VwGH Ra 2022/11/0191

VwGHRa 2022/11/019110.2.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick, die Hofrätin Mag. Hainz‑Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der R A in F, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 5. Oktober 2022, Zl. LVwG‑652459/8/MS, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung und Anordnung einer Maßnahme gemäß § 24 Abs. 3 FSG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Braunau),

Normen

FSG 1997 §24
FSG 1997 §24 Abs3
FSG 1997 §29 Abs4
FSG 1997 §39
FSG 1997 §39 Abs1
FSG 1997 §39 Abs5
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022110191.L00

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang betreffend die Abweisung der Beschwerde gegen die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, sowie sich einer verkehrspsychologischen Untersuchung zu unterziehen und eine fachärztliche Stellungnahme beizubringen, aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin den Aufwand in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss

gefasst:

In ihrem übrigen Umfang wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1 1. Am 25. Juli 2021 wurde der Revisionswerberin im Zuge einer Verkehrskontrolle der Führerschein vorläufig abgenommen, weil der Verdacht bestand, sie habe ihr Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt.

2 Der Führerschein wurde der Revisionswerberin am 13. August 2021 wieder ausgefolgt.

3 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wiener Neustadt vom 14. Oktober 2021 wurde der Revisionswerberin zur Last gelegt, sie habe am 25. Juli 2021 an einem bestimmten Ort ein Fahrzeug gelenkt, obwohl sie sich in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand befunden habe, und über sie eine Geldstrafe verhängt (§§ 5 Abs. 1 iVm. 99 Abs. 1b StVO 1960). Die gegen dieses Straferkenntnis von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 17. Dezember 2021 als unbegründet abgewiesen.

4 Mit Schreiben der belangten Behörde vom 2. Mai 2022 wurde die Revisionswerberin von der Einleitung eines Verfahrens zur Entziehung der Lenkberechtigung in Kenntnis gesetzt.

5 Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid der belangten Behörde vom 17. Mai 2022 wurde Folgendes ausgesprochen:

6 Die der Revisionswerberin erteilte Lenkberechtigung wurde für die Dauer von einem Monat abzüglich von 19 Tagen gerechnet ab Rechtskraft des Bescheids entzogen.

7 Ferner erging die Aufforderung, die Revisionswerberin habe sich gemäß § 24 Abs. 3 FSG binnen einer Frist von vier Monaten ab Zustellung des Bescheides einem Verkehrscoaching zu unterziehen, widrigenfalls die Lenkberechtigung neuerlich zu entziehen sei.

8 Überdies wurde die Revisionswerberin gestützt auf § 24 Abs. 3 FSG iVm. FSG‑GV aufgefordert, ‑ nach Absolvierung einer verkehrspsychologischen Untersuchung und Beibringung einer fachärztlichen Stellungnahme ‑ ein amtsärztliches Gutachten betreffend ihre gesundheitliche Eignung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges innerhalb offener Entziehungsdauer beizubringen, wobei die Dauer der Entziehung nicht vor der Befolgung dieser Anordnung ende.

9 2. Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde der Revisionswerberin gegen diesen Bescheid ‑ mit der Maßgabe, dass die Frist für das Verkehrscoaching ab Zustellung des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses zu laufen beginne ‑ als unbegründet abgewiesen.

10 Ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt und unter Hinweis auf die bindende Wirkung des verwaltungsgerichtlichen Straferkenntnisses hinsichtlich der dort festgestellten und vom Spruch gedeckten Tatsachen stützte das Verwaltungsgericht die Entziehung der Lenkberechtigung auf § 26 Abs. 1 erster Satz FSG, wonach diese für die Dauer von einem Monat zu entziehen sei, sofern beim Lenken eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1b StVO 1960 begangen wurde. Die Anordnung betreffend das Verkehrscoaching, der Beibringung der verkehrspsychologischen Stellungnahme und der fachärztlichen Stellungnahme stützte das Verwaltungsgericht jeweils auf § 24 Abs. 3 FSG bzw. auf diese Bestimmung in Verbindung mit § 14 Abs. 3 FSG‑GV.

11 Aufgrund des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich sei davon auszugehen, dass die Revisionswerberin eine bestimmte Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 1 Z 1 FSG verwirklicht habe. Nach der Rechtsprechung sei bei einem gesetzlich angeordneten Mindestentziehungszeitraum die Lenkberechtigung für diesen Zeitraum zu entziehen, wobei die Dauer der bereits erfolgten vorläufigen Abnahme anzurechnen sei.

