Normen
AsylG 2005 §3 Abs1
EURallg
12010E267 AEUV Art267
32011L0095 Status-RL Art10 Abs1 litd
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022200289.L00
Spruch:
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die in Art. 10 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung) enthaltene Wendung „die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“ so auszulegen, dass in dem betreffenden Land eine Gruppe eine deutlich abgegrenzte Identität nur dann hat, wenn sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, oder ist es erforderlich, das Vorliegen einer „deutlich abgegrenzten Identität“ eigenständig und losgelöst von der Frage, ob die Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, zu prüfen?
Falls nach der Antwort auf Frage 1. das Vorliegen einer „deutlich abgegrenzten Identität“ eigenständig zu prüfen ist:
2. Nach welchen Kriterien ist das Vorliegen einer „deutlich abgegrenzten Identität“ im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2011/95/EU zu prüfen?
Unabhängig von der Antwort auf die Fragen 1. und 2.:
3. Ist bei der Beurteilung, ob eine Gruppe im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2011/95/EU „von der sie umgebenden Gesellschaft“ als andersartig betrachtet wird, auf die Sicht des Verfolgers oder der Gesellschaft als Ganzes oder eines wesentlichen Teiles der Gesellschaft eines Landes oder eines Teiles des Landes abzustellen?
4. Nach welchen Kriterien richtet sich die Beurteilung, ob im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2011/95/EU eine Gruppe als „andersartig“ betrachtet wird?
Begründung
1 A. Sachverhalt und bisherige Verfahren
2 Herr A N (im Weiteren: der Mitbeteiligte) ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich stellte er hier am 4. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
3 Der Mitbeteiligte brachte ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ vor, er werde in Afghanistan in asylrechtlich relevanter Weise verfolgt, weil ihm von Seiten der Cousins seines Vaters Blutrache drohe. Hintergrund der Blutfehde sei, dass der Vater und dessen Cousins um ein Grundstück gestritten hätten. Im Zuge dieses Streits seien bereits der Vater und ein Bruder des Mitbeteiligten getötet worden.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies mit Bescheid vom 21. Juni 2017 diesen Antrag, soweit der Mitbeteiligte damit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten begehrt hatte, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 und, soweit damit die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten angestrebt worden war, gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Unter einem tätigte die Behörde weitere nach dem österreichischen AsylG 2005 und dem Fremdenpolizeigesetz 2005 vorgesehene Aussprüche, die mit der Abweisung eines Antrages auf internationalen Schutz zu verbinden sind (im Besonderen wurde gegen den Mitbeteiligten auch eine Rückkehrentscheidung erlassen).
5 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ging in der Begründung seiner Entscheidung, weshalb dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten nicht zu erteilen sei, davon aus, dass es sich bei seiner „Fluchtgeschichte“ um ein konstruiertes und erdachtes Vorbringen handle. Die Ausreise des Mitbeteiligten aus dem Herkunftsstaat und die Auswahl Österreichs als Ziel seiner Reise seien allein vom Wunsch einer wirtschaftlichen und sozialen Besserstellung getragen gewesen. Schon weil seine Angaben zum Fluchtgrund nicht der Wahrheit entsprächen, sei ihm der Status des Asylberechtigten nicht zuzuerkennen.
6 Der Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid vom 21. Juni 2017 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
7 Das Bundesverwaltungsgericht gab nach Durchführung einer Verhandlung der Beschwerde mit Erkenntnis vom 28. Mai 2019 statt und sprach aus, dass dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten zuerkannt sowie festgestellt werde, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
8 Dagegen erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Mit Erkenntnis vom 15. April 2020 hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2019 auf. Der Verwaltungsgerichtshof führte aus, die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei rechtswidrig, weil es nicht geprüft habe, ob dem Mitbeteiligten eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Es sei, worauf das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Revision zu Recht hingewiesen habe, aufgrund der Feststellungen zur persönlichen Situation des Mitbeteiligten und zur ‑ damaligen ‑ Lage im Herkunftsstaat nicht nachvollziehbar, wenn das Bundesverwaltungsgericht die Möglichkeit und die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative verneine. Weitergehende Überlegungen waren anlässlich der damals vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobenen Revision vom Verwaltungsgerichtshof nicht anzustellen.
9 Aufgrund dieser Entscheidung setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren über die vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde fort und hielt am 16. Juli 2020 eine weitere Verhandlung ab. Mit mündlich verkündeter Entscheidung wurde vom Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde neuerlich stattgegeben, dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten zuerkannt sowie festgestellt, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
10 Da ein Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bei der Verhandlung und der Verkündung der Entscheidung nicht anwesend war, wurde dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (wie gesetzlich vorgesehen) eine Abschrift der darüber angefertigten Niederschrift zugestellt. Mit Schreiben vom 22. Juli 2020 beantragte die Behörde die schriftliche Ausfertigung der mündlich verkündeten Entscheidung (zum besseren Verständnis sei hier darauf hingewiesen, dass, wenn das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts mündlich verkündet wurde, gemäß § 25a Abs. 4a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 ‑ VwGG, eine Revision nur nach einem Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses durch mindestens einen der hiezu Berechtigten zulässig ist).
11 Diesem Antrag kam das Bundesverwaltungsgericht nicht nach, sondern es stellte gemäß § 29 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) den Verfahrensparteien bloß eine gekürzte Ausfertigung zu (eine solche Ausfertigung muss nach der erwähnten Vorschrift des VwGVG keine Begründung enthalten, vgl. VwGH 16.4.2020, Ra 2019/22/0035, mwN).
