European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022180096.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein iranischer Staatsangehöriger, beantragte am 8. April 2019 internationalen Schutz. Dazu führte er zusammengefasst aus, im Iran wegen des Glaubensübertritts seiner nach Österreich geflüchteten Tochter zum Christentum von Mitarbeitern des iranischen Geheimdienstes bedroht, mit einem Auto angefahren und körperlich attackiert worden zu sein. Er habe sich außerdem einer Hauskirche angeschlossen, die an die Behörden verraten worden sei, weshalb er geflohen sei. In Österreich sei er mittlerweile römisch‑katholisch getauft und gefirmt worden, weshalb er nicht mehr gefahrlos in den Iran zurückkehren könne.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 5. Juli 2019 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Iran zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.
3 Begründend schenkte das BVwG dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers zu den behaupteten Vorfällen im Iran keinen Glauben. Es gestand dem Revisionswerber zwar zu, in Österreich römisch‑katholisch getauft und gefirmt worden zu sein. Dabei habe es sich aber nur um eine Scheinkonversion zur Erlangung von Asyl gehandelt, die bei Rückkehr in den Iran ebenso wenig wie sein verwandtschaftliches Verhältnis zu seinen (mittlerweile zwei) in Österreich befindlichen christlichen Töchtern Verfolgung nach sich ziehen würde. Es sei ihm deshalb kein Asyl zu gewähren.
4 Im Zusammenhang mit der Nichtgewährung von subsidiärem Schutz führte das BVwG u.a. aus, dem Revisionswerber drohe auch unter Berücksichtigung der COVID‑19‑Pandemie keine reale Gefahr der Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte. Er leide nicht an dieser Krankheit und gehöre keiner diesbezüglichen Risikogruppe an. Es lägen daher auch mit Blick auf die Pandemie in seinem Fall keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Art. 3 EMRK vor.
5 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung gemäß Art. 144 Abs. 2 B‑VG mit Beschluss vom 2. März, E 422/2022‑5, ablehnte und sie an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
6 In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, das BVwG habe eine mangelhafte Beweiswürdigung zu den vorgebrachten Geschehnissen im Iran und zum geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgrund der Konversion vorgenommen. Es sei dabei von den höchstgerichtlichen Leitlinien abgewichen. Es habe unterlassen, den Zeugen (Taufspender) detailliert zur wahren inneren Einstellungsänderung des Revisionswerbers einzuvernehmen. Selbst unter der Annahme einer Scheinkonversion, die weiterhin bestritten werde, hätte das BVwG dem Revisionswerber aber auf der Grundlage seiner Länderfeststellungen zur Lage im Iran Asyl gewähren müssen, weil sich daraus ergebe, dass der Revisionswerber sehr wohl „ein Problem“ bei Rückkehr haben werde. Weiters erwiesen sich die Feststellungen und die darauf Bezug habende Beweiswürdigung im Hinblick auf die im Iran herrschende COVID‑19‑Situation als nicht nachvollziehbar, weil dort exzeptionelle Umstände gegeben seien, die eine Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würden.
7 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Hat das Verwaltungsgericht ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
10 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
11 Die vorliegende Revision begründet ihre Zulässigkeit zunächst mit der aus ihrer Sicht unvertretbaren Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung in diesem Zusammenhang aber nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 3.2.2022, Ra 2021/18/0374, mwN).
12 Im gegenständlichen Fall schenkte das BVwG dem Vorbringen des Revisionswerbers, von Mitarbeitern des iranischen Geheimdienstes verfolgt worden zu sein und bereits im Iran einer Hauskirche angehört zu haben, die an die iranischen Behörden verraten worden sei, keinen Glauben. In seiner Beweiswürdigung stellte es umfassend dar, weshalb das diesbezügliche Fluchtvorbringen nicht überzeugen konnte.
