VwGH Ra 2022/02/0161

VwGHRa 2022/02/01611.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer‑Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Mag. T in G, vertreten durch Mag. Günther Holzapfel, Rechtsanwalt in 4770 Andorf, Hauptstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 31. Mai 2022, LVwG‑303189/14/Kl/CG, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Schärding), den Beschluss gefasst:

Normen

ArbeitsmittelV 2000 §18 Abs2 Z5
ASchG 1994 §130 Abs1 Z16
B-VG Art133 Abs4
VStG §5 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §38

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022020161.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen, im Beschwerdeverfahren ergangenen Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich (Verwaltungsgericht) wurde der Revisionswerber schuldig erachtet, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer näher genannten Gesellschaft und somit als deren gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen berufenes Organ zu verantworten, dass der Arbeitnehmer S am 11. Juni 2019 auf einer näher bezeichneten Baustelle mit Kranarbeiten mit einem bestimmten Ladekran, aufgebaut auf einem dem Kennzeichen nach bestimmten LKW, beschäftigt worden sei, wobei die Lasten nicht so befördert worden seien, dass sie an Hindernissen nicht hängen blieben und ein Herabfallen hintangehalten werde. Die Kettenhaken seien in den Drahtschlingen (Bindedraht) befestigt worden, die keinen sicheren Anschlagpunkt darstellten und somit in weiterer Folge herabgefallen seien. Durch geeignete Maßnahmen sei bei der Benutzung von Arbeitsmitteln zum Heben von Lasten für die Standsicherheit des Arbeitsmittels und das sichere Aufnehmen, Bewegen und Absetzen der Last zu sorgen. Er habe somit als Arbeitgeber entgegen dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz bzw. einer dazu erlassenen Verordnung (Arbeitsmittelverordnung) die Verpflichtungen betreffend die Beschaffenheit, die Aufstellung, die Benutzung, die Prüfung oder die Wartung von Arbeitsmitteln verletzt. Dadurch habe er § 18 Abs. 2 Z 5 erster Satz der Arbeitsmittelverordnung (AM‑VO) iVm § 130 Abs. 1 Z 16 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) verletzt. Über ihn wurde gemäß § 130 Abs. 1 ASchG eine Geldstrafe in der Höhe von € 500,‑‑ (Ersatzfreiheitsstrafe ein Tag und eine Stunde) verhängt sowie ein Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren festgelegt. Die Revision wurde für unzulässig erklärt.

2 In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht zusammengefasst fest, der Arbeitnehmer sei auf der Baustelle mit Kranarbeiten mit einem Ladekran, der auf einem LKW aufgebaut gewesen sei, beschäftigt gewesen. Dabei seien die Kettenhaken in den keinen sicheren Anschlagpunkt darstellenden Drahtschlingen (Bindedraht) der Baustahlgitter befestigt worden, welche in weiterer Folge herabgefallen seien. Der Arbeitnehmer sei schon lange im Unternehmen beschäftigt, die Lieferung von Baustahl bzw. Baustahlgittern stelle eine Routinearbeit dar. Der Arbeitnehmer habe einen Kranschein und sei regelmäßig hinsichtlich Be‑ und Entladung von Lasten unterwiesen, so auch, dass dabei nur spezielle Gurte bzw. Schlaufen, nicht aber die für die Anlieferung bzw. Beförderung verwendeten Bindedrähte zum Anheben verwendet werden dürften. Die erforderlichen Gurte seien im LKW auch vorhanden gewesen. Üblicherweise würden die Gurte bzw. Schlaufen schon in der Firma mit einem speziellen Haken zum Aufheben der Gitter bei der Beladung vom Belader eingezogen; vor Ort mit dem Kran auf dem LKW bestehe diese Möglichkeit nicht mehr. Aufgrund näher ausgeführter Umstände (Reklamationsfall von Baustahlmatten vom Vortag) seien die Gurte noch nicht eingehängt gewesen; der Arbeitnehmer habe aufgrund des Zeitdrucks den Beladern mitgeteilt, dass diese die Schlaufen nicht mehr einhängen sollten. Infolge von Zeitdruck sowie einer hektischen Situation auf der Baustelle, auch wegen einer problematischen örtlichen Straßensituation, die ein schnelles Wegfahren von einem unvorhergesehenen Entladeplatz erfordert habe, habe der Arbeitnehmer den Bindedraht bzw. die Drahtschlingen, die als Zusammenhalt der acht Baustahlmatten gedient hätten, zum Anheben der Last verwendet. Ein Bindedraht habe sich dann gelöst, wodurch das Gut ins Rutschen gekommen sei. Durch den Aufprall der Eisenmatten sei der Arbeitnehmer rücklings vom LKW gefallen und habe sich verletzt. Auf dem mitgeführten Lieferschein sei immer vermerkt, dass nicht bei dem Bindedraht angehängt werden dürfe.

3 Zum Kontrollsystem stellte das Verwaltungsgericht fest, dass dargelegt worden sei, dass bei Eintritt in das Arbeitsverhältnis eine Einweisung sowie laufend Unterweisungen in größeren und kleineren Gruppen oder auch in Einzelgesprächen stattfänden, zudem mache der Fuhrparkleiter laufend Rundgänge. Bei Auffälligkeiten würden diese dann in den Gruppen besprochen. Die Gurtenschlaufen würden vom Fuhrparkleiter bestellt und palettenweise auf die jeweiligen Lagerplätze aufgeteilt, sodass dieser auch überschlagsmäßig den Verbrauch kontrollieren könne. Die Gurte würden nach einmaliger Verwendung in einem speziellen Container gesammelt und wieder dem Herstellungsprozess zugeführt. Die Arbeitnehmer würden auch laufend darauf hingewiesen, dass der Bindedraht nicht verwendet werden dürfe; dies sei auch sichtbar ausgehängt. Auch Anschlagmittel seien immer wieder Thema der Unterweisungen. Die schriftlich nachgewiesenen Unterweisungen fänden etwa alle zwei Jahre statt. Es habe auch Begehungen mit der Firmenleitung sowie einmal wöchentlich die Beiziehung der Betriebsärztin gegeben. Auch werde die AUVA bei der Evaluierung beigezogen.

