OGH 1Ob921/52

OGH1Ob921/523.12.1952

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Ersten Präsidenten Dr.Strobele als Vorsitzenden und durch den Senatspräsidenten Dr.Wahle und die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr.Fellner und Dr.Hohenecker sowie den Rat des Oberlandesgerichtes Dr.Stanzl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria H*****, vertreten durch Dr.Amalie Bitsch, Rechtsanwältin,***** diese vertreten druch Dr.Herbert Eggstain, Rechtsanwalt in Wien I., wider die beklagten Parteien 1.) Franz G*****, 2.) Josefa G*****, dessen Ehegattin, ebendort, 3.) Leopoldine J*****, alle vertreten durch Dr.Friedrich Harth, Rechtsanwalt in Wien IX., wegen Feststellung der Nichtigkeit eines Testamentes (Streitwert 10.094,86 S s.Nbg.) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16.November 1944, GZ 1 R 398/44-31, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des damaligen Landesgerichtes Wien vom 4.Mai 1944, GZ 1 Cg 24/44-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 227 S 09 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Infolge der Luftangriffe auf Berlin war die Klägerin anfangs August 1943 zu ihrem alleinstehenden Bruder, dem Oberregierungsrat i.R. Carl K***** nach Wien gekommen. Dieser wollte sie nicht für ständig in seine Wohnung aufnehmen. Die Klägerin brachte dann ihrem Bruder gegenüber in kränkender Weise zum Ausdruck, daß er unter dem Einfluß seiner Wirtschafterin (der Drittbeklagten) stehe. Nach einem heftigen Wortwechsel am 17.8.1943 spät nachts ließ sich K***** hinreißen, der Klägerin eine Ohrfeige zu versetzen. Am nächsten Tag verließ die Klägerin die Wohnung, wobei sie der Drittbeklagten erklärte, sie habe keinen Bruder mehr, sie lasse sich das nicht gefallen und es werde jemand anderer in die Wohnung gesetzt werden. Tatsächlich erstattete die Klägerin gegen ihren Bruder die Anzeige. Am 19.August 1943 setzte Carl K***** mit einem eigenhändig geschriebenen Testament die drei Beklagten zu Erben ein und verfügte insbesondere, daß die Klägerin von seinem Vermögen nichts erhalten solle. Am 20.August 1943 beging K***** Selbstmord.

Die Klägerin begehrt die Nichtigerklärung des Testamentes, weil es im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit errichtet worden sei. Dies ergebe sich daraus, daß sich der Verstorbene zunächst bei ihr entschuldigt, sie aber dann doch enterbt habe. Daß K***** unzurechnungsfähig gewesen sei, gehe auch daraus hervor, daß ihm die röm.kath. Kirche, obwohl er ein Selbstmörder gewesen sei, ein christliches Begräbnis gegeben habe. Dafür, daß sein Geisteszustand nicht normal gewesen sei, spreche auch die Tatsache, daß er im Nachthemd in der Wohnung herumgelaufen sei und dabei häusliche Arbeiten verrichtet habe, obwohl ihm dabei Frauen aus der Nachbarschaft gesehen haben, und daß er Angst vor Fliegeralarmen gehabt habe. Er habe auch unsinnige Theaterstücke verfaßt. Ferner macht die Klägerin geltend, daß das Testament den Pflichten widerspreche, die ein verantwortungsbewußter Erblasser gegenüber seiner Familie habe, da sie die einzige noch lebende Schwester des Verstorbenen sei.

Die Beklagten brachten vor, der geistige Zustand des Erblassers sei völlig normal gewesen und die Klägerin nur wegen ihres unleidlichen Verhaltens enterbt worden. Den Pflichten seiner Familie gegenüber habe der Erblasser deswegen nicht entgegengehandelt, weil die Klägerin selbst ausdrücklich betont habe, sie wolle nichts mehr mit ihm zu tun haben und ihn sogar bei der Polizei angezeigt habe. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Beweisverfahren habe hinsichtlich des geistigen Zustandes des Erblassers keinerlei Anhaltspunkte dafür gebracht, daß er im Augenblick der Testamentserrichtung nicht voll zurechungsfähig gewesen wäre. Es sei im Gegenteil durch die Aussage des Arztes Dr.P***** erwiesen, daß der Erblasser nie irgendwelche Spuren von geistigen Störungen aufgewiesen habe. Auch als er etwa vier bis fünf Wochen vor seinem Tod wegen seines Gallenleidens beim Zeugen gewesen sei, sei sein geistiger Zustand völlig normal gewesen. Was den zweiten Anfechtungsgrund nach § 48 Abs 2 Testamentsgesetz anlange, so sei dieser schon deshalb nicht gegeben, weil die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten, besonders, dadurch, daß sie ihren Bruder bei der Polizei angezeigt habe, sich jedes Anspruches gegen den Verstorbenen begeben habe. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, daß der Erstrichter mit Recht den Anfechtungsgrund nach § 2 Abs 2 Testamentsgesetz nicht für gegeben erachtet habe. Es pflichtete auch der Rechtsansicht des Erstrichters bei, daß auch der Nichtigkeitsgrund nach § 48 Abs 2 Testamentsgesetz nicht vorliege. In ihrer Revision ruft die Klägerin die Revisionsgründe des § 503 Z 3 und 2 ZPO an und beantragte, das Reichsgericht möge das Berufungsurteil dahin abändern, daß es dem Klagebegehren stattgebe oder das Berufungsurteil aufheben und die Rechtssache an die erste Instanz zurückverweise.

