VwGH Ra 2022/09/0078

VwGHRa 2022/09/00787.7.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Dr. Doblinger und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Dr. A B, vertreten durch die BLS Rechtsanwälte Boller Langhammer Schubert GmbH in 1010 Wien, Kärntner Straße 10, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. März 2022, VGW‑172/090/9084/2018‑18, betreffend Disziplinarstrafe einer Geldstrafe nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

ÄrzteG 1998 §136 Abs7
ÄrzteG 1998 §49 Abs2c
ÄrzteK Fortbildung 2010 §28 Abs3
B-VG Art133 Abs4
StGB §6
StGB §6 Abs1
VStG §5 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022090078.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der im Jahr 1942 geborene Revisionswerber war als Facharzt für Innere Medizin im Zeitraum 1. September 2013 bis 1. September 2016 als Wohnsitzarzt zur selbständigen Berufsausübung berechtigt.

2 Mit Disziplinarerkenntnis des Disziplinarrats der Österreichischen Ärztekammer vom 5. April 2018 wurde der Revisionswerber schuldig erkannt, gegen seine Berufspflichten dadurch verstoßen zu haben, dass er mit Stichtag 1. Dezember 2016 für den Zeitraum 1. September 2013 bis 31. August 2016 entgegen § 49 Abs. 2c Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) in Verbindung mit § 28 Abs. 3 der Verordnung über die ärztliche Fortbildung nicht zumindest 150 DFP‑Punkte (davon 120 medizinische DFP‑Punkte) nachgewiesen, sondern lediglich 56 Punkte (davon 52 medizinische Punkte), und damit nicht ausreichend glaubhaft gemacht habe, seine Pflicht zur Fortbildung erfüllt zu haben.

3 Es wurde über ihn als Disziplinarstrafe eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,‑‑ verhängt und gemäß § 163 Abs. 1 ÄrzteG 1998 ein Kostenbeitrag in der Höhe von € 1.000,‑‑ vorgeschrieben.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Revisionswerbers insoweit Folge, als es die verhängte Disziplinarstrafe auf € 200,‑‑ herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab und sprach aus, dass die Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25 Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, das Verwaltungsgericht habe in korrekturbedürftiger Weise die Schuldfrage bejaht. Dazu wird zusammengefasst ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe den Schuldspruch darauf gestützt, dass den Revisionswerber eine gesetzliche Pflicht treffe, bereits vor Ablauf des gegenständlichen Betrachtungszeitraums DFP‑Punkte „auf Vorrat“ zu sammeln, um einer allenfalls zukünftig eintretenden Verminderung der Leistungsfähigkeit antizipativ entgegenzutreten. Eine derartige Verpflichtung sei dem ÄrzteG 1998 allerdings nicht zu entnehmen. Es müsse dem Arzt anheimgestellt bleiben, wann er die Punkte innerhalb des Zeitraums sammle. Es liege keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, ob das Nichtsammeln von DFP‑Punkten „pro ratio temporis“ analog zum verstreichenden Betrachtungszeitraum einen Fahrlässigkeitsvorwurf zu begründen vermöge. Darüber hinaus macht der Revisionswerber in seinem Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision eine fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage geltend, ob dem Arzt eine disziplinarrechtlich relevante Pflicht auferlegt werde, eine bestehende Erkrankung medikamentös zu therapieren. Eine derartige Verpflichtung sei aber nicht mit dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu vereinbaren. Das Verwaltungsgericht habe das Verschulden zu Unrecht damit begründet, dass der Revisionswerber nur unregelmäßig seine Medikamente zur Behandlung seiner depressiven Erkrankung eingenommen habe. In diesem Zusammenhang macht der Revisionswerber auch eine unschlüssige Begründung, Feststellungsmängel zum rechtmäßigen Alternativverhalten und Ermittlungsmängel (fehlende Einholung eines Sachverständigengutachtens) geltend. Schließlich sei die Revision auch deshalb zulässig, weil keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darüber vorliege, ob die Verletzung der Entscheidungspflicht im Sinn des § 43 Abs. 1 VwGVG auch im ärztlichen Disziplinarverfahren anzuwenden sei. Die Entscheidung über die Beschwerde des Revisionswerbers vom Juni 2018 sei erst im Jahr 2022 ergangen.