4 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht unter Darstellung der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Kontrollsystem aus, dass dem Revisionswerber der Entlastungsnachweis nach § 5 Abs. 1 VStG nicht gelungen sei. Er habe nämlich zur Überprüfung des installierten Kontrollsystems nur sehr allgemein gehaltene Darlegungen gemacht, wie, dass jährliche Schulungen durchgeführt worden seien, bzw. dass regelmäßig und umfangreiche Kontrollen betreffend die Einhaltung der Schutzanweisungen bzw. der Arbeitnehmerschutzbestimmungen durchgeführt würden. Konkrete, detaillierte Ausführungen, wie, wann und wie oft die Kontrollen durchgeführt würden, seien vom Revisionswerber nicht dargetan und entsprechend unter Beweis gestellt worden. Außer den allgemein gehaltenen Angaben zu Unterweisungen und Rundgängen der Firmenleitung, des Fuhrparkleiters sowie der Sicherheitsfachkraft seien keine konkreten organisatorischen Maßnahmen dahingehend vorgebracht worden, wie in zeitlich gedrängten Situationen bzw. Reklamationssituationen vorzugehen sei, um auch in solchen Situationen die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzbestimmungen gewährleisten zu können. Auch habe der Arbeitnehmer in der mündlichen Verhandlung veranschaulicht, dass Schutzmaßnahmen zum Aufheben der Baustahlgitter, wie sie in der Firma für die Beladung vorhanden seien, bei einem Aufheben vor Ort bzw. Einziehen von Schlaufen vor Ort mit dem LKW‑Kran nicht mehr möglich seien. Es sei daher sichtbar geworden, dass eben keine lückenlosen organisatorischen Maßnahmen und auch kein lückenloses Netz des Kontrollsystems dargelegt habe werden können. Ein entsprechendes Kontrollsystem sei somit nicht gegeben und die objektiv begangene Verwaltungsübertretung sei daher dem Revisionswerber auch subjektiv anzulasten.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 Die vorliegende außerordentliche Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob es dem Arbeitgeber im Sinne einer persönlichen Schuld gemäß § 9 VStG vorwerfbar sei, wenn sich der den Feststellungen des Verwaltungsgerichts zufolge kundige und regelmäßig in den konkreten Arbeitsvorgang unterwiesene Arbeitnehmer bewusst über Anordnungen hinwegsetze, deshalb Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht einhalte und dadurch einen Arbeitsunfall erleide. Das angefochtene Erkenntnis stelle auch eine zu korrigierende krasse Fehlentscheidung dar, weil überbordende Anforderungen an ein Kontrollsystem bei alltäglichen Arbeiten, in die der Arbeitnehmer festgestelltermaßen wiederholt eingeschult sei, gestellt würden. Ließe man einen Arbeitgeber immer schon dann haften, wenn ein regelmäßig unterwiesener Arbeitnehmer einen routinemäßigen Arbeitsvorgang erstmalig bewusst falsch ausführe, käme dies einer verschuldensunabhängigen Haftung gleich.

9 Entgegen den Revisionsausführungen besteht zur Frage der Ausgestaltung des Kontrollsystems gesicherte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. So hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem ausgesprochen, dass betriebliche Kontrollsysteme einer einzelfallbezogenen Beurteilung unterliegen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgte und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis führte (vgl. VwGH 23.9.2020, Ra 2020/02/0209, mwN).

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Ausgestaltung des Kontrollsystems entlastet schlichtes „Vertrauen“ darauf, dass sich ein Arbeitnehmer weisungskonform verhalte, den Arbeitgeber nicht. Das entsprechende Kontrollsystem hat auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Im Rahmen eines funktionierenden Kontrollsystems kann es kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. VwGH 4.7.2018, Ra 2017/02/0240, mwN).

11 Vielmehr ist es für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Ein wirksames Kontrollsystem liegt dann vor, wenn dadurch die Überwachung der Einhaltung von Rechtsnormen, wie sie der Übertretung des Revisionswerbers zu Grunde gelegt wurden, jederzeit sichergestellt werden kann (vgl. VwGH 12.2020, Ra 2020/02/0005, mwN).

12 Wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits ausgesprochen hat, vermag auch das Hinzutreten eines ‑ allenfalls auch krassen ‑ Fehlverhaltens eines Arbeitnehmers, das in der Folge zu einem Arbeitsunfall geführt hat, am Verschulden des Arbeitgebers an einer nicht erfolgten Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems nichts zu ändern (vgl. VwGH 9.9.2016, Ra 2016/02/0137, mwN).

13 Das Verwaltungsgericht hat in seinem angefochtenen Erkenntnis ausreichend nachvollziehbar dargelegt, dass der Revisionswerber im Verfahren kein den genannten Anforderungen entsprechendes wirksames Kontrollsystem dargetan hat. Die Revision zeigt auch nicht auf, dass die fallbezogene Beurteilung des Kontrollsystems durch das Verwaltungsgericht, welches sich dabei auf die Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützte, unvertretbar gewesen wäre.

14 In der Revision werden damit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 1. September 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte