Normen
BVergG 2018 §135
BVergG 2018 §141
BVergG 2018 §88
BVergG 2018 §91
B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2020040147.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Die mitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) führte im Wege eines offenen Verfahrens im Unterschwellenbereich ein Vergabeverfahren nach dem Bestbieterprinzip betreffend einen näher beschriebenen Bauauftrag durch. Ende der Angebotsfrist war der 29. Juni 2020. Die Revisionswerberin legte fristgerecht ein Angebot.
2 Am 13. Juli 2020 teilte die Auftraggeberin der Revisionswerberin mit, dass ihr Angebot auszuscheiden gewesen sei und es deshalb nicht bei der Bestbieterermittlung habe berücksichtigt werden können. Dies begründete die Auftraggeberin damit, dass die Revisionswerberin in ihrem Angebotsschreiben die Punkte 7.3. und 8. nicht ausgefüllt habe. Es handle sich dabei um einen nicht behebbaren Mangel, weil durch eine Mängelbehebung eine materielle Verbesserung der Wettbewerbsstellung gegenüber den Mitbietern eintreten würde. Das Angebot müsse daher ohne Gewährung einer diesbezüglichen Verbesserungsmöglichkeit zwingend ausgeschieden werden.
3 Mit Schriftsatz vom 21. Juli 2020 beantragte die Revisionswerberin die Nichtigerklärung dieser Ausscheidensentscheidung. Begründend wurde vorgebracht, dass die Revisionswerberin mit dem K3‑Blatt die Kalkulationsangaben offengelegt habe. Zudem bestehe keine Verpflichtung, die Fett umrandeten Felder in Punkt 8. des Angebotsschreibens auszufüllen, weshalb das unterbliebene Ausfüllen der beiden Zuschläge keinen Mangel darstelle. Die Vorgangsweise der Revisionswerberin, die fett umrandeten Felder in Punkt 7.3. und 8. des Angebotsschreibens nicht auszufüllen, sei vergaberechtskonform und entspreche der jahrelangen Praxis bei Ausschreibungen der Auftraggeberin.
4 2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. September 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht dieses Nachprüfungsantrag ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.
5 2.2. In der Begründung gab das Bundesverwaltungsgericht nach Darstellung der wesentlichen Inhalte der im Verfahren ergangenen Schriftsätze sowie der am 25. August 2020 durchgeführten mündlichen Verhandlung auszugsweise die zugrundeliegende Ausschreibung wieder.
6 Die Revisionswerberin habe ‑ so das Bundesverwaltungsgericht ‑ die stark umrandeten Felder in den Positionen 7.3. und 8. des Angebotsschreibens nicht ausgefüllt, weshalb sie von der Auftraggeberin ausgeschieden worden sei.
7 Die Revisionswerberin habe das Feld in der Position 7.3. nicht ausgefüllt, aber ein K3‑Blatt abgegeben. In diesem würden entweder der Mittellohnpreis, der Regielohnpreis oder der Gehaltpreis sowie der Gesamtzuschlag kalkulatorisch hergeleitet. Dem Angebot der Revisionswerberin sei ein K3‑Blatt zur Herleitung des Mittellohnpreises angeschlossen. Darin habe die Revisionswerberin sich bei der Herleitung des Bruttomittellohns auf die Beschäftigungsgruppen IIa, IIb, IIIa, IV und V des Kollektivvertrages für das Baugewerbe und die Bauindustrie (Stand 1. Mai 2020) bezogen und unter Angabe des Anteils von Beschäftigten der jeweiligen Beschäftigungsgruppe an der zu erbringenden Leistung einen Bruttomittellohn hergeleitet. Damit habe sie verbindlich angegeben, welche Löhne sie kalkuliert habe. Insofern deckten sich die Angaben im K3‑Blatt mit dem in Punkt 7.3. des Angebotsschreibens abgefragten Angaben. Die Revisionswerberin habe im K3‑Blatt auch den Gesamtzuschlag für alle Arten von Zuschlagsträgern angegeben. Der werde in Punkt 7.3. des Angebotsschreibens sowohl für den Mittellohn als auch für den Stoffzuschlag abgefragt. Beide Angaben fänden sich im K3‑Blatt. Damit habe die Revisionswerberin die in Punkt 7.3. des Angebotsschreibens verlangten Angaben an der falschen Stelle und in der falschen Form gemacht. Ließe die Auftraggeberin eine Verbesserung zu, könnte die Revisionswerberin keine anderen Werte einsetzen, als sie sie im K3‑Blatt hergeleitet habe, und daher das Angebot inhaltlich nicht verändern. Es könnte somit keine Veränderung der Wettbewerbsstellung stattfinden.
