VwGH Ro 2020/15/0025

VwGHRo 2020/15/00258.9.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Graz‑Stadt (nunmehr Finanzamt Österreich, Dienststelle Graz‑Stadt) in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14‑18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 22. Juni 2020, Zl. RV/2101081/2018, betreffend Umsatzsteuer 2010 (mitbeteiligte Partei: S GmbH in G, vertreten durch die Stipanitz‑Schreiner & Partner Rechtsanwälte GbR in 8010 Graz, Zimmerplatzgasse 13), zu Recht erkannt:

Normen

EURallg
UStG 1972 §11 Abs12
UStG 1994 §11 Abs12
UStG 1994 §12
UStG 1994 §12 Abs1
UStG 1994 §16 Abs1
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art167
61987CJ0342 Hoge Raad VORAB
62002CJ0078 Karageorgou VORAB
62016CJ0628 Kreuzmayr VORAB
62017CJ0691 PORR VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2020150025.J00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Mitbeteiligte ist eine GmbH, die zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. In den Jahren 2005 bis 2009 wurden ihr von HH (einer natürlichen Person) Leistungen erbracht. HH wies in den über seine Leistungen erstellten Rechnungen Umsatzsteuer gesondert aus, welche die Mitbeteiligte in den Umsatzsteuerverfahren 2005 bis 2009 als Vorsteuer geltend machte (insgesamt im Zeitraum 2005 bis 2008 den Betrag von 98.831 €).

2 Im Zuge einer Prüfung der Sozialversicherungsabgaben wurde festgestellt, dass HH seine Leistungen an die Mitbeteiligte nicht auf der Grundlage eines Werkvertrages, sondern als Dienstnehmer der Mitbeteiligten erbracht hat (vgl. zu diesem Verfahren VwGH 2.12.2013, 2013/08/0191).

3 In Reaktion auf das Ergebnis der genannten Prüfung der Sozialversicherungsabgaben berichtigte HH am 15. Februar 2010 und am 18. Mai 2010 seine ursprünglichen Rechnungen. Das Finanzamt erließ sodann an HH den Umsatzsteuerbescheid vom 13. Dezember 2013 und schrieb die Umsatzsteuern, die vermeintlich aufgrund seiner Leistungen an die Mitbeteiligte in den Jahren 2005 bis 2009 angefallen waren, auf dessen Abgabenkonto gut.

4 In der Folge unterließ es das Finanzamt, die Umsatzsteuerverfahren der Mitbeteiligten der Jahre 2005 bis 2009 ‑ soweit noch nicht verjährt ‑ wieder aufzunehmen. Stattdessen hob es mit Bescheid vom 24. Februar 2014 den Umsatzsteuerbescheid 2010 gemäß § 299 BAO auf und erließ einen geänderten Umsatzsteuerbescheid 2010, mit dem der Vorsteuerabzug um 98.831 € gekürzt wurde. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, im Jahr 2010 habe HH die Rechnungen der Jahre 2005 bis 2009 berichtigt; in sinngemäßer Anwendung des § 16 UStG 1994 habe sowohl der Leistende seine Umsatzsteuer wie auch der Leistungsempfänger (die Mitbeteiligte) den Anspruch auf Vorsteuerabzug zu berichtigten.

5 Gegen die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2010 gemäß § 299 BAO erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. Sie führte aus, § 16 UStG 1994 sei unrichtig ausgelegt worden. Überdies habe HH den Betrag von 98.831 € der Mitbeteiligten nicht zurückgezahlt.

6 In der abweisenden Beschwerdevorentscheidung führte das Finanzamt ua aus, die Rückzahlung der Umsatzsteuerbeträge sei keine Voraussetzung für eine Berichtigung der Umsatzsteuer bzw. Vorsteuer.

7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde Folge und hob den Aufhebungsbescheid (§ 299 BAO) ersatzlos auf. Das Bundesfinanzgericht führte zur Begründung aus, es liege ein Fall der Vorsteuerberichtigung nach § 16 Abs. 1 UStG 1994 betreffend Umsatzsteuer 2010 vor, weshalb die Mitbeteiligte die Vorsteuer zu berichtigen hätte. Der Mitbeteiligten stehe jedoch nach Meinung des Bundesfinanzgerichts ‑ insbesondere auf der Grundlage der EuGH Urteile Reemtsma und Tibor Farkas ‑ ein Rückforderungsanspruch an das Finanzamt in Höhe jenes an HH bezahlten Honorarteiles zu, der auf die Umsatzsteuer entfalle. Dieser Rückforderungsanspruch sei mit der Vorsteuerberichtigung „aufzurechnen“, weshalb die Aufhebung des ursprünglichen Umsatzsteuerbescheides 2010 zu unterbleiben haben. Die einer Maßnahme nach § 299 BAO zugrunde liegende Ermessenübung spreche somit gegen die Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2010.

