VwGH Ra 2022/03/0118

VwGHRa 2022/03/01181.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie die Hofräte Mag. Samm und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision des F F in B, vertreten durch Dipl.‑Ing. Mag. Andreas O. Rippel, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Maxingstraße 34, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 3. März 2022, Zl. 405‑10/1080/3/5‑2022, betreffend Antrag auf Wiedereinsetzung in einer Angelegenheit nach dem Waffengesetz 1996 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Salzburg‑Umgebung), den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1332
VwGVG 2014 §33 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022030118.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Bescheid vom 11. August 2021 verhängte die belangte Behörde in Bestätigung eines zuvor erlassenen Mandatsbescheides über den Revisionswerber gemäß § 12 Waffengesetz 1996 ein Waffenverbot. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter des Revisionswerbers durch Hinterlegung per 16. August 2021 (Beginn der Abholfrist) zugestellt.

2 Am 21. September 2021 stellte der Revisionswerber bei der belangten Behörde einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist und erhob zugleich eine näher begründete Beschwerde gegen den Bescheid vom 11. August 2021.

3 Den Wiedereinsetzungsantrag begründete der Revisionswerber damit, dass der Vater des Rechtsvertreters des Revisionswerbers am 24. Juli 2021 „kurz vor Zustellung des Bescheides“ verstorben sei. Der Verstorbene sei auch der Schwiegervater der Ehefrau des Rechtsvertreters gewesen, die seit rund 20 Jahren in dessen Rechtsanwaltskanzlei als Kanzleimitarbeiterin und substitutionsbefugte Rechtsanwaltsanwärterin tätig sei. Er sei bis zuletzt als Patentanwalt tätig gewesen und habe mit dem Rechtsvertreter eine gemeinsame Kanzlei in Kooperationspartnerschaft betrieben. Weiters hätten der Rechtsvertreter, seine Ehefrau und der verstorbene Vater eine gemeinsame Liegenschaft bewohnt.

4 Aufgrund der näher dargestellten persönlich und beruflich belastenden Situation nach dem Tod des Verstorbenen sei der äußerst erfahrenen Kanzleimitarbeiterin (Ehefrau des Rechtsvertreters) ein Fehler bei der Eintragung der Frist für die Bekämpfung des Bescheides vom 11. August 2021 unterlaufen, der sich insofern zusammenfassen lässt, dass sie von der Notwendigkeit einer Revision (und damit dem Vorliegen einer sechswöchigen Revisionsfrist) anstelle der tatsächlich zu verfassenden Beschwerde an das Verwaltungsgericht (und damit einer vierwöchigen Beschwerdefrist) ausgegangen sei. Die Berechnung und Eintragung der Frist sei einen Tag vor oder am Tag des Begräbnisses (19. August 2021) erfolgt. Dieser geringfügige Fehler sei auch dem in gleicher Weise durch den Verlust seines Vaters emotional, persönlich und beruflich belasteten Rechtsvertreter nicht aufgefallen. Der Fehler sei erst bemerkt worden, als am 20. September 2021 die am 16. September 2021 ausgearbeitete Beschwerde versendet worden sei.

5 Mit Bescheid vom 13. Dezember 2021 wies die belangte Behörde den Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG ab.

6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde als unbegründet abgewiesen und eine ordentliche Revision dagegen für nicht zulässig erklärt.

7 Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem einschreitenden Rechtsanwalt ein über einen minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden an der durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (nämlich dem Versehen bei der Fristeintragung bzw. ‑kontrolle) verursachten Versäumung der Beschwerdefrist treffe. Unter Hinweis darauf, dass der Vater des Rechtsvertreters am 24. Juli 2021 verstorben sei, die Zustellung des Bescheides am 16. August 2021 erfolgt sei und das Begräbnis am 19. August 2021 stattgefunden habe, hätte einem sorgfältigen Rechtsanwalt unter den von ihm dargestellten Umständen auffallen müssen, dass die Hektik und Trauer für ihn und seine Frau für die gesamte Arbeit in der Kanzlei zu viel sein könnte, und er sich um eine Vertretung kümmern können. Auch hätte der Rechtsanwalt die nach der von Hektik, außergewöhnlichen Umständen, Mehrfachbelastung und Trauer erfüllten Zeit zwischen Tod und Begräbnis seines Vaters noch verbliebenen knapp vier Wochen bis zum Ende der Beschwerdefrist am 13. September 2021 nutzen können, um das Fristenbuch nochmals zu kontrollieren. Das Verwaltungsgericht könne auch der Begründung der belangten Behörde im bekämpften Bescheid nichts entgegenhalten, wonach dem Rechtsanwalt durch einen kurzen Blick in das Fristenbuch der (falsche) Eintrag mit dem Namen des Revisionswerbers und dem Inhalt „VwGH Revision“ ins Auge hätte stechen müssen, weil ihm bekannt gewesen sei, dass der Bescheid vom 11. August 2021 (auch nach seiner Rechtsmittelbelehrung) nicht mit Revision, sondern Beschwerde zu bekämpfen gewesen wäre.

