EGMR Bsw24880/05

EGMRBsw24880/0514.12.2010

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer V, Beschwerdesache Ladislav Holub gegen Tschechien, Zulässigkeitsentscheidung vom 14.12.2010, Bsw. 24880/05.

 

Spruch:

Art. 6 Abs. 1, 35 Abs. 3 EMRK - Beschwerde über letztinstanzliche Entscheidung: kein erheblicher Nachteil für den Bf.

Unzulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).

Text

Begründung

Sachverhalt:

Im Februar 1998 schloss der Bf. einen Kaufvertrag mit dem Ehepaar X ab. Als das Ehepaar nicht den gesamten Kaufpreis bezahlte, verpflichtete es sich schriftlich dazu, die ausstehende Summe nach Registrierung des Vertrags durch das Grundbuchsamt zu entrichten.

Am 12.6.1998 zogen die Parteien den Antrag an das Grundbuchsamt zurück und schlossen einen neuen Kaufvertrag über dieselben Güter, der in das Grundbuch eingetragen wurde. Als das Ehepaar X die anerkannten Schulden nicht entrichtete, klagte sie der Bf. auf Zahlung von CZK 700.000,- (ungefähr € 28.540,-). Das Bezirksgericht Prag-Ost wies die Klage jedoch ab. Es nahm an, dass sich das Schuldanerkenntnis auf den Vertrag vom Februar 1998 beziehe, obwohl der Bf. mit seiner auf den Vertrag vom 12.6.1998 gesetzten Unterschrift bestätigt habe, den gesamten Kaufpreis erhalten zu haben. Das Regionalgericht von Prag bestätigte das erstinstanzliche Urteil. Die Revision des Bf. an das Höchstgericht wurde für unzulässig erklärt, da sie sich auf Tatsachen- und nicht auf Rechtsfragen beziehe und deshalb nicht von entscheidender rechtlicher Relevanz sei.

Am 14.9.2004 erhob der Bf. Verfassungsbeschwerde, in der er eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren geltend machte, da die Schlussfolgerungen der Gerichte den festgestellten Tatsachen und Beweisen widersprechen würden. Nach Aufforderung durch das Verfassungsgericht gaben die involvierten Gerichte zur Beschwerde des Bf. Stellungnahmen ab, die diesem jedoch nicht übermittelt wurden.

Am 22.2.2005 wies das Verfassungsgericht die Beschwerde des Bf. als offensichtlich unbegründet zurück. Es fasste die Stellungnahmen der Gerichte zusammen und stellte fest, dass das Recht des Bf., zum Schutz seiner Interessen die Gerichte anzurufen, nicht beeinträchtigt und das Prinzip eines fairen Verfahrens nicht verletzt worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. rügt Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren). Er behauptet erstens, Bezirks- und Regionalgericht hätten eine willkürliche Beweiswürdigung vorgenommen und die rechtlichen Schlussfolgerungen würden den festgestellten Tatsachen widersprechen. Zweitens beschwert er sich darüber, dass das Höchstgericht nicht die Begründetheit seiner Einwendungen geprüft habe. Mit Bezug auf die Prinzipien eines kontradiktorischen Verfahrens und der Waffengleichheit sieht er eine Konventionsverletzung außerdem darin, dass das Verfassungsgericht ihm die Stellungnahmen der am Verfahren beteiligten Gerichte nicht übermittelt und ihm so die Möglichkeit genommen habe, darauf zu reagieren.

In Hinblick auf die Fairness des Verfahrens vor dem Bezirks- und Regionalgericht erinnert der GH daran, dass es nicht seine Aufgabe ist, anstelle der nationalen Gerichte eine eigene Würdigung der Beweise und Tatsachen vorzunehmen, sondern sicherzustellen, dass die Beweismittel in einer einen fairen Prozess garantierenden Weise präsentiert wurden. Es obliegt ihm auch nicht, eine auf angebliche Tatsachen- oder Rechtsirrtümer der nationalen Gerichte gerichtete Beschwerde zu untersuchen. Der GH ist vorliegend der Ansicht, dass die genannten Gerichte die diversen Beweismittel souverän, mit Bedacht auf alle in den Akten vermerkten Umstände gewürdigt und ihre in einem kontradiktorischen Verfahren gefällten Entscheidungen ordnungsgemäß begründet haben. Man kann daher nicht annehmen, dass das Verfahren nicht den Bedürfnissen der Fairness entsprach. Der Beschwerdepunkt ist daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).