8 Das Bundesfinanzgericht hat die Revision zugelassen, weil keine Rechtsprechung zur Frage der Vorsteuerberichtigung nach § 16 UStG 1994 im Falle des Unterbleibens der Rückzahlung des auf die Umsatzsteuer entfallenden Entgeltanteils durch den Leistungserbringenden bestehe.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts, zu der die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11 Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

12 § 11 Abs. 12 und Abs. 14 UStG 1994 lauten:

„(12) Hat der Unternehmer in einer Rechnung für eine Lieferung oder sonstige Leistung einen Steuerbetrag, den er nach diesem Bundesgesetz für den Umsatz nicht schuldet, gesondert ausgewiesen, so schuldet er diesen Betrag auf Grund der Rechnung, wenn er sie nicht gegenüber dem Abnehmer der Lieferung oder dem Empfänger der sonstigen Leistung entsprechend berichtigt. Im Falle der Berichtigung gilt § 16 Abs. 1 sinngemäß. [...]

(14) Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt oder nicht Unternehmer ist, schuldet diesen Betrag.“

13 § 12 Abs. 1 UStG 1994 lautet (samt Überschrift):

„Vorsteuerabzug

(1) Der Unternehmer kann die folgenden Vorsteuerbeträge abziehen:

1. a) Die von anderen Unternehmern in einer Rechnung (§ 11) an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.

Findet keine Überrechnung gemäß § 215 Abs. 4 BAO in Höhe der gesamten auf die Lieferung oder sonstige Leistung entfallenden Umsatzsteuer auf das Abgabenkonto des Leistungserbringers statt, ist bei einem Unternehmer, der seine Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (§ 17) besteuert, zusätzliche Voraussetzung, dass die Zahlung geleistet worden ist. Dies gilt nicht bei Unternehmen im Sinne des § 17 Abs. 1 zweiter Satz oder wenn die Umsätze des Unternehmers nach § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 im vorangegangenen Veranlagungszeitraum 2 000 000 Euro übersteigen. Bei der Berechnung dieser Grenze bleiben die Umsätze aus Hilfsgeschäften einschließlich der Geschäftsveräußerungen außer Ansatz.

b)Soweit in den Fällen der lit. a der gesondert ausgewiesene Steuerbetrag auf eine Zahlung vor Ausführung der Umsätze entfällt, ist er bereits abziehbar, wenn die Rechnung vorliegt und die Zahlung geleistet worden ist.

2. a) die entrichtete Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind,

b)in den Fällen des § 26 Abs. 3 Z 2 die geschuldete und auf dem Abgabenkonto verbuchte Einfuhrumsatzsteuer für Gegenstände, die für sein Unternehmen eingeführt worden sind;

3. die gemäß § 19 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 1a, Abs. 1b, Abs. 1c, Abs. 1d und Abs. 1e geschuldeten Beträge für Lieferungen und sonstige Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind.

[...]“

14 § 16 Abs. 1 UStG 1994 lautet (samt Überschrift):

„Änderung der Bemessungsgrundlage

(1) Hat sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 geändert, so haben

1.der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag, und

2.der Unternehmer, an den dieser Umsatz ausgeführt worden ist, den dafür in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug entsprechend zu berichtigen. Die Berichtigungen sind für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung des Entgeltes eingetreten ist.“

15 Das in den Art. 167ff. der Mehrwertsteuerrichtlinie 2006/112/EG geregelte Recht auf Vorsteuerabzug ist integraler Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich nicht eingeschränkt werden. Das Recht auf Vorsteuerabzug besteht für die aufgrund von Lieferungen und Dienstleistungen geschuldete Steuer. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann es nicht auf zu Unrecht gezahlte Steuer erstreckt werden und besteht daher nicht in Bezug auf die Mehrwertsteuer, die nur deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist (EuGH 13.12.1989, Genius, C‑342/87 , Rn. 19; EuGH 6.11.2003, Karageorgou u.a., C‑78/02 bis C‑80/02 , Rn. 51; EuGH 21.2.2018, Kreuzmayr GmbH, C‑628/16 , Rn. 41, 43; EuGH 11.4.2019, PORR, C‑691/17 , Rn. 36).

16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes berechtigte im zeitlichen Geltungsbereich des UStG 1972 eine nach § 11 Abs. 12 UStG 1972 bloß aufgrund der Rechnungslegung geschuldete Umsatzsteuer den Leistungsempfänger zum Vorsteuerabzug (VwGH 25.2.1998, 97/14/0107). Von dieser Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 3. August 2004, 2001/13/0022, für den zeitlichen Geltungsbereich des UStG 1994 abgegangen. Auf der Grundlage der Judikatur des EuGH ist in richtlinienkonformer Interpretation davon auszugehen, dass sich der Anspruch auf Vorsteuerabzug nach § 12 UStG 1994 nicht auf eine Steuer erstreckt, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist. Das Recht auf Vorsteuerabzug ist somit insbesondere für eine Steuer ausgeschlossen, die, weil der betreffende Umsatz nicht der Mehrwertsteuer unterliegt, in keinem Zusammenhang mit einem bestimmten Umsatz steht, sondern nur aufgrund der Rechnungslegung geschuldet wird (vgl. VwGH 4.6.2008, 2005/13/0016; 3.9.2008, 2003/13/0125; 18.12.2013, 2009/13/0195; 29.6.2016, 2013/15/0114).