13 Wenn die Revision dagegen einwendet, das BVwG habe aufgrund „unwesentlicher Details“ auf die Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers geschlossen, kann dem nicht gefolgt werden. Zum einen vermag die Revision die von ihr angesprochenen Ungereimtheiten im Aussageverhalten des Revisionswerbers nicht aufzuklären und beschränkt sich im Wesentlichen darauf, sie als „irrelevant“ zu bezeichnen. Zum anderen hat sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung auch auf weitere nachvollziehbare Argumente gestützt, die von der Revision vollkommen ausgeblendet werden. So hat das Verwaltungsgericht beispielsweise angeführt, dass zwischen den behaupteten Verfolgungshandlungen einerseits und der Flucht des Revisionswerbers aus dem Iran im April 2019 andererseits lange Zeiträume gelegen haben, in denen der Revisionswerber selbst nach eigenem Vorbringen unbehelligt geblieben sei, was in Anbetracht des behaupteten Interesses der iranischen Behörden an ihm nicht verständlich sei. Das angeblich fluchtauslösende Moment (Verrat der Hauskirche, die er besucht haben will) habe er in seiner freien Erzählung in der mündlichen Verhandlung nicht erwähnt, sondern erst auf Nachfrage und nur allgemein ohne zeitliche Eingliederung. Insgesamt erweist sich die Beweiswürdigung des BVwG zu den behaupteten Geschehnissen im Iran daher nicht als unvertretbar.
14 In Bezug auf den geltend gemachten subjektiven Nachfluchtgrund der Konversion zum Christentum bestreitet die Revision, dass der Revisionswerber bloß zum Schein konvertiert sei und hält dem BVwG entgegen, es sei von den einschlägigen höchstgerichtlichen Leitlinien zur diesbezüglichen Beurteilung abgewichen. Dem ist entgegen zu halten, dass sich das BVwG mit sämtlichen in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgegebenen maßgeblichen Indizien zur Beurteilung einer möglichen Scheinkonversion (vgl. dazu insbesondere VwGH 12.6.2020, Ra 2019/18/0440, mwN) auseinandergesetzt und näher begründet hat, weshalb es davon ausgeht, dass der Revisionswerber den neu angenommenen Glauben bei Rückkehr in den Iran nicht mehr ausüben würde.
15 Aus den umfangreichen Erwägungen des BVwG zu diesem Thema ist lediglich hervorzuheben, dass das Verwaltungsgericht zwar die Teilnahme des Revisionswerbers an Glaubenskursen, den regelmäßigen Besuch von Gottesdiensten in einer privaten Kapelle seines Wohnhauses sowie die Vornahme der Taufe und der Firmung (am 7. Juni 2020) eingeräumt, aber auch eine Vielzahl von Argumenten dargelegt hat, die für eine Scheinkonversion sprächen. So habe er die Motivation zum Glaubenswechsel nicht plausibel machen können und dazu erst in der mündlichen Verhandlung ein gesteigertes Vorbringen erstattet. Er sei auch nicht ‑ anders als seine in Österreich aufhältigen und konvertierten Töchter ‑ in einer öffentlichen Pfarre integriert und es sei nicht hervorgekommen, dass das Praktizieren des Glaubens innerhalb einer Gemeinschaft, was auch eine christliche Lebensweise kennzeichne, für den Revisionswerber zu einem wesentlichen Bestandteil seiner Glaubensausübung geworden sei. Die Ausführungen zu seinem Gebetsverhalten seien sehr allgemein gehalten, kurz und nicht individuell oder detailliert geschildert worden. All dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen und zeigt damit auch in Bezug auf die Annahme der Scheinkonversion keine unvertretbare Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts auf.
16 Soweit die Revision dem BVwG vorhält, den als Zeugen einvernommenen Taufspender nicht detailliert zur Ernsthaftigkeit der Konversion des Revisionswerbers einvernommen zu haben, erweist sich dies bei Einsichtnahme in das Protokoll der mündlichen Verhandlung als unzutreffend. Richtig ist nur, dass das BVwG die Aussage des Zeugen, der Revisionswerber sei „sicher schon ein Christ, er betet auch und er bittet auch, dass man für ihn betet“ bzw. „er [sei] ja auch im Herzen dabei“ für nicht ausreichend ansah, um die nach Auffassung des BVwG für eine Scheinkonversion sprechenden Argumente zu widerlegen. Dass die dazu angestellten Überlegungen des BVwG, zu denen es im Rahmen der freien Beweiswürdigung berechtigt war, unsachlich und unvertretbar wären, legt die Revision nicht dar.