12 Die Frist für das Verkehrscoaching sei angemessen zu erstrecken.

13 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision.

14 Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

15 4. Vorauszuschicken ist, dass die vom Verwaltungsgericht inhaltlich bestätigten Absprüche der belangten Behörde voneinander trennbar sind. Liegen trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision getrennt zu prüfen (vgl. zu den Kriterien der Trennbarkeit etwa VwGH 20.1.2021, Ra 2019/09/0137, mwN).

16 4.1. Zu Spruchpunkt I.:

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

18 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit betreffend die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens vor, das Verwaltungsgericht habe gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verstoßen, weil hinsichtlich dieser Ermessensentscheidung keine nachvollziehbare Begründung vorliege. Sie ist in diesem Umfang zulässig, weil sie damit eine Abweichung von der Rechtsprechung aufzeigt.

19 § 24 Abs. 3 erster Satz FSG sieht vor, dass bei einer Entziehung oder nachträglichen Einschränkung einer Lenkberechtigung die Behörde begleitende Maßnahmen (wie eine Nachschulung) oder die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung des Betreffenden im Rahmen einer Ermessensübung anordnen kann, letzteres freilich nur dann, wenn Anhaltspunkte für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche Eignung bestehen.

20 Der Revision ist darin Recht zu geben, dass sich in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses ‑ wie schon in der des Entziehungsbescheids ‑ keine Bezugnahme auf die Anordnung der Beibringung des amtsärztlichen Gutachtens ersehen lässt. Diese findet dort keine Erwähnung, sodass sich das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang der Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofs entzieht. Es enthält keine Feststellungen zu Anhaltspunkten für eine nicht uneingeschränkte gesundheitliche Eignung der Revisionswerberin, welche die Anordnung einer Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens durch die belangte Behörde als Ermessensübung im Sinne des Gesetzes erweisen könnten (vgl. VwGH 25.1.2019, Ra 2018/11/0233, bzw. zur Aufgabe des Verwaltungsgerichtes bei der Überprüfung behördlicher Ermessensübung grundlegend VwGH 1.3.2016, Ra 2015/11/0106).

21 Das angefochtene Erkenntnis war aus diesen Erwägungen, soweit damit die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens samt vorheriger Absolvierung einer verkehrspsychologischen Untersuchung und Beibringung einer fachärztlichen Stellungnahme sowie der damit zusammenhängende Ausspruch betreffend Fortdauer der Entziehung bestätigt wurden, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

22 4.2. Zu Spruchpunkt II:

23 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

24 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

25 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof ausschließlich im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

26 4.2.1. Die Revision führt gegen den Entziehungsausspruch ins Treffen, die angefochtene Entscheidung verstoße gegen das Prinzip „ne bis in idem“ weil mit der Wiederausfolgung des Führerscheins und der damit erfolgten Beendigung der vorläufigen Abnahme das Verfahren über den Entzug der Lenkberechtigung als abgeschlossen anzusehen sei.

27 Schon § 39 FSG unterscheidet zwischen der vorläufigen Abnahme und der allfälligen Einleitung eines Entziehungsverfahrens. Die vorläufige Abnahme des Führerscheins ist (sieht man vom Fall der Durchsetzung der Ablieferungspflicht nach Entziehung der Lenkberechtigung bzw. Verhängung eines Lenkverbotes ‑ § 39 Abs. 1 dritter Satz FSG 1997 ‑ ab) ein im Wesentlichen den Interessen der Verkehrssicherheit dienendes Sicherungsmittel; es soll damit durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer „unmittelbaren Unfallgefahr“ entgegengewirkt werden (vgl. etwa VwGH 18.6.2008, 2005/11/0048). Ob es später zu einer Bestrafung wegen des Begehens einer Verwaltungsübertretung oder zur Entziehung der Lenkberechtigung kommt, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Abnahme des Führerscheines nicht von Belang (s. ebenso VwGH 18.6.2008, 2005/11/0048). Andererseits übersieht die Revision, dass nach der Rechtsprechung die Entziehung der Lenkberechtigung auch dann möglich ist, wenn ein ursprünglich vorläufig abgenommener Führerschein später als drei Tage nach der Abnahme wieder ausgefolgt wurde (vgl. VwGH 20.2.2001, 2000/11/0167).

