Normen
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023180215.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, stellte am 16. September 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er in der Türkei aktives Mitglied der kurdischen Oppositionspartei Halkların Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker, HDP) sei. Einer seiner Brüder sei „Freiheitskämpfer“ in Syrien, ein anderer in der Türkei inhaftiert. Er habe selbst Probleme mit den türkischen Behörden gehabt und sei bereits mehrmals verhaftet worden; er habe in der Türkei Angst um sein Leben. Im weiteren Verfahrensverlauf brachte der Revisionswerber vor, in Österreich Mitglied eines kurdischen Vereins zu sein und an Demonstrationen teilgenommen zu haben, weshalb bei einer Rückkehr die Verhaftung drohe.
2 Mit Bescheid vom 12. März 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei, legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest und trug dem Revisionswerber auf, in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen.
3 Mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde ‑ ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung ‑ als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Dieses Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof aufgrund der vom Revisionswerber erhobenen außerordentlichen Revision mit Erkenntnis vom 28. Juli 2021, Ra 2021/01/0139‑13, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf, weil das BVwG die Verhandlungspflicht verletzt hatte.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 18. Jänner 2023 wies das BVwG nunmehr nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde des Revisionswerbers erneut als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber sei seit 1992 Parteimitglied der HDP. Zwar sei er von 1998 bis 2000 der Stellvertreter eines Bezirksobmanns der HDP gewesen, seit dem Jahr 2000 sei er jedoch nur mehr einfaches Parteimitglied. Der Revisionswerber habe nicht glaubhaft machen können, dass er die Türkei aufgrund individueller Verfolgung durch türkische Staatsorgane verlassen habe. Vor dem Hintergrund der länderkundlichen Informationen sei eine konkrete Gefährdung des Revisionswerbers bloß wegen seiner einfachen Parteimitgliedschaft nicht anzunehmen. Eine Reflexverfolgung des Revisionswerbers wegen des Verhaltens mancher seiner Brüder verneinte das BVwG mit näherer Begründung. Auch wegen seiner behaupteten exilpolitischen Tätigkeiten sei der Revisionswerber bei einer Rückkehr keiner Gefahr einer staatlichen Verfolgung ausgesetzt. Er beteilige sich zwar aktiv am Vereinsleben eines näher genannten kurdischen Vereins, es gebe jedoch keine Hinweise dafür, dass dieser Verein im Fokus türkischer Ermittlungsbehörden stünde oder dass die Tätigkeiten des Revisionswerbers für den Verein (Halten von Kindertanzkursen, Reinigungstätigkeiten, Demonstrationsteilnahmen in nicht exponierter Form) von der Türkei als Anstiftung zu separatistischen oder terroristischen Aktionen gewertet werden könnte. Die Facebook-Postings des Revisionswerbers würden sich auf allgemeine Ereignisse im Zusammenhang mit der kurdischen Volksgruppe in der Türkei beziehen, konkrete regimekritische Äußerungen seien aber nicht zu erkennen.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 27. April 2023, E 677/2023‑10, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
8 In der nunmehr vorliegenden außerordentlichen Revision wird zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen geltend gemacht, das BVwG habe eine unvertretbare Beweiswürdigung vorgenommen. Das BVwG habe die vom Revisionswerber nachvollziehbar dargelegte Bedrohungslage nicht richtig beurteilt; unter Berücksichtigung der Länderfeststellungen wäre ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen gewesen. Das BVwG habe sich ferner mit den vom Revisionswerber vorgelegten Dokumenten lediglich oberflächlich auseinandergesetzt. Zudem habe das BVwG mangelhafte und veraltete Länderberichte herangezogen, wodurch es von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei.
9 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Soweit die Revision sich gegen die Beweiswürdigung des BVwG zu den geltend gemachten Fluchtgründen wendet, ist darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof ‑ als Rechtsinstanz ‑ zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/18/0054, mwN).
