Normen
B-VG Art133 Abs4
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020060121.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Spruchpunkt I. des Bescheides des Bürgermeisters der Gemeinde S. vom 23. Februar 1999 wurde der Revisionswerberin für die Errichtung eines Wohnhauses mit Garage und Hauskanalanschluss auf einem in ihrem Eigentum stehenden Grundstück gemäß § 25 Abs. 8 Salzburger Bebauungsgrundlagengesetz (BGG) die Genehmigung (ausnahmsweise Zulassung) zur Unterschreitung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstandes zur Bauplatzgrenze, und zwar zur nordwestlichen Bauplatzgrenze um 2,48 m, nach Maßgabe der damaligen Einreichplanung erteilt. Mit Spruchpunkt II. dieses Bescheides wurde der Revisionswerberin die baubehördliche Bewilligung für die erwähnte Errichtung eines Wohnhauses mit Garage und Hauskanalanschluss auf ihrem Grundstück unter Auflagen erteilt.
2 Mit Eingabe vom 25. September 2014 beantragte die Revisionswerberin bei der Baubehörde die nachträgliche Genehmigung geringfügiger Abweichungen vom Einreichplan und der Unterschreitung der Mindestabstände gemäß § 25 Abs. 8 BGG. Der Grenzabstand der Garage sei (bedingt durch einen Messfehler der Baufirma) mit 1,34 m um 18 cm geringer als genehmigt.
3 Diesen Antrag auf Erteilung der Baubewilligung für die vorgelegten Austauschpläne samt Ansuchen um Ausnahme gemäß § 25 Abs. 8 BGG hinsichtlich der Situierung der Garage wies der Bürgermeister der Gemeinde S. mit Bescheid vom 8. Juli 2015 ab.
4 Die dagegen von der Revisionswerberin erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Gemeindevertretung der Gemeinde S. vom 15. Dezember 2015 abgewiesen.
5 Das Landesverwaltungsgericht Salzburg (LVwG) wies mit Erkenntnis vom 10. Jänner 2018 die gegen den Berufungsbescheid erhobene Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab. In den Erwägungen dieses Erkenntnisses hielt das LVwG unter anderem fest, dass die in § 25 Abs. 8 BGG genannten Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung kumulativ vorliegen müssten. Nach den Einreichunterlagen weise die Doppelgarage eine lichte Breite von 6,00 m auf und es werde bei Rückbau um 18 cm die Funktion der Garage keinesfalls beeinträchtigt. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sei bestätigt worden, dass eine Abweichung um 18 cm keine geringfügige Abweichung darstelle und die Ausnutzung der Baufläche durch die Herstellung des konsensgemäßen Zustandes jedenfalls nicht ausgeschlossen werde. Die gemäß § 25 Abs. 8 lit. a BGG zu beurteilende unbillige Härte könne im gegenständlichen Fall nicht ersehen werden, zumal sich der Garagenbau durch den Rückbau von 18 cm in seiner Funktion nicht verändere bzw. unbrauchbar werde. Da es am Erfordernis der unbilligen Härte mangle, habe die Behörde schon deshalb die Erteilung der weiteren Ausnahmebewilligung zu versagen gehabt, ohne dass es auf das Vorliegen der übrigen in § 25 Abs. 8 lit. b bis d BGG genannten Voraussetzungen ankäme. Darüber hinaus hielt das LVwG mit näherer Begründung fest, dass keine zivilrechtliche Einigung mit dem Nachbarn zustande gekommen sei.
6 Die gegen dieses Erkenntnis des LVwG von der Revisionswerberin erhobene außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Dezember 2019, Ra 2018/06/0042, zurückgewiesen.
7 Mit Eingabe vom 6. August 2019 beantragte die Revisionswerberin die Wiederaufnahme des mit Erkenntnis des LVwG vom 10. Jänner 2018 abgeschlossenen Verfahrens. Als Wiederaufnahmegründe machte sie die Tatbestände gemäß § 32 Abs. 1 Z 1, Z 2, Z 3 und Z 4 VwGVG geltend.