8 Anders verhalte es sich mit den Angaben in Punkt 8 des Angebotsschreibens. An dieser Stelle sei der Aufschlag auf den kollektivvertraglichen Lohn und die Stoffkosten für Regieleistungen anzugeben. Auch dieser Punkt sei nach dem Wortlaut der Ausschreibung von allen Bietern in allen Gewerken auszufüllen. Diese beiden Angaben seien zu unterscheiden. Im Leistungsverzeichnis seien Regielöhne für Polier, Facharbeiter und Hilfsarbeiter in der Leistungsgruppe 20 des Leistungsverzeichnisses in den Positionen 20.1101A, 20.1103D Z und 201105A anzubieten. Für alle anderen Beschäftigungsgruppen sei keine eigene Position vorgesehen. Sollten andere als die anzubietenden Beschäftigungsgruppen zu entlohnen sein, fehle eine Angabe über die Regielöhne. Allerdings ergebe sich aus dem K3‑Blatt der Revisionswerberin, dass sie die von der Auftraggeberin genannten Mitarbeiter anderer Beschäftigungsgruppen nicht einzusetzen gedenke. Es sei jedoch nicht vorhersehbar, welche Arbeiten als Regiearbeiten auszuführen und wie sie zu entlohnen sein würden. Dabei sei die Abrechnung zu berücksichtigen, bei der nach Position 20 Punkt 5 des Leistungsverzeichnisses nur der Lohn für jene Beschäftigungsgruppe bezahlt werde, der für das Erbringen der Leistung ausreiche. Welcher Beschäftigungsgruppe der Arbeiter angehöre, der die Leistung erbringe, sei dabei ohne Bedeutung. Daher müssten im Angebot Aufschläge für alle Arten von Beschäftigungsgruppen vorgesehen sein, die für die verschiedenen Arten zu erbringender Regieleistungen in Frage kämen. Es genüge nicht, auf die tatsächlich eingesetzten zu verweisen. Insofern sei das Angebot unvollständig.
9 Der Gesamtzuschlag auf Stoffkosten in Punkt 8 des Angebotsschreibens sei in Position 20.15 des Leistungsverzeichnisses anzubieten gewesen. Daher sei er in Punkt 8 des Angebotsschreibens nicht auszufüllen gewesen und stelle das Nichtausfüllen keinen Mangel des Angebots dar. Bei dem Zuschlag auf Regiekosten handle es sich um eine Angabe, die nicht dem Gesamtzuschlag nach dem K3‑Blatt zu entnehmen gewesen sei, sondern gerade in der vorliegenden Ausschreibung gesondert in einer eigenen Position habe angeboten werden müssen. Damit stelle das Nichtausfüllen von Punkt 8 des Angebotsschreibens einen Mangel des Angebots dar. Das nachträgliche Ausfüllen würde zwar nicht zu einer Veränderung der Stellung der Revisionswerberin im Wettbewerb um den Auftrag führen, weil die einzusetzenden Angaben weder Einfluss auf den Angebotspreis noch auf die in den Zuschlagskriterien bewerteten Angaben hätten. Es könne aber Einfluss auf die Abrechnung des Auftrags haben und damit mittelbar den Endpreis bei der Abrechnung beeinflussen. Auch würden die Angaben in Punkt 8 des Angebotsschreibens Einfluss auf den Abrechnungspreis, nicht jedoch auf den Angebotspreis nehmen, sodass eine erstmalige Angabe nach der Angebotsöffnung unzulässig sei. Der Revisionswerberin würde bei einem nachträglichen Ausfüllen die unzulässige Möglichkeit der Neukalkulation nach der Angebotsabgabe eingeräumt. Dabei sei unerheblich, dass es sich nur um einen geringen Anteil am Angebotspreis handle, der unter Umständen auch keinen Einfluss auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens habe.
10 Im Ergebnis sei das Angebot der Revisionswerberin mangelhaft. Auch wenn das Nichtausfüllen von Punkt 7.3. des Angebotsschreibens einen verbesserungsfähigen Mangel darstellen möge, sei das Nichtausfüllen des Zuschlags auf Regiekosten in Punkt 8 des Angebotsschreibens ein nicht verbesserbarer Mangel, weil ein nachträgliches Ausfüllen die Möglichkeit der Neukalkulation im Zuge der Verbesserung des Angebots einräume.
11 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
12 4. Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
14 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
15 5. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit vor, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung von Ausschreibungsunterlagen ab. Das Bundesverwaltungsgericht hätte bei richtiger Anwendung der Auslegungsgrundsätze das Angebot der Revisionswerberin nicht als unvollständig werten dürfen.
16 Bei einer der ÖNORM entsprechenden Kalkulation auf Basis von K3‑Blättern sei es gar nicht möglich, einen einzigen Zuschlag, wie in Punkt 8 des Angebotsschreibens vorgesehen, anzugeben. Dies sei auch nicht der Sinn der Regelung des Punktes 8. Dieser sei nur für den Fall gedacht, wenn im Leistungsverzeichnis gar keine anhängigen Regiepositionen ausgeschrieben seien und ein Bieter einfach ohne Kalkulation einen einzigen gemittelten Zuschlag aus der Erfahrung heraus auf alle Löhne gleichförmig anbiete. Dies stelle eine vereinfachte Art der Kalkulation von Regielohnpreisen dar, die aber nicht der ÖNORM entspreche. Die Revisionswerberin habe ‑ wie in der Ausschreibung bedungen ‑ die ausgeschriebenen Positionen auf Basis einer ÖNORM gerechten Kalkulation kalkuliert und angeboten.