12 Die vom Bundesverwaltungsgericht am 16. Juli 2020 mündlich verkündete und mit 11. September 2020 in gekürzter Form ausgefertigte Entscheidung wurde über Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 7. Juni 2022 aufgehoben. Die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Ansicht, es liege kein gültiger Antrag auf Herstellung einer (vollständigen) Ausfertigung vor, wurde als unzutreffend angesehen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte infolgedessen in rechtswidriger Weise von der (umfänglichen) Offenlegung der Begründung seiner Entscheidung abgesehen, was die ‑ aufgrund der zulässig erhobenen Revision vorzunehmende ‑ nachprüfende Kontrolle der Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof unmöglich machte.
13 Das Bundesverwaltungsgericht erließ daraufhin das ‑ hier gegenständliche ‑ Erkenntnis vom 26. Juli 2022, mit dem es abermals aussprach, dass der Beschwerde des Mitbeteiligten stattgegeben, ihm gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt sowie gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt werde, dass ihm damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
14 In der Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht ‑ anders als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seinem Bescheid ‑ davon aus, dass die Angaben des Mitbeteiligten zu den Gründen, weshalb er Verfolgung im Herkunftsstaat befürchte, der Wahrheit entsprächen.
15 Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte sei afghanischer Staatsangehöriger und den Paschtunen zugehörig, bekenne sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam und stamme aus Laghman. Sein Vater habe von dessen Cousins ein landwirtschaftliches Grundstück gekauft. Später hätten die Cousins behauptet, sie hätten das Grundstück an den Vater nicht verkauft, sondern es ihm lediglich verpachtet. Sie hätten das Grundstück zurückverlangt. Der Vater habe die Rückgabe verweigerte und sich zur Lösung des Streits an die Dorfältesten gewandt. Auch gegenüber den Dorfältesten hätten die Cousins des Vaters behauptet, sie hätten ihm das Grundstück nicht verkauft. Sie hätten auch bei dieser Gelegenheit den Vater bedroht, damit er das Grundstück zurückgäbe. Am nächsten Tag sei der Vater mit dem ältesten Sohn auf die Felder gegangen, um dort zu arbeiten. Gegen Mittag habe der Mitbeteiligte Essen aufs Feld gebracht. Er habe Schüsse gehört und gesehen, dass auf den Vater und den Bruder geschossen worden sei. Der Mitbeteiligte, auf den ebenfalls geschossen worden sei, sei weggelaufen und zu seinem Onkel mütterlicherseits geflüchtet. Der Onkel sei hinausgegangen, um nachzusehen, was geschehen sei. Er habe dann die restliche Familie des Mitbeteiligten abgeholt und alle nach Kabul zu einem Freund gebracht. Der Onkel sei daraufhin nach Laghman zurückgekehrt, habe sich mit den Dorfältesten um die Beerdigung des Vaters und des Bruders des Mitbeteiligten gekümmert und sei anschließend wieder nach Kabul gefahren. Dort sei dem Onkel telefonisch mitgeteilt worden, dass das Haus der Familie des Mitbeteiligten umstellt, durchsucht und niedergebrannt worden sei. Der Onkel sei später noch mehrmals angerufen und informiert worden, dass der Mitbeteiligte gesucht werde. Daraufhin habe der Onkel die Flucht des Mitbeteiligten organisiert. Der Onkel sei zunächst in sein eigenes Haus zurückgekehrt, wo in der Folge die Familie des Mitbeteiligten Aufnahme gefunden habe und versorgt worden sei. Schließlich habe aber auch die Familie des Mitbeteiligten ausreisen müssen. Sie sei gemeinsam mit dem Onkel nach Pakistan geflüchtet.
16 Der Mitbeteiligte sei sohin ‑ so das Bundesverwaltungsgericht weiter ‑ im Herkunftsstaat in eine Blutfehde verwickelt. Im Fall der Rückkehr in sein Dorf drohten ihm aufgrund der Zugehörigkeit zur Familie seines Vaters Übergriffe bis hin zur Tötung durch die Cousins des Vaters. Die Cousins des Vaters verfügten über Verbindungen zu den Taliban. Eine Einmischung der Taliban in die Blutfehde könne nicht festgestellt werden. Es sei aber auch nicht zu erwarten, dass die afghanischen Behörden dem Mitbeteiligten Schutz vor Racheakten der Cousins des Vaters bieten könnten. Es sei zwar nicht davon auszugehen, dass dem Mitbeteiligten im Fall einer Niederlassung in den Städten Herat oder Mazar‑e Sharif Übergriffe durch die Cousins des Vaters drohten. Aufgrund der nunmehrigen Situation in Afghanistan wäre es dem Mitbeteiligten aber nicht (mehr) möglich, dort Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, so wie es auch seine Landsleute führen könnten. Im Fall einer (Neu‑)Ansiedlung an anderen Orten in Afghanistan liefe er Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Unterkunft und Kleidung, nicht befriedigen zu können und deswegen in eine ausweglose Situation zu geraten.
17 In der rechtlichen Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht ‑ unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ‑ aus, einer von Privatpersonen oder privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung komme Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage sei, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Die Asylrelevanz einer Verfolgung wegen Blutrache sei wegen der Anknüpfung an die Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der „von Blutrache bedrohten Angehörigen der Großfamilie“ zu bejahen, sofern sich die Verfolgungshandlungen gegen Personen richteten, die Rachehandlungen bloß aufgrund ihrer familiären Bindungen zum unmittelbar Betroffenen zu befürchten hätten.