8 Begründend führte die Revisionswerberin unter anderem aus, mit näher genannter rechtskräftiger Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz vom 25. April 2019 sei dem Liegenschaftsnachbarn die Verpflichtung auferlegt worden, dem nachträglichen Bauansuchen der Revisionswerberin auf Bewilligung der auf einen Nachbarabstand von 1,34 m heranreichenden Garage (weiterhin) zuzustimmen. Die schriftlichen Zustimmungserklärungen mittels Z 1- und Z 2‑Formulars habe der Nachbar am 30. Juli 2019 erteilt. Sie würden einerseits neue Tatsachen und Beweismittel darstellen und andererseits den Tatbestand der erheblichen Vorfrage begründen, der zu einer anderen Entscheidung des LVwG geführt hätte. Weiters seien die Bestimmungen des § 25 Abs. 8 lit. a (unbillige Härte) und lit. d („Lage des Baues im Bebauungsplan“) BGG für eingeschossige Nebenanlagen, welche zu Wohnbauten gehörten und dem Bedarf der Antragstellerin dienten, nicht anzuwenden.
9 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das LVwG den Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.
10 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne der Stattgabe des Antrags auf Wiederaufnahme abzuändern.
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B‑VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B‑VG).
12 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
13 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, sind die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet, sodass auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann (VwGH 30.4.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).
15 Nach der hg. Judikatur können Tatsachen und Beweismittel im Sinn des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nur dann einen Grund für die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens darstellen, wenn sie bei Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens bereits vorhanden waren und deren Verwertung der Partei jedoch ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht jedoch, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt. Dieser Wiederaufnahmegrund ermöglicht nicht die neuerliche Aufrollung eines abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens in Fragen, die im früheren Verfahren hätten vorgebracht werden können. Der Wiederaufnahmegrund des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid/Erkenntnis zugrunde gelegt wurde. Das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren Verfahrensmängel oder eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, bildet keinen Wiederaufnahmegrund nach dieser Bestimmung (vgl. dazu erneut VwGH 30.4.2019, Ra 2018/10/0064, mwN).
16 Eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG erfordert somit das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, bietet also lediglich dann eine Möglichkeit für die nachträgliche Durchbrechung der Rechtskraft, wenn ein Korrekturbedarf auf der Tatsachenebene offenbar wird. Eine (lediglich) unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Verwaltungsgericht bildet hingegen keinen Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG (vgl. VwGH 14.9.2021, Ra 2019/07/0063, mwN).
17 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das LVwG habe „das Sachverhaltsvorbringen“ im Wiederaufnahmeantrag, wonach es sich gegenständlich um eine eingeschossige Garage handle, die zum Wohnhaus der Revisionswerberin gehöre und ihrem Bedarf diene, ignoriert bzw. als bloßes Rechtsvorbringen gewertet. Dabei werde übersehen, dass „dieses Sachverhaltsvorbringen“ im Erkenntnis des LVwG vom 10. Jänner 2018 gar nicht explizit aufgegriffen worden sei und „die tatsächlichen Eigenschaften der Garage auch nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof und seines Beschlusses vom 17.12.2019 waren“.
18 Dieses Vorbringen wird erkennbar vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 25 Abs. 8 BGG erstattet, gemäß dem die für die Baubewilligung zuständige Behörde auf Antrag die Unterschreitung der in den Abs. 3 und Abs. 4 leg. cit. festgesetzten Abstände bei Vorliegen näher genannter Voraussetzungen durch Bescheid ausnahmsweise zulassen kann. Nach § 25 Abs. 8 zweiter Satz BGG gilt die Voraussetzung der lit. a leg. cit. (wonach die Einhaltung nach der besonderen Lage des Einzelfalles für den Ausnahmewerber eine unbillige Härte darstellt) nicht für zu Wohnbauten gehörige und dem Bedarf der Bewohner dienende eingeschossige Nebenanlagen.
19 Der Verwaltungsgerichtshof hatte bereits in seinem (die Revision gegen das Erkenntnis des LVwG vom 10. Jänner 2018 zurückweisenden) Erkenntnis vom 17. Dezember 2019, Ra 2018/06/0042, festgehalten, dass sich die Revisionswerberin nicht gegen die dem damals angefochtenen Erkenntnis des LVwG vom 10. Jänner 2018 zugrunde liegende Prämisse, § 25 Abs. 8 lit. a BGG sei im vorliegenden Fall anwendbar, gewandt habe. Das LVwG hatte nämlich im Erkenntnis vom 10. Jänner 2018 mit seiner Beurteilung, die weitere Ausnahmebewilligung sei bereits mangels des Vorliegens einer unbilligen Härte zu versagen gewesen, implizit verneint, dass es sich gegenständlich um eine „für zu Wohnbauten gehörige und dem Bedarf der Bewohner dienende eingeschoßige Nebenanlage“ (im Sinne des § 25 Abs. 8 zweiter Satz BGG) handle.
