European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2021080126.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die im Jahr 1952 geborene Revisionswerberin beantragte am 15. Juli 2004, ihr eine Waisenpension über das 18. Lebensjahr hinaus nach ihren 1995 und 1980 verstorbenen Eltern zu gewähren. Mit Bescheiden vom 4. Mai 2005 wies die Pensionsversicherungsanstalt diese Anträge ab.
2 Am 24. Mai 2017 beantragte die Revisionswerberin, hinsichtlich der Bescheide vom 4. Mai 2005 im Sinn des § 101 ASVG rückwirkend den gesetzlichen Zustand herzustellen und ihr Waisenpensionen nach ihrer Mutter und ihrem Vater zu gewähren. Die Pensionsversicherungsanstalt wies diese Anträge mit Bescheiden vom 9. April 2018 ab.
3 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden der Revisionswerberin gegen die Bescheide vom 9. April 2018 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
7 Zur Zulässigkeit der Revision wird vorgebracht, ein wesentlicher Irrtum über den Sachverhalt im Sinn des § 101 ASVG liege dann vor, wenn von der Behörde Sachverhaltselemente angenommen worden seien, die mit der Wirklichkeit nicht in Übereinstimmung stünden. Das Bundesverwaltungsgericht habe sich aber darauf gestützt, dass die Pensionsversicherungsanstalt ihre Bescheide vom 4. Mai 2005 auf ausreichende und vertretbar gewürdigte Beweise gegründet hätte. Daraus ergebe sich, dass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgegangen sei, es bedürfe einer „subjektiven Komponente“, nämlich einer Vorwerfbarkeit des Irrtums der Behörde, um ein Vorgehen nach § 101 ASVG zu rechtfertigen. Damit weiche das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab.
8 Es trifft zu, dass ein Irrtum über den Sachverhalt im Sinn des § 101 ASVG (nur) dann vorliegt, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Der Irrtum ist dann als wesentlich im Sinn des § 101 ASVG anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruchs Bedeutung erlangt (vgl. VwGH 28.3.2012, 2012/08/0047, mwN). Einen Tatsachenirrtum in diesem Sinn könnte etwa eine unrichtige Befundaufnahme durch einen Sachverständigen ‑ etwa das Übersehen eines konkreten Leidenszustandes ‑ darstellen (vgl. VwGH 13.9.2017, Ra 2016/08/0174, mwN; vgl. näher VwGH 27.7.2001, 2001/08/0040).
9 Das Bundesverwaltungsgericht hat sich im vorliegenden Fall im Sinn dieser Rechtsprechung darauf gestützt, dass der Pensionsversicherungsanstalt in ihren Bescheiden vom 4. Mai 2005 kein Irrtum über den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ‑ nämlich hinsichtlich der nach § 260 iVm. § 252 Abs. 2 Z 3 ASVG maßgeblichen Erwerbsfähigkeit der Revisionswerberin seit der Vollendung ihres 18. Lebensjahres ‑ unterlaufen sei. Diese Begründung, deren Unrichtigkeit bzw. Mangelhaftigkeit die Revision nicht aufzeigt, trägt die Entscheidung. Auf die weiteren in der Revision angesprochenen Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts, wonach die Bescheide vom 4. Mai 2005 aufgrund einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung bzw. „aufgrund eines mängelfreien Ermittlungsverfahrens“ ergangen seien, kam es nicht an.
10 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 29. August 2022
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