8 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vorbringt, die Annahme einer groben Sorgfaltswidrigkeit sei unrichtig, weil einerseits die dazu herangezogene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für den konkreten Fall unpassend sei und andererseits die Sorgfaltsverpflichtung eines Rechtsanwaltes in einer nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gedeckten extremen Art und Weise unvertretbar weit ausgedehnt worden sei.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Nach § 33 Abs. 1 VwGVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (unter anderem) zu bewilligen, wenn sie glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt (hat) und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (zur Maßgeblichkeit allein des § 33 VwGVG und nicht der §§ 71, 72 AVG im Fall der Versäumung einer Beschwerdefrist vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2018/19/0708, mwN).

11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt ein dem Vertreter widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Vertreter selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Das Verschulden von Kanzleikräften stellt für den Vertreter dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis in diesem Sinn dar, wenn der Vertreter der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Kanzleikräften nachgekommen ist. Dabei wird durch entsprechende Kontrollen dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach hintangehalten werden. Zu den Aufgaben des Rechtsanwaltes im Zusammenhang mit der Wahrung einer Frist gehört es, die Frist festzusetzen, ihre Vormerkung anzuordnen und die richtige Eintragung im Kalender im Rahmen der ihm gegenüber seinen Angestellten gegebenen Aufsichtspflicht zu überwachen (vgl. VwGH 6.10.2021, Ra 2021/02/0208, mwN).

12 Im vorliegenden Fall geht das Verwaltungsgericht von einer eingerichteten und tatsächlich auch durchgeführten Vier-Augen-Kontrolle von Fristeintragungen durch den Rechtsanwalt aus. Es stellt sich daher nicht die Frage, ob der Rechtsanwalt der ihm im Allgemeinen obliegenden (in Fristsachen: persönlichen) Überwachungspflicht nachgekommen ist bzw. ein entsprechendes Kontrollsystem eingerichtet hat. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr darauf abgestellt, dass der Rechtsanwalt angesichts der von ihm eingeräumten Ausnahmesituation keine weiteren Vorkehrungen getroffen hat, die der Vermeidung oder Aufdeckung von ihm in dieser Lage selbst allenfalls unterlaufenden Irrtümern in der Fristenüberprüfung dienen hätten können.

13 Die Frage, ob das Verwaltungsgericht fallbezogen zu Recht das Vorliegen eines minderen Grades des Versehens verneint hat, stellt nur dann eine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG dar, wenn die Beurteilung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen wird (vgl. wiederum VwGH 6.10.2021, Ra 2021/02/0208, mwN).

14 Die Revision vermag nicht aufzuzeigen, dass die dargestellte Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, insbesondere unter Berücksichtigung der zeitlichen Abläufe, als unvertretbar anzusehen wäre.

15 Die besondere ‑ fehlergeneigte ‑ Ausnahmesituation, in der sich der Rechtsanwalt nach dem Tod seines Vaters befunden hat, unterscheidet den vorliegenden Fall auch von dem im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 11. März 2021, Ra 2020/21/0408, behandelten Sachverhalt, bei dem das Verwaltungsgericht „in zu strenger Weise“ eine nochmalige Fristprüfung verlangt hatte, obwohl dort überhaupt keine Anhaltspunkte für einen möglichen Fehler (dort: betreffend das Datum in der Eingangsstampiglie) vorlagen. Das angefochtene Erkenntnis weicht insofern entgegen der Zulässigkeitsbegründung der Revision auch nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab. Vielmehr ist in einer Ausnahmesituation eine besondere Vorsorge dafür erforderlich, dass die fristgerechte Erstattung und Abfertigung fristgebundener Schriftsätze gewährleistet wird (vgl. dazu VwGH 18.9.2013, 2013/03/0094, 0095, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2022

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