18 Der Mitbeteiligte sei (allein) aufgrund seiner Verwandtschaft zum Vater in die Streitigkeit seines Vaters mit dessen Cousins, die bereits zur Ermordung des Vaters und des Bruders geführt habe, einbezogen worden. Er könne nicht damit rechnen, dass ihn die afghanischen Behörden vor Übergriffen durch die Cousins des Vaters effektiv schützen könnten. Damit drohe ihm in der Herkunftsregion asylrelevante Verfolgung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei ‑ angesichts dessen, dass er andernorts in Afghanistan Gefahr laufe, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse nicht befriedigen zu können ‑ nicht gegeben.
19 Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Vom Verwaltungsgerichtshof wurde das Vorverfahren eingeleitet. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
20 B. Maßgebliche Bestimmungen des Unionsrechts
21 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Neufassung); im Weiteren: Statusrichtlinie:
„ ...
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1) ...
...
(4) Die Genfer Flüchtlingskonvention und das Protokoll stellen einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.
(5) Gemäß den Schlussfolgerungen von Tampere sollte das Gemeinsame Europäische Asylsystem auf kurze Sicht zur Annäherung der Bestimmungen über die Zuerkennung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft führen.
...
(12) Das wesentliche Ziel dieser Richtlinie besteht darin, einerseits zu gewährleisten, dass die Mitgliedstaaten gemeinsame Kriterien zur Bestimmung der Personen anwenden, die tatsächlich Schutz benötigen, und andererseits sicherzustellen, dass diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.
(13) Die Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zuerkennung und den Inhalt der Flüchtlingseigenschaft und des subsidiären Schutzes sollte dazu beitragen, die Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen Mitgliedstaaten einzudämmen, soweit sie ausschließlich auf unterschiedlichen Rechtsvorschriften beruht.
...
(23) Es sollten Normen für die Bestimmung und die Merkmale der Flüchtlingseigenschaft festgelegt werden, um die zuständigen innerstaatlichen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention zu leiten.
(24) Es müssen gemeinsame Kriterien für die Anerkennung von Asylbewerbern als Flüchtlinge im Sinne von Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention eingeführt werden.
...
(29) Eine der Voraussetzungen für die Flüchtlingseigenschaft im Sinne von Artikel 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen den Gründen der Verfolgung, nämlich Rasse, Religion, Nationalität, politische Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, und den Verfolgungshandlungen oder dem fehlenden Schutz vor solchen Handlungen.
(30) Es ist ebenso notwendig, einen gemeinsamen Ansatz für den Verfolgungsgrund ‚Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe‘ zu entwickeln. Bei der Definition einer bestimmten sozialen Gruppe sind die Aspekte im Zusammenhang mit dem Geschlecht des Antragstellers, einschließlich seiner geschlechtlichen Identität und sexuellen Orientierung, die mit bestimmten Rechtstraditionen und Bräuchen im Zusammenhang stehen können, wie z. B. Genitalverstümmelungen, Zwangssterilisationen oder erzwungene Schwangerschaftsabbrüche, angemessen zu berücksichtigen, soweit sie in Verbindung mit der begründeten Furcht des Antragstellers vor Verfolgung stehen.
...
Artikel 2
Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
a)
...
d) ‚Flüchtling‘ einen Drittstaatsangehörigen, der aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder einen Staatenlosen, der sich aus denselben vorgenannten Gründen außerhalb des Landes seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts befindet und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht dorthin zurückkehren will und auf den Artikel 12 keine Anwendung findet;
e ...
...
...
Artikel 6
Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann
Die Verfolgung bzw. der ernsthafte Schaden kann ausgehen von
a) ...
...
c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.
(2) ...
...
Artikel 9
Verfolgungshandlungen
(1) ...
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.
Artikel 10
Verfolgungsgründe
(1) Bei der Prüfung der Verfolgungsgründe berücksichtigen die Mitgliedstaaten Folgendes:
a) ...
...
d) eine Gruppe gilt insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn
— die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und
— die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Je nach den Gegebenheiten im Herkunftsland kann als eine bestimmte soziale Gruppe auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Als sexuelle Orientierung dürfen keine Handlungen verstanden werden, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten als strafbar gelten. Geschlechtsbezogene Aspekte, einschließlich der geschlechtlichen Identität, werden zum Zweck der Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der Ermittlung eines Merkmals einer solchen Gruppe angemessen berücksichtigt;
e) ...
...
Artikel 13
Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft
Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen, der die Voraussetzungen der Kapitel II und III erfüllt, die Flüchtlingseigenschaft zu.“
22 C. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts
23 § 2 und § 3 Asylgesetz 2005 lauten (auszugsweise und samt Überschrift):
„Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
1. die Genfer Flüchtlingskonvention: die Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951, BGBl. Nr. 55/1955, in der durch das Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Jänner 1967, BGBl. Nr. 78/1974, geänderten Fassung;
2. ...
...
9. die Statusrichtlinie: die Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes; ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9;
10. ...
11. Verfolgung: jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie;
12. ein Verfolgungsgrund: ein in Art. 10 Statusrichtlinie genannter Grund;
...
...
Status des Asylberechtigten
§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
(2) ...
...