Was das Höchstgericht betrifft, so ist anzumerken, dass das Recht auf Zugang zu einem Gericht implizit zulässige Beschränkungen enthält, insbesondere, was die Zulässigkeitsvoraussetzungen für ein Rechtsmittel betrifft. Vorliegend oblag es dem Höchstgericht, darüber zu entscheiden, ob die Revision auf eine Entscheidung von besonderer rechtlicher Relevanz hinauslief und daher zulässig oder unzulässig war. Sofern das Höchstgericht seine Entscheidung im Einklang mit seiner etablierten Praxis getroffen hat und diese nicht als willkürlich qualifiziert werden kann, sollte sie der GH nicht in Frage stellen. Auch dieser Beschwerdepunkt ist daher als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen (einstimmig).

Was schließlich die Beschwerde über das Vorgehen des Verfassungsgerichts anlangt, stellt der GH zunächst fest, dass diese den Beschwerden in den Fällen Milatov u.a./CZ, Mares/CZ und Vokoun/CZ entspricht, in denen er eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK festgestellt hat. Die vorliegende Beschwerde ist weder unvereinbar mit der Konvention oder ihren Protokollen, noch ist sie offensichtlich unbegründet oder wurde missbräuchlich eingebracht. Es steht dem GH jedoch offen zu prüfen, ob das neue, in Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK (idF. 14. Prot. EMRK) vorgesehene Zulässigkeitskriterium, das auf dem Prinzip de minimis non curat praetor beruht, anzuwenden ist.

Zunächst ist zu klären, ob der Bf. einen erheblichen Nachteil erlitten hat: Das Verfahren vor dem Verfassungsgericht ist ein Sonderverfahren, das auf die Untersuchung der Verfassungsmäßigkeit beschränkt ist. Da der Bf. mit seiner Verfassungsbeschwerde die Entscheidungen des Regional- und des Höchstgerichts angefochten hatte, wurde sein Rechtsmittel diesen Instanzen zur Stellungnahme übermittelt. Beide Gerichte haben in ihren Ausführungen auf ihre in der Sache des Bf. gefällten Urteile verwiesen. Das Höchstgericht hat die Gründe für die Unzulässigerklärung der Revision zusammengefasst, ohne eine zusätzliche, von seiner früheren Entscheidung abweichende Begründung anzugeben. Nach der Analyse der verfassungsgerichtlichen Entscheidung ist der GH der Ansicht, dass diese nicht wirklich auf die von den anderen Gerichten vorgebrachten Stellungnahmen gestützt war. Untermauert wird dies dadurch, dass das Verfassungsgericht sich unzuständig sah zu prüfen, wie das Höchstgericht das Zulässigkeitskriterium der rechtlichen Relevanz angewendet hatte. Alles deutet darauf hin, dass die Verfassungsbeschwerde denselben Ausgang unabhängig davon gehabt hätte, ob das Höchstgericht eine Stellungnahme abgegeben hatte oder nicht.

Der Bf. rügt, es sei ihm nicht möglich gewesen, auf die Stellungnahmen des Regional- und des Höchstgerichts zu reagieren. Er hat jedoch nicht spezifiziert, welche zusätzlichen, über die in der Verfassungsbeschwerde hinaus vorgebrachten Gründe er dem Verfassungsgericht hätte vorlegen wollen. Er hat somit in keiner Weise gezeigt, dass er in Reaktion auf die Stellungnahmen der Gerichte, die keine ihm unbekannten Punkte enthielten, neue, für die Untersuchung seiner Sache erhebliche Elemente vorbringen hätte können.

Der GH gelangt zu dem Schluss, dass der Bf. keinen erheblichen Nachteil bei der Ausübung seines Rechts auf angemessene Teilnahme am verfassungsgerichtlichen Verfahren erlitten hat. Er teilt die Meinung der Regierung, wonach man den Begriff »Nachteil« iSv. Art. 5 Abs. 3 lit. b EMRK nicht mit jenem dem zivilrechtlichen Verfahren zugrunde liegenden Geldbetrag gleichsetzen sollte, der dem Bf. nicht zugesprochen wurde.