28 Inwiefern nun das Beenden der Sicherungsmaßnahme einen Abspruch über eine allfällige ‑ notwendigerweise immer erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende ‑ Entziehung der Lenkberechtigung eines betroffenen Lenkberechtigten darstellen könnte, ist nicht nachvollziehbar, handelt es sich bei der Entziehung der Lenkberechtigung ja ohne Zweifel um einen von der vorläufigen Sicherungsmaßnahme unterschiedlichen Verfahrensgegenstand. Die von der Revision ins Treffen geführten Entscheidungen ‑ VwGH 17.12.2002, 2001/11/0051, und VwGH 9.11.2020, Ra 2020/03/0076 ‑ sind jeweils nicht einschlägig.

29 4.2.2. Die Revision bringt zur Zulässigkeit ferner vor, die ausgesprochene Entziehung widerspreche vor dem Hintergrund, dass der Revisionswerberin der Führerschein erst nach 19 Tagen wieder ausgefolgt worden sei, der Regelung des § 29 Abs. 4 FSG.

30 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem ‑ vom Verwaltungsgericht im gegenständlichen Fall herangezogenen ‑ Erkenntnis vom 20.2.2001, 2000/11/0167, nach ausführlicher Darlegung der Rechtslage zusammenfassend wie folgt ausgeführt:

„Die in § 29 Abs. 4 FSG, wie oben dargestellt, enthaltene Regelung, derzufolge die Entziehungsdauer, wenn der Führerschein gemäß § 39 FSG vorläufig abgenommen und nicht wieder ausgefolgt wurde, ab dem Tag der vorläufigen Abnahme zu berechnen ist, steht freilich in engem Zusammenhang mit § 39 Abs. 5 FSG, worin ein Lenkverbot für die Zeit zwischen der vorläufigen Abnahme des Führerscheines und der Wiederausfolgung normiert ist. Gerade weil dem von der vorläufigen Abnahme Betroffenen gemäß § 39 Abs. 5 FSG bis zur Wiederausfolgung des Führerscheines das Lenken von Kraftfahrzeugen ohnehin verboten ist, soll die Entziehungszeit nach § 29 Abs. 4 FSG vom Zeitpunkt der vorläufigen Abnahme zu berechnen sein. Die Zeitdauer des nach § 39 Abs. 5 FSG bestehenden Lenkverbotes soll im Ergebnis in die Entziehungsdauer eingerechnet werden, damit die Summe der Zeiten, in denen dem Betroffenen das Lenken von Kraftfahrzeugen verwehrt ist, die Entziehungsdauer nicht überschreitet. Aus dieser dem Gesetz zu entnehmenden Zielsetzung ist allerdings auch abzuleiten, dass die Summe der Zeiten, in denen dem Betroffenen das Lenken von Kraftfahrzeugen verwehrt ist, die Entziehungsdauer auch nicht unterschreiten soll. Hat das Lenkverbot nach § 39 Abs. 5 FSG durch eine ‑ aus welchen Gründen immer erfolgte ‑ Wiederausfolgung des Führerscheines geendet und unterschreitet die Dauer des Lenkverbots (gerechnet nach Tagen) die Entziehungszeit, so ist die die Lenkverbotsdauer übersteigende Entziehungszeit wie in denjenigen Fällen, wo eine vorläufige Abnahme des Führerscheines nicht stattgefunden hat, ab Erlassung des Entziehungsbescheides festzusetzen. Nur dadurch ist sichergestellt, dass dem Betroffenen (insgesamt) für die Dauer der Entziehungszeit das Lenken von Kraftfahrzeugen verwehrt ist.“

31 Inwiefern nun das Verwaltungsgericht von dieser Rechtsprechung abgewichen sein sollte, ist angesichts der auch hier zwingenden Entziehungsdauer von einem Monat gemäß § 26 Abs. 1 erster Satz FSG und der erfolgten Anrechnung der Dauer der vorläufigen Abnahme nicht nachvollziehbar.

32 4.2.3. In der Revision werden somit hinsichtlich der Entziehung der Lenkberechtigung und der Anordnung des Verkehrscoachings keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher im übrigen ‑ die Anordnung der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens, sowie sich einer verkehrspsychologischen Untersuchung zu unterziehen und eine fachärztliche Stellungnahme beizubringen, übersteigenden ‑ Umfang zurückzuweisen.

Wien, am 10. Februar 2023

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