VwGH Ra 2023/02/0046

VwGHRa 2023/02/004617.7.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer‑Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schörner, über die Revision der Landespolizeidirektion Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. Jänner 2023, VGW‑031/006/5921/2022‑7, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: S in W), zu Recht erkannt:

Normen

StGB §34 Abs1 Z17
StGB §34 Abs1 Z7
StVO 1960 §5 Abs1
StVO 1960 §99 Abs1a
VStG §19
VStG §20
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2023020046.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 8. April 2022 wurde über die Mitbeteiligte wegen Übertretung des § 99 Abs. 1a iVm § 5 Abs. 1 StVO gemäß § 99 Abs. 1a StVO eine Geldstrafe von € 1.200,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage) verhängt, weil sie am 8. März 2022 um 21:00 Uhr an einem näher bestimmten Ort einen E‑Scooter gelenkt habe, obwohl sie sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand (Alkoholgehalt der Atemluft von 0,69 mg/l) befunden habe.

2 Dagegen erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht), wobei sie das Straferkenntnis ausdrücklich nur hinsichtlich der Höhe der Strafe bekämpfte.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde insofern statt, als es die festgesetzte Geldstrafe auf € 600,‑‑ (die Ersatzfreiheitsstrafe auf zwei Tage) herabsetzte (Spruchpunkt I.) sowie den Beitrag zu den Verfahrenskosten der Behörde neu mit € 60,‑‑ festsetzte und aussprach, dass die Mitbeteiligte keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe (Spruchpunkt II.). Weiters erklärte es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof für unzulässig (Spruchpunkt III.).

4 Das Verwaltungsgericht begründete das angefochtene Erkenntnis damit, dass die Voraussetzungen für eine außerordentliche Milderung der Strafe gemäß § 20 VStG erfüllt seien, weil die Milderungsgründe (geständige Verantwortung der Mitbeteiligten sowie ihre Schuldeinsicht und ihre verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit) gewichtsmäßig die Erschwerungsgründe, welche nicht vorlägen, beträchtlich überwögen. Außerdem sei auf die angegebene ungünstige wirtschaftliche Situation der Mitbeteiligten Bedacht zu nehmen. Das festgesetzte Strafausmaß sollte in spezialpräventiver Hinsicht ausreichen, um die Mitbeteiligte von weiteren Verwaltungsübertretungen abzuhalten.

5 Dagegen richtet sich vorliegende außerordentliche Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde, mit der die Aufhebung dieses Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes begehrt wird. Das Verwaltungsgericht hat die Akten vorgelegt. Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7 Bei der Strafbemessung handelt sich um eine Ermessensentscheidung, die nach den vom Gesetzgeber in § 19 VStG festgelegten Kriterien vorzunehmen ist. Vom Verwaltungsgerichtshof ist daher (bloß) zu prüfen, ob das Verwaltungsgericht von dem ihm eingeräumten Ermessen im Sinn des Gesetzes Gebrauch gemacht hat, das heißt, ob die verhängte Strafe unter Bedachtnahme auf die Strafbemessungsgründe vertretbar erscheint (VwGH 6.8.2021, Ra 2020/02/0030).

8 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision wird im Wesentlichen vorgebracht, der Mitbeteiligten komme lediglich der Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit zugute. Das Verwaltungsgericht habe in Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Voraussetzungen für eine außerordentliche Milderung der Strafe nach § 20 VStG als gegeben erachtet.

9 Die Revision ist im Hinblick darauf zulässig und begründet.

10 Die Anwendung des § 20 VStG (außerordentliche Milderung der Strafe) setzt voraus, dass die vorliegenden Milderungsgründe ‑ und zwar nicht der Zahl nach, sondern ‑ dem Gewicht nach die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen (vgl. etwa VwGH 6.8.2021, Ra 2020/02/0030, mwN).

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenfalls bereits festgehalten, dass ein Geständnis im Rahmen der Feststellung des Alkoholgehaltes der Atemluft mit einem Alkomat keine maßgebliche Bedeutung hat (vgl. VwGH 27.2.1992, 92/02/0095; VwGH 1.9.2022, Ra 2022/02/0125).

12 Ferner entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einer Übertretung wie der vorliegenden nach § 5 Abs. 1 StVO dem alleinigen Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit kein solches Gewicht beigemessen werden kann, dass deshalb - auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen - § 20 VStG anzuwenden wäre, weil keine Rede davon sein kann, dass die Milderungsgründe die Erschwerungsgründe beträchtlich überwiegen würden (vgl. iZm dem Lenken eines Fahrrades ebenfalls VwGH 1.9.2022, Ra 2022/02/0125, mwN).

13 Damit kommt aber dem von der Mitbeteiligten abgegebenen Geständnis keine Bedeutung zu. Der vom Verwaltungsgericht bei der Strafbemessung tragend herangezogene Milderungsgrund liegt daher nicht vor. Insoweit die Mitbeteiligte in ihrer Revisionsbeantwortung das Vorliegen des Milderungsgrundes der Unbesonnenheit behauptet, ist darauf zu verweisen, dass dieser voraussetzt, dass die Tat aus einer augenblicklichen Eingebung heraus, spontan und ohne zu überlegen begangen wird (vgl. VwGH 18.6.1984, 84/10/0033). Nach dem Vorbringen der Mitbeteiligten hat diese jedoch aufgrund ihres Alkoholkonsums bewusst von der Verwendung ihres Autos Abstand genommen und sich im Hinblick auf die höheren gesetzlichen Grenzwerte stattdessen für den Gebrauch eines E‑Scooters entschieden.

14 Aufgrund dessen kann von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe nicht ausgegangen werden, sodass die Anwendung des § 20 VStG durch das Verwaltungsgericht zu Unrecht erfolgte, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 17. Juli 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte