VwGH Ra 2021/13/0121

VwGHRa 2021/13/012120.10.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision des Finanzamtes für Großbetriebe in 1030 Wien, Radetzkystraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 11. Mai 2021, Zl. RV/7102199/2012, betreffend u.a. Haftung für Lohnsteuer 2004 bis 2009 (mitbeteiligte Partei: GGmbH in W, vertreten durch die Baldinger & Partner Unternehmens- und Steuerberatungsgesellschaft mbH in 1180 Wien, Ferrogasse 35),

I. zu Recht erkannt:

Normen

EStG 1988 §68
EStG 1988 §68 Abs1
EStG 1988 §68 Abs2
EStG 1988 §68 Abs5
EStG 1988 §68 Abs7
UrlaubsG 1976 §6

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021130121.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird betreffend Haftung für die Lohnsteuer 2004 bis 2008 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

II. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird betreffend Haftung für Lohnsteuer 2009 zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte betreibt eine Privatklinik. Aufgrund einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben wurde sie ‑ soweit für das Revisionsverfahren noch relevant ‑ zur Haftung für Lohnsteuer herangezogen. Als Begründung wurde angeführt, dass im Zeitraum 9/2004 bis 12/2008 an diverse Dienstnehmer pauschal ausbezahlte SEG‑Zulagen zur Gänze steuerfrei belassen worden seien. Die während des Urlaubes mit dem laufenden Urlaubsentgelt ausbezahlten SEG-Zulagen seien steuerpflichtig. Die steuerfrei ausbezahlten SEG-Zulagen seien mit einem geschätzten Durchschnittssteuersatz von 35 % der Besteuerung unterzogen worden.

2 Das Bundesfinanzgericht gab der dagegen erhobenen Beschwerde Folge und änderte die Bescheide ab. Begründend führte es aus, der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung vom 7. Mai 2008, 2006/08/0225, zur Thematik der Schmutzzulage (ergangen zur Beitragsfreiheit von Schmutzzulagen nach § 49 Abs. 3 Z 2 ASVG) judiziert, dass bei Tätigkeiten eines Arbeitnehmers, die überwiegend solche darstellen, für die eine Schmutzzulage gebühre, für den Anspruch auf diese Zulage gleichgültig sei, ob und wann zeitraumbezogen innerhalb des für die Prüfung des Anspruchs auf Schmutzzulage maßgebenden Lohnzahlungszeitraums ein konkreter Reinigungsaufwand aufgrund einer Verschmutzung entstehe und in welcher Höhe dieser Aufwand entstehe. Aus diesem Grund sei auch während des Lohnzahlungszeitraums nicht die Beitragsfreiheit der Schmutzzulage auf Tage tatsächlich verschmutzender Arbeit zu beschränken. Dies gelte auch für die Entgeltfortzahlung im Urlaub.

3 Aus diesem Grund sei im Fall der Mitbeteiligten aufgrund der unbestritten gebliebenen Tatsache, dass die im Betrieb der Mitbeteiligten durchgeführten Tätigkeiten üblicherweise (typischerweise) zwangsläufig eine Verschmutzung/Erschwernis/Gefahr des Arbeitnehmers und seiner Kleidung in erheblichem Maß bewirkten, die gänzliche (somit 12‑mal jährlich) steuerfreie Behandlung der SEG-Zulagen zu Recht und die von der belangten Behörde vorgenommene Nachversteuerung der Zulagenbeträge im Ausmaß eines pauschalen Zwölftels zu Unrecht erfolgt.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zu ihrer Zulässigkeit vorbringt, das Bundesfinanzgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung 95/15/0030 vom 23. Mai 1996 ausgesprochen, dass Zulagen im Sinne des § 68 EStG 1988, die im Rahmen eines Urlaubsentgeltes ausgezahlt werden, steuerpflichtig seien. Das vom Bundesfinanzgericht herangezogene Judikat des Verwaltungsgerichtshofes sei im Revisionsfall nicht anwendbar, weil es dort um eine Schmutzzulage gegangen sei, die gemäß § 49 Abs. 4 ASVG vom Hauptverband verbindlich beitragsfrei erklärt worden sei und zudem nur das Sozialversicherungsrecht betreffe.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

Zu I.:

6 Die Revision ist hinsichtlich der Jahre 2004 bis 2008 zulässig und auch begründet.

7 § 68 EStG 1988 in den im Revisionszeitraum anzuwendenden Fassungen lautet auszugsweise:

„(1) Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sowie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit und mit diesen Arbeiten zusammenhängende Überstundenzuschläge sind insgesamt bis 360 Euro monatlich steuerfrei.

