OGH 1Ob271/48

OGH1Ob271/488.9.1948

Der Oberste Gerichtshof als Revisionsgericht hat durch den Ersten Präsidenten Dr. Strobele als Vorsitzenden und durch die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Höller und Dr. Wahle und die Räte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellner und Dr. Hohenecker als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emilie J*****, vertreten durch Dr. Arthur Koch, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Parte Ing. Karl D*****, vertreten durch Dr. Josef Blümlinger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 100.000 S infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 24. Juni 1948, AZ R 151/48, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landes- als Handelsgerichtes Linz vom 5. Mai 1948, GZ 2 Cg 19/48-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird keine Folge gegeben.

Ein Kostenausspruch findet nicht statt.

Text

Entscheidungsgründe:

I) Rudolf U***** hat sich gemäß den Verträgen vom 7. 1. 1947 (Beilage C) und 11. 3. 1947 (Beilage D) am Unternehmen des Beklagten beteiligt. Die Einlage stammt zum Teil aus dem Vermögen der Klägerin, wobei es zwischen den Parteien strittig ist, ob die Klägerin in ein direktes Vertragsverhältnis zum Beklagten getreten ist. Zur Sicherstellung der Rückforderungsansprüche hatte Beklagter dem Rudolf U***** einen Sicherstellungswechsel unter den Bedingungen des Punkt 3 des Vertrages vom 11. 3. 1947 zu übergeben. Nach der Behauptung der Klägerin seien neben dem schriftlichen Vertrag vom 11. 3. 1947 keine weiteren Vereinbarungen getroffen worden. Beklagter will dagegen unter anderem vereinbart haben, dass das Deckungsakzept nur nach Auflösung des Gesellschaftsvertrages fällig gestellt werden dürfe, und auch dann nur, wenn die Einlage, soweit sie zurückzuzahlen sei, nicht freiwillig zurückgezahlt werde; eine Weiterbegebung des Wechsels dürfe nicht erfolgen. Dass das Vertragsverhältnis nicht aufgelöst wurde, wurde von beiden Streitteilen außer Streit gestellt, doch hat die später vernommene Zeugin Marie U***** angegeben, der Beklagte habe das Vertragsverhältnis am 13. 4. 1948 gekündigt. Unbestritten ist, dass U***** den Klagswechsel an die Klägerin weitergegeben hat und dass es nach Ausfüllung des Biankoakzepte den Wechsel mit dem Betrag von 100.000 S eingeklagt hat. Beklagter hat gegen den Wechselzahlungsauftrag Einwendungen erhoben und in diesen geltend gemacht, dass der Wechsel vertragswidrig weiterbegeben und geltend gemacht worden sei, obwohl die Auflösung des Gesellschaftsverhältnisses noch nicht erfolgt und noch nicht abgerechnet sei. Klägerin sei über alle Phasen der Verhandlungen genau informiert und müsse sich daher die Einwendungen des Beklagten entgegenhalten lassen. Überdies wurde geltend gemacht, dass gegen Rudolf U***** ein Verfahren nach dem Kriegsverbrechergesetz laufe und dass er daher nach § 4 des Volksgerichtshof- und Vermögensverfallsgesetzes nicht berechtigt gewesen sei, den klagsgegenständlichen Anspruch zu zitieren.

Im Zuge des Beweisverfahrens wurde Rudolf U***** als Zeuge vernommen. Er gab im Widerspruch mit den Parteibehauptungen an, dass er vor Weihnachten 1947 dem Beklagten mit einer Polizeianzeige gedroht habe, weil sich verschiedene Angaben des Beklagten als unrichtig herausgestellt hatten. Daraufhin habe ihn Beklagter zur Deckung 3 Biankowechsel übergeben; dabei wurde vereinbart, dass Beklagter 100.000 S nach 14 Tagen an den Überbringer der Wechsel zahlen solle; als Überbringer war die Klägerin in Aussicht genommen. Das Erstgericht hat dieser Aussage Glauben geschenkt und daher den Wechselzahlunsauftrag aufrecht erhalten. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung im Wesentlichen aus denselben Erwägungen bestätigt. Die auf § 4 des früher bezogenen Gesetzes gestützte Einwendung wurde insbesondere damit erledigt, dass die beiden Instanzen als erwiesen ansahen, dass die Aushändigung des Wechsels an die Klägerin vor dem 3. 2. 1948, dem Tage der Inhaftierung U*****s, erfolgt sei. Im Revisionsverfahren spielt diese Frage keine Rolle mehr.

2) Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird ihrem ganzen Inhalte nach von dem Beklagten mit Revision angefochten; geltend gemacht werden die Revisionsgründe des § 503 Z 2, 3 und 4 ZPO. Beantragt wird Aufhebung der beiden Urteile der Unterinstanzen und Zurückweisung der Sache an die erste Instanz.