Die Beklagten beantragten, der Revision nicht Folge zu geben. Mit Bericht des Oberlandesgerichtes Wien vom 8.Februar 1945 wurden die Akten dem Reichsgericht in Leipzig vorgelegt.

Zu einem am 4.7.1947 gestellten Antrag der Beklagten auf Vorlage der Revisionsschrift der Klägerin und der Revisionsbeantwortung samt den gesamten Streitakt an den OGH teilte das Erstgericht den Beklagten mit, daß die Akten dem Reichsgericht vorgelegt, von diesem aber nicht mehr zurückgesendet worden seien.

Nunmehr gelangten die Akten vom sowjetischen Besatzungselement über das BM für Justiz an das Präsidium des Obersten Gerichtshofes, das sie an die Untergerichte weiterleitete. Das Reichsgericht hat - wie aus den Reichtsgerichtsakten hervorgeht - über die Revision nicht mehr entschieden.

Mit Antrag vom 27.Oktober 1952, ONr. 42, hat die Klägerin begehrt, das unerledigte Rechtsmittel einer Entscheidung zuzuführen. Zu dieser Entscheidung ist der Oberste Gerichtshof gemäß Art II, S 7, Abs 3 des Gesetzes vom 3.10.1945, StGBl. Nr.188 berufen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht begründet.

Bei Ausführung des Revisionsgrundes der Aktenwidrigkeit versucht die Revision gar nicht darzulegen, daß und welche Feststellungen die Untergerichte auf aktenwidriger Grundlage gezogen hätten. Alles was die Revision in diesem Zusammenhang vorträgt, stellt bloß eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung des Erstgerichtes dar, auf die vom Revisionsgericht nicht einzugehen ist.

Die Ausführungen der Revision zu dem Nichtigkeitsgrund des § 48 Abs 2 Testamentsgesetz sind infolge der Aufhebung dieser Bestimmung durch Punkt 3 der Kundmachung vom 3.10.1945, StGBl. Nr.190, überholt. Auf diese zwingende rechtliche Bestimmung war, wenn sie auch dem angefochtenen Erkenntnis nachgefolgt ist, vom Obersten Gerichtshof Bedacht zu nehmen. (Pollak, System des Österr. Zivilprozeßrechtes, II. Auflage, S.583; Entscheidung vom 18.4.1916, ZBl 1916 Nr.295; ORK 18.3.1950, JZ 1952 Mr.272).

Unter dem Gesichtspunkt der wesentlichen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens macht die Revision nur geltend, daß der Pensionsakt des Erblassers nicht beigeschafft worden sei, aus dem ersichtlich wäre, daß Carl K***** als Oberregierungsrat im Jahre 1932 wegen Geistesstörungen von seiner staatlichen Dienststelle in den Ruhestand versetzt worden sei. Dabei handelt es sich aber um eine so weit zurückliegende Zeit, daß sie für die Beurteilung der geistigen Verfassung des Erblassers im Jahre 1943 nur dann von Bedeutung wäre, wenn die Klägerin auch besonders bemerkenswerte Umstände im geistigen Verhalten des Carl K***** hätte hinweisen können. Dies ist nicht geschehen. Demgegenüber liegen die Ergebnisse der aufgenommenen Beweise vor, die auf die Testierfähigkeit des Erblassers mit Fug schließen lassen. Im besonderen ist hier auf die Aussage des Hausarztes des Verstorbenen Dr.P***** hinzuweisen, der den Verstorbenen seit 15 Jahren, also auch im Jahre 1932 betreute und an seiner Vollsinnigkeit niemals zweifelte.

Der unbegründeten Revision war daher nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO.

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