[...]

(5) Unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen sind jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter Umständen erfolgen, die

- in erheblichem Maß zwangsläufig eine Verschmutzung des Arbeitnehmers und seiner Kleidung bewirken,

- im Vergleich zu den allgemein üblichen Arbeitsbedingungen eine außerordentliche Erschwernis darstellen, oder

- infolge der schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen oder Strahlen, von Hitze, Kälte oder Nässe, von Gasen, Dämpfen, Säuren, Laugen, Staub oder Erschütterungen oder infolge einer Sturz- oder anderen Gefahr zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit des Arbeitnehmers mit sich bringen.

[...]

(7) Gemäß Abs. 1 bis 5 sind auch zu behandeln

- Zulagen und Zuschläge, die in dem an freigestellte Mitglieder des Betriebsrates fortgezahlten Entgelt enthalten sind,

- gleichartige Zulagen und Zuschläge an Personalvertreter im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes und ähnlicher landesgesetzlicher Vorschriften,

- Zulagen und Zuschläge, die im Arbeitslohn, der an den Arbeitnehmer im Krankheitsfall weitergezahlt wird, enthalten sind.“

8 Das Bundesfinanzgericht stützt sich bei seiner Argumentation auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, das nicht zur Lohnsteuerfreiheit, sondern zur Beitragsfreiheit von Schmutzzulagen gemäß § 49 ASVG vor dem Hintergrund einer gemäß § 49 Abs. 4 ASVG vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger getroffenen Feststellung, dass die Schmutzzulage im damals beschwerdegegenständlichen Zeitraum in der Höhe von 18 % des kollektivvertraglichen Bruttolohnes nicht zum Entgelt gemäß § 49 Abs. 1 und 3 ASVG zählt, ergangen ist. Für den Anwendungsbereich der Lohnsteuer und der Frage der Steuerfreiheit der Zulagen ist dieses Erkenntnis daher nicht einschlägig.

9 § 68 Abs. 5 EStG 1988 sieht vor, dass unter Schmutz-, Erschwernis- und Gefahrenzulagen jene Teile des Arbeitslohnes zu verstehen sind, die dem Arbeitnehmer deshalb gewährt werden, weil die von ihm zu leistenden Arbeiten überwiegend unter näher definierten Umständen erfolgen.

10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Steuerfreiheit von SEG-Zulagen im Sinne des § 68 EStG 1988 ist Voraussetzung für die Begünstigung, dass eine als Schmutz,- Erschwernis-, Gefahrenzulage bezeichnete Zulage auch tatsächlich eine für diese Zwecke gewährte Zulage darstellt. In Abs. 5 leg. cit. ist angeführt, unter welchen Bedingungen die tatsächlich geleisteten Arbeiten überwiegend ausgeführt werden müssen, um eine dafür gewährte Zulage für die Steuerfreiheit zu qualifizieren. Anhand dieser Kriterien ist zu prüfen, ob eine vom Arbeitgeber bezahlte Zulage überhaupt eine solche im Sinne des § 68 Abs. 5 EStG 1988 darstellt. Ein Zusammenhang zwischen einer Schmutzzulage und der Verschmutzung des Arbeitnehmers im Sinne des ersten Teilstrichs der Bestimmung kann etwa nur dann bejaht werden, wenn diese Zulage den tatsächlichen üblichen Sach- und Zeit(mehr)aufwand, der dem Arbeitnehmer durch die (Beseitigung der) Verschmutzung üblicherweise erwächst, abgilt (vgl. VwGH 30.6.2021, Ra 2020/15/0123). Auch eine Gefährdungszulage fällt nur in dem Ausmaß unter den dritten Teilstrich der Bestimmung, als das Ausmaß der Gefährdung in einem sachlich vertretbaren Verhältnis zum Ausmaß der gewährten Zulage steht (vgl. VwGH 17.2.1988, 85/13/0177, noch zum EStG 1972).