(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.“
24 D. Erläuterung zu den Vorlagefragen
25 Vorbringen der Parteien
26 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht in der Revision geltend, das Bundesverwaltungsgericht sei davon ausgegangen, die Verwicklung des Mitbeteiligten in eine Blutfehde sei unter den Konventionsgrund der „Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie“ zu subsumieren. Der Verwaltungsgerichtshof habe zwar in seiner bisherigen Rechtsprechung die Familie als soziale Gruppe im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) anerkannt. Jedoch habe der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 4. Oktober 2018, C‑652/16, Rs. Ahmedbekova und Ahmedbekov, festgehalten, dass kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen erfüllt sein müssten, damit das Vorliegen einer „sozialen Gruppe“ im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie bejaht werden könne. Zum einen müssten die Mitglieder der Gruppe „angeborene Merkmale“ oder einen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, „die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zum anderen müsse die Gruppe im betreffenden Land eine „deutlich abgegrenzte Identität haben, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet“ wird.
27 Das letztgenannte Kriterium werde vom UNHCR als der „Ansatz der sozialen Wahrnehmung“ bezeichnet. Unter Heranziehung dieses Ansatzes erkenne etwa das deutsche Bundesverwaltungsgericht die Familie als soziale Gruppe nicht an, sofern nicht ersichtlich sei, dass die sie umgebende Gesellschaft im Herkunftsstaat die Familie als andersartig betrachte oder die Familie keine deutlich abgegrenzte Identität habe (Hinweis auf dt. BVerwG 19.4.2018, 1 C 29.17, Rn. 31 f).
28 Es sei nicht geklärt, ob eine Familie (oder ein Teil einer Familie, wenn bestimmte Mitglieder der Familie von Blutrache bedroht seien) eine soziale Gruppe bilde, wenn es ‑ folge man dem „Ansatz der sozialen Wahrnehmung“ ‑ keine Feststellungen dazu gebe, dass die Familie oder deren Mitglieder von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig gesehen werde. Das (österreichische) Bundesverwaltungsgericht lege seiner Entscheidung zugrunde, dass eine Familie, zumindest im Umfang der von Blutrache bedrohten Familienmitglieder, bereits per se als soziale Gruppe im Sinn der GFK und der Statusrichtlinie anzusehen sei. Es habe, ausgehend von dieser Rechtsansicht ‑ nach Auffassung der revisionswerbenden Behörde zu Unrecht ‑ keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Familie des Mitbeteiligten von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet werde.
29 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass (zumindest) zwei Höchstgerichte von Mitgliedstaaten der Europäischen Union (nämlich jene Österreichs und Deutschlands) die Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie unterschiedlich auslegten und deshalb nicht von einem „acte clair“ gesprochen werden könne.
30 Der Mitbeteiligte verweist in seiner Revisionsbeantwortung auf die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Familie als soziale Gruppe im Sinn der GFK anerkannt worden sei. Es gehe auch aus der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ausreichend hervor, dass es der paschtunischen Tradition der Blutfehde entspreche, dass eine solche (unter anderem) durch ungelöste Streitigkeiten wegen Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum ausgelöst werde und zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen könne. Das Recht auf Rache und die Erwartung einer Vergeltung sei zentral für das nichtstaatliche Rechtssystem des Paschtunwali. Demnach bestehe bei den Cousins des Vaters auch die Erwartung, dass der Mitbeteiligte (ebenso wie sein zwischenzeitig beinahe erwachsener Bruder) Rache für den Tod des Vaters und des Bruders üben sowie die auf das umstrittene Grundstück gerichtete Forderung seiner Familie gewaltsam durchsetzen werde; und zwar ungeachtet der aktuellen „offenkundigen Schwäche“ der Familie des Mitbeteiligten (nur noch er und sein jüngerer Bruder kämen als Racheverpflichtete in Frage). Eine Blutrache könne, wenn sich die Familie aktuell nicht in der Lage zur Rache sehe, auch über mehrere Jahrzehnte aufgeschoben werden, was anhand der Berichtslage zu Afghanistan bestätigt werde. Somit ergebe sich schon aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts hinreichend, dass die Familie des Mitbeteiligten eine abgegrenzte Identität aufweise.
31 Erkennbar vertritt der Mitbeteiligte damit die Auffassung, es sei für die Herstellung eines Konnexes zu dem für die Asylgewährung maßgeblichen und hier herangezogenen Grund der Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe bereits ausreichend, dass er von den ihn verfolgenden Cousins des Vaters als Teil der anderen in die Blutfehde involvierte Gruppe angesehen werde, die (allein) durch die Familieneigenschaft zum Vater definiert werde.
32 Vorbemerkung zu den Vorlagefragen
33 Nach den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen, die im Revisionsverfahren vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nicht mehr in Frage gestellt werden und von denen der Verwaltungsgerichtshof auszugehen hat (§ 41 VwGG), droht dem Mitbeteiligten durch die Cousins seines Vaters mit hinreichend konkreter Wahrscheinlichkeit physische Gewalt bis hin zu seiner Tötung. Es steht außer Zweifel, dass diese ihm drohenden Handlungen im Sinn des Art. 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 lit. a Statusrichtlinie als Verfolgung einzustufen sind. Die Verfolgung geht im vorliegenden Fall im Sinn des Art. 6 lit. c Statusrichtlinie von nichtstaatlichen Akteuren aus. Nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts wird dem Mitbeteiligten aber weder vom Staat noch von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, Schutz geboten.