Nun ist zu prüfen, ob die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und ihren Protokollen garantiert werden, eine Prüfung in der Sache erfordert. Es ist darauf hinzuweisen, dass das tschechische Verfassungsgericht im Juli 2007 in Folge des Urteils des GH im Fall Milatov u.a./CZ eine Erklärung abgegeben hat, in der es dazu aufforderte, die Stellungnahmen der Parteien den Bf. mit einer Frist zur Erwiderung zukommen zu lassen, sofern sie neue Tatsachen, Behauptungen oder Argumente enthalten oder es diesbezüglich Zweifel gibt. Zudem ist den Resolutionen des Ministerkomitees zu entnehmen, dass Tschechien infolge des eben genannten Urteils seinen Verpflichtungen zur Ergreifung genereller Maßnahmen nachgekommen ist. In Anbetracht dessen und da der GH bereits mehrmals die Möglichkeit hatte, zu dem durch den vorliegenden Fall angesprochenen Problem Stellung zu nehmen, ist nicht mehr anzunehmen, dass die Beschwerde ernsthafte Fragen in Hinblick auf die Anwendung oder Auslegung der Konvention oder wichtige Fragen in Bezug auf das nationale Recht aufwirft. Die Achtung der Menschenrechte erfordert keine weitere Untersuchung.

Schließlich ist zu klären, ob die Rechtssache bereits gebührlich von einem innerstaatlichen Gericht geprüft wurde. Der Begriff »Rechtssache« scheint sich vom Begriff »Beschwerde« zu unterscheiden. Es stellt sich die Frage, ob sich die Voraussetzung der gebührenden Untersuchung durch ein nationales Gericht auf die Rechtssache (iSv. Klage, Antrag, Anspruch) bezieht, die der Bf. gerichtlich klären lassen wollte, oder aber auf die Beschwerdepunkte, die er in der Folge dem GH vorgelegt hat. Der GH geht von ersterem aus. Würde man »Rechtssache« mit »Beschwerde« gleichsetzen, wären auch Beschwerdepunkte umfasst, die sich auf Handlungen letztinstanzlicher Gerichte beziehen, die auf nationaler Ebene nicht mehr überprüfbar wären und die der GH dann nicht mehr wegen Banalität der Beschwerde zurückweisen könnte. Der GH ist nicht überzeugt, mit einer sich diesfalls ergebenden, allgemeinen übergeordneten Kontrollkompetenz ausgestattet zu sein.

In der Entscheidung Korolev/RUS erwog der GH, dass die Tatsache, dass der Bf., sobald seine Rechtssache von der dritten Instanz entschieden worden war, Teile seiner Beschwerdepunkte nicht mehr innerstaatlich überprüfen lassen konnte, kein Hindernis für die Anwendung des neuen Zulässigkeitskriteriums sei. Ein gegenteiliger Ansatz hielte den GH davon ab, unbedeutende Beschwerden zurückzuweisen, die eine der letzten nationalen Instanz zugeschriebene Konventionsverletzung betreffen. Ein solcher Ansatz wäre jedoch nicht mit dem Ziel von Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK vereinbar, Angelegenheiten, die keine Untersuchung in der Sache erfordern, schneller abzuhandeln.

Die Behauptungen des Bf. in Hinblick auf seine aus einem Kaufvertrag resultierenden zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen wurden in erster und zweiter Instanz in der Sache geprüft. Dem Bf. war es daher möglich, Schutz durch zumindest zwei innerstaatliche Gerichte anzustreben. Was die Wortfolge »gebührend geprüft« betrifft, sollte diese nicht gleich streng interpretiert werden wie die Anforderungen an ein faires Verfahren. Es wäre sonst nicht verständlich, weshalb die genannte und nicht die Wortfolge »in fairer Weise geprüft« verwendet wird.

Der Bf. hat die mangelnde Fairness des Verfahrens vor den nationalen Gerichten gerügt. Diese Beschwerde wurde vom GH als offensichtlich unbegründet erklärt. Es ist daher nicht anzunehmen, die Rechtssache des Bf. sei nicht gebührend geprüft worden.

Da die Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK in der durch das 14. Prot. EMRK geänderten Fassung somit erfüllt sind, erklärt der GH den Beschwerdepunkt für unzulässig (einstimmig).

Vgl. auch die Zulässigkeitsentscheidung Bratri Ztkov, a. s. gg. Tschechien vom 8.2.2011.

Vom GH zitierte Judikatur:

Milatov u.a./CZ v. 21.6.2005.

MareS/CZ v. 26.10.2006.

Vokoun/CZ v. 3.7.2008.

Vladimir Petrovic Korolev/CZ v. 1.7.2010 (ZE), NL 2010, 207.

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 14.12.2010, Bsw. 24880/05 entstammt der Zeitschrift "Newsletter Menschenrechte" (NL 2011, 3) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im französischen Originalwortlaut (pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/11_1/Holub.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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