird dem Endurteile vorbehalten.

Der Revision des Erstbeklagten Rudolf P***** gegen den Punkt 1.) des Urteiles des Oberlandesgerichtes Linz ONr. 62 wird Folge gegeben; dieser Punkt des Urteils wird aufgehoben und es wird die Rechtssache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Auf die Kosten des Revisionsverfahrens wird als Kosten des Berufungsverfahrens Bedacht zu nehmen sein.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Republik Österreich als Eigentümerin des Residenzgebäudes in Salzburg beauftragte im Sommer 1950 den Stadtbaumeister Rudolf P***** mit der Instandsetzung der Kamine auf diesem Gebäude. Da es sich nach Ansicht der zuständigen Bundesgebäudeverwaltung in Salzburg nur um Instandsetzungsarbeiten an hofseitig gelegenen Kaminen handelte, suchte sie weder um eine Baubewilligung an noch erstattete sie eine Anzeige bei der Gemeinde (Baupolizei) im Sinne des § 27 Abs. 1 der Salzburger Bauordnung.

Unter den Kaminen befand sich auch einer auf dem Dach des als Dombögen bezeichneten Gebäudetraktes, unter dem die Straße vom Domplatz zur Hofstallgasse durchführt. Das Dach dieses Traktes fällt in einer Neigung von 25 Grad ostseitig zum Domplatz, westseitig aber an der Stelle, wo der Kamin steht, infolge einer Dachverschneidung zur Hofstallgasse ab. Der Kamin selbst steht auf der Westseite, 80 cm vom Dachfirst entfernt und überragt diesen um ungefähr ein Meter. Bei Durchführung der Instandsetzungsarbeiten an diesem Kamin wurde dieser eingerüstet, zur Sicherung gegen das Herabfallen von Mauerwerk und Werkzeug wurde auf der Westseite des Daches unterhalb des Kamins entlang dem an den unteren Dachrändern befestigten eisernen Schneerechen ein Brett aufgestellt und die verbleibenden Fugen verstopft. Außerdem wurde der Gehsteig der Hofstallgasse unterhalb des Kamins durch schräggestellte Latten abgesperrt und auf der dem Domplatz zugekehrten Seite dieser Gasse eine Warnungstafel mit der Aufschrift "Achtung Dacharbeiten" aufgestellt. Auf der dem Domplatz zugekehrten Seite des Daches dagegen wurde kein Brett aufgestellt und auch sonst keine Sicherung gegen herabfallende Gegenstände getroffen. Das Material zu den Arbeiten wurde auf einem Transportsteg herangeschafft, der knapp unterhalb des Dachfirstes auf der Westseite des Daches dahinführte. Diese Sicherungsmaßnahmen waren vom Baumeister P***** angeordnet worden, der zu den Arbeiten den Vorarbeiter Heinrich B***** und den Maurer Josef P***** verwendete, die bei ihm schon seit 1938 beschäftigt waren. Er kontrollierte auch täglich die Baustelle und die Sicherungsmaßnahmen.

Am 10.8.1950 rutschte Josef P***** bei der Arbeit an dem Kamin auf den Dombögen aus, als er das Blech betrat, um aus dem Gerüst einen Nagel herauszuziehen. Um einen Sturz zu verhindern, warf er mit einer unwillkürlichen Reflexbewegung beide Arme hoch, wobei ihm die Zange in seiner Hand entglitt und auf den der Domseite zugekehrten östlichen Teil des Daches fiel. Die Zange rutschte auf dem Dach abwärts durch den 4 cm hohen Wasserablauf zwischen dem Schneerechen und der Dauchhaut durch, fiel auf den Domplatz, wobei sie den eben auf seinem Fahrrad vorbeifahrenden Kläger auf den Kopf traf und schwer verletzte. Wäre entlang des Schneerechens auf der Ostseite des Daches die gleiche Absicherung durch ein Brett vorgenommen worden, wie auf der Westseite, dann wäre der Unfall unterblieben. Wegen dieses Unfalls erhebt der Kläger Schadenersatzansprüche gegen den Baumeister und die Republik Österreich als Hauseigentümerin. Das Erstgericht hat das Verfahren auf den Grund des Anspruches eingeschränkt und hat mit Urteil ONr. 38 das Klagebegehren gegen den Baumeister als dem Grunde nach nicht zu Recht bestehend erkannt und hat es für den Fall der Rechtskraft kostenpflichtig abgewiesen; das Klagebegehren gegen die Republik Österreich hat das Erstgericht dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt.

Gegen das Endurteil erhob der Kläger, soweit seine Ansprüche gegen den Erstbeklagten als nicht zu Recht bestehend erklärt und abgewiesen wurden, und gegen das Zwischenurteil die Republik Österreich, soweit der klägerische Anspruch dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt wurde, Berufungen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und erkannte das gegen den Erstbeklagten gerichtete Klagebegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend. Der Berufung der Republik Österreich gab das Berufungsgericht nicht Folge und bestätigte das Ersturteil.