34 Als zentral für die Beurteilung, ob dem Mitbeteiligten der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist, stellt sich im vorliegenden Fall dar, ob ‑ was nach Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie gefordert ist ‑ eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 dieser Richtlinie genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen besteht.
35 Eine solche Verknüpfung sieht das Bundesverwaltungsgericht darin, dass der Mitbeteiligte der Sohn seines verstorbenen Vaters ist, der in eine Grundstücksstreitigkeit verwickelt war. Die Cousins des Vaters trachten dem Mitbeteiligten, der selbst nicht direkt in den Streit über das Grundstück involviert war, im Rahmen einer Blutfehde nach dem Leben und zwar allein wegen dessen Eigenschaft, zur Familie des (verstorbenen) Vaters zu gehören (zumal ‑ nach dem Vorbringen des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung ‑ die Cousins des Vaters auch vom Mitbeteiligten ausgehende Rachehandlungen erwarten).
36 Vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhalts ist im vorliegenden Fall eine Verfolgung wegen der Rasse, der Religion, der Nationalität und der politischen Überzeugung nicht anzunehmen. Von einer darauf gegründeten Verfolgung geht auch das Bundesverwaltungsgericht nicht aus, sondern es bejaht, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich jener der Familie, allenfalls enger gefasst: der Gruppe, die jene Familienmitglieder umfasst, an denen Blutrache geübt werde, vorliegt.
37 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellt in seiner Revision nicht in Frage, dass die Familie im herkömmlichen Verständnis dieses Begriffes eine soziale Gruppe darstellen kann. Es bestreitet auch nicht, dass Mitglieder einer Familie infolge ihrer Abstammung aufgrund der durch die Blutsverwandtschaft bestehenden Bande im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben.
38 Im vorliegenden Fall ist jedoch strittig, ob die Familie ‑ oder allenfalls ein Teil der Mitglieder einer Familie ‑ im Sinn des nach Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie als eine Gruppe anzusehen ist, die in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nur dann könnte von einer solchen sozialen Gruppe gesprochen werden, deren Verfolgung auch zur Anerkennung als Flüchtling führen kann. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat nämlich ‑ was das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in der Revision betont ‑ in seiner Rechtsprechung bereits dargelegt, dass die beiden in Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie enthaltenen Voraussetzungen kumulativ zu erfüllen sind (EuGH 4.10.2018, C‑652/16, Rs. Ahmedbekova und Ahmedbekov, Rn. 89; mit Hinweis auf das zur früheren ident formulierten Bestimmung des Art. 10 Abs. 1 lit. d Richtlinie 2004/83/EG ergangene Urteil EuGH 7.11.2013, C‑199/12 bis C‑201/12, Rn. 45 ff).
39 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weist in der von ihm erhobenen Revision darauf hin, dass es in den Mitgliedstaaten für die Lösung der Frage, ob eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe zu bejahen ist, unterschiedliche Ansätze gibt. Auch in der Literatur, so etwa in Hembach/Thaler/Nedwed, Die „soziale Gruppe“ ‑ ein „update“, in Filzwieser/Kasper (Hrsg.), Asyl‑ und Fremdenrecht, Jahrbuch 2021, 178 ff, wird angemerkt, dass die Frage, ob die Familie als soziale Gruppe im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie anzusehen sei, zu den strittigen Auslegungsfragen gehöre (dort wird im Speziellen auch auf die Problematik der Einordnung einer von Blutrache betroffenen Familie Bezug genommen, und ebenfalls darauf hingewiesen, dass diese Fälle in den Mitgliedstaaten unterschiedlich gelöst würden). Frei/Hinterberger/Hruschka in Hruschka (Hrsg), GFK ‑ Handkommentar, 92 ff, sprechen davon, dass sich in der Staatenpraxis vor allem zwei unterschiedliche Ansätze herauskristallisiert hätten, um den Begriff der sozialen Gruppe zu definieren und die beiden Ansätze entweder einzeln, alternativ oder kumulativ angewendet würden (als Beispiel für die Unklarheit des Verfolgungsgrundes der sozialen Gruppe wird dort im Besonderen auf die unterschiedlichen Auslegungen in der Schweiz und Deutschland hingewiesen). Marx, Handbuch zur Qualifikationsrichtlinie, 305 ff, legt ebenfalls dar, dass in der Staatenpraxis zwei unterschiedliche Ansätze vertreten würden und darauf auch schon von UNHCR hingewiesen worden sei. UNHCR führt (worauf sich erkennbar Marx bezieht) in den von ihm verfassten Richtlinien zum internationalen Schutz „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ aus, es fänden sich in richterlichen Entscheidungen, Vorschriften, politischen Konzepten und in der Praxis die unterschiedlichsten Auslegungen dessen, was eine soziale Gruppe im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention ausmache (Kapitel II.A. „Überblick über die staatliche Praxis“, Rn. 5). UNHCR vertritt in den erwähnten Richtlinien aber auch die Ansicht, dass die (von UNHCR dort näher dargestellten) Ansätze zusammengeführt werden sollten, weil sich ansonsten Schutzlücken ergeben könnten (Rn. 10).
40 Allgemeines zu den Fragen
41 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes sind für die Lösung des vorliegenden Falles, in dem es zentral um die Beurteilung geht, ob von Blutrache bedrohte Mitglieder einer Familie allein wegen der Zugehörigkeit zu jener Familie, von der ein Mitglied in eine Streitigkeit involviert ist (oder hier infolge des Todes des Vaters: involviert war), die Auslöser der Blutfehde ist, als soziale Gruppe anzusehen sind, mehrere sich aus Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie ergebende Problemfelder einer Klärung zuzuführen.