17 Im gegenständlichen Fall gehen das Bundesfinanzgericht und die Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens davon aus, dass HH seine Leistungen an die Mitbeteiligte als deren Dienstnehmer erbracht hat, also nicht als Steuerpflichtiger iSd Art. 9 Abs. 1 MwSt-RL bzw. Unternehmer iSd § 2 UStG 1994, und die in Rede stehende Umsatzsteuerschuld ausschließlich aufgrund der von HH in den Jahren 2005 bis 2009 erfolgten Rechnungslegung bestanden hat. Solcherart hat die Mitbeteiligte zu Unrecht in den Jahren 2005 bis 2009 die in den Rechnungen des HH ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend gemacht und erweisen sich die Umsatzsteuerbescheide 2005 bis 2009 insoweit als rechtswidrig.

18 Das Finanzamt hat allerdings nicht die Richtigstellung der Umsatzsteuerveranlagungen der Mitbeteiligten für 2005 bis 2009 angestrebt, sondern den Umsatzsteuerbescheid 2010 gemäß § 299 BAO aufgehoben, weil es davon ausging, die Vorsteuer sei im Umsatzsteuerverfahren 2010 gemäß § 16 Abs. 1 UStG 1994 zu korrigieren.

19 Im angefochtenen Erkenntnis geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass grundsätzlich die Voraussetzungen der Berichtigung der Vorsteuern gemäß § 16 Abs. 1 UStG 1994 im Rahmen der Festsetzung der Umsatzsteuer 2010 gegeben seien, und hat damit die Rechtslage verkannt:

20 § 16 Abs. 1 UStG 1994 betrifft die nach Ablauf des Voranmeldezeitraumes eingetretene Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, nämlich der Bemessungsgrundlage (Ruppe/Achatz, UStG5, § 16 Rz 5). Tritt keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ein, sondern erweist sich ein Vorsteuerabzug von vorneherein als unrichtig, liegt kein Anwendungsfall des § 16 Abs. 1 UStG 1994 vor.

21 § 11 Abs. 12 UStG 1994 knüpft den Wegfall der Steuerschuld aufgrund der Rechnung an die tatsächliche Durchführung der Berichtigung gegenüber dem Abnehmer der Lieferung oder dem Empfänger der sonstigen Leistung und normiert im letzten Satz: „Im Fall der Berichtigung gilt § 16 Abs. 1 sinngemäß“.

22 Aus § 11 Abs. 12 letzter Satz UStG 1994 ergibt sich, dass für den Aussteller der Rechnung die Steuerschuld aufgrund der Rechnung zu dem Zeitpunkt (in jenem Voranmeldezeitraum) wegfällt, in dem die Rechnung berichtigt wird (vgl. Mayr in Ecker/Epply/Rößler/Schwab, UStG 1994, 62. Lfg. [2020], § 11 Rz 234). Der Empfänger der Rechnung wird durch § 11 Abs. 12 letzter Satz UStG 1994 nicht betroffen. Dessen Vorsteuerabzugsberechtigung ist von vorneherein nicht gegeben, daran ändert sich ‑ entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ‑ durch die Berichtigung der Rechnung nichts.

23 In jenen Fällen, in denen sich nachträglich herausstellt, dass zunächst rechtsirrtümlich von der Erbringung steuerpflichtiger Leistungen ausgegangen worden ist, liegt keine Änderung der Bemessungsgrundlage vor, sondern eine unrichtige Beurteilung. Eine unrichtige rechtliche Beurteilung in Bezug auf die Vorsteuerabzugsberechtigung ist aber ex tunc richtig zu stellen und erfordert keine Rechnungsberichtigung (vgl. VwGH 23.4.2008, 2005/13/0115; siehe auch Ruppe/Achatz, UStG5, § 16 Rz 15).

24 Im gegenständlichen Fall sind somit in Bezug auf die Umsatzsteuer 2010 der Mitbeteiligten die Voraussetzungen einer Vorsteuerberichtigung nach § 16 Abs. 1 UStG 1994 nicht gegeben. Die vom Finanzamt auf die Berichtigung nach § 16 Abs. 1 UStG 1994 gestützte Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2010 nach § 299 BAO war daher rechtswidrig.

25 Das Bundesfinanzgericht hat mit anderer ‑ im gegenständlichen Verfahren nicht weiter relevanter ‑ Begründung die Voraussetzungen der Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2010 nach § 299 BAO als nicht gegeben erachtet. Aus den oben ausgeführten Gründen erweist sich das angefochtene Erkenntnis im Ergebnis als rechtskonform.

26 Zur Bedeutung der Urteile des EuGH Reemtsma sowie Tibor Farkas im Umsatzsteuerverfahren wird im Übrigen auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 2018, Ra 2017/15/0102, verwiesen.

27 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Wien, am 8. September 2022

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