Normen
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs5
FrPolG 2005 §53 Abs3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210045.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein im November 1989 geborener armenischer Staatsangehöriger, verließ den Herkunftsstaat seinen Angaben zufolge im Jahr 2007 gemeinsam mit seiner Mutter und seinen Brüdern; der Ehemann bzw. Vater hatte sich bereits davor nach Europa begeben. Nach einem Voraufenthalt in der Slowakei kam der Revisionswerber letztlich Anfang Juli 2010 nach Österreich. Hier wurde im Zuge eines Verfahrens über einen erfolglos gebliebenen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf den (mittlerweile) rechtmäßigen Aufenthalt seiner Familienangehörigen mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Dezember 2012 die dauernde Unzulässigkeit seiner Ausweisung festgestellt. Demzufolge erhielt der Revisionswerber danach wiederholt Aufenthaltstitel; zuletzt verfügte er über eine „Rot‑Weiß‑Rot ‑ Karte plus“ mit Gültigkeit bis 20. Februar 2018, wozu er fristgerecht einen Verlängerungsantrag stellte.
2 Mit Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26. August 2015 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens des schweren Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 143 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren rechtskräftig verurteilt, die er unter Anrechnung der Vorhaft vom 30. April 2015 bis zur bedingten Entlassung (nach Absolvierung von zwei Drittel der Strafdauer) am 30. August 2018 verbüßte. Dem Schuldspruch zufolge wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe am 30. April 2015 der Angestellten eines Souvenirgeschäftes dadurch, dass er einen Gas‑Schreckschuss‑Revolver auf sie gerichtet und dabei die Worte geäußert habe „Scheine, große Scheine! Schneller!“, sohin durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben unter Verwendung einer Waffe, Bargeld in der Höhe von 1.890 € mit Bereicherungsvorsatz abgenötigt.
3 Im Hinblick darauf erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber mit Bescheid vom 16. August 2017 eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA‑VG und verband damit ein auf § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG mit zehn Jahren befristetes Einreiseverbot. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Armenien zulässig sei. Des Weiteren wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt und demzufolge gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt.
4 Mit „Beschluss“ des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 12. September 2017 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 und 6 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
5 Über die Beschwerde führte das BVwG am 21. Jänner 2020 eine mündliche Verhandlung durch. Nach weiteren Ermittlungen erging sodann das angefochtene Erkenntnis vom 18. Mai 2020, mit dem die Beschwerde „mit der Maßgabe“ als unbegründet abgewiesen wurde, dass die Dauer des Einreisverbotes auf fünf Jahre herabgesetzt und gemäß § 55 Abs. 1 und 2 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen eingeräumt wurde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit dem Beschluss VfGH 24.11.2020, E 2274/2020, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat. Die hierauf fristgerecht eingebrachte außerordentliche Revision erweist sich als unzulässig:
7 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 In dieser Hinsicht wendet sich der Revisionswerber (nur) gegen die vom BVwG nach § 9 BFA‑VG vorgenommene Interessenabwägung. Dabei wird jedoch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht Rechnung getragen, wonach die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist. Das gilt (im Übrigen) sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose (vgl. aus der letzten Zeit etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0457, Rn. 18, oder VwGH 9.11.2020, Ra 2020/21/0417, Rn. 14, jeweils mit dem Hinweis auf VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0232, Rn. 12, mwN).
10 Es kann aber im vorliegenden Fall nicht als unvertretbar angesehen werden, dass das BVwG dem Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch unter Verwertung des persönlichen Eindrucks kein höheres Gewicht beimaß als dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung von so schweren strafbaren Handlungen wie bewaffnetem Raub. Dabei durfte das BVwG ‑ erkennbar zur Beurteilung seiner kriminellen Energie ‑ auch berücksichtigen, dass der vom Revisionswerber gefasste Entschluss zur Tatbegehung nicht spontan erfolgte, sondern dass ihm eine genaue, näher beschriebene Planung vorausging und dass die dafür ausschlaggebenden Gründe, insbesondere schlechte finanzielle Verhältnisse, auch derzeit gegeben seien bzw. in der Zukunft gegeben sein könnten.
11 Soweit in der Revision (außerhalb der Zulässigkeitsbegründung) die vom BVwG auf die genannten Umstände gegründete Gefährdungsprognose im Sinne des § 53 Abs. 3 FPG bemängelt wird, ist aber auch noch auf die schon im angefochtenen Erkenntnis herangezogene ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich ‑ nach dem Vollzug einer Haftstrafe ‑ in Freiheit wohlverhalten hat. Demnach ist für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat (siehe neuerlich VwGH 9.11.2020, Ra 2020/21/0417, nunmehr Rn. 12, mwN). Von einer solchen nachdrücklichen Manifestierung der Gefährlichkeit durfte das BVwG aber der Sache nach im vorliegenden Fall ausgehen und daher das beim Revisionswerber bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch nicht einmal zwei Jahre dauernde Wohlverhalten als zu kurz für die Annahme eines Wegfalls der Gefährdung ansehen, wobei die in der Revision diesbezüglich auch noch ins Treffen geführten Umstände ‑ Ersttäterschaft und bedingte Entlassung ‑ diese Einschätzung nicht maßgeblich relativieren können.
12 Entgegen der Meinung in der Revision berücksichtigte das BVwG bei der Interessenabwägung aber auch ausreichend die für den Revisionswerber sprechenden Umstände, insbesondere den langen rechtmäßigen Aufenthalt, die sehr guten Deutschkenntnisse, die teilweise Erwerbstätigkeit und die zuletzt absolvierte Ausbildung zum Schweißer, die familiären Bindungen zu seinen hier lebenden Eltern und zu einem Bruder sowie die Bemühungen zur „Resozialisierung“. Diese Aspekte führten ohnehin zu der vom BVwG vorgenommenen deutlichen Reduktion der Dauer des Einreiseverbotes. Sie mussten aber angesichts des vom Revisionswerber begangenen massiven Delikts, der daraus ableitbaren Gefährdung und des deshalb bestehenden besonderen öffentlichen Interesses an seiner Aufenthaltsbeendigung insgesamt nicht zu einem Überwiegen des Interesses des erwachsenen und ledigen Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich führen. In der Revision noch geltend gemachte Schwierigkeiten bei der Existenzgründung in Armenien, wo sich auch ein Bruder des Revisionswerbers aufhält, sind im öffentlichen Interesse hinzunehmen.
13 Der Revision gelingt es somit nicht, eine für die Lösung des vorliegenden Falles wesentliche grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG aufzuzeigen.
14 Dass das BFA in seinem Bescheid vom 16. August 2017 und ihm folgend das BVwG für die Rückkehrentscheidung auf den Tatbestand des § 52 Abs. 5 FPG abstellten, obwohl der Revisionswerber über den für dessen Anwendung erforderlichen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt ‑ EU“ unbestritten nicht verfügte, und dass das BVwG bei Bestätigung des Einreiseverbotes nach Änderung des § 53 Abs. 3 Z 5 FPG durch das FrÄG 2018 mit Wirksamkeit ab 1. September 2018 nicht die genannte Bestimmung (statt § 53 Abs. 3 Z 1 FPG) als Rechtsgrundlage heranzog, verletzt den Revisionswerber aber jedenfalls nicht in Rechten; das macht er auch nicht geltend.
15 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 11. März 2021
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