42 Es stellt sich zunächst die Frage, wann davon gesprochen werden kann, dass eine Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat. Fehlt es nämlich an einer solchen, könnte schon deswegen nicht von einer sozialen Gruppe im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie gesprochen werden. Weiters ist es notwendig zu klären, nach welchen Gesichtspunkten sich die eine Gruppe „umgebende Gesellschaft“ bestimmt und wann von dieser Gesellschaft eine Gruppe als „andersartig“ betrachtet wird.
43 Zu den Fragen 1. und 2.
44 Im Zusammenhang mit der Frage, wann davon gesprochen werden kann, dass eine Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, ist es nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zunächst erforderlich zu klären, ob zwischen bestimmten in Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie genannten Voraussetzungen ein Kausalitätsverhältnis besteht.
45 Nach dem Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie (in der deutschen Sprachfassung) ist Voraussetzung für das Vorliegen einer sozialen Gruppe, dass die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Das in dieser Wendung verwendete Wort „da“ kann in der deutschen Sprache ‑ je nach Kontext ‑ Unterschiedliches zum Ausdruck bringen. Aufgrund des grammatikalischen Aufbaus des Satzes, in dem dieses Wort in Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie verwendet wird, ergibt sich, dass hier die Bedeutung dieses Wortes mit dem ‑ in einem Zusammenhang, wie dem hier vorliegenden, öfter als Synonym gebrauchten ‑ Wort „weil“ gleichzusetzen ist. Ein solches Verständnis scheint auch bei Betrachtung der englischen Sprachfassung geboten, in der die entsprechende Wendung „that group has a distinct identity in the relevant country, because it is perceived as being different by the surrounding society“ lautet. Das englische Wort „because“ wird in aller Regel mit „weil“ in die deutsche Sprache übersetzt.
46 Mit dem Wort „weil“ oder „da“ (wenngleich das Wort „da“ gewöhnlich am Anfang eines Satzes verwendet wird) wird in einem Satz, wie er hier gebildet ist, regelmäßig ein Kausalitätsverhältnis zum Ausdruck gebracht. Ausgehend vom Wortlaut der fraglichen Wendung würde dies ‑ mit anderen Worten ausgedrückt ‑ bedeuten, dass das Bestehen einer deutlich abgegrenzten Identität einer Gruppe (in dem betreffenden Land) davon abhängt, dass sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Damit würde Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie so zu verstehen sein, dass allein der Umstand, dass die Gruppe von der umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird, dazu führt, dass eine Gruppe mit einer deutlich abgegrenzten Identität vorliegt. Eine solche Sichtweise würde dazu führen, dass es bei der Beurteilung, ob eine Gruppe eine „deutlich abgegrenzte Identität“ hat, nur zu prüfen wäre, ob „sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird“. Eine Prüfung nach anderen, davon losgelösten Kriterien hätte bei einem solchen Verständnis nicht stattzufinden.
47 Geht man von einem solchen Verständnis aus, ist es jedenfalls ausgeschlossen, das Vorliegen einer sozialen Gruppe allein durch das Selbstverständnis und Zugehörigkeitsgefühl der Mitglieder einer Gruppe, also wie sich diese selbst von anderen Menschen abgrenzen, zu definieren. Es käme nämlich immer nur auf die Wahrnehmung durch die die Gruppe „umgebende Gesellschaft“ an, wobei überdies die Gruppe von dieser als „andersartig“ eingestuft werden müsste.
48 Im vom (damaligen) Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office ‑ EASO; heute: European Union Agency for Asylum ‑ EUAA) herausgegebenen „Leitfaden zur Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ scheint zu Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie ein solcher Ansatz vertreten zu werden (S. 14).
49 Wäre beim Verständnis der in Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie enthaltenen fraglichen Wendung aber eine solche Kausalitätsbeziehung zwischen den darin enthaltenen Tatbeständen ‑ allenfalls: zumindest teilweise ‑ zu verneinen und das Vorliegen einer „deutlich abgegrenzten Identität“ gesondert zu prüfen, stellt sich die ‑ im Spruch dieses Beschlusses unter 2. formulierte ‑ Frage, nach welchen Kriterien eine solche Prüfung zu erfolgen hätte. Der Unionsgesetzgeber hat die von ihm verwendete Begrifflichkeit der „deutlich abgegrenzten Identität“ nämlich nicht definiert. Geht man davon aus, dass dieser Begrifflichkeit ‑ losgelöst vom darauffolgenden Nebensatz ‑ eine eigenständige Bedeutung zuzumessen wäre, ist anhand der Vorschriften der Statusrichtlinie vorderhand nicht zu sehen, welche Kriterien für die diesbezügliche Beurteilung heranzuziehen wären.
50 Es könnte aber auch bloß ein Teil dieser Wendung eigenständig zu prüfen sein, weil der Unionsgesetzgeber nicht bloß verlangt, dass die Gruppe eine „abgegrenzte Identität“ haben muss, sondern die Identität „deutlich“ abgegrenzt sein muss. Worin die „Deutlichkeit“ zum Ausdruck kommen kann, ergibt sich anhand des Wortlautes des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie aber nicht.
51 Zur Frage 3.
52 Es erscheint weiters unklar, auf welchen Blickwinkel der Unionsgesetzgeber abstellen wollte, wenn in Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie davon gesprochen wird, dass die Gruppe „von der sie umgebenden Gesellschaft“ als andersartig betrachtet wird.