14 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung umfassend mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt. So führte es etwa hinsichtlich der vorgebrachten Gefährdung aufgrund der Parteimitgliedschaft bei der HDP aus, dass die Mitgliedschaft an sich zwar glaubhaft sei, es sich bei den vom Revisionswerber im Zuge der Mitgliedschaft ausgeübten Tätigkeiten jedoch nicht um solche handle, welche nahelegen würden, dass er in das Visier der türkischen Behörden geraten wäre. Es sei daher davon auszugehen, dass eine konkrete Gefährdung des Revisionswerbers, der keine exponierte Stellung innehatte, bloß wegen seiner einfachen Parteimitgliedschaft ‑ insbesondere vor dem Hintergrund der länderkundlichen Informationen ‑ nicht vorliege. Demnach seien vornehmlich etwa Parlamentsabgeordnete, Parteifunktionäre und Bürgermeister von Inhaftierungen betroffen. Das Vorgehen auch gegen (einfache) Mitglieder manifestiere sich vornehmlich im Südosten der Türkei, der Revisionswerber sei aber Mitglied einer Bezirksgruppe in Istanbul. Das Vorbringen zum Vorliegen eines Haftbefehls und zu gegen den Revisionswerber in der Türkei geführten Ermittlungen aufgrund seiner HDP‑Mitgliedschaft erachtete das BVwG aufgrund näher dargelegter Steigerungen, Widersprüchlichkeiten und Unplausiblitäten in dessen Schilderungen als nicht glaubhaft. Eine Unvertretbarkeit dieser Würdigung der Beweisergebnisse vermag die Revision nicht darzutun.
15 Auch mit der Mitgliedschaft und Partizipation in einem näher genannten kurdischen Verein in Österreich setzte sich das BVwG ausführlich auseinander. Eine Unvertretbarkeit der Beweiswürdigung des BVwG, wonach der Revisionswerber im Rahmen seiner Tätigkeiten im Verein nicht als auffällig regierungskritisch identifizierbar sei und es keine Hinweise darauf gebe, dass dieser Verein im Fokus türkischer Ermittlungsbehörden stünde, vermag die Revision nicht aufzuzeigen.
16 Insgesamt berücksichtigte das BVwG unter Beachtung der Länderfeststellungen alle in der Revision genannten Argumente, die vom Revisionswerber für die Gefahr einer politischen Verfolgung ins Treffen geführt wurden (Tätigkeiten mancher Brüder des Revisionswerbers und behauptete Gefahr einer Reflexverfolgung, Parteimitgliedschaft ‑ teils aktiv ‑ bei der HDP in der Türkei, Mitgliedschaft in einem kurdischen Verein in Österreich). Eine Unvertretbarkeit der all diese Aspekte einbeziehenden Beweiswürdigung legt die Revision nicht dar.
17 Entgegen dem Revisionsvorbringen hat sich das BVwG auch mit den vom Revisionswerber vorgelegten Dokumenten, insbesondere dem Schreiben seines türkischen Anwalts, den Facebook‑Beiträgen und Fotos von Demonstrationsteilnahmen beschäftigt und kam nach einer umfassenden beweiswürdigenden Auseinandersetzung zum Schluss, dass diese das Vorbringen des Revisionswerbers nicht zu stützen vermochten.
18 Mit dem Vorbringen, wonach das BVwG jegliche Feststellungen hinsichtlich der Verfolgung von Personen in der Türkei, die im Ausland exilpolitisch tätig sind, unterlassen habe, übersieht die Revision, dass den Länderfeststellungen des BVwG unter „Behandlung nach Rückkehr“ durchaus Ausführungen zur Behandlung von Personen in der Türkei, welche sich im Ausland politisch engagiert haben, zu entnehmen sind. Soweit die Revision in dem Zusammenhang die mangelnde Aktualität der Länderberichte rügt, macht sie einen Verfahrensmangel geltend, dessen Relevanz in konkreter Weise darzulegen ist (vgl. VwGH 10.11.2022, Ra 2022/18/0168, mwN). Dem wird die Revision mit dem pauschalen Verweis auf die mittlerweile in der Türkei stattgefundenen Wahlen im Mai 2023 nicht gerecht.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 18. August 2023
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