11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es zudem für die Steuerfreiheit der SEG-Zulagen nicht aus, wenn die in den drei Teilstrichen des Abs. 5 leg. cit. genannten Umstände vorliegen, sondern der Arbeitnehmer muss vielmehr während der gesamten Arbeitszeit überwiegend mit Arbeiten betraut sein, die eine erhebliche Verschmutzung zwangsläufig bewirken (vgl. VwGH 22.11.2018, Ra 2017/15/0025), eine außerordentliche Erschwernis darstellen (vgl. VwGH 22.4.1998, 97/13/0163) oder zwangsläufig eine Gefährdung von Leben, Gesundheit oder körperlicher Sicherheit des Arbeitnehmers mit sich bringen.

12 Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass die Steuerfreiheit nur für Zulagen zustehen kann, die für tatsächlich und unter bestimmten Voraussetzungen erbrachte Arbeitsleistungen in einem angemessenen Ausmaß gewährt werden. Eine Ausnahme davon sieht § 68 Abs. 7 EStG 1988 für drei Fälle, wie etwa die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall vor.

13 Die während des Urlaubes ausbezahlten Zulagen werden aufgrund von § 6 Urlaubsgesetz gezahlt, aber nicht für tatsächlich geleistete Arbeiten, die eine erhebliche Verschmutzung, außerordentliche Erschwernis oder bestimmte Gefährdung bewirken, gewährt. In § 68 Abs. 7 EStG 1988 findet sich keine entsprechende Ausnahme für das Urlaubsentgelt.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 23. Mai 1996, 95/15/0030, ausgesprochen, dass § 68 Abs. 7 EStG 1988 Fälle regelt, in denen die Begünstigungen des § 68 Abs. 1 und 2 EStG 1988 unabhängig davon zur Anwendung kommen, ob die Lohnbestandteile Arbeiten abgelten, die unter Umständen erfolgen, welche eine Verschmutzung bewirken, eine außerordentliche Erschwernis darstellen oder eine Gefährdung mit sich bringen, bzw. Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit bzw. Mehrarbeit darstellen. § 68 Abs. 7 EStG 1988 enthält drei taxativ aufgezählte Ausnahmen von dem Grundgedanken des § 68 EStG 1988, dass nur solche Lohnbestandteile, die für tatsächlich und unter bestimmten Voraussetzungen erbrachte Arbeitsleistungen ausgezahlt werden, begünstigt sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgeführt, dass der Dienstnehmer im Urlaub die durch § 68 Abs. 1 und 2 EStG 1988 steuerlich begünstigten Leistungen nicht erbringt, weshalb die in diesen Gesetzesstellen normierte Steuerbefreiung für Bestandteile des Urlaubsentgeltes nicht anwendbar ist.

15 Der damalige Sachverhalt betraf zwar Zulagen für Sonntags-, Feiertags- oder Nachtarbeit und nicht SEG-Zulagen, der Gerichtshof hat aber unmissverständlich auch für solche Zulagen dieselbe Beurteilung vertreten, weil auch dort der Grundsatz gilt, dass die Steuerfreiheit nur für tatsächlich und unter bestimmten Voraussetzungen erbrachte Arbeitsleistungen zusteht. Die in § 68 Abs. 1 EStG 1988 normierte Steuerbefreiung ist daher für Bestandteile des Urlaubsentgeltes nicht anwendbar.

16 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich Lohnsteuer 2004 bis 2008 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Zu II.:

17 Das Bundesfinanzgericht hat den Bescheid über die Haftung für die Lohnsteuer 2009 weder aufgehoben noch abgeändert. Die Amtsrevision enthält dazu kein Zulässigkeitsvorbringen. Die Revision war daher betreffend Haftung für Lohnsteuer 2009 zurückzuweisen.

Wien, am 20. Oktober 2022

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