Den Revisionsgrund der Z 3 wird darin erblickt, dass die Annahme des Berufungsgerichtes, dass durch eine nachträgliche Vereinbarung der schriftliche Vertrag vom 11. 3. 1947 abgeändert wurde, dem einverständlichen Parteienvorbringen widerspreche; insoferne sei daher diese Annahme eine tatsächliche Voraussetzung, die mit den Prozessakten in Widerspruch stehe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kann insofern nicht zugestimmt werden, als sie die Tatsache, dass die unteren Instanzen eine über das Parteienvorbringen hinausgehendes Beweisergebnis dem Urteil zugrunde gelegt haben, als Aktenwidrigkeit zu qualifizieren sucht; denn eine Aktenwidrigkeit ist nur dann anzunehmen, wenn das Urteil etwas als Inhalt der Akten ansieht, was in den zitierten Aktenstücken nicht enthalten ist oder etwas abweichend vom Akteninhalt als solchen wiedergibt. Was die Revision dem Urteil in Wahrheit zum Vorwurf macht, ist die Tatsache, dass das angefochtene Urteil Feststellungen vorgenommen hat, die durch das Parteienvorbringen nicht gedeckt sind. Da eine Berücksichtigung der Tatsachen, die von den Parteien nicht behauptet worden sind, niemals die Folge haben kann, dass dadurch die erschöpfende Erörterung der Sache gehindert wird, sondern nur zum Sieg der materiellen Wahrheit über das formalistische Prinzip der Bindung der Gerichte an die Parteienbehauptungen führen kann, so ist eine Subsumption des angeblichen Verfahrensverstosses des Hinwegsetzens über das Parteienvorbringen unter den Revisionsgrund des § 503 Z 2 ZPO nicht möglich. Der Oberste Gerichtshof wäre daher nicht in der Lage, der angeblich vorgekommenen Verfahrensverstoss zu beachten, auch wenn er tatsächlich vorliegen sollte. Übrigens ist der Oberste Gerichtshof der Anschauung, dass dem österreichischen Recht der Grundsatz der Verhandlungsmaxime, wonach nur das als Entscheidungsgrundlage berücksichtigt werden darf, was von den Parteien vorgetragen wurde, fremd ist, da nach § 272 ZPO die Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung der Urteilsfällung zugrunde zu legen sind. Wenn § 272 Abs 1 ZPO sagt, dass nach "freier Überzeugung zu beurteilen ist, ob eine tatsächliche Angabe für wahr zuhalten sei oder nicht", so darf dies nicht in der Weise ausgelegt werden, dass das Gesetz die freie Beweiswürdigung der Gerichte dahin beschränke, dass nur Beweisergebnisse beachtet werden dürften, die einer konkreten Parteienbehauptung entsprechen; vielmehr ist anzunehmen, dass das Gesetz damit nur den Regelfall hervorheben will.

Wenn daher das Berufungsgericht, obwohl keine der Parteien eine solche Behauptung aufgestellt hat, auf Grund der Aussage des Zeugen U***** zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Vertrag vom 11. 3. 1947 dahin abgeändert worden ist, dass ein Teilbetrag von 100.000 S der seinerzeit erstatteten Einlage Rudolf U*****s an die Klägerin auf Grund der ihr zu übertragenden Wechsel nach Ablauf von 14 Tagen zu bezahlen ist, so kann darin eine Verletzung verfahrensrechtlicher Grundsätze nicht erblickt werden.

Ein Verfahrensmangel nach Z 2 soll nach den Ausführungen der Revision darin liegen, dass der Widerspruch zwischen dem Parteienvorbringen und dem Ergebnis der Aussage des Zeugen Rudolf U***** nicht erörtert worden ist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Nichterörterung der Beweisergebnisse überhaupt einen Mangel des Verfahrens darstellt, denn die Revisionswerberin ist bereits aus der Erwägung von der Geltendmachung dieses Verfahrensmangels ausgeschlossen, dass dieser angebliche Verfahrensverstoß schon in der ersten Instanz unterlaufen ist, und die Revisionswerberin es unterlassen hat, diesen Mangel in der Berufung geltend zu machen. Im Berufungsverfahren werden aber gar keine Beweise aufgenommen, womit auch die Möglichkeit einer Beweiserörterung entfiel, deren Nichtvornahme die Revision bemängelt. In erster Instanz angeblich unterlaufene Verfahrensmängel, die aber im Berufungsverfahren nicht geltend gemacht wurden, können aber im Revisionsverfahren nicht erstmalig gerügt werden.

3) Die Rechtsrüge nach Z 4 macht dem Berufungsgericht zum Vorwurf, dass es die Frage der Schlechtgläubigkeit der Klägerin beim Erwerb der Biankoakzepte nicht überprüft habe. Diese Ausführungen übersehen, dass das Berufungsurteil als erwiesen annimmt, dass mit dem Blankettübergeber vereinbart worden ist, dass der Wechsel nach 14 Tagen an die Klägerin gezahlt werden soll, dass daher der Beklagte dem Blankett übergeben gegenüber vertragsmäßig verpflichtet war, den Wechsel an die Klägerin zu bezahlen, und demnach eine vertragswidrige Wechselauszahlung gar nicht vorliegt. Dies wird vom Revisionswerber verkannt, da er bei Beurteilung der Rechtslage von seinen Parteienbehauptungen ausgeht und nicht von dem vom Berufungsgericht festgestellten Tatbestand.

Die Revision ist daher nach jeder Richtung hin unbegründet. Der Kostenausspruch findet nicht statt, da die Revisionsbeantwortung des siegreichen Beklagten verspätet überreicht worden ist.

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