53 Es könnte ‑ was durch die Verwendung des Begriffs der „Gesellschaft“, die die Gruppe „umgibt“, nahegelegt wird ‑ die Ansicht vertreten werden, der Unionsgesetzgeber habe mit der fraglichen Wendung auf die Gesellschaft im betreffenden Staat oder im Gebiet, in dem die betreffende Person ansässig ist (dieses Gebiet wäre aber in seinem Umfang ebenfalls erst zu definieren), als Ganzes oder zumindest eines wesentlichen Teils davon (auch insoweit wäre der Umfang erst zu definieren) abstellen wollen. In einem solchen Fall würde eine Familie gerade wegen der Eigenschaft der Mitglieder, eine Familie zu bilden, regelmäßig wohl nur dann von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig angesehen werden, wenn die Art des Familienlebens von den sonst herrschenden Gepflogenheiten eines Familienlebens deutlich abweicht.
54 Da es Voraussetzung ist, dass die umgebende Gesellschaft die Gruppe als andersartig „betrachtet“, dürfte es zudem erforderlich sein, dass die umgebende Gesellschaft Kenntnis von der Existenz der fraglichen Gruppe hat. Bliebe der umgebenden Gesellschaft die Existenz der Gruppe verborgen, wird die Betrachtung einer solche Gruppe als andersartig schon deswegen ausscheiden.
55 Ein solcher Ansatz scheint ‑ unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 7. November 2013, C‑199/12 bis C‑201/12 ‑ im bereits erwähnten, von EASO (nunmehr: EUAA) herausgegebenen Leitfaden vertreten zu werden, wo davon gesprochen wird, es seien sachdienliche und aktuelle Informationen über das Herkunftsland erforderlich, um die Existenz einer bestimmten sozialen Gruppe in einem Land prüfen zu können (S. 14). Weiters wird dort ausgeführt, dass es wichtig sei, die Funktionsweise der Gesellschaft und deren unterschiedlichen Umgang mit Gruppen zu untersuchen, weil eine soziale Gruppe mit der sie umgebenden Gesellschaft in Zusammenhang stehe (S. 15).
56 Geht man von einem solchen Verständnis aus, wäre wohl im hier vorliegenden Fall das Bestehen einer sozialen Gruppe zu verneinen. Regelmäßig haben nämlich in einem Fall wie dem vorliegenden nur der Verfolger und allenfalls enge Vertraute und Bekannte einer (verfolgten) Familie Kenntnis davon, dass eine bestimmte Familie in eine Blutfehde gezogen wurde. Dass die Gesellschaft als Ganzes oder ein wesentlicher Teil der Gesellschaft (sei sie auch auf die Herkunftsregion beschränkt) davon Kenntnis erlangt, wird ‑ ohne Hinzutreten besonderer Umstände ‑ die Ausnahme sein.
57 Nimmt man hingegen ‑ wie erkennbar der Mitbeteiligte und das Bundesverwaltungsgericht, das ihm den Status des Asylberechtigten zuerkannt hat ‑ an, dass der Blickwinkel des Verfolgers hinreichend für die Einordnung als soziale Gruppe ist, bedeutet dies, dass es nach Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie ausreichend wäre, den Verfolger als die die Gruppe umgebende Gesellschaft anzusehen. Bei diesem Ansatz läge der Fokus darauf, dass die Abgrenzung der Gruppe letztlich vom Verfolger vorgenommen wird. Im vorliegenden Fall würde diese Sichtweise dazu führen, dass die Mitglieder der Familie des Vaters des Mitbeteiligten deswegen als soziale Gruppe anzusehen sind, weil sie der (oder die) Verfolger (hier: die Cousins des Vaters) als solche betrachtet.
58 Zur Frage 4.
59 In ähnlicher Weise wie bei der Frage 3. stellt sich die Problematik in Bezug auf die Beurteilung dar, ob eine Gruppe von der sie umgebenden Gesellschaft „als andersartig“ betrachtet wird.
60 Zunächst erscheint ‑ mangels Determinanten in der Statusrichtlinie ‑ unklar, welcher Maßstab für die Beurteilung anzulegen ist, wann eine Gruppe als „andersartig“ betrachtet wird. Dieser Begriff scheint derart offen zu sein, dass jedes ‑ willkürlich gewählte ‑ Merkmal dazu führen könnte, eine „Andersartigkeit“ zu begründen. Gleichwohl scheint diesem Begriff eine negative Konnotation innezuwohnen. Es wäre somit denkbar, dass nur dann eine „Andersartigkeit“ im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie vorliegt, wenn damit eine Abwertung dieser Gruppe gegenüber der sie umgebenden Gesellschaft einhergeht. Hätte der Unionsgesetzgeber bloß darauf hinweisen wollen, dass die Gruppe sich für die sie umgebende Gesellschaft anders darstellt, hätte es ausgereicht, eben diesen Begriff „anders“ (und nicht „andersartig“) zu verwenden. In diesem Sinn wird etwa im oben erwähnten, von EASO (EUAA) herausgegebenen Leitfaden von einer „Stigmatisierung“ der Gruppe durch die Gesellschaft gesprochen (S. 15). Freilich soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass EASO an anderer Stelle im Leitfaden davon spricht, dass die Wahrnehmung als andersartig nicht nur als etwas notwendigerweise Negatives betrachtet werden sollte (S. 14), was dann im Weiteren von EASO mit „besondere Betrachtung durch die Gesellschaft“ tituliert wird (S. 15).