9 Soweit sich der Revisionswerber gegen die Annahme eines Verschuldens im Sinn einer Fahrlässigkeit wendet, ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 136 Abs. 7 ÄrzteG 1998 hinsichtlich der disziplinären Verantwortlichkeit für die Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten (§ 6 StGB) genügt (vgl. VwGH 20.6.2016, Ra 2015/09/0090). Die Außerachtlassung der objektiv gebotenen und subjektiv möglichen Sorgfalt kann dem Täter im Sinn des § 6 Abs. 1 StGB nur dann vorgeworfen werden, wenn es ihm unter dem besonderen Verhältnis des Einzelfalles auch zuzumuten war, sie tatsächlich aufzuwenden. Zur Frage des Ausmaßes der objektiven Sorgfaltspflicht hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen, dass der dafür geltende Maßstab ein objektivnormativer ist; Maßfigur ist der einsichtige und besonnene Mensch, den man sich in der Lage des Täters versetzt zu denken hat. Objektiv sorgfaltswidrig hat der Täter folglich nur dann gehandelt, wenn sich ein einsichtiger und besonnener Mensch des Verkehrskreises, dem der Handelnde angehört, an seiner Stelle anders verhalten hätte (vgl. grundlegend VwGH 20.3.2018, Ra 2017/03/0092, mwN).

10 Die Verschuldensfrage unterliegt der Einzelfallbeurteilung durch das jeweilige Verwaltungsgericht (vgl. etwa VwGH 27.10.2017, Ra 2015/17/0015, mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung durch das Verwaltungsgericht grob fehlerhaft vorgenommen worden wäre.

11 Eine derartige Fehlbeurteilung wird in der Revision nicht dargetan. Das Verwaltungsgericht begründete seinen Schuldspruch in erster Linie damit, dass dem Revisionswerber ein Verschulden im Sinn einer Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei, weil er nicht im ausreichenden Ausmaß dafür Sorge getragen habe, dass er die für die Erfüllung der Fortbildungsverpflichtung erforderliche DFP‑Punkteanzahl erreicht. Trotz der durchgehend belastenden Lebensumstände und der wiederholt depressiven Episoden ab dem Jahr 2014 ‑ diese Feststellungen bleiben unbekämpft ‑ habe er den Erwerb von zwei Drittel der notwendigen Punkte auf die letzten Monate des dreijährigen Fortbildungszeitraumes aufgeschoben. Diese Beurteilung kann nicht als unvertretbar erkannt werden. Auch wenn es im freien Ermessen des Arztes steht, wie er die geforderte Mindestpunkteanzahl durch die Absolvierung anerkannter Fortbildungen erlangt und welche Schwerpunkte er bei seiner Fortbildung (im Rahmen der Vorgaben) wählt, hat er ausreichend dafür Sorge zu tragen, dass er die Fortbildungspflicht als elementare Berufspflicht erfüllt (vgl. zur ärztlichen Fortbildungspflicht grundlegend VwGH 28.2.2022, Ra 2020/09/0009). Die vom Revisionswerber behauptete Unschlüssigkeit in der Begründung kann nicht nachvollzogen werden. Ein relevanter Verfahrensmangel wird mit dem Zulässigkeitsvorbringen nicht dargetan.

12 Die zur Zulässigkeit aufgeworfenen Frage der Mitwirkungspflicht im Zusammenhang mit der Medikamenteneinnahme erweist sich nicht als präjudiziell, weil das Verwaltungsgericht den Schuldspruch darauf nicht tragend gestützt hat (vgl. zur Voraussetzung der Präjudizialität etwa VwGH 27.5.2020, Ra 2020/03/0019, mwN).

13 Soweit der Revisionswerber eine fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Anwendbarkeit des § 43 Abs. 1 VwGVG geltend gemacht, ist er darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, dass es sich bei der Entscheidung über ein Disziplinarerkenntnis nicht um eine Verwaltungsstrafsache im Sinn des Art. 130 Abs. 3 B‑VG handelt (vgl. etwa VwGH 26.2.2021, Ra 2020/09/0073, mwN).

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juli 2022

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