Das Zwischenurteil des Berufungsgerichtes wird von beiden Beklagten mit Revisionen angefochten. Als Revisionsgründe macht der Erstbeklagte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und Unrichtigkeit der rechtlichen Beurteilung, die Republik Österreich nur unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Der Erstbeklagte beantragt Wiederherstellung des Ersturteiles, allenfalls Aufhebung des Berufungsurteiles und Zurückverweisung an das Berufungsgreicht zur Behebung von Verfahrensmängeln; der Revisionsantrag der Republik Österreich geht dahin, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung der gegen die Republik Österreich gerichteten Klage zu ändern, allenfalls das Berufungsurteil oder auch das Ersturteil aufzuheben und die Rechtssache an eine der beiden Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Revision des erstbeklagten Baumeisters wegen Vorliegens von Verfahrensmängeln für unbegründet. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der vom Berufungsgericht vertretenen Rechtsansicht an, daß wegen der Nähe des Kamins zum Dachfirst und wegen des Umstandes, daß der Kamin (bei dessen Instandsetzung sich der Unfall zugetragen hat) den Dachfirst um nahezu einen Meter überragt, bei Arbeiten an diesem Kamin nach allgemeinen Erfahrungen die Möglichkeit eines Abgleitens von Werkzeugen oder Material nach beiden Richtungen in Betracht zu ziehen war. Es wäre daher eine Sicherung gegen Abgleiten sowohl nach der Hofstallgasse als nach dem Domplatz erforderlich gewesen. Der Oberste Gerichtshof folgt ferner dem Berufungsgericht in seiner Auffassung, daß für die Unterlassung einer Sicherung gegen den Domplatz zu der der erstbeklagte Baumeister im Sinne des § 1311 (1299) ABGB. unter Umständen haftbar gemacht werden kann, auch dann, wenn man das Ausgleiten des Maurers P***** und das dadurch bedingte Wegschleudern der Zange als einen Zufall werten muß. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist aber der Sachverhalt noch nicht so hinlänglich geklärt, um schon jetzt die Frage des Vorliegens eines den Zufall veranlassenden Verschuldens des Erstbeklagten im Sinne des § 1311 ABGB. annehmen zu können. Nach der Aktenlage sind insgesamt 33 Kamine auf dem Residenzgebäude instandzusetzen gewesen; der Unfall hat sich bei der Instandsetzung eines der beiden letzten Kamine ereignet. Das Berufungsgericht leitet ein Verschulden des Erstbeklagten daraus ab, daß er bei den Kontrollen der Instandsetzungsarbeiten die Notwendigkeit der Absicherung auch nach dem Domplatz hin erkannte oder doch als Sachverständiger erkennen mußte, entsprechende Anordnungen zur Sicherung aber gleich wohl unterließ. Eine Gefahr durch Abgleiten nach der Domplatzseite hin hätte nach Ansicht des Berufungsgerichtes der Erstbeklagte insbesondere auch aus der Benützung des im Verhältnis zum Dachfirst nur um 12 cm tiefer gelegenen Transportsteges für die Zubringung von Werkzeugen und Material folgern müssen. Für die Richtigkeit dieser Erwägungen kommt es maßgeblich darauf an, ob der Erstbeklagte bei seinen täglichen Kontrollen diese Umstände wahrnehmen konnte. Da die Arbeiten 33 Kamine umfaßten, ist nicht anzunehmen, daß die Sicherung bei allen Kaminen gleichzeitig vorgenommen wurde, es ist vielmehr - unbeschadet anderer, allenfalls noch zu treffender Feststellungen - anzunehmen, daß die Sicherungen jeweils im Gefahrenbereich der einzelnen Kamine hintereinander erfolgten.

Nach den Behauptungen des Erstbeklagten hat er seinen mit der Instandsetzung betrauten Leuten P***** und B***** den Auftrag gegeben, nach beiden Seiten zu sichern und hätten seine Leute diesem Auftrag entsprochen, nur nicht bei dem einen Kamin, bei dessen Instandsetzung die Zange auf den Domplatz gefallen ist und den schweren Unfall des Klägers verursacht hat. Das Berufungsgericht hat allerdings dem Erstgericht folgend festgestellt, daß der Erstbeklagte einen Auftrag, nach beiden Seiten zu sichern, zumindest bei dem Kamin auf den Residenzbögen, nicht gegeben hat. Der Oberste Gerichtshof hält es aber nicht für angängig, diese Frage nur auf Grund des Strafaktes für geklärt zu erachten und ihre Erörterung im Zivilprozeß zu unterlassen. Würden die Behauptungen des Erstbeklagten über den Auftrag an seine Arbeiter und die Befolgung dieses Auftrags bei allen anderen Kaminen als zutreffend erwiesen werden, dann könnte ein Verschulden des Erstbeklagten nur angenommen werden, wenn er bei seinen dem Unfall vorangegangenen Kontrollen wahrnehmen konnte, daß die Sicherung bei dem letzten Kamin entgegen seiner Anordnung unterblieben ist oder der Transportsteg bei diesem Kamin bereits angelegt war, ohne daß alle im Bereich des Transportstegs erforderlichen Sicherungsmaßnahmen getroffen wurden. Wäre aber dieser Transportsteg schon früher für die Zubringung des Materials zu anderen Kaminen benutzt worden, dann wäre darum allein schon ein Verschulden des Baumeisters gegeben, weil er es nicht unterlassen hat, die durch die Benützung dieses Transportsteges mögliche Gefahr eines Herabfallens von Werkzeugen und Material zur Domplatzseite hintanzuhalten.