17 Die Revision macht hilfsweise auch geltend, dass dem Revisionswerber selbst unter der Annahme einer Scheinkonversion Verfolgung bei Rückkehr in den Iran drohen würde. Sie meint aus den getroffenen Länderfeststellungen ableiten zu können, dass eine Konversion im In‑ oder Ausland im Hinblick auf die asylrelevante Verfolgung nicht gleich zu behandeln sei und die Konversion in Österreich bei Rückkehr in den Iran Probleme für den Revisionswerber mit sich bringen könnte, weil er den iranischen Behörden durchaus „bekannt“ sei.
18 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das angefochtene Erkenntnis zu den Folgen einer (Schein‑)Konversion zum Christentum unter zwei gleichlautenden Überschriften zum Teil wortidente, zum Teil unterschiedliche Länderfeststellungen enthält, was darauf hindeutet, dass in die Länderfeststellungen unreflektiert älteres (Erkenntnis Seiten 22 bis 26) und aktuelleres Berichtsmaterial (Erkenntnis Seiten 31 bis 36) übernommen wurde. Dieser Begründungsmangel wirkt sich im gegenständlichen Fall aber nicht aus, weil die maßgeblichen Textpassagen für die Beurteilung des gegenständlichen Falles einander nicht widersprechen.
19 Darin heißt es zusammengefasst, ob eine Taufe für die iranischen Behörden Bedeutung habe, könne nicht zweifelsfrei gesagt werden. Amnesty International und eine anonyme Quelle vor Ort würden dies verneinen, eine näher bezeichnete Organisation, die sich um die Bedürfnisse von Christen im Mittleren Osten und Nordafrika kümmere, sei der Meinung, dass eine dokumentierte Taufe die Behörden alarmieren und problematisch sein könne. Die Rückkehr von Konvertiten nach Iran führe (aber) nicht zwingend zu einer Festnahme oder Inhaftierung. Wenn ein Konvertit den Behörden auch zuvor nicht bekannt gewesen sei, dann sei eine Rückkehr weitgehend problemlos. Auch konvertierte Rückkehrer, die keine Aktivitäten in Bezug auf das Christentum setzten, seien für die Behörden nicht von Interesse. Wenn ein Konvertit schon vor seiner Ausreise den Behörden bekannt gewesen sei, könne sich die Situation anders darstellen; ebenso, wenn der Konvertit freimütig über seine Konversion in den Social-Media-Kanälen berichte, wenn er ein „high‑profile“‑Fall sei, sich missionarisch betätige oder andere Aktivitäten setze, die im Iran als Bedrohung der nationalen Sicherheit angesehen würden.
20 Unter Zugrundelegung dieser Länderfeststellungen, die von der Revision nicht bekämpft werden, ist die Schlussfolgerung der Revision, dem Revisionswerber drohe selbst bei einer Scheinkonversion behördliche Verfolgung im Iran, nicht nachvollziehbar. Insbesondere liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Revisionswerber den iranischen Behörden aus der Vergangenheit in solcher Weise aufgefallen und damit „bekannt“ geworden sein sollte, dass sie bei Rückkehr besonderes Augenmerk auf ihn legen würden. Solche Anhaltspunkte zeigt auch die Revision nicht auf.
21 Soweit die Revision abschließend vermeint, die COVID‑19‑Pandemie führe dazu, dass dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zu gewähren wäre und dies ausschließlich daran festmachen will, dass die tatsächlichen Infektionszahlen im Iran höher seien als offiziell angegeben bzw. laut dem Bericht einer österreichischen Tageszeitung zahlreiches medizinisches Personal den Iran verlassen habe, zeigt sie allein damit ein reales Risiko für den Revisionswerber, bei Rückkehr in seinen durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden, nicht auf. Schon deshalb ist die Relevanz des von der Revision behaupteten Verfahrensmangel in diesem Zusammenhang nicht ausreichend dargetan.
22 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
23 Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abzusehen.
Wien, am 20. Juni 2022
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