20 Die Revisionswerberin tritt nun den Ausführungen des LVwG im angefochtenen Beschluss, sie habe (im Wiederaufnahmeantrag) nicht behauptet, dass das LVwG im vorliegenden „Verwaltungsstrafverfahren“ (richtig: Verwaltungsverfahren) den maßgeblichen Sachverhalt unrichtig festgestellt habe und nach Abschluss des Verfahrens dazu neue Tatsachen oder Beweismittel aufgekommen seien, nicht konkret entgegen. Sie behauptet auch nicht, dass es ihr in dem mit Erkenntnis des LVwG vom 10. Jänner 2018 abgeschlossenen Verfahren nicht möglich gewesen wäre vorzubringen, dass aufgrund der Eigenschaften der Garage § 25 Abs. 8 lit. a BGG im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei. Vielmehr führt die Revisionswerberin nun in ihrer Zulässigkeitsbegründung selbst aus, dass „schon nach den Bauplänen (...) erkennbar“ gewesen sei, dass die seit 1999 bestehende Garage eingeschossig sei, an das Wohnhaus der Garageneigentümer angebaut sei und dem Bedarf der Revisionswerberin diene.
21 Mit seinen rechtlichen Erwägungen im angefochtenen Beschluss, die Revisionswerberin wende sich gegen eine unrichtige Anwendung des § 25 Abs. 1 lit. a BGG (somit gegen eine behauptete unrichtige rechtliche Beurteilung), womit jedoch eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht begründet werden könne, ist das LVwG daher von der (oben zitierten) hg. Rechtsprechung nicht abgewichen. Wie bereits dargelegt, bildet das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verwaltungsverfahren eine unrichtige rechtliche Beurteilung vorgelegen sei, keinen Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG.
22 Ferner können die in der Zulässigkeitsbegründung der Revision erwähnten Zustimmungserklärungen des Nachbarn (vom 30. Juli 2019) schon deshalb keine neuen Tatsachen oder Beweismittel im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellen (und die Zulässigkeit der Revision begründen), weil ‑ wie das LVwG zutreffend ausführte ‑ nur „nova reperta“, nicht jedoch erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens vor dem LVwG neu entstandene Tatsachen und Beweismittel den in Rede stehenden Wiederaufnahmegrund bilden könnten.
23 Darüber hinaus hat das LVwG im angefochtenen Beschluss zutreffend angemerkt, dass die vorgebrachte zivilrechtliche Zustimmung des Nachbarn (bzw. das damalige Fehlen der Zustimmung) im gegenständlich durchgeführten baubehördlichen Bewilligungsverfahren nicht entscheidungswesentlich gewesen sei. Die Ausnahmebewilligung war nämlich bereits wegen des angenommenen Mangels des Vorliegens einer unbilligen Härte versagt worden. Daran vermag auch das Zulässigkeitsvorbringen in der Revision nichts zu ändern, wonach die Zustimmung des vom Näherheranbauen betroffenen Nachbarn für die Zulässigkeit der Genehmigung von Abweichungen vom Bauplan „nicht bedeutungslos“ sei.
24 Vor diesem Hintergrund erweist sich auch die Begründung des LVwG für das (von der Revisionswerberin bemängelte) Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es unter anderem darauf verwies, dass der entscheidungswesentliche Sachverhalt schon aufgrund der Aktenlage geklärt gewesen sei und das LVwG ausschließlich Rechtsfragen zu klären gehabt habe, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine Verhandlung nicht geboten sei, als vertretbar. Dem steht auch das Revisionszulässigkeitsvorbringen, wonach bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 Z 1 und des § 32 Abs. 1 Z 3 VwGVG „sofort präzisiert“ hätten werden können, nicht entgegen, zumal die Revisionswerberin sich hinsichtlich des Wiederaufnahmegrundes der Z 3 leg. cit. lediglich auf die bereits abgehandelte, nunmehr vorliegende (nachträgliche) Zustimmung des Nachbarn stützte und hinsichtlich des Wiederaufnahmegrundes der Z 1 leg. cit. nicht nachvollziehbar darlegte, weshalb diese Voraussetzung im gegenständlichen Fall vorliege.
25 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
26 Ungeachtet des Antrags der Revisionswerberin konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 24. Juni 2022
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