Spruch:
Art. 5 Abs. 3 EMRK, Art. 5 Abs. 4 EMRK, Art. 5 Abs. 5 EMRK, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 13 EMRK - Unparteilichkeit und Unabhängigkeit eines Militärgerichts.
Verletzung von Art. 5 Abs. 3 EMRK (einstimmig).
Keine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK (einstimmig).
Verletzung von Art. 5 Abs. 5 EMRK (einstimmig).
Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (einstimmig).
Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK
(einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: GBP 10.500,- für Kosten und Auslagen (16:1 Stimmen).
Text
Begründung
Sachverhalt:
Gegen den Bf., einen Angehörigen der brit. Armee, wurde 1995 wegen mehrerer Delikte ein Militärstrafverfahren eingeleitet. Bei Eröffnung des Verfahrens war er aufgrund eines Befehls des zuständigen Kommandeurs (commanding officer) bereits in Verwahrung genommen worden. Das Militärgericht verurteilte den Bf. Die zentrale Person im System der Militärgerichte nach dem Army Act 1955 ist der sog. vorladende Offizier (convening officer). Dieser ernennt die Mitglieder des Militärgerichts sowie den leitenden Ankläger. Ferner bestimmt er die Verhandlungstermine, kann das Gericht vor oder während der Verhandlung auflösen. Außerdem ist seine Zustimmung nötig, wenn das Gericht mildernde Umstände annehmen will. Gewöhnlich ist der vorladende Offizier in der Folge auch noch der bestätigende Offizier (confirming officer): In die Kompetenz des Letzteren fällt die Bestätigung oder ganz oder teilweise Abänderung des Urteils bzw. eine eventuelle Aussetzung der Vollstreckung des Urteils. Der zuständige Kommandeur (commanding officer) entscheidet gemäß dem Army Act 1955 über die Verhängung bzw. Verlängerung der Haft des Angeklagten während des Verfahrens. Außerdem kommt ihm gemäß der aufgrund des Army Acts erlassenen Verordnungen eine gewichtige Funktion bei der Anklage zu.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 5 (3) EMRK (Recht auf Aburteilung innerhalb angemessener Frist oder auf Haftentlassung), Art. 5 (4) EMRK (Recht auf eine gerichtliche Haftkontrolle), Art. 6
(1) EMRK (Recht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht) und von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Bsw. vor einer nationalen Instanz).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 (3) EMRK: Wenn es im Zeitpunkt der Haftentscheidung den Anschein hat, dass der zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigte Beamte im späteren Verfahren noch als Vertreter der Anklagebehörde einschreiten kann, besteht die Gefahr, daß objektiv gerechtfertigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit entstehen können. Dies trifft für den zuständigen Kommandeur (commanding officer) zu. Verletzung von Art. 5 (3) EMRK (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 5 (4) EMRK: Der Bf. behauptet, dass er für das innerstaatliche habeas-corpus Verfahren keine Verfahrenshilfe bei den Militärbehörden beantragen konnte. Es stand dem Bf. jedoch offen, Beratungs- und Prozesskostenhilfe nach dem allgemeinen Legal Aid Scheme zu beantragen. Außerdem war er während der meisten Zeit seiner Untersuchungshaft von zwei Anwälten vertreten. Der Bf. hat nicht nachgewiesen, dass es ihm an den für den fraglichen Entzug der persönlichen Freiheit angemessenen Verfahrensgarantien gemangelt hätte. Keine Verletzung von Art. 5 (4) EMRK (einstimmig).
Zur Verletzung von Art. 5 (5) EMRK (Recht auf Entschädigung nach einer freiheitsentziehenden Maßnahme): Vor dem GH hat der Bf. nicht ausdrücklich eine Verletzung von Art. 5 (5) EMRK behauptet. Die Kms. war jedoch der Ansicht, dass eine Verletzung dieser Bestimmung vorlag. Die Reg. widerspricht dem nicht. Da eine Verletzung von Art. 5 (3) EMRK festgestellt wurde und der Bf. bei einer solchen Konventionsverletzung innerstaatlich keinen durchsetzbaren Anspruch auf Schadenersatz hat, wird eine Verletzung von Art. 5 (5) EMRK festgestellt (einstimmig).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK: Wie der GH bereits im Urteil Findlay/GB v. 25.2.1997 (= NL 97/2/13) feststellt hatte, genügen die Militärgerichte nach dem Army Act 1955 nicht den Anforderungen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit iSv. Art. 6 (1) EMRK. Er sieht keine Veranlassung, von dieser Rspr. abzugehen. Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (einstimmig).
Keine gesonderte Prüfung der behaupteten Verletzung von Art. 13 EMRK (einstimmig).
Entschädigung nach Art. 41 EMRK: GBP 10.500,-- für Kosten und Auslagen (16:1 Stimmen, Sondervotum von Richter Zupancic). Vom GH zitierte Judikatur
Schiesser/CH, Urteil v. 4.12.1979, A/34, EuGRZ 1980, 202. Duinhof & Duijf/NL, Urteil v. 22.5.1984, A/79, EuGRZ 1985, 708. De Jong, Baljet & Van den Brink/NL, Urteil v. 22.5.1985, A/77, EuGRZ 1985, 700.
Brogan ua./GB, Urteil v. 29.11.1988, A/145-B.
Huber/CH, Urteil v. 23.10.1990, A/188, EuGRZ 1990, 502; ÖJZ 1991,
325.
Letellier/F, Urteil v. 26.6.1991, A/207, ÖJZ 1991, 789. Brincat/I, Urteil v. 26.11.1992, A/249-A, EuGRZ 1993, 389; ÖJZ 1993,
318.
Findlay/GB, Urteil v. 25.2.1997, NL 97/2/13.
Coyne/GB, Urteil v. 24.9.1997.
Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 28.5.1998 eine Verletzung von Art. 5 (3) EMRK, Art. 5 (5) EMRK und Art. 6 (1) EMRK festgestellt (einstimmig).
Anm.: Vgl. auch das Urteil im ähnlich gelagerten Fall Cable ua./GB v.
18.2.1999.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 18.2.1999, Bsw. 27267/95, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1999, 52) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/99_2/Hood.pdf
Das Original der Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.
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