61 Es erscheint aber auch nicht ausgeschlossen, dass hier bloß eine sprachliche Unschärfe vorliegt und der Unionsgesetzgeber tatsächlich jegliches „anders sein“ erfassen wollte (darauf könnte hindeuten, dass etwa in der englischen Sprachfassung das Wort „different“ verwendet wird, dem eine negative Konnotation nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht beizumessen ist).
62 Käme es darauf an, ob eine größere Zahl von Menschen die Gruppe als „andersartig“ betrachtet, könnte entscheidend sein, dass nur ein bestimmtes Merkmal oder nur mehrere bestimmte Merkmale dazu führen, dass gerade deswegen eine Gruppe von einer größeren Anzahl von Menschen als andersartig betrachtet wird. Andere Merkmale, die diese Gruppe ebenfalls aufweist, aber nur vereinzelt von anderen Personen (aber nicht von einer größeren Zahl) als andersartig eingestuft würden, hätten dann für das Vorliegen einer sozialen Gruppe im Sinn des Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie keine Bedeutung.
63 Bei einer solchen Sichtweise wäre der Blickwinkel des Verfolgers (wonach nur er und vereinzelte andere Personen die Gruppe als andersartig betrachten) für sich genommen nicht maßgeblich, um vom Vorliegen einer sozialen Gruppe sprechen zu können.
64 Es erscheint gerade bezogen auf den vorliegenden Fall fraglich, ob eine Familie, die in eine Blutfehde verwickelt ist, von der sie umgebenden Gesellschaft, wäre damit eine größere Zahl von Menschen gemeint, als andersartig betrachtet würde. Abgesehen davon, dass ‑ wie oben erwähnt ‑ eine solche (die Gruppe weitläufig) umgebende Gesellschaft regelmäßig schon keine Kenntnis vom maßgeblichen Merkmal erlangt, hat der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung selbst darauf hingewiesen, dass es der in der Herkunftsregion gepflogenen Tradition des Paschtunwali entspreche, die Bereinigung einer solchen Streitigkeit, wie sie auch hier vorliegt, im Weg der Blutfehde vorzunehmen. Es wäre daher nicht ohne Weiteres zu erkennen, weshalb eine in eine Blutfehde verstrickte Familie von der sie umgebenden Gesellschaft, die dieser Tradition gleichfalls verhaftet ist, als andersartig betrachtet werden sollte.
65 Sollte aber (auch insoweit) dem Blickwinkel des Verfolgers maßgebliche Bedeutung zukommen, könnte es für die nach Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie notwendige Verknüpfung der Verfolgungshandlungen mit dem in Art. 10 in Verbindung mit Art. 2 lit. d Statusrichtlinie genannten Grund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe hinreichend sein, dass der Verfolger die ‑ andere ‑ Familie, mit der eine Blutfehde besteht, als andersartig ‑ weil nicht zur eigenen Familie, sondern eben zu dieser (verfeindeten) Familie gehörig ‑ einstuft.
66 Relevanz der Antworten für den vorliegenden Fall
67 Wäre die Betrachtung aus dem Blickwinkel des Verfolgers geboten, hätte das Bundesverwaltungsgericht hier zu Recht dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zuerkannt. In diesem Fall wäre nämlich davon auszugehen, dass die (sei es freiwillig oder nicht freiwillig) in die Blutfehde verstrickten Familienmitglieder des Vaters des Mitbeteiligten ‑ einschließlich des Mitbeteiligten ‑ eine Gruppe bilden, die von den Verfolgern (hier: den Cousins des verstorbenen Vaters) als andersartig betrachtet würde, weil diese Familienmitglieder eine im Rahmen der Blutfehde von den Verfolgern zu bekämpfende Gruppe bilden, die von anderen Familien dadurch deutlich abgegrenzt ist, dass nur diese Familie in die konkrete Blutfehde verstrickt ist.
68 Entspräche aber eine solche Sichtweise nicht dem Art. 10 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie hätte das Bundesverwaltungsgericht dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten mangels Verknüpfung mit einem für die Asylgewährung maßgeblichen Grund nicht zuerkennen dürfen.
69 In einem solchen Fall hätte das Bundesverwaltungsgericht ‑ infolge der vom österreichischen AsylG 2005 vorgegebenen Prüfreihenfolge ‑ sodann in einem weiteren Schritt prüfen müssen, ob ihm aufgrund des ‑ nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts gegebenen ‑ Verfolgungsszenarios und des Fehlens von Schutz durch die dazu aufgerufenen Institutionen subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.
70 E. Schlussbemerkung
71 Nach dem Gesagten stellt sich für den Verwaltungsgerichtshof die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die oben angeführten Fragen nicht derart offenkundig dar, dass für Zweifel kein Raum bliebe. Zudem ist die ‑ bereits vorhandene ‑ unterschiedliche Auslegung der hier maßgeblichen Vorschriften des Unionsrechts geeignet, die Sekundärmigration von Personen, die internationalen Schutz beantragt haben, zwischen Mitgliedstaaten zu befördern, was aber nach dem Erwägungsgrund 13 der Statusrichtlinie durch die damit angestrebte Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft hintangehalten werden soll.
72 Es waren daher die im Spruch formulierten Fragen dem Gerichtshof der Europäischen Union mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.
Wien, am 28. März 2023
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