17 Nachdem die Auftraggeberin dem Grundsatz der vollständigen Leistungsbeschreibung verpflichtet sei, habe die Revisionswerberin nach dem Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters berechtigt davon ausgehen können, dass die Leistungsbeschreibung im Leistungsverzeichnis für die angehängten Regieleistungen auch alle für den gegenständlichen Auftrag in Frage kommenden Beschäftigungskategorien umfasse. Kein anderer Erklärungswert könne der Ausschreibung in diesem Punkt in objektiver Weise beigemessen werden.
18 Zudem hätte das Bundesverwaltungsgericht das Verhalten der Auftraggeberin in der Vergangenheit als für die Auslegung relevant berücksichtigen müssen. Schließlich verwende die Auftraggeberin die Ausscheidensunterlage seit Jahren als Standardformular. Sie weiche mit dem gegenständlichen Ausscheiden und der eingenommenen Rechtsauffassung von ihrer langjährig geübten Praxis ab. Die Revisionswerberin habe beispielhaft elf (näher bezeichnete) Angebotsschreiben zu mehr oder weniger identen Vergabeverfahren der Auftraggeberin vorgelegt, die allesamt im Prinzip wortident die Bestimmung des Punktes 8 enthielten. Die Revisionswerberin habe keiner dieser Ausschreibungen die fett umrandeten Felder ausgefüllt und trotzdem den Zuschlag erhalten.
19 6.1. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Prüfung der Ausschreibungskonformität eines Angebotes stets eine jeweils im Einzelfall vorzunehmende Beurteilung dar. Ob ein Angebot einen zum Ausscheiden führenden Mangel aufweist, ist am Maßstab der Ausschreibungsbestimmungen zu messen (vgl. VwGH 18.9.2019, Ra 2018/04/0007, mwN).
Auch hat der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass die in vertretbarer Weise vorgenommene fallbezogene Auslegung von Parteierklärungen oder Ausschreibungsunterlagen keine grundsätzliche Rechtsfrage bildet, bzw. dass einer vertretbaren Auslegung keine über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt. Die Auslegung einer Erklärung im Einzelfall wäre nur dann erfolgreich mit Revision bekämpfbar, wenn dem Verwaltungsgericht eine krasse Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (vgl. VwGH 17.4.2020, Ra 2017/04/0124, mwN).
20 Die Revision vermag mit ihrem Vorbringen keine derartige, vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit aufzuzeigen, zumal das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung nachvollziehbar darlegte, warum das Nichtausfüllen von Punkt 8 des Angebotsschreibens hinsichtlich des Zuschlags auf die Regielohnkosten einen Mangel des Angebots darstelle und an diesem Ergebnis auch die Angaben der Revisionswerberin im K3‑Blatt nichts ändern würden.
21 6.2. Bei der Auslegung von Willenserklärungen des Auftraggebers ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der objektive Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt maßgebend (vgl. VwGH 8.8.2018, Ra 2015/04/0102, mwN). Im Zweifel sind Festlegungen in der Ausschreibung gesetzeskonform und sohin in Übereinstimmung mit den maßgeblichen Bestimmungen auszulegen. Auf den vermuteten Sinn und Zweck der Ausschreibungsbestimmungen kommt es nicht an. Maßgeblich ist vielmehr der objektive Erklärungswert der Ausschreibungsbestimmungen (vgl. VwGH 25.1.2022, Ra 2021/04/0229, mwN).
22 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Begründung darauf verwiesen, dass bei der Beurteilung, ob das Angebot alle erforderlichen Angaben enthalte und insbesondere über alle verlangten Angebotsbestandteile, Nachweise und Beilage verfüge, auf die konkrete Ausschreibung abzustellen sei und „allfällige abweichende Gepflogenheiten des Auftraggebers aus der Vergangenheit“ dabei keine Rolle spielten.
Ausgehend davon wird auch mit der in der Revision vorgebrachten Rüge, das Bundesverwaltungsgericht hätte bei der Auslegung das Verhalten der Auftraggeberin in der Vergangenheit berücksichtigen müssen, keine Abweichung von der hg. Rechtsprechung aufgezeigt. Die Revision übersieht im vorliegenden Fall, dass es bei der Auslegung der Ausschreibungsbestimmungen auf den objektiven Erklärungswert für einen durchschnittlich fachkundigen Bieter ankommt und nicht auf persönliche Erfahrungen der Revisionswerberin in Zusammenhang mit in der Vergangenheit erfolgten Ausschreibungen der Auftraggeberin.
23 7. In der Revision somit werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 26. Mai 2023
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