Aus diesen Erwägungen erachtet es der Oberste Gerichtshof für erforderlich, daß in diesem Umfang das Verfahren durch Vernehmung der bei den Instandsetzungsarbeiten Beschäftigten P***** und B*****, deren Vernehmung als Partei in erster Instanz beantragt wurde, die aber nunmehr als Zeugen in Betracht kommen, sowie des Erstbeklagten als Partei ergänzt werde. In diesem Umfang erachtet der Oberste Gerichtshof die Rüge der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens für begründet.

Der Vorbehalt der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 52 ZPO. Die Revision der Republik Österreich kann nicht als berechtigt erkannt werden.

Die Republik Österreich macht in ihrer Revision in rechtlicher Beziehung zunächst geltend, daß die von der Auslegung der Vorinstanzen abweichende, weniger strenge Interpretation der einschlägigen (als Schutzgesetze in Betracht kommenden) Vorschriften der Salzburger Bauordnung und der Straßenpolizeiordnung vertretbar sei und daß daher die nach § 1311 ABGB zur Schadenersatzpflicht erforderliche Voraussetzung einer schuldhaften Gesetzesverletzung fehle. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Allerdings teilt der Oberste Gerichtshof nicht die im Klang Kommentar (2.Auflg., 6. Band, S.82) zum Ausdruck kommende Meinung, daß auch die schuldlose Übertretung eines Schutzgesetzes haftbar mache. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes ist vielmehr auch bei der Verletzung eines Schutzgesetzes Schuldhaftigkeit Erfordernis der Haftpflicht. Nicht aber vermag der Oberste Gerichtshof die Auffassung der Revision zu teilen, daß der Republik Österreich ein entschuldbarer Rechtsirrtum zugute komme. Die Auslegung, die das Berufungsgericht den einschlägigen Vorschriften zuteil werden läßt, entspricht ihrem Wortlaut; gerade bei Schutzgesetzen ist eine laxe Auslegung als zweckwidrig abzulehnen. Der Praxis der Bundesgebäudeverwaltung wohnt keine normative Kraft inne, sie ist daher ohne Belang. Anders könnte die Sache allenfalls dann beurteilt werden, wenn allgemein die Auffassung herschte, daß im vorliegenden Fall eine Befassung der Baupolizeibehörde mit der "Verrichtung" in deren Gefolge sich der Unfall des Klägers ereignet hat, nicht geboten war. Gerade in dieser Beziehung haben aber die ortsansässigen Sachverständigen A***** und F***** die Ansicht vertreten, daß eine Bewilligung einzuholen war. Kommt auch ihrem Gutachten, soweit es sich um die Rechtsfrage handelt, keine Bedeutung zu, so spricht dieses Gutachten aber jedenfalls gegen die Annahme der Entschuldbarkeit eines der Bundesgebäudeverwaltung unterlaufenen Rechtsirrtums. Wie auch die zweite Instanz, mißt der Oberst Gerichtshof dem Gutachten der ortsansässigen Baumeister größere Bedeutung zu als dem Gutachten des Ing. K***** aus Linz, weil für die Entschuldbarkeit eines Rechtsirrtums nur die lokale Übung allenfalls in Frage kommen könnte. Die Republik Österreich verficht die Auffassung, daß es an einem Kausalzusammenhang zwischen der Verletzung der vorbezeichneten Schutzgesetze und dem eingetretenen Schaden fehle. Auch in dieser Richtung kann der Revision nicht beigepflichtet werden. Bei Übertretung eines Schutzgesetzes genügt es, wie schon die zweite Instanz ausgesprochen hat, für den ursächlichen Zusammenhang, daß die Befolgung des Schutzgesetzes eine größere Sicherheit gegen den Eintritt des Schadens geboten hätte (vgl. Palandt 12.Aufl. S.872). Daß aber eine Befassung der Baupolizeibehörde keinerlei Unfallverhütungsmaßnahmen nach sich gezogen hätte, kann gewiß nicht von vornherein angenommen werden. Jedenfalls wäre aber hiefür die Republik Österreich beweispflichtig. Einen solchen Beweis hat sie aber nicht geführt.

Was den letzten rechtlichen Einwand der Republik Österreich betrifft, daß der Schadenersatzanspruch des Klägers gegen sie nach § 1489 ABGB verjährt wäre, so schließt sich der Oberste Gerichtshof der von den Vorinstanzen vertretenen Auffassung an, daß die Möglichkeit der Kenntnis der Person des "Schädigers" diese Kenntnis im Rahmen des § 1489 Abs.2 ABGB nicht zu ersetzen vermag (vgl. Deutsches Recht, EvBl.1940 Nr.412).

Aus diesen Erwägungen mußte der Revision der Zweitbeklagten Republik Österreich der Erfolg versagt werden.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO im Zusammenhalt mit § 393 Abs.4 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte