VwGH Ra 2021/10/0188

VwGHRa 2021/10/018820.3.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Stoisser, über die Revision des R G in W, vertreten durch Dr. Stella Spitzer‑Härting, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Krongasse 22/4, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 28. September 2021, Zl. VGW‑242/010/13054/2021/VOR‑4, betreffend eine Angelegenheit nach dem Wiener Mindestsicherungsgesetz (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Magistrat der Stadt Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

B-VG Art133 Abs4
MSG Wr 2010 §8 Abs4
MSG Wr 2010 §8 Abs4 Z1
MSG Wr 2010 §8 Abs4 Z2
MSG Wr 2010 §8 Abs4 Z3
MSG Wr 2010 §8 Abs5
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2021100188.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 25. Februar 2021 wurde ‑ soweit im vorliegenden Fall relevant ‑ dem Revisionswerber nach näher genannten Bestimmungen des Wiener Mindestsicherungsgesetzes (WMG) eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts und der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs „laut Tabelle“ für den Zeitraum 1. März 2021 bis 28. Februar 2022 [mit Ausnahme von Mai und November 2021] zuerkannt (Spruchpunkt I.). Weiters wurde dem Revisionswerber zum monatlichen Mindeststandard innerhalb dieses Zeitraumes als Inhaber eines Behindertenpasses ein Zuschlag „laut Tabelle“ zuerkannt (Spruchpunkt III.). Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass in den Monaten Mai und November 2021 keine Leistung zur Deckung des Lebensunterhalts, kein Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs und kein Zuschlag für Inhaber eines Behindertenpasses zuerkannt wurde.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 28. September 2021 wurde eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

3 In der Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, der Revisionswerber beziehe eine Waisenpension in der Höhe von € 653,91, welche im Nachhinein ausbezahlt werde. Der Revisionswerber erhalte in den Monaten April und Oktober eine Sonderzahlung in gleicher Höhe wie vorgenannte Pensionsleistung. Diese Einkünfte stünden jeweils in den Folgemonaten gemäß dem „Zuflussprinzip“ zur Verfügung und seien daher für diese Monate berechnungsrelevant. Der Revisionswerber sei weiters Inhaber eines Behindertenpasses, dem ein Zuschlag nach § 8 Abs. 5 WMG zustehe und auch zuerkannt worden sei. Da dem Revisionswerber der „Behindertenzuschlag“ nach § 8 Abs. 5 WMG zuerkannt worden sei, bestehe kein Anspruch auf Sonderzahlungen nach § 8 Abs. 4 WMG. Aus diesem Grund könne der 13. und 14. Monatsbezug, den der Revisionswerber von anderer Seite erhalte, auch nicht „darauf“ angerechnet werden. Diese Sonderzahlungen seien, da sie nicht aus eigener Erwerbstätigkeit stammten, bei der Bedarfsberechnung nach § 10 WMG als Einkommen heranzuziehen. Da das festgestellte Einkommen der Bedarfsgemeinschaft in den Monaten Mai und November 2021 den maßgebenden Richtsatz überschreite, bestehe in diesen beiden Monaten kein Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen, weshalb für diese Monate für den Revisionswerber auch kein Anspruch auf den Zuschlag nach § 8 Abs. 5 WMG gegeben sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.

5 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren brachte die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag ein, die Revision abzuweisen.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (Abs. 3 leg. cit.).

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 Die Revision begründet ihre Zulässigkeit mit dem Fehlen von Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 zweiter Satz WMG und macht zusammengefasst geltend, dass dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden könne, dass für die Personengruppe der Halbwaisen, deren Einkommen generell unter dem Mindeststandard lägen, der 13. und 14. Monatsbezug aus der Waisenpension nicht auf die Sonderzahlung der Mindestsicherung anzurechnen sei, sondern im Sinne des § 10 WMG als weiteres Einkommen zu berücksichtigen sei. Im Kern bringt die Revision zur ihrer Zulässigkeit vor, dass „§ 8 Abs 4 Satz 2 Wr MSG im Wege der Wortinterpretation auszulegen“ sei, „dass die Sonderzahlung der Halbwaisenpension ausschließlich auf die Sonderzahlung aus der Mindestsicherung anzurechnen ist (arg ‚diese‘). Zu dieser dargelegten Frage der Berechnungsmethode liegt keine Judikatur des VwGH vor und ist diese Rechtsfrage aus Sicht des Revisionswerbers eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung und die Revision daher zulässig.“

10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B‑VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. VwGH 20.6.2022, Ra 2022/10/0038, mwN).

11 § 8 Abs. 4 WMG sieht vor, dass eine Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard jährlich in den Monaten April und Oktober bestimmten Personen zuzuerkennen ist, soweit ihnen nicht die höheren Leistungen nach Abs. 5 zuerkannt werden. Gemäß § 8 Abs. 4 zweiter Satz WMG ist ein 13. oder 14. Monatsbezug, den die Person von anderer Seite erhält, auf diese Sonderzahlungen anzurechnen. Von der Anrechnung ausgenommen sind Sonderzahlungen aus eigener Erwerbstätigkeit gemäß § 11 WMG. Gemäß § 8 Abs. 5 WMG gebührt für zu einer Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige und volljährige Personen zum monatlichen Mindeststandard ein Zuschlag in Höhe von 18 vH des Wertes nach § 8 Abs. 2 Z 1 WMG pro Monat, wenn ihnen ein Behindertenpass gemäß § 40 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz ‑ BBG ausgestellt wurde.

12 § 8 Abs. 4 erster Satz WMG verknüpft daher den Bezug je einer Sonderzahlung in der Höhe des Mindeststandards zum monatlich wiederkehrenden Mindeststandard an bestimmte Personen neben inhaltlichen (in § 8 Abs. 4 Z 1 bis 3 geregelten) Voraussetzungen damit, dass („soweit“) ihnen nicht die höheren Leistungen nach Abs. 5 zuerkannt werden (vgl. dazu, dass sich aus § 8 Abs. 4 WMG ergibt, dass der Behindertenzuschlag nach § 8 Abs. 5 WMG lediglich die dort für bestimmte Fälle vorgesehene 13. und 14. Sonderzahlung zum Mindeststandard ersetzt, VwGH 21.5.2021, Ra 2020/10/0184). Nur für diese Fälle des Bezugs einer Sonderzahlung gemäß § 8 Abs. 4 erster Satz WMG wird in § 8 Abs. 4 zweiter Satz WMG auch die in der Revision angesprochene Anrechnungsregelung vorgesehen. Im vorliegenden Fall gelangt diese von der Revision ins Treffen geführte Anrechnungsregelung des § 8 Abs. 4 WMG aus folgendem Grund gar nicht zur Anwendung:

13 Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass dem Revisionswerber ein Behindertenpass ausgestellt worden sei, welcher unbefristet gültig sei. Es ging weiters davon aus, dass ihm ein Zuschlag gemäß § 8 Abs. 5 WMG zustehe und auch zuerkannt worden sei. Dies wird in der Revision auch nicht bestritten.

14 Mit den wiedergegebenen Zulässigkeitsausführungen wird vor diesem Hintergrund schon deshalb keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, von deren Lösung das rechtliche Schicksal der vorliegenden Revision abhängt, aufgezeigt, weil dem Revisionswerber die höheren Leistungen nach § 8 Abs. 5 WMG zuerkannt wurden. Von der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision angesprochenen Frage der Auslegung des § 8 Abs. 4 WMG und der dort normierten Berechnungsmethode, hängt somit das rechtliche Schicksal der Revision nicht ab.

15 Soweit der Revisionsweber mit seinem Vorbringen Normbedenken zum Ausdruck bringen möchte, ist auf Art. 133 Abs. 5 B‑VG zu verweisen. Eine (behauptete) Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten fällt in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VwGH 9.11.2022, Ra 2022/10/0162). Nach ständiger Rechtsprechung kann der Verwaltungsgerichtshof zwar dann, wenn ihm bei Behandlung einer Revision Bedenken bezüglich der Rechtmäßigkeit genereller Rechtsnormen erwachsen, einen Normprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof stellen (vgl. Art. 139 Abs. 1 Z 1 und Art. 140 Abs. 1 Z 1 B‑VG). Die Zulässigkeit einer Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG kann mit einer solchen Frage jedoch nicht begründet werden, weil sie selbst als Rechtsfrage eben nicht vom Verwaltungsgerichtshof in der Sache „zu lösen“ ist (vgl. VwGH 22.12.2022, Ra 2022/10/0004).

16 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. März 2023

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