Normen
BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023140130.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Türkei, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 5. September 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Zunächst brachte der Revisionswerber vor, er sei wegen eines Bombenanschlages geflüchtet. In weiterer Folge begründete er seinen Antrag damit, dass er Mitglied der HDP gewesen sei und es in einem kurdischen Verein, dem er angehört habe, wiederholt Polizeirazzien gegeben habe. Er selbst sei besonders beobachtet worden, weil sein Onkel Widerstandskämpfer gewesen sei. Zudem müsse er in der Türkei den Militärdienst absolvieren.
2 Mit Bescheid vom 12. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass eine Abschiebung in die Türkei zulässig sei und legte eine zweiwöchige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem Erkenntnis vom 22. Dezember 2022 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 27. Februar 2023, E 256/2023‑5, ablehnte und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. In der Folge brachte der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision ein.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision führt zur Begründung ihrer Zulässigkeit an, das Bundesverwaltungsgericht habe keine eindeutigen und substantiierten Feststellungen zum Vorbringen des Revisionswerbers getroffen. Die zum Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr getroffenen Negativfeststellungen seien in Wahrheit eine rechtliche Beurteilung. Wäre das Bundesverwaltungsgericht seiner Begründungspflicht ordnungsgemäß nachgekommen, hätte es aufgrund der getroffenen Länderfeststellungen die Mitgliedschaft des Revisionswerbers zur HDP feststellen müssen, dass er dadurch ins Visier der türkischen Polizei geraten sei, mehrmals Razzien in einem Versammlungslokal sowie beim Revisionswerber zu Hause durchgeführt worden seien und der Revisionswerber hiezu befragt worden sei.
9 Die Revision vermag eine die tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts berührende Verkennung der Begründungspflicht (vgl. dazu etwa VwGH 8.2.2023, Ra 2022/14/0192 und 0193, mwN) nicht aufzuzeigen. Aus den getroffenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ergibt sich, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, insbesondere seiner behaupteten Verfolgung aufgrund einer politischen Tätigkeit oder der Verwandtschaft zu einem Widerstandskämpfer mit näherer Begründung keine Glaubwürdigkeit zumaß und auf Basis dieser Überlegungen nachvollziehbar zu dem Ergebnis kam, dass der Revisionswerber bei seiner Rückkehr in sein Heimatland keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.
10 Vielmehr begegnet die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in erster Linie damit, ihre eigene Beurteilung in mehreren Aspekten an die Stelle jener des Verwaltungsgerichts zu setzen.
11 Damit wendet sich die Revision der Sache nach gegen die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts und bringt vor, diese seien in sich wirr und nur schwer verständlich, sodass nicht klar sei, ob das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers in seinen wesentlichen Punkten zwar als glaubhaft, aber für die Annahme einer politischen Verfolgung als nicht ausreichend beurteilt worden sei, oder ob dem Fluchtvorbringen schlichtweg keine Glaubwürdigkeit geschenkt worden sei.
12 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 12.9.2022, Ra 2022/14/0219, mwN).
13 Das Bundesverwaltungsgericht sprach dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers ‑ nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte ‑ unter mehreren Gesichtspunkten die Glaubwürdigkeit ab und zeigte im Rahmen seiner Erwägungen nachvollziehbar auf, welche Aspekte nach Ansicht des Gerichts gegen eine dem Revisionswerber in seinem Herkunftsstaat tatsächlich drohende Verfolgung sprechen. Beweiswürdigend stützte sich das Bundesverwaltungsgericht dabei unter anderem auf vage und widersprüchliche Angaben des Revisionswerbers. Es verwies darauf, dass aus einer Mitarbeit des Revisionswerbers in einer Jugendorganisation, deren Aktivitäten sich auf Gruppenbesprechungen beschränkten, keine außen- und öffentlichkeitswirksame politische Betätigung erkannt werden könne. Das Bundesverwaltungsgericht setzte sich auch damit auseinander, dass der vorgelegte Mitgliedsantrag zur HDP nicht geeignet sei, eine Parteimitgliedschaft des Revisionswerbers unter Beweis zu stellen, weil es sich hierbei um einen bloßen Antrag und keinen Nachweis der Mitgliedschaft handle. Schon vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerber seit seiner Kindheit keinen Kontakt zu seinem Onkel habe, der als Widerstandskämpfer gelte, vorangegangene Razzien erfolglos gewesen seien und er in offensichtlicher Unkenntnis über den Verbleib des Onkels sei, erkannte das Bundesverwaltungsgericht auch in diesem Zusammenhang keine asylrelevante Verfolgung.
14 Eine Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung im Rahmen des dargelegten Maßstabes für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zeigt die Revision, die nur einzelne Aspekte der umfangreichen beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts herausgreift, mit ihren Ausführungen daher nicht auf.
15 Wenn die Revision zur Begründung ihrer Zulässigkeit letztlich vorbringt „dem Revisionswerber sei zu Unrecht kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen“ erteilt worden, wendet sie sich mit ihrem weiteren Vorbringen der Sache nach erkennbar gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die dabei nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 23.2.2023, Ra 2023/14/0029, mwN).
17 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA‑VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 17.11.2022, Ra 2022/14/0288, mwN).
18 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der ausführlichen Interessenabwägung die entscheidungswesentlichen Aspekte und nahm dabei ‑ entgegen den Ausführungen in der Zulässigkeitsbegründung ‑ sowohl auf die bisherige Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, das Privatleben, insbesondere die Lebensgemeinschaft des Revisionswerbers und seine Integrationsbemühungen Bedacht. Die Revision zeigt nicht auf, dass sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Gewichtung dieser Umstände von den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien entfernt oder diese in unvertretbarer Weise zur Anwendung gebracht hätte.
